„Die Hegemonie der USA muß beendet werden“
Von Chandra Muzaffar
Dr. Chandra Muzaffar ist Präsident der Internationalen Bewegung
für eine gerechte Welt (JUST) in Malaysia.
Freunde, der Friede sei mit euch. Zunächst möchte ich dem Schiller-Institut
für diese sehr freundliche Einladung danken; vor allem Helga Zepp-LaRouche und
meinem lieben Freund Mike Billington.
Ich bin froh, daß ich diese Einladung angenommen habe. Ich habe viel
gelernt, viel mehr, als ich aus Büchern und aus meinen Gesprächen mit Syrern
und anderen, die die Situation in Syrien gut kennen, gelernt habe. Ich habe in
dieser Woche noch viel mehr gelernt durch die Beiträge von Menschen wie
Vanessa Beeley, Oberst Black, Marwa Osman, abgesehen von dem Vortrag von Helga
Zepp-LaRouche. Es war einfach ein Abend – das ist die Zeitzone hier,
eigentlich schon der frühe Morgen –, der mit Fakten, mit Analysen, mit
Einsichten gesättigt war, die man in den Mainstream-Medien oder auch in den
alternativen Medien nicht bekommt. Und das ist, denke ich, die Rolle, die das
Schiller-Institut spielt, was ich wirklich bemerkenswert finde. Das ist etwas,
das unsere Anerkennung verdient.
Ich möchte in diesem kurzen Vortrag zwei Punkte ansprechen.
Erstens stimme ich zu, daß wir Sanktionen nur im Zusammenhang mit der
Gesamtsituation verstehen können. Die Besetzung verschiedener Länder in
Westasien, die Besetzung, die bis zu einem gewissen Grad von Israel
durchgeführt wurde und die Rolle, die Israel und die zionistische Entität bei
dieser Besetzung spielen, das halte ich für sehr wichtig, das muß man
verstehen. Das ist der Fokus, den man die ganze Zeit im Auge behalten muß,
wenn man sich die Situation in Syrien ansieht. Sanktionen an sich, die
repressiven Sanktionen, sind erdrückend, Sanktionen, die entmenschlichend
sind. Sanktionen sind eine Verunglimpfung unserer Würde als menschliche Wesen.
Aber alles in allem würden Sanktionen ohne Besatzung nichts bedeuten. Es ist
die größere Besetzung der Region, die wir immer im Auge behalten müssen.
Und das ist der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte: daß wir verstehen
müssen, daß die Besetzung in Westasien aus bestimmten Gründen weitergeht. Aber
diese Besetzung ist mit Hegemonie verbunden, mit dem Wunsch der Vereinigten
Staaten und ihrer Verbündeten, die globale Hegemonie, die globale
Vorherrschaft, globale Dominanz aufrechtzuerhalten.
Das ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen. Die größte
Herausforderung, vor der wir in den internationalen Beziehungen heute und in
den letzten Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stehen, ist die
Hegemonie der Vereinigten Staaten. Wenn diese Hegemonie nicht beendet wird,
wird es nirgendwo Freiheit für die Menschen geben. Es wäre unmöglich, daß die
Menschen ihre Würde wiedererlangen, und deshalb ist Syrien so wichtig. Es ist
ein Opfer dieser Hegemonie, und deshalb müssen wir die Hegemonie
bekämpfen.
Eine der Dimensionen, wie sich diese Hegemonie in Bezug auf die Syrer
ausdrückt, sind die Sanktionen; aber das ist nur eine davon. Der Hegemon ist
entschlossen, einen Regimewechsel in Syrien herbeizuführen, was wiederum mit
seinem Hegemoniestreben zusammenhängt.
Selbstbestimmungsrecht
Und warum, würden Sie fragen, warum sollten sie das tun wollen? Ich denke,
einige meiner Vorredner haben auf den wahren Grund angespielt: Weil Syrien
unabhängig ist. Es will seine Unabhängigkeit bewahren. Es weigert sich, der
Hegemonie nachzugeben, es weigert sich, sich der Macht der Mächtigen zu
unterwerfen. Und das ist es, was der Hegemon nicht will.
Es liegt nicht daran, daß Syrien ein Verbrechen begangen hätte. Ja, es
unterstützt die Hisbollah, aber die Hisbollah ist eine Organisation oder eine
Bewegung, die für die Freiheit des libanesischen Volkes, für seine
Selbstbestimmung kämpft. Denn Teile des Libanon sind weiterhin besetzt. Es
stimmt auch, Syrien ist auf der Seite der Hamas. Die Hamas sind
Freiheitskämpfer. Man mag mit allen ihren Methoden einverstanden sein oder
nicht, aber man kann sich der Tatsache nicht entziehen, daß sie sich für die
Freiheit des palästinensischen Volkes und für die Freiheit anderer arabischer
Völker einsetzt.
Das Selbstbestimmungsrecht ist also ein wesentliches Element in diesem
Kampf: Selbstbestimmung ist die Antithese zur Hegemonie. In einer Situation,
in der die Hegemonie allmächtig ist, kann es keine Selbstbestimmung geben,
keine Nationen, die ihre Zukunft selbst gestalten, keine Nationen, die ihre
Souveränität aufrechterhalten.
Deshalb glaube ich, daß dieses Prinzip der Souveränität, der
Selbstbestimmung, der Freiheit der einzelnen Nationalstaaten, dem das
Schiller-Institut verpflichtet ist und dem auch der verstorbene Lyndon
LaRouche verpflichtet war, eine sehr wichtige Dimension der internationalen
Politik darstellt. Es ist eine sehr wichtige Dimension der internationalen
Beziehungen, und man muß es im Auge behalten.
Das ist also der Punkt, den man ansprechen sollte: daß es einen größeren
Kampf gibt, der hier stattfindet. Und der Grund, warum wir uns zum jetzigen
Zeitpunkt auf die Sanktionen konzentrieren müssen, ist, daß sie bestimmte
Dimensionen dieses Problems hervortreten lassen. Sie sind jedoch nicht das
einzige Problem, mit dem wir konfrontiert sind. Es gibt die Besatzung, es gibt
die Herausforderung des Regimewechsels, es gibt all die anderen Dimensionen,
derer man sich ebenfalls bewußt sein sollte.
Was die Sanktionen angeht, sollte man nicht vergessen, daß Syrien derzeit
das Land ist, das mit den drittmeisten Sanktionen belegt ist: ein kleines Land
mit 23 Millionen Einwohnern, aber das Land mit den drittmeisten Sanktionen in
der Welt.
Und warum? Weil es unabhängig sein will. Es will seine Zukunft selbst
bestimmen. Und das ist der Preis, den es zu zahlen gezwungen ist.
Liebe Freunde, wir dürfen auch nicht vergessen, daß es für das syrische
Volk heute nicht nur um die Frage der Sanktionen geht, wie wir sie verstehen.
Es ist ein zersplittertes, zerbrochenes Volk, was die Situation noch viel
schlimmer macht! Es ist ein Staat, der nicht in der Lage ist, als Staat zu
funktionieren, weil große Teile Syriens von anderen übernommen wurden. Es gibt
fünf, sechs, sieben verschiedene Gruppen, die in Syrien um die Macht kämpfen,
und einige davon werden von den USA, Verbündeten und einigen Ländern in der
Region unterstützt. Und einige der Unterstützer dieser Gruppen sind sich
durchaus bewußt, daß es sich bei den Gruppen um terroristische Gruppen
handelt: Al-Kaida und andere mit ihr verbundene Gruppen sind alle Teil dieses
Chaos in Syrien. Auch das müssen wir im Auge behalten: Sanktionen, aber mehr
noch als das – ein zersplittertes, fragmentiertes Land.
Vorzüge Syriens
Und was auch immer man über Syrien sagen mag – natürlich gibt es
Unzulänglichkeiten der syrischen Regierung, vor denen man nicht davonlaufen
kann; es gibt Probleme, mit denen sie umgehen müssen. Aber man kann nicht
leugnen, daß Syrien in dreierlei Hinsicht besser abgeschnitten hat als viele
andere Länder in der Region.
Erstens konnte Syrien lange Zeit, bis 2011, vor den Turbulenzen und Unruhen
der letzten Jahre, ein gutes Gesundheits- und Bildungssystem für seine
Bevölkerung bereitstellen. Es hat viele andere Länder, reichere Länder in der
Region, mit seinem Gesundheitssystem überflügelt, und das halte ich für sehr,
sehr wichtig. Es ist eine Regierung, die sich um die Menschen kümmert, und das
Gesundheitsprogramm ist ein gutes Beispiel dafür, ebenso wie das
Bildungsprogramm, ein Versuch, kostenlose und erschwingliche Bildung für die
eigene Bevölkerung anzubieten. Und das ist etwas, das gerne ignoriert wird,
was ich sehr traurig finde.
Zweitens loben wir Syrien, auch weil es ein Land ist, in dem Frauen im
Vergleich zu einigen seiner Nachbarn eine wichtige Rolle spielen. Frauen
spielen in der syrischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Vergessen Sie
nicht, daß die Sonderberaterin für politische Angelegenheiten des Präsidenten
eine Frau ist. Und Frauen haben sehr hohe Positionen in der syrischen
Gesellschaft inne. Und nicht nur auf der Führungsebene, man kann auch andere
Ebenen der syrischen Gesellschaft betrachten, in denen Frauen eine wichtige
Rolle gespielt haben.
Es handelt sich um eine Gesellschaft – und das hängt mit dem Punkt
zusammen, den ich über Frauen anspreche –, die einen befreienden Ansatz zum
Islam hat. Es ist nicht die Art von Ansatz, die man mit bestimmten anderen
Ländern in der Region verbindet. Es ist ein befreiender Ansatz gegenüber dem
Islam, den einige syrische Gelehrte als „Islam el-Shami“ bezeichnen, etwas,
das Teil seiner Geschichte und seiner Tradition ist: offen, inklusiv, ein
Ansatz, der universell ist und das Wesen des Islam zum Vorschein bringt.
Und das führt mich zu dem dritten Punkt, den ich über Syrien ansprechen
möchte, der bemerkenswert ist. Sie wissen, daß 10% der syrischen Bevölkerung
Christen sind. In Syrien gibt es schon seit sehr langer Zeit gute Beziehungen
zwischen Muslimen und Christen. Es ist eine multiethnische und multireligiöse
Gesellschaft, die trotz aller Spannungen und des Drucks in der Region, trotz
all der Dinge, die wir in anderen Teilen Westasiens und Nordafrikas erlebt
haben, in der Lage war, diesen offenen Umgang mit der Religion
aufrechtzuerhalten und gute Beziehungen zwischen den verschiedenen Menschen
aufzubauen.
Dies ist der einzige Ort, an dem Christen in eine Moschee und Muslime in
eine Kirche gehen können, und wo die Gemeinschaften sehr gut miteinander
auskommen. Der Schädel von Johannes dem Täufer wird bekanntlich in der
Umayyaden-Moschee in Damaskus aufbewahrt, und Christen wie Muslime kennen
seine Bedeutung und haben großen Respekt vor diesen gemeinsamen Werten ihrer
Geschichte.
Ist es nicht erstaunlich, daß ausgerechnet diese Gesellschaft, in der es
ein gewisses Maß an Inklusion, Universalität und guten Beziehungen zwischen
den Gemeinschaften gibt, eine Gesellschaft, die sich um die Armen kümmert und
der Gesundheit der Armen und Besitzlosen Priorität einräumt, von den
Vereinigten Staaten von Amerika und ihren Verbündeten ins Visier genommen
wird?
Das bedeutet, daß die Eliten – nicht das amerikanische Volk als solches,
das weiß nichts von diesen Dingen über Syrien und was dort geschieht – diese
Gesellschaft ins Visier nehmen. Und was noch schlimmer ist, wie unsere
Vorredner uns so eloquent gezeigt haben: Die Vereinigten Staaten von Amerika
unterstützen bösartige terroristische Gruppen, die eine Schande für die
Religion sind, für jede Religion, und gleichzeitig eine Schande für die
Menschheit. Die USA unterstützen sie, um ihr Ziel der Hegemonie, der
Vorherrschaft, aufrechtzuerhalten und um sich ewig weiter das Öl und Gas
anzueignen.
Syrien hat nicht sehr viel Öl und Gas, aber es ist immer noch ein Land, das
Öl und Gas produziert. Die USA wollen die Region fester im Griff haben, auch
weil die zionistische Entität dort ist und ihren Interessen dient, so wie die
USA in der Lage sind, die Interessen Israels aufrechtzuerhalten – das ist der
andere Grund.
Und der andere Faktor, über den selten gesprochen wird, ist strategischer
Natur. Vergessen Sie nicht, daß Westasien der einzige Teil der Welt ist, wo
drei Kontinente aufeinandertreffen, das ist in dieser Region. Und es ist
strategisch, und der Handel, z.B. Suez, ist sehr wichtig für jeden, der die
Welt beherrschen und kontrollieren will.
Und wir sind überzeugt, und das war schon immer unsere Position, daß wir,
anstatt zu dominieren und zu kontrollieren, kooperieren und zusammenarbeiten
sollten. Verschiedene Gemeinschaften, verschiedene Religionen, verschiedene
Nationalitäten. Wir sollten in der Lage sein, eine andere Welt zu schaffen,
eine gerechtere Welt, eine Welt, in der wahre Menschlichkeit gedeiht, in der
die Vernunft gedeiht, in der die edelsten Werte unserer geachteten
Zivilisationen gedeihen können. Und das ist das Ziel der gesamten Menschheit,
wenn wir nun für Syrien und sein Volk kämpfen.
Ich danke Ihnen vielmals.
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