„In Washington herrschen Illusionen“
Von Ray McGovern
Ray McGovern war viele Jahre lang führender Rußlandexperte der
CIA und ist prominentes Gründungsmitglied der „Geheimdienstveteranen für
Vernunft“ (VIPS). Im Online-Seminar des Schiller-Instituts zu den Enthüllungen
über die Nordstream-Sabotage am 23. Februar 2023 sagte er folgendes.
Ich danke Ihnen für die Einladung, und ich freue mich besonders, daß ich
nach meinem guten Freund Graham Fuller spreche, mit dem ich im Frühjahr 1963
in die Central Intelligence Agency eingetreten bin. Wir wurden beide nach
Washington gerufen, weil [Präsident] John Kennedy dazu aufforderte, daß
Menschen mit besonderer Ausbildung, besonderen Interessen und besonderen
Fähigkeiten nach Washington kommen [und etwas für unser Land tun] sollten,
anstatt zu fragen, was unser Land für uns tun kann. Wir waren beide
Spezialisten für Rußlandstudien. Und ich möchte nur anmerken, daß Graham und
ich das Schlimmste durchgemacht haben, aber auch das Beste, denn wir konnten
den Mächtigen die Wahrheit sagen, insbesondere in Bezug auf Rußland.
Nun, kam mir bei jedem Satz, den Graham gerade gesagt hat, in den Sinn:
„Genau das wollte ich auch sagen! Oje, das wollte ich auch sagen!“
[Lacht.]
Eigentlich wollte ich noch ein paar andere Bemerkungen machen, aber diese
ewige, endlose Spannung zwischen dem, was die Historiker die „Slawophilen“ und
die „Westler“ nennen, ist nichts Neues. Es ist sehr wichtig festzustellen, daß
jetzt eine große neue Mauer, ein neuer Eiserner Vorhang, wenn man so will,
entstanden ist, zwischen dem „kollektiven Westen“, wie die Russen zu sagen
pflegen, und dem Osten – dem Osten mit seinen großen Plänen für
wirtschaftliche Entwicklung, dem Osten mit der großen Mehrheit der
Weltbevölkerung, China, Indien, Brasilien, Indonesien, Südostasien, Irak.
Hallo! Bitte, liebe Amerikaner, glaubt bloß nicht, die Vereinigten Staaten
hätten Rußland erfolgreich isoliert!
Das Fenster ist zugeschlagen
Rußland ist in der Geschichte immer wieder aus der Isolation
herausgekommen, und Sie müssen verstehen, warum mein Freund Graham Dschingis
Khan erwähnt hat. Die Russen haben nämlich mehr als zwei Jahrhunderte lang,
vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, unter dem verbracht, was sie das
Tatarskoye igo, das Tatarische Joch, nennen. Und es war wirklich ein
Joch! Es genügt also zu sagen, daß sich die Russen aus zwei Jahrhunderten und
mehr unter dem Tatarenjoch befreiten, während Westeuropa aus dem finsteren
Mittelalter in die Renaissance eintrat. Es genügt zu sagen, daß sich die
Russen immer als zwei Jahrhunderte hinter dem Westen zurückstehend betrachtet
haben, und das völlig zu Recht.
Dann sollte Peter der Große der nächste Zar werden und er hatte Ende des
16. Jahrhunderts die Geistesgegenwart, in den Westen zu reisen. Er arbeitete
zwei Jahre lang in den Werften von Rotterdam, lernte den Westen kennen, kehrte
nach St. Petersburg zurück, und als er Zar wurde, sagte er: „Unsere Zukunft
liegt im Westen.“
Puschkin hat ein Gedicht darüber geschrieben, wie Peter der Große auf die
Ostsee hinausschaut, nach Westen blickt und sagt [rezitiert auf
russisch]: „Von hier aus werden wir diese schwedy bedrohen.“ Damit
meinte er die Schweden, die Polen, die Litauer, alle in diesem Teil Europas,
die die Tataren bei der Unterdrückung und Invasion des damaligen Rußlands
abgelöst hatten. [Rezitiert weiter auf russisch] „Hier wird eine Stadt
errichtet werden – zum Nachteil unserer verhaßten Nachbarn.“ „Von der Natur
selbst ist es vorherbestimmt.“ Jewropa ist Europa.
Und jetzt: Rrrumms! Nicht nur ein wenig weggeschnitten, sondern mit dem
Vorschlaghammer gehauen: Freunde, dieses Fenster ist jetzt zu! Die Vorhänge
sind zugezogen, es ist vorbei!
Ich bin optimistisch, daß die Europäer nach ein oder zwei Jahrzehnten zur
Vernunft kommen und erkennen werden, daß sie von Leuten wie Senator McCain und
Präsident Obama in die Irre geführt wurden und daß Rußland nicht „nur eine
Tankstelle ist, die sich als Land ausgibt“. Rußland ist ein Land, ohne das der
Rest Europas verarmt. Und Graham erwähnte einige Aspekte davon, wie es bereits
verarmt ist.
Ich denke, das ist noch ein Jahrzehnt oder mehr entfernt, aber im Moment
spricht man von einer multipolaren Welt. Das ist wahr, sie ist eine
multipolare Welt geworden. Aber ich würde eher sagen bipolar [lacht], man
könnte „bipolar“ auch im psychiatrischen Sinne sagen, das würde auch
zutreffen. Aber es ist bipolar in dem Sinne, daß ein Pol – und achten Sie auf
die Wortwahl –, der „blütenweiße Westen“ gegen den Rest der Welt steht, wo die
große Mehrheit farbige Menschen sind. Wie kann man sagen, die USA hätten
Rußland isoliert, wenn 1,4 Milliarden Chinesen und 1,4 Milliarden Inder und
die Indonesier und Brasilianer und Südafrikaner und Iraner sich gegen das
auflehnen, was im blütenweißen Westen geschieht?
Das ist alles sehr bedauerlich. Das hat enorme Auswirkungen, aber so sehe
ich das. Der Vorhang wurde zugezogen. Es gibt eine neue Chinesische Mauer,
Große Mauer, Berliner Mauer, Eiserner Vorhang – ich denke, Graham hat
vollkommen Recht.
Was hat er über Rußland und Deutschland gesagt? Bisher, und bis zu einem
gewissen Grad auch heute noch, sind das die Hauptakteure. Was sollen die
Russen von Olaf Scholz halten, wenn der am 7. Februar letzten Jahres neben
Präsident Biden steht, und Präsident Biden sagt: „Wir werden diese Pipeline
beenden. Wir können es schaffen. Vertrauen Sie mir, wir können es schaffen.“
Und was macht Olaf Scholz? Er sitzt daneben am Podium, richtig? Und sie fragen
ihn: „Nun, was halten Sie davon, Herr Bundeskanzler Scholz?“ Und er sagt
[Englisch mit deutschem Akzent]: „Wir machen alles gemeinsam. Wir gehen
gemeinsam an diese Dinge heran, wir machen nichts, ohne zusammen zu sein.“
Wow! Jemand sollte Kanzler Scholz fragen: „Bedeutet das, daß Sie von den
Plänen zur Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines wußten? Hat Biden Ihnen
gesagt, als Sie in Washington waren, daß das vorbereitet wurde? War das etwas,
was Sie ,gemeinsam‘ gemacht haben?“ Ich kenne die Antwort darauf nicht. Aber
das deutsche Volk verdient sicherlich eine Antwort auf diese sehr wichtige
Frage.
„Sind sie zurechnungsfähig?“
Zum Schluß möchte ich noch auf etwas hinweisen, das ich schon betont habe,
lange bevor es in der Ukraine sozusagen knallte. Als die Russen als Reaktion
auf das, was die Ukrainer taten, ihre Streitkräfte an der ukrainischen Grenze
aufbauten, gab es einen großen Aufschrei. Und tatsächlich wußte Präsident
Biden, ein neuer Präsident Biden, nicht so recht, was er tun sollte. Wir
sprechen von Anfang 2021. Also rief er Herrn Putin an, und er sagte: „Wir
mögen all diese russischen Truppen an der Grenze nicht, was machen Sie da?“
Und Putin sagte: „Nun, Selenskyj sagt, daß er vielleicht eine Atomwaffe
bekommen wird. Selenskyj sagt, daß er die Krim zerstören wird. Können Sie ihm
einen Dämpfer verpassen?“
Und Biden sagte OK und hat es getan. Und Putin sagte: „Außerdem haben Sie
zwei Lenkwaffenzerstörer auf dem Weg in die Dardanellen, ins Schwarze Meer –
können Sie die zurückrufen?“ Und Biden sagte OK und tat es. Dann sagte Biden:
„Ich mag persönliche Diplomatie. Lassen Sie uns reden. Lassen Sie uns reden!
Laßt uns einen Gipfel abhalten.“ Wie die meisten von Ihnen wissen, wurde dann
ein Gipfeltreffen für den 16. Juni 2021 vereinbart.
Wir wissen nicht viel über diesen Gipfel, außer dem, was Präsident Biden
uns gesagt hat. Unmittelbar nach dem Treffen, als er in sein Flugzeug stieg,
um nach Hause zu fliegen, sagte er uns: „Es ist noch nicht ganz sicher: Wissen
Sie, es steht mir nicht zu, zu verraten, was ich Präsident Putin gesagt habe,
aber er hat eine sehr lange, lange, Tausende von Meilen lange Grenze mit
China. Er weiß, daß China danach strebt, nicht nur die wichtigste
Wirtschaftsmacht, sondern auch die wichtigste militärische Macht zu werden.
Herr Putin hat eine Menge zu befürchten!“
Und dann fuhr er fort, bevor er ins Flugzeug stieg. Seine Betreuer sagten:
„Joe, lassen Sie uns...“ – „Nein, ich möchte noch ein Wort sagen!
Unterschätzen Sie nicht die Tatsache, daß Putin von China unter Druck gesetzt
wird.“
16. Juni 2021. Er steigt also in das Flugzeug. Ich wäre gerne eine Fliege
an der Wand gewesen, als Putin seine Berater konsultierte und sagte: „Hä? Wie
bitte!?!“ [lacht]
Ich schätze, Sullivan, Blinken und diese Jungs lesen immer noch aus den
Lehrbüchern, die Graham Fuller und Ray McGovern vor vier Jahrzehnten
geschrieben haben! Als sich Rußland und China noch in den Haaren lagen! Nun,
ich will diese Leute nicht verunglimpfen, sie sind sehr gut ausgebildet, sie
sind die „Besten und Klügsten“, und es sind solche Leute, die uns Vietnam
eingebrockt haben – und wir alle wissen, wie das ausging.
Mir gefiel, was Professor Boyle zu sagen hatte über, sagen wir mal, die
Anwaltskanzlei „Biden, Blinken, Sullivan, Nuland und Austin“ – ich habe hier
eine kleine Notiz gemacht [lacht]. Das ist wie die, Sie wissen schon, „Dewey
Cheatham und Howe“ [eine Parodie auf eine Anwaltskanzlei in Komödien], oder
was auch immer das war. Diese Leute sind wirklich ein Risiko.
Was ich damit sagen will, ist folgendes, Sie sollten lesen, was hier
passiert: Präsident Putin hielt am 27. Oktober letzten Jahres eine große Rede
vor dem Waldai-Diskussionsklub. Er sprach 45 Minuten lang und beantwortete
dann drei Stunden lang Fragen – okay? drei Stunden lang.1 Die
westlichen Journalisten haben die Fragen nicht abgewartet, vielleicht haben
sie die Diskussion auch bewußt ausgelassen. Aber die Fragen waren der
eigentliche Knackpunkt! Er wurde gefragt, und ich habe das aufgeschrieben:
„Präsident Putin, eine Frage zu China, zu den wachsenden Spannungen zwischen
China und den Vereinigten Staaten. Warum sollten die Vereinigten Staaten ihre
Beziehungen zu China verderben, während sie gleichzeitig einen Streit mit
Rußland in der Ukraine anzetteln?“
Hören Sie sich Putins Antwort an: „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum
sie das tun... Sind sie zurechnungsfähig? Es scheint, daß das alles dem
gesunden Menschenverstand und der Logik völlig zuwiderläuft... Es ist einfach
verrückt. Es mag den Anschein haben, daß dahinter irgendein subtiler,
tiefgreifender Plan steckt. Aber ich glaube, da ist nichts, kein subtiler
Gedanke. Es ist einfach nur Unsinn und Arroganz, sonst nichts... Solche
irrationalen Handlungen wurzeln in Arroganz und einem Gefühl der
Straffreiheit.“
Nun schließe ich mich nicht allem an, was Wladimir Putin sagt, aber ich
denke, in dem Punkt hat er völlig recht. Aber es spielt keine Rolle, was
McGovern, Graham Fuller oder sonst jemand denkt! Was zählt, ist, was Putin
denkt.
Analogie zur Kubakrise 1962
Sind wir jetzt in größerer Gefahr, als wir es 1962 waren? Das war ein Jahr,
bevor Graham und ich zur CIA kamen. Zufällig war ich während der Kubakrise im
September, Oktober und November 1962 in Georgia, in Fort Benning [eine Basis
der US-Armee]. Dort gab es keine Waffen. Keine schicken [damals] hochmodernen
Granatwerfer, auf die wir uns gefreut hatten, um an ihnen zu trainieren. Da
war nichts! Wo war es? Es war alles unten in Key West in Florida, bereit für
Kuba. Dort war es!
Warum sage ich das? Ich sage das, weil die Kubakrise meiner Ansicht nach
und nach Ansicht einiger anderer Leute sehr analog zu dem ist, was Putin an
der Peripherie Rußlands sieht.
Ich habe das vor zwei Tagen vor dem UN-Sicherheitsrat erwähnt. Lassen Sie
mich noch einmal kurz darauf anspielen: Wir wissen es, und Herr Putin hat es
tatsächlich gesagt – sehen Sie sich seine Rede vom 21. Dezember 2021
an,2 als er es [sinngemäß] sagte: „Was mich beunruhigt, ist die
Tatsache, daß diese Stellungen in Rumänien und in Polen für Marschflugkörper
und Hyperschallraketen geeignet sind, die Moskau oder unsere ICBM-Streitkräfte
erreichen könnten, wenn es sich um Marschflugkörper handelt, in 7-10 Minuten;
wenn es sich um Hyperschallraketen handelt, in 5 Minuten. Ich, Wladimir Putin,
möchte nicht in die Lage versetzt werden, entscheiden zu müssen, ob ich den
Rest der Welt in die Luft jagen soll (er hat diese Worte so nicht benutzt, es
sind meine Worte – aber es ist wahr!); ich möchte nicht in die Lage versetzt
werden, in 5 Minuten entscheiden zu müssen, ob ich den Rest der Welt in die
Luft jagen soll! Und auch nicht 7-10 Minuten vorher!“
Das ist der Knackpunkt des Problems.
Und ich sagte im Sicherheitsrat: „Glauben Sie McGovern nicht. Er liest zwar
alles, was Putin sagt, aber trotzdem müssen Sie ihm nicht glauben. Hören Sie
auf Putin.“
Vor dem Staatsstreich in Kiew am 22. Februar 2014 gab es nicht den
geringsten Beweis dafür, daß Putin oder irgend jemand anderes in der
russischen Führung die Absicht hatte, die Krim zu erobern, besser gesagt zu
annektieren. Als der Putsch stattfand, als klar war, daß die Putschisten, die
Leute, die an die Macht kamen, die Ukraine als Teil der NATO haben wollten und
die russischsprachige Bevölkerung daran hindern wollten, ihre offizielle
Sprache zu sprechen, und daß sie ein Auge auf die Krim geworfen hatten,
Rußlands einzigen ganzjährig nutzbaren Marinestützpunkt, der dort nach einigen
Kriegen von Elisabeth der Großen eingerichtet worden war, zur gleichen Zeit
wie unsere Revolution. Was passierte dann? Putin kam aus Sotschi zurück, er
war bei den Olympischen Winterspielen; er war nicht einmal in Moskau, als der
Putsch stattfand! Er kam zurück und sagte: „Was machen wir jetzt mit der
Krim?“ Lange Rede, kurzer Sinn: Sie wollten nicht zulassen, daß die Krim ein
Hafen oder ein Marinestützpunkt der NATO wird.
Sie kennen den Rest der Geschichte: Die Krim wurde im nächsten Monat
annektiert. Im darauffolgenden Monat, im April, feierte Putin die Annexion der
Krim, und er sagte – und jetzt kommt‘s –, er sagte: „Wir waren motiviert, zum
Teil durch die Vorstellung, daß die Ukraine Mitglied der NATO werden könnte.
Aber noch wichtiger ist, daß wir nicht wollten, daß offensive Angriffsraketen
an der Peripherie Rußlands stationiert werden.“
Und in der Tat, genau das befürchten sie natürlich. Während ich hier
spreche, befinden sich in Rumänien und Polen Raketensilos oder -stellungen.
Sie können von angeblichen ABM-Anlagen zur Verteidigung gegen den Iran in
Angriffsraketen umgewandelt werden, die Rußland innerhalb von 5 Minuten
erreichen können, oder derzeit 7-10 Minuten.
Was bedeutet das? Nun, denken Sie an Kuba! Ich habe Leute gefragt, die
damals die Situation in Kuba kannten, die Techniker: „Wie lange hätte eine
dieser sowjetischen Raketen, diese offensiven Angriffsraketen, gebraucht, um
Washington zu erreichen oder Omaha, wo sich das SAC [Strategic Air Command]
befindet?“ – „Minuten“, sagten sie. „Minuten.“ – „Wie viele Minuten?“ – „Nur
Minuten!“
OK, gut, 10 Minuten, 5 Minuten? Nun, John Kennedy hat reagiert, oder nicht?
Hat er etwas Illegales getan? Nun, Blockaden sind illegal. Man kann sie
Quarantäne nennen, wenn man will, man macht es nicht legal, nur indem man es
„Quarantäne“ nennt. Wie ich schon sagte, waren alle unsere Waffen und viele
meiner Kameraden in Key West, und nicht zuletzt drohte John Kennedy deswegen
mit einem Atomkrieg.
Hier also die Frage, Leute, denkt darüber nach: Hat damals irgendeiner
gesagt: „Komm schon, du drehst völlig durch, John Kennedy! Das ist
unprovoziert! Du tust illegale Dinge wie eine Blockade, und das ist
unprovoziert“? Warum hat das damals niemand gesagt? Hallo? Weil es sehr wohl
provoziert war!
Wenn Putin es für nötig hielt, in die Ukraine einzumarschieren, und nicht
nur aus diesem Grund, sondern, aber dieser war wichtiger als andere
Erwägungen, dann kann man nicht sagen, daß das „unprovoziert“ war. Sagen Sie,
es sei illegal, wenn Sie wollen – laßt das die Juristen entscheiden. Aber
diese Scharade von „unprovoziert“ ist nicht wahr.
Der amerikanische Vertreter im UN-Sicherheitsrat hat es vor zwei Tagen
vermieden, das Wort „unprovoziert“ zu verwenden. Das war merkwürdig. Er sagte
„schrecklich, schrecklich“ und all diese Dinge, aber er sagte nicht, daß das,
was Rußland vor einem Jahr tat, „unprovoziert“ war. Ich weiß nicht, warum. Es
ist das erste Mal, daß ich diese Art von Erklärungen sehe, in denen das nicht
gesagt wird; vielleicht hatte er Angst, ich würde mich auf ihn stürzen. Es
waren nur zwei Leute...! [lacht]
Die Auflösung des Dramas naht
Es genügt zu sagen, daß wir hier das dénouement [die Auflösung des
Dramas] sehen werden. Und was mich wirklich beunruhigt, ist, daß das
amerikanische Volk kaum auf das vorbereitet ist, was auf es zukommt. Meiner
Meinung nach wird es eine russische Offensive geben, die in den nächsten
Wochen bis zum Dnjepr vordringen kann, und dann wird die Zeit eng, eindeutig!
Ich glaube nicht, daß Putin die ganze Ukraine übernehmen will. Das wäre
doch dumm! Das wäre etwas, was Dick Cheney oder Don Rumsfeld oder einer dieser
„Auserwählten“ versuchen würde. Ich denke, Putin wäre bereit, zu verhandeln –
die Frage ist nur, wann? Da sagt General Milley, der Vorsitzende der
Generalstabschefs: „Vielleicht sollten wir jetzt verhandeln“, und dann sagt er
zwei Wochen später: „Nein, nein, Rußland verliert, Rußland hat verloren.“
Wissen Sie, in Washington herrscht eine Atmosphäre von Illusion, von
Verblendung.
Was wir also tun müssen, ist aktiv zu werden und zu agitieren! Wir müssen
unsere Mitbürger aufklären, denn die Presse tut das nicht. Wir müssen unseren
Hintern hochkriegen und sagen: „Leute, seht her, das hier sind die Fakten.
Seymour Hersh hat die Tatsache aufgedeckt, daß wir diesen schrecklichen
terroristischen Akt begangen haben, einen Kriegsakt, wie Professor Boyle
sagte.“ Und klären Sie unser Volk auf. Sagen Sie: „Wollen wir wirklich einen
Atomkrieg für so etwas riskieren? Ich glaube nicht, daß wir das wollen.“
Aber wir müssen dafür sorgen, daß unsere Mitbürger dies wissen. Schaffen
wir das in dieser oder in der nächsten Woche? Wahrscheinlich nicht, aber wir
müssen es weiter versuchen.
Ich schließe mit I.F. Stone, der sich mit dieser Art von Umständen
konfrontiert sah, und er sagte: „Du mußt mit offenen Augen in die Sache gehen,
und wenn du kannst, behalte deinen Sinn für Humor. Denn du wirst verlieren.
Und dann wirst du wieder verlieren, und du wirst weiter verlieren. Aber am
Ende wird jemand gewinnen, der denselben Instinkt für Gerechtigkeit und
Wahrheit hat wie du.“
Also: Versuchen Sie es weiter, in dem Bewußtsein, daß Sie nicht sofort
gewinnen werden. Und bewahren Sie dabei Ihr Gleichgewicht, behalten Sie Ihren
Sinn für Humor, wenn Sie können, aber bleiben Sie trotzdem hartnäckig.
Herzlichen Dank!
Anmerkungen
1. http://en.kremlin.ru/events/president/news/69695
2. http://en.kremlin.ru/events/president/news/67402\
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