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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

„Die Hegemonie der USA muß beendet werden“

Von Chandra Muzaffar

Dr. Chandra Muzaffar ist Präsident der Internationalen Bewegung für eine gerechte Welt (JUST) in Malaysia.

Freunde, der Friede sei mit euch. Zunächst möchte ich dem Schiller-Institut für diese sehr freundliche Einladung danken; vor allem Helga Zepp-LaRouche und meinem lieben Freund Mike Billington.

Ich bin froh, daß ich diese Einladung angenommen habe. Ich habe viel gelernt, viel mehr, als ich aus Büchern und aus meinen Gesprächen mit Syrern und anderen, die die Situation in Syrien gut kennen, gelernt habe. Ich habe in dieser Woche noch viel mehr gelernt durch die Beiträge von Menschen wie Vanessa Beeley, Oberst Black, Marwa Osman, abgesehen von dem Vortrag von Helga Zepp-LaRouche. Es war einfach ein Abend – das ist die Zeitzone hier, eigentlich schon der frühe Morgen –, der mit Fakten, mit Analysen, mit Einsichten gesättigt war, die man in den Mainstream-Medien oder auch in den alternativen Medien nicht bekommt. Und das ist, denke ich, die Rolle, die das Schiller-Institut spielt, was ich wirklich bemerkenswert finde. Das ist etwas, das unsere Anerkennung verdient.

Ich möchte in diesem kurzen Vortrag zwei Punkte ansprechen.

Erstens stimme ich zu, daß wir Sanktionen nur im Zusammenhang mit der Gesamtsituation verstehen können. Die Besetzung verschiedener Länder in Westasien, die Besetzung, die bis zu einem gewissen Grad von Israel durchgeführt wurde und die Rolle, die Israel und die zionistische Entität bei dieser Besetzung spielen, das halte ich für sehr wichtig, das muß man verstehen. Das ist der Fokus, den man die ganze Zeit im Auge behalten muß, wenn man sich die Situation in Syrien ansieht. Sanktionen an sich, die repressiven Sanktionen, sind erdrückend, Sanktionen, die entmenschlichend sind. Sanktionen sind eine Verunglimpfung unserer Würde als menschliche Wesen. Aber alles in allem würden Sanktionen ohne Besatzung nichts bedeuten. Es ist die größere Besetzung der Region, die wir immer im Auge behalten müssen.

Und das ist der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte: daß wir verstehen müssen, daß die Besetzung in Westasien aus bestimmten Gründen weitergeht. Aber diese Besetzung ist mit Hegemonie verbunden, mit dem Wunsch der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, die globale Hegemonie, die globale Vorherrschaft, globale Dominanz aufrechtzuerhalten.

Das ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen. Die größte Herausforderung, vor der wir in den internationalen Beziehungen heute und in den letzten Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stehen, ist die Hegemonie der Vereinigten Staaten. Wenn diese Hegemonie nicht beendet wird, wird es nirgendwo Freiheit für die Menschen geben. Es wäre unmöglich, daß die Menschen ihre Würde wiedererlangen, und deshalb ist Syrien so wichtig. Es ist ein Opfer dieser Hegemonie, und deshalb müssen wir die Hegemonie bekämpfen.

Eine der Dimensionen, wie sich diese Hegemonie in Bezug auf die Syrer ausdrückt, sind die Sanktionen; aber das ist nur eine davon. Der Hegemon ist entschlossen, einen Regimewechsel in Syrien herbeizuführen, was wiederum mit seinem Hegemoniestreben zusammenhängt.

Selbstbestimmungsrecht

Und warum, würden Sie fragen, warum sollten sie das tun wollen? Ich denke, einige meiner Vorredner haben auf den wahren Grund angespielt: Weil Syrien unabhängig ist. Es will seine Unabhängigkeit bewahren. Es weigert sich, der Hegemonie nachzugeben, es weigert sich, sich der Macht der Mächtigen zu unterwerfen. Und das ist es, was der Hegemon nicht will.

Es liegt nicht daran, daß Syrien ein Verbrechen begangen hätte. Ja, es unterstützt die Hisbollah, aber die Hisbollah ist eine Organisation oder eine Bewegung, die für die Freiheit des libanesischen Volkes, für seine Selbstbestimmung kämpft. Denn Teile des Libanon sind weiterhin besetzt. Es stimmt auch, Syrien ist auf der Seite der Hamas. Die Hamas sind Freiheitskämpfer. Man mag mit allen ihren Methoden einverstanden sein oder nicht, aber man kann sich der Tatsache nicht entziehen, daß sie sich für die Freiheit des palästinensischen Volkes und für die Freiheit anderer arabischer Völker einsetzt.

Das Selbstbestimmungsrecht ist also ein wesentliches Element in diesem Kampf: Selbstbestimmung ist die Antithese zur Hegemonie. In einer Situation, in der die Hegemonie allmächtig ist, kann es keine Selbstbestimmung geben, keine Nationen, die ihre Zukunft selbst gestalten, keine Nationen, die ihre Souveränität aufrechterhalten.

Deshalb glaube ich, daß dieses Prinzip der Souveränität, der Selbstbestimmung, der Freiheit der einzelnen Nationalstaaten, dem das Schiller-Institut verpflichtet ist und dem auch der verstorbene Lyndon LaRouche verpflichtet war, eine sehr wichtige Dimension der internationalen Politik darstellt. Es ist eine sehr wichtige Dimension der internationalen Beziehungen, und man muß es im Auge behalten.

Das ist also der Punkt, den man ansprechen sollte: daß es einen größeren Kampf gibt, der hier stattfindet. Und der Grund, warum wir uns zum jetzigen Zeitpunkt auf die Sanktionen konzentrieren müssen, ist, daß sie bestimmte Dimensionen dieses Problems hervortreten lassen. Sie sind jedoch nicht das einzige Problem, mit dem wir konfrontiert sind. Es gibt die Besatzung, es gibt die Herausforderung des Regimewechsels, es gibt all die anderen Dimensionen, derer man sich ebenfalls bewußt sein sollte.

Was die Sanktionen angeht, sollte man nicht vergessen, daß Syrien derzeit das Land ist, das mit den drittmeisten Sanktionen belegt ist: ein kleines Land mit 23 Millionen Einwohnern, aber das Land mit den drittmeisten Sanktionen in der Welt.

Und warum? Weil es unabhängig sein will. Es will seine Zukunft selbst bestimmen. Und das ist der Preis, den es zu zahlen gezwungen ist.

Liebe Freunde, wir dürfen auch nicht vergessen, daß es für das syrische Volk heute nicht nur um die Frage der Sanktionen geht, wie wir sie verstehen. Es ist ein zersplittertes, zerbrochenes Volk, was die Situation noch viel schlimmer macht! Es ist ein Staat, der nicht in der Lage ist, als Staat zu funktionieren, weil große Teile Syriens von anderen übernommen wurden. Es gibt fünf, sechs, sieben verschiedene Gruppen, die in Syrien um die Macht kämpfen, und einige davon werden von den USA, Verbündeten und einigen Ländern in der Region unterstützt. Und einige der Unterstützer dieser Gruppen sind sich durchaus bewußt, daß es sich bei den Gruppen um terroristische Gruppen handelt: Al-Kaida und andere mit ihr verbundene Gruppen sind alle Teil dieses Chaos in Syrien. Auch das müssen wir im Auge behalten: Sanktionen, aber mehr noch als das – ein zersplittertes, fragmentiertes Land.

Vorzüge Syriens

Und was auch immer man über Syrien sagen mag – natürlich gibt es Unzulänglichkeiten der syrischen Regierung, vor denen man nicht davonlaufen kann; es gibt Probleme, mit denen sie umgehen müssen. Aber man kann nicht leugnen, daß Syrien in dreierlei Hinsicht besser abgeschnitten hat als viele andere Länder in der Region.

Erstens konnte Syrien lange Zeit, bis 2011, vor den Turbulenzen und Unruhen der letzten Jahre, ein gutes Gesundheits- und Bildungssystem für seine Bevölkerung bereitstellen. Es hat viele andere Länder, reichere Länder in der Region, mit seinem Gesundheitssystem überflügelt, und das halte ich für sehr, sehr wichtig. Es ist eine Regierung, die sich um die Menschen kümmert, und das Gesundheitsprogramm ist ein gutes Beispiel dafür, ebenso wie das Bildungsprogramm, ein Versuch, kostenlose und erschwingliche Bildung für die eigene Bevölkerung anzubieten. Und das ist etwas, das gerne ignoriert wird, was ich sehr traurig finde.

Zweitens loben wir Syrien, auch weil es ein Land ist, in dem Frauen im Vergleich zu einigen seiner Nachbarn eine wichtige Rolle spielen. Frauen spielen in der syrischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Vergessen Sie nicht, daß die Sonderberaterin für politische Angelegenheiten des Präsidenten eine Frau ist. Und Frauen haben sehr hohe Positionen in der syrischen Gesellschaft inne. Und nicht nur auf der Führungsebene, man kann auch andere Ebenen der syrischen Gesellschaft betrachten, in denen Frauen eine wichtige Rolle gespielt haben.

Es handelt sich um eine Gesellschaft – und das hängt mit dem Punkt zusammen, den ich über Frauen anspreche –, die einen befreienden Ansatz zum Islam hat. Es ist nicht die Art von Ansatz, die man mit bestimmten anderen Ländern in der Region verbindet. Es ist ein befreiender Ansatz gegenüber dem Islam, den einige syrische Gelehrte als „Islam el-Shami“ bezeichnen, etwas, das Teil seiner Geschichte und seiner Tradition ist: offen, inklusiv, ein Ansatz, der universell ist und das Wesen des Islam zum Vorschein bringt.

Und das führt mich zu dem dritten Punkt, den ich über Syrien ansprechen möchte, der bemerkenswert ist. Sie wissen, daß 10% der syrischen Bevölkerung Christen sind. In Syrien gibt es schon seit sehr langer Zeit gute Beziehungen zwischen Muslimen und Christen. Es ist eine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft, die trotz aller Spannungen und des Drucks in der Region, trotz all der Dinge, die wir in anderen Teilen Westasiens und Nordafrikas erlebt haben, in der Lage war, diesen offenen Umgang mit der Religion aufrechtzuerhalten und gute Beziehungen zwischen den verschiedenen Menschen aufzubauen.

Dies ist der einzige Ort, an dem Christen in eine Moschee und Muslime in eine Kirche gehen können, und wo die Gemeinschaften sehr gut miteinander auskommen. Der Schädel von Johannes dem Täufer wird bekanntlich in der Umayyaden-Moschee in Damaskus aufbewahrt, und Christen wie Muslime kennen seine Bedeutung und haben großen Respekt vor diesen gemeinsamen Werten ihrer Geschichte.

Ist es nicht erstaunlich, daß ausgerechnet diese Gesellschaft, in der es ein gewisses Maß an Inklusion, Universalität und guten Beziehungen zwischen den Gemeinschaften gibt, eine Gesellschaft, die sich um die Armen kümmert und der Gesundheit der Armen und Besitzlosen Priorität einräumt, von den Vereinigten Staaten von Amerika und ihren Verbündeten ins Visier genommen wird?

Das bedeutet, daß die Eliten – nicht das amerikanische Volk als solches, das weiß nichts von diesen Dingen über Syrien und was dort geschieht – diese Gesellschaft ins Visier nehmen. Und was noch schlimmer ist, wie unsere Vorredner uns so eloquent gezeigt haben: Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen bösartige terroristische Gruppen, die eine Schande für die Religion sind, für jede Religion, und gleichzeitig eine Schande für die Menschheit. Die USA unterstützen sie, um ihr Ziel der Hegemonie, der Vorherrschaft, aufrechtzuerhalten und um sich ewig weiter das Öl und Gas anzueignen.

Syrien hat nicht sehr viel Öl und Gas, aber es ist immer noch ein Land, das Öl und Gas produziert. Die USA wollen die Region fester im Griff haben, auch weil die zionistische Entität dort ist und ihren Interessen dient, so wie die USA in der Lage sind, die Interessen Israels aufrechtzuerhalten – das ist der andere Grund.

Und der andere Faktor, über den selten gesprochen wird, ist strategischer Natur. Vergessen Sie nicht, daß Westasien der einzige Teil der Welt ist, wo drei Kontinente aufeinandertreffen, das ist in dieser Region. Und es ist strategisch, und der Handel, z.B. Suez, ist sehr wichtig für jeden, der die Welt beherrschen und kontrollieren will.

Und wir sind überzeugt, und das war schon immer unsere Position, daß wir, anstatt zu dominieren und zu kontrollieren, kooperieren und zusammenarbeiten sollten. Verschiedene Gemeinschaften, verschiedene Religionen, verschiedene Nationalitäten. Wir sollten in der Lage sein, eine andere Welt zu schaffen, eine gerechtere Welt, eine Welt, in der wahre Menschlichkeit gedeiht, in der die Vernunft gedeiht, in der die edelsten Werte unserer geachteten Zivilisationen gedeihen können. Und das ist das Ziel der gesamten Menschheit, wenn wir nun für Syrien und sein Volk kämpfen.

Ich danke Ihnen vielmals.