Die Zukunft von Afrika, China und den BRICS
Von Prof. David Monyae
Prof. David Monyae ist Direktor des Zentrums für
Afrika-China-Studien an der Universität von Johannesburg in Südafrika. Im
zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 9.9.2023
sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften
wurden von der Redaktion hinzugefügt.)
Es ist mir eine große Freude, zu Ihnen allen zu stoßen, und ich möchte die
Gelegenheit nutzen, den Veranstaltern für die Organisation dieses wunderbaren
Seminars zu danken. Wir freuen uns auf die Diskussionen. Mein Name ist
Professor David Monyae, ich bin Direktor des Zentrums für Afrika-China-Studien
an der Universität von Johannesburg in Südafrika.
Mein Schwerpunkt wird die Frage sein: Warum die BRICS? Warum brauchen wir
sie? Was ist der Schwerpunkt der BRICS? Und dann werde ich mich darauf
konzentrieren, wohin sich die BRICS entwickeln und wie sie die globalen
Beziehungen beeinflussen. Angesichts der Tatsache, daß China das größte
BRICS-Mitglied ist und fast 60-70 % des gesamten BIP der BRICS ausmacht, werde
ich auf China und mein eigenes Land Südafrika fokussieren, sowie auf die
Beziehungen Afrikas zu China. In diesem Teil werde ich mich mehr auf die
voraussichtliche Entwicklung und die Beziehungen zu anderen Industrieländern
beziehen.
Zunächst einmal müssen wir unser Verständnis der BRICS in einen Kontext
stellen. Die Weltordnung nach 1945 war eine Ordnung, die von den Vereinigten
Staaten und den westlichen Ländern definiert wurde, und die meisten
afrikanischen Länder mit Ausnahme Südafrikas waren an der Entstehung dieser
Ordnung nicht beteiligt. Sie waren Nachzügler, und deshalb sind sie nur
Verwalter der Regeln und nicht Gestalter der Regeln. Alles wurde so
eingerichtet, daß es die westlichen Länder begünstigte.
1955 fand das erste Treffen der Entwicklungsländer, der afrikanischen und
asiatischen Länder, in Indonesien statt – die Konferenz von Bandung 1955. Ich
glaube, dort kamen zum allerersten Mal die Beschwerden der Entwicklungsländer
zur Sprache. Was waren ihre Beschwerden? Ihre Anliegen waren sehr einfach: Sie
wollten eine Reform der internationalen Ordnung, in der diese
Entwicklungsländer ernst genommen werden, eine gerechte Verteilung der
Ressourcen, Zusammenarbeit, Technologietransfer sowie verschiedene
zwischenmenschliche Fragen, die im Kommuniqué der Bandung-Konferenz von 1955
angesprochen wurden.
Dies waren also die wichtigsten Gründe, warum die Entwicklungsländer der
Meinung waren, daß die internationale Ordnung zu dieser Zeit, zehn Jahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs, verändert werden mußte. Sie sollten sich
aktiv an dieser Ordnung beteiligen und sie demokratischer und transparenter
gestalten und in gewisser Weise alle Kontinente vertreten. Doch wie wir
wissen, gab es seit 1955 keine Bewegung in den Industrieländern, die den
Entwicklungsländern die Hand gereicht hätten, um sie zu verstehen und ihnen
entgegenzukommen.
Wir haben den Aufstieg einer weiteren Gruppierung erlebt, die sehr wichtig
ist. Damit wir einen klareren Kontext haben: Woher kommen die BRICS? 1961
wurde die Bewegung der Blockfreien Staaten im gleichen Kontext gegründet,
nämlich nach dem Ende des Kalten Krieges, als Vertretung der Länder, die nicht
in einen Kalten Krieg zugunsten der Vereinigten Staaten oder der damaligen
Sowjetunion verwickelt werden wollten. Und die meisten dieser Länder waren
Entwicklungsländer. Man kann Ähnlichkeiten zwischen der Bandung-Bewegung und
der Bewegung der Blockfreien Staaten von 1961 erkennen, was die Beschwerden
der Entwicklungsländer betrifft. Eine dritte Formation ist die Gruppe der 77
(plus China) innerhalb der Vereinten Nationen. Sie war sehr stark und brachte
mehr oder weniger ähnliche Themen zur Sprache.
Doch im Jahr 2010 wurde der Aufstieg der BRICS-Staaten deutlich. Sie wurden
2009 offiziell gegründet, und 2010 trat Südafrika bei: Brasilien, Rußland,
Indien, China und dann Südafrika. Diese Länder kamen ebenfalls aus dem
Globalen Süden, und ihre Hauptprobleme mit der globalen Ordnung waren ähnlich
wie die, die ich bereits dargelegt habe. Was die BRICS jedoch von der
Bandung-Konferenz, der Bewegung der Blockfreien Staaten oder der Gruppe der 77
unterscheidet, ist, daß die BRICS von 2009 eher ein Vorschlag von Jim O'Neill
waren, einem Mann der Wall Street. Das war der Vorschlag, daß es
Schwellenländer gibt und man das Wachstum dieser Länder im Hinblick auf die
Größe ihrer Volkswirtschaften und ihren Beitrag zur Entwicklung des
Kapitalismus und der Märkte betrachten sollte. So wurde es im neoliberalen
Ansatz gesehen.
BRICS: mehr als nur Wirtschaft
Doch mit der Aufnahme Südafrikas und besonders mit dem BRICS-Gipfel 2023,
der im Stadtzentrum von Johannesburg stattfand, wurde der neoliberale Ansatz
aufgegeben. Während Jim O'Neills Konzept sehr viel stärker auf den Westen und
die Wall Street ausgerichtet war und von Märkten, individualistischen
westlichen Normen und Marktwerten ausging, sind die BRICS, die sich jetzt
herausbilden, ein Gebilde, das dem entgegengesetzt ist. Diese BRICS gehen weit
über die Stärke der Wirtschaft hinaus. Ja, für eine Mitgliedschaft bei den
BRICS ist die Größe der Wirtschaft wichtig, aber es geht auch um die
Beziehungen zwischen Menschen. Es geht um Fragen der Entwicklung. Es geht um
Größenordnungen, um Entwicklung, um die Aufnahme von Menschen, um Fragen der
Demokratisierung und der Vertretung. Es ist eine direkte Antwort auf eben
diese Beschwerden der Entwicklungsländer, daß diese Länder sich selbst
organisiert haben, und sie agieren, da sie auch Mitglieder der G-20 sind, mit
dem Treffen, das jetzt in Indien stattfindet, mit den Gipfeltreffen zum
Klimawandel, COP28; das steht an. Und vom 18. bis 26. September wird die
Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York tagen.
Wir sehen bereits, daß die BRICS-Länder zunehmend an Macht gewinnen. Sie
haben sechs weitere Länder aufgenommen: Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten
Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien. Das allein verändert
schon die gesamte Stärke und Legitimität der BRICS; sie sind viel stärker
geworden. Sie haben die G-7 in Bezug auf ihre Wirtschaftskraft bereits
überholt. Die Zukunft der kapitalistischen Welt liegt eher in den
Entwicklungsländern, und die BRICS-Länder werden zunehmend an Macht
gewinnen.
Wir werden auch Veränderungen erleben, vor allem in Bezug auf China, dem
wichtigsten Land in Bezug auf die Größe seiner Wirtschaft und die Rolle, die
es zunehmend beim Ausbau der Infrastruktur spielt, in einer Zeit, wo der
Westen das Gefühl hat, an Raum, Legitimität und Einfluß zu verlieren – vor
allem in Afrika –, ist China dort bei der Entwicklung der Infrastruktur und
einer Reihe anderer Themen auf dem Vormarsch. Wir werden die
„Anti-China-Bewegung“ erleben, der es um Entkopplung geht, und das andere, was
die entwickelten Länder betreiben wollen, die Risikominderung
(de-risking).
Das wird enorme Auswirkungen haben, nicht nur für die Vereinigten Staaten,
sondern auch für Europa, da die Kolonialmächte Afrikas aus Europa stammen. In
den letzten Wochen und Monaten haben wir in Westafrika endlose Putsche erlebt:
Burkina Faso, Zentralafrikanische Republik, Sudan, Gabun, Mali, dazu
Terroranschläge. Frieden und Sicherheit werden immer wichtiger.
Der Ressourcennationalismus ist also auf dem Vormarsch, und diese Länder in
Afrika argumentieren, daß sie mehr Unterstützung und Zusammenarbeit bei der
Infrastrukturentwicklung brauchen. Aber noch wichtiger ist, daß sie nicht nur
Rohstoffe verkaufen wollen, sondern auch die Veredelung der Rohstoffe fordern.
Einige der kritischen Mineralien für die industrielle Revolution, wie Lithium
und Uran, sind im Zuge des wirtschaftlichen Wandels von großer Bedeutung.
Diese Ressourcen sind hauptsächlich in Afrika zu finden. Afrika wird also ein
wichtiger Akteur werden, und der Wettbewerb zwischen den Industrieländern, vor
allem mit China und Rußland, wird zunehmen.
Im Zusammenhang mit Rußland und dem Ukraine-Krieg hat sich die Situation
verschlechtert, und es ist die Rede vom Einsatz der Söldnertruppe Wagner auf
dem afrikanischen Kontinent. Es wird eine frühe Phase eines neuen Kalten
Krieges geben, der auf uns zukommt und die Lage verschlimmern wird, wenn die
Vereinigten Staaten Afrika weiterhin durch die Linse der Sicherheit statt
durch die der Entwicklung betrachten.
Dies sind also einige der Themen, bei denen die Afrikaner dafür plädieren,
daß wir viel mehr Entwicklung brauchen. Man kann Entwicklung und Sicherheit
nicht voneinander trennen. Daher sind die Ansätze von Präsident Xi Jinping mit
der Globalen Sicherheitsinitiative, der Globalen Entwicklungsinitiative und
der Globalen Zivilisationsinitiative wichtige Konzepte, die mehr afrikanische
Länder und die Entwicklungsländer ansprechen, um sich mit diesem Thema
auseinanderzusetzen.
Brücken bauen
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß es
Raum für Zusammenarbeit und für den Bau von Brücken gibt. Wenn wir über die
BRICS sprechen, dann sehen wir die BRICS nicht als Gegner der Industrieländer.
Ich denke, wir werden eine ergänzende Rolle spielen, und deshalb gibt es für
den Globalen Süden mehr Raum, um den Industrieländern auf halbem Weg
entgegenzukommen. Wir müssen Wege finden, dies auf friedlichere Weise zu tun;
wir müssen Kriege vermeiden; wir müssen verhindern, daß Waffen in diesen
afrikanischen Ländern abgeladen werden. Die Korruption muß in Afrika und
überall sonst bekämpft werden. Wir brauchen eine gute Regierungsführung, wir
brauchen gute Regierung und Demokratie, nicht nur auf dem afrikanischen
Kontinent.
Ich denke, daß Afrika und die meisten Entwicklungsländer die Demokratie als
die Spitze der Institutionen der Weltordnungspolitik sehen wollen,
insbesondere bei den Vereinten Nationen. Diese müssen umgestaltet und
reformiert werden, und zwar so, daß die Entwicklungsländer einbezogen werden.
Das wird einige der Probleme wie Klima, Ungleichheit der Geschlechter, Armut,
Krankheit und fehlende Chancen für alle lösen.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen allen noch einmal zu danken.
Ich freue mich darauf, einige von Ihnen persönlich zu treffen, wenn es die
Zeit erlaubt. Ich danke Ihnen.
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