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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die Menschheit und Afrika brauchen die Wissenschaft

Von Dora Muanda

Dora Muanda ist Lehrerin und Biologin sowie wissenschaftliche Leiterin der Kinshasa Science and Technology Week in der Demokratischen Republik Kongo.

Die Menschheit braucht Afrika, Afrika braucht die Wissenschaft, und ich möchte hinzufügen: die Wissenschaft braucht Frauen.

Nicht, daß es in Afrika keine Wissenschaft gäbe; nicht, daß es keine Frauen in der Wissenschaft gäbe. Aber in beiden Fällen gibt es nicht genug von ihnen, und in beiden Fällen mangelt es an Sichtbarkeit. Der Beweis ist, daß weniger als ein Prozent aller wissenschaftlichen Produktionen und Veröffentlichungen weltweit aus afrikanischen Ländern stammen.


© Investing In People ASBL

Abb. 1: Das Logo der Wissenschafts- und Technologiewoche


Abb. 2, 3: experimentierende Schüler

Aber die Gesundheits-, Umwelt- und Klimakrise zeigen deutlich, wie komplex und miteinander verbunden die Herausforderungen sind. Unabhängig davon, wie groß die Herausforderung für die Menschheit ist, brauchen wir alle Perspektiven möglicher Lösungen. Auf die Erfahrung, das Wissen und das Know-how des südlichen Teils des Planeten zu verzichten, ist ein Luxus, den wir uns einfach nicht mehr leisten können, wenn wir nachhaltige Lösungen schaffen wollen, in der sich alle Menschen entwickeln können. Wenn wir die Vision haben, die sich hinter dem Wort „Entwicklung“ verbirgt, müssen wir erkennen, daß Wissenschaft und Technologie nach wie vor ein mächtiger Hebel für den Aufstieg einer Nation sind. Im Jahr 2023 wird sich jede Nation, die ihre Technologien nicht beherrscht, selbst ins Bein schießen.

Was kann man konkret tun, insbesondere, wenn man zu der dreifachen Minderheit gehört, nämlich Afrikanerin, Schwarze und Wissenschaftlerin zu sein?

Mein Name ist Dora Muanda, und ich leite die Wissenschafts- und Technologiewoche in der Demokratischen Republik Kongo. Dies hier (Abb. 1) ist das Logo der Veranstaltung.

Wir haben diese Veranstaltung zusammen mit meiner Kollegin Raissa Malu gegründet, einer der wenigen kongolesischen Physikerinnen. Wir beschlossen, die Wissenschafts- und Technologiewoche der DRK ins Leben zu rufen, weil wir von dort kommen. Wir trafen uns in Belgien, wo ich aufgewachsen bin. Ich wurde im Kongo geboren und kehre für das Wissenschaftsfestival regelmäßig dorthin zurück.

Die Idee wurde aus einer simplen Beobachtung heraus geboren: Wissenschaftsunterricht im Kongo ist auf allen Ebenen immer noch überwiegend vortragsbasiert. Daher mußten wir einen Weg finden, die Schüler zum Hantieren und Experimentieren zu bringen. Hier sind ein paar Bilder, wie wir das in Kinshasa tun (Abb. 2, 3).

Das Ziel der Wissenschaftswoche ist es, eine wissenschaftliche Kultur unter der kongolesischen Jugend zu schaffen und den Abstand zu den Welten der Wissenschaft, der akademischen Welt und der Unternehmen zu überbrücken.

Das Format eines Wissenschaftsfestivals ist ganz praktisch angelegt, weil es nicht nur diejenigen erreicht, die noch zur Schule gehen. Die Lehrer können ihre Schüler mitbringen, und wir versorgen sie mit Materialien. Wir bringen sie dazu, Experimente zu machen, und wir beschäftigen uns nicht nur mit Wissenschaft.

Um ehrlich zu sein. Wissenschaftler werden oft dafür kritisiert, daß sie nicht wissen, wie sie ihre Arbeit vermitteln können. Deshalb bringen wir ihnen einerseits bei, wie man wissenschaftliche Experimente aufbaut, doch dann müssen sie ein wissenschaftliches Poster erstellen und in der Lage sein, ein komplexes Prinzip auf einfache Weise und in kurzer Zeit zu erklären – und das für verschiedene Zielgruppen, denn wir haben Kinder und Jugendliche vom Kindergarten bis zur Universität, die das Wissenschaftsdorf besuchen. Die Schüler, die wir ausbilden, müssen also mehr können als nur an Experimenten zu hantieren, sie müssen auch an ihren „weichen Fähigkeiten" (Soft Skills) in der Kommunikation arbeiten.

Die Idee dieses Wissenschaftsfestivals ist es, das schulische Lernen und die Qualität des Unterrichts zu stärken. Und zweitens war es für uns wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem Wissenschaftler aus ihren Labors herauskommen und über ihre Arbeit sprechen können. Denn solange kongolesische Wissenschaftler, von denen es einige gibt, nicht kommunizieren und veröffentlichen, können wir nicht wissen und verstehen, daß es sie gibt und was sie tun.

Es ist sehr kompliziert, staatliche Fördermittel für Forschung und Innovation zu erhalten, wenn Wissenschaftler keine Räume, keine „Fenster“ haben, um den Bürgern und Politikern zu kommunizieren, was sie tun, und wenn es keine Möglichkeiten gibt, Brücken zur Wirtschaft zu bauen, wird es für die Politik noch schwieriger, stark in diese Bereiche zu investieren.

Es war daher sehr wichtig für uns, einen Raum für Experimente für Schüler und deren Lehrer und gleichzeitig einen Raum für Kommunikation und Information für unsere Wissenschaftler anzubieten.

In den zehn Jahren unserer Tätigkeit haben wir fast 60.000 Besucher empfangen. Diese Zahlen konnten wir erreichen, weil wir mit dem Ministerium für Primar-, Sekundar- und Technische Bildung sowie mit dem kongolesischen Forschungsministerium zusammenarbeiten. Auf diese Weise können sie die Schulen so organisieren, daß sie zu festgelegten Stunden zum Wissenschaftsdorf kommen, sodaß wir den Besucherstrom reibungslos steuern können.

Unser Modell sieht vor, daß wir jedes Jahr eine Gruppe von mindestens 50 Studenten ausbilden, und während der Veranstaltung bilden diese von uns ausgebildeten Studenten ihrerseits die Gastschüler aus. Denn wir glauben an unser Label „Teaching by doing“ (Lehren, indem man es tut). Wir glauben, daß wir mehr bewirken können, wenn die Schüler und Schülerinnen, die mit ihren Lehrern und Lehrerinnen ins Wissenschaftsdorf kommen, selbst sehen, daß es Kinder aus ihrer Generation sind, Schüler und Schülerinnen wie sie, die Wissenschaft betreiben, sie meistern und Spaß daran haben. Das entmystifiziert die Vorstellung, Wissenschaft sei etwas weit Entferntes und Elitäres. Jeder kann Zugang zu ihr haben. Und es hilft dabei, „Vorbilder“ zu schaffen. Man kann nicht werden, was man nicht visualisieren kann. Wenn man ins Internet geht, sieht man, daß die meisten Videos von Wissenschaftlern von Weißen stammen, es gibt mehr weiße Männer, die Wissenschaft erklären, als Frauen. Schwarze Frauen, die auf YouTube Wissenschaft erklären, sind eine Seltenheit. Es ist also wichtig, diese Vorbilder zu schaffen, damit unsere Kinder sehen können, daß die Wissenschaft eine Gemeinschaft ist, zu der sie Zugang haben. Sie können dazugehören, sie haben ein Recht darauf.

Fernsehen und Radio

Apropos Repräsentativität: Während der COVID-Pandemie mußten wir unser Modell überdenken. Wir konnten keine Wissenschaftswoche in Anwesenheit veranstalten, deshalb produzierten wir populärwissenschaftliche Videos, um weiter wissenschaftliche Inhalte zu verbreiten. Also produzierten wir diese Videoclips und stellten sie auf unseren Youtube-Kanal,1 um die Sichtbarkeit schwarzer Forscher im Internet zu erhöhen.

Als es soweit war, stellten wir fest, daß ein weiteres Problem darin bestand, daß man eine Internetverbindung braucht, um diese Videos auf Youtube anzusehen – und Internetanschlüsse sind sehr teuer. Um dieses Problem zu umgehen, haben wir uns wieder mit dem Bildungsministerium zusammengetan, damit unsere Clips tagsüber im Fernsehen ausgestrahlt wurden, wenn die Schüler zu Hause waren.

Als wir das organisiert hatten, stellten wir fest, daß es auch nicht unbedingt in jedem Haus einen Fernseher gab. Wir konnten also ein bestimmtes Milieu nicht erreichen. Von da an versuchten wir, Unterricht in Form von Podcasts zu produzieren. Das waren kleine Wissenschaftsgeschichten, die im Radio gesendet wurden. Denn in jeder Gemeinde, selbst in der ärmsten, gibt es mindestens ein Radio. So konnten wir auch die schwächsten Gemeinschaften mit wissenschaftlichen Sendungen erreichen.

Die wichtigsten Zahlen:

  • Wir haben rund 60.000 Besucher empfangen.

  • Wir haben 400 Studenten ausgebildet. Das sind die Zahlen vom letzten Jahr. Im April fand gerade unsere zehnte Veranstaltungsrunde statt. Der Bericht ist noch nicht online, wird aber in Kürze erscheinen, die Zahlen sind also inzwischen noch höher.

  • Jedes Jahr haben wir 17 Ausbilder, die wir im Vorfeld schulen und die uns dann bei der Betreuung der Schüler helfen, die an der Wissenschaftswoche teilnehmen.

  • Wir haben etwa hundert Aussteller eingeladen. Mit anderen Worten: Unternehmer, Leute, die in Kinshasa ihr eigenes Geschäft haben, aber manchmal weiß niemand davon. Es mag seltsam klingen, aber wenn man hier (in Europa) etwas braucht, kann man es in die Google-Suchmaschine eingeben. In Kinshasa gibt es absolut alles, nur weiß niemand, wo! Es ist Mundpropaganda, entweder man weiß es oder nicht, aber es ist nicht so einfach, alles zu finden, was man sucht. Das Wissenschaftsfestival bietet daher ein Fenster zum Privatsektor.

Wir haben internationale Redner eingeladen, um unsere Wissenschaftler mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern ins Gespräch zu bringen, und wir haben drei landesweite Wettbewerbe organisiert. Die Idee ist, die Kreativität unserer Schüler, unserer Kinder, unserer Jugend zu fördern, indem wir sie dazu bringen, Wissenschaft und Technologie zu nutzen.


© Investing In People ASBL

Abb. 4: Eingereichte Beiträge des Posterwettbewerbs, davor die Organisatorinnen Raissa Malu (links) und Dora Muanda.


Abb. 5: Teilnehmer der Wissenschafts- und Technologiewoche.

Der erste Wettbewerb, den wir veran­staltet haben, war ein wissenschaftlicher Posterwettbewerb. Alle Provinzen des Kongo wurden aufgefordert, ein wissenschaftliches Poster zu erstellen. Sie konnten sich mit einem lokalen Problem befassen, einem Problem, das sie in ihrer Umgebung sahen, z.B. Bodernerosion oder Plastik oder die Bewirtschaftung des Kivu-Sees, und eine Lösung vorschlagen und diese in Form eines wissenschaftlichen Posters aufschreiben. Sie mußten ihre Ideen begründen, und wir hatten Banken als Sponsoren, so daß wir die Ideen der jungen Leute zu einem lokalen Problem und die Lösungen, die sie dafür finden wollten, unterstützen konnten. Das ist ein Beispiel für einen von uns organisierten Wettbewerb (Abbildung 4).

In diesem Jahr haben zwölf der 26 Pro­vin­zen teilgenommen. In diesen zwölf Pro­vin­zen erklärten sich die jungen Leute bereit, in ihren Gemeinden wissen­schaft­liche Aktivitäten zu organisieren. Da wir uns nicht vervielfältigen können, orga­ni­sieren wir das von Kinshasa aus. So schaffen wir eine Gemeinschaft junger Menschen, die in ihren eigenen Gemein­den die Wissenschaft verbreiten und die wissenschaftliche Kultur fördern (Abbildung 5).

Junge Menschen für die Wissenschaft zu begeistern, bedeutet, daß wir die Chance haben, innovationsfähige Bürger hervorzubringen. Wer wäre besser geeignet als Afrikaner und generell Einheimische, um innovative Lösungen für die Probleme zu finden, mit denen sie als erste konfrontiert werden?

Wenn wir wollen, daß die Demokratische Republik Kongo eines Tages eine Rolle auf der Weltbühne spielt, dann wird das nicht zufällig geschehen. Es ist eine Aufgabe, die wir als Gesellschaft, als Nation, mit einer langfristigen Vision organisieren müssen. Es ist ein Plan, der bewußt erstellt werden muß, durch den öffentlichen Sektor, den privaten Sektor und natürlich auf politischer Ebene.

Die Menschheit braucht Afrika, und damit meine ich nicht nur den afrikanischen Kontinent mit seinen Bodenschätzen. Die Menschheit braucht Afrika: Ich spreche von den Afrikanern. Die Menschheit braucht die Afrikaner und ihre Perspektiven für die globalen Herausforderungen.

Die Afrikaner müssen durch Bildung, Wissenschaft und Technologie in sich selbst investieren, und verzeihen Sie, wenn ich darauf bestehe – die Wissenschaft braucht die Perspektiven der Frauen – damit die Welt von morgen nicht weiter für die nördliche Hälfte gerechter ist als für die südliche, sondern gerecht für die ganze Menschheit auf der ganzen Erde.

Eine Hausaufgabe

Ich bin Lehrerin, und ich verlasse Sie nicht ohne eine kleine Hausaufgabe. Die erste Zelle der Menschheit sind Ihre Familien. Wenn Sie Großeltern sind und manchmal Probleme mit irgend etwas haben, das einen Bildschirm oder ein Paßwort hat, dann rufen Sie nicht einfach nur Ihren Enkel, damit er kommt und das Problem löst, wenn es geht – beziehen Sie auch Ihre Enkelin mit ein! Denn wenn Sie sich nur an die Jungen wenden, um Probleme mit Routern, Wifi, Tablets usw. zu beheben, sendet das unbewußt die Botschaft an die Mädchen, daß sie für diese Gemeinschaft technikbegeisterter Forscher „nicht geeignet“ sind. Zögern Sie also nicht, Ihre Töchter und Enkelinnen einzubeziehen, wenn es um kleine technische Probleme geht.

Wenn Sie Eltern von Kindern im schulpflichtigen Alter sind, die oft Hausaufgaben, Recherchen und Präsentationen machen müssen, zögern Sie nicht, sie zu ermutigen, aus ihrer Komfortzone herauszutreten. Haben Sie schon einmal daran gedacht, eine afrikanische Persönlichkeit vorzustellen? Eine afrikanische Forscherin oder einen afrikanischen Forscher? Das ist eine Übung, die ich gerne in meinen Klassen durchführe, die in Belgien oft buntgemischt sind, und jedes Mal, wenn ich sie zum Beispiel auffordere, eine Arbeit über einen Wissenschaftler aus dem Land ihrer Eltern anzufertigen, bekomme ich immer die gleiche Antwort: „Madame, in meinem Land gibt es keine Wissenschaft.“ Was für eine traurige Aussage!

Der Weg, die Sichtweise der Welt zu ändern, besteht also darin, unsere Kinder zu ermutigen, ein wenig über die wissenschaftlichen Inhalte hinauszublicken, die sie in der Schule lernen. Das ist eine Pflicht, die beginnt, sobald man nach Hause kommt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Anmerkung

1. Siehe https://www.youtube.com/@InvestingInPeopleASBL