Wie die selbstzerstörerische Wut in der Ukraine als Waffe mißbraucht wird
Von Garland Nixon
Garland Nixon war Moderator der Sputnik-Radiosendung
„The Critical Hour" („Die kritische Stunde“). Er arbeitete mehr als 20
Jahre im Polizeidienst und unterrichtete dann mehrere Jahre lang Strafrecht,
bevor er sich ganz dem Journalismus zuwandte.
Ich danke Ihnen für die Einladung. Ich denke, dies ist ein sehr wichtiges
Gespräch, denn eines der Themen, über die wir sprechen, ist: „Wie konnte es
soweit kommen?“
Ich habe vor einigen Monaten eine Umfrage gesehen – viele haben sie
wahrscheinlich gesehen –, in der gefragt wurde, ob die Amerikaner bereit
wären, die Ukraine weiter zu unterstützen, auch wenn das einen Atomkrieg
bedeuten kann, und die Zustimmung war erschreckend hoch. Unheimlich viele
Demokraten und Republikaner haben das bejaht! Und da stellt sich die Frage: Es
ist eine Sache, wenn man sagt, wir schlafwandeln in einen Atomkrieg hinein,
wir schlafwandeln in eine Katastrophe. Die andere Sache, die meiner Meinung
nach hier eher zutrifft, ist, daß Menschen ganz bewußt auf eine Katastrophe
zusteuern und ganz bewußt sagen: „Vorwärts, das machen wir! Wir müssen alle
zusammenstehen.“
Wie kann so etwas passieren? Ich verwende dafür den Begriff
„Instrumentalisierung der Wut als Waffe“, und ich will Ihnen einige Beispiele
dafür nennen. Das letzte Beispiel werden die ukrainischen Extremisten
sein.
Zuerst einmal: Um normale Menschen aus der Arbeiterklasse, die
berufstätigen Armen usw. dazu zu bringen, sich den Wünschen der Reichen und
Mächtigen anzuschließen, müssen diese sie davon überzeugen, daß ihre
Interessen übereinstimmen: „Wir haben dieselben Interessen, wir haben
dieselben Feinde, wir haben dieselben Bedürfnisse“ usw. Und eine der
Möglichkeiten dazu – und das hier ist ein Beispiel – ist es, Wut als Waffe
einzusetzen. Entweder findet man einen Bereich, wo Wut und Zorn bereits
vorhanden sind, oder man schürt sie künstlich, wo sie noch nicht vorhanden
sind.
Ein Beispiel für das Schüren von Wut wäre die Dämonisierung von
Staatsführern anstelle von Ländern. Das Land Syrien existiert nicht, es gibt
nur eine Person namens Assad. Statt Venezuela gibt es eine Person namens
Maduro. Statt Libyen gibt es eine Person namens Gaddafi. Sie sagen nie
„Rußland“, sie sagen immer: „Putin tut das. Putin, Putin, Putin.“ Oder früher
Saddam Hussein. Man dämonisiert die Person. Man macht aus ihr eine unheimlich
böse, teuflische Figur, und man schafft ein Umfeld, in dem sich alle „guten“
Menschen – wir sind natürlich alle auf der Seite des Guten – gegen diesen
Bösewicht verbünden müssen.
Dann sind wir alle in diesem wunderbaren Kampf gegen das Böse vereint.
Unsere Interessen stimmen überein, wir sind alle zornig und wütend. „Dieser
Mann setzt Massenvernichtungswaffen gegen sein eigenes Volk ein, er tut alle
diese schrecklichen Dinge!“ Man ist wütend auf diese Person, man ist zornig
auf sie, man hegt Groll. Und natürlich ist die begleitende Emotion zur Wut die
Angst, also haßt man diese Person, aber gleichzeitig fürchtet man sie
auch.
Wenn das geschafft ist, sind alle auf einer Linie, denn die Reichen, die
Oligarchen, die Mächtigen sagen: „Ich hasse Assad, haßt ihr ihn nicht auch?
Ich hasse Putin, haßt ihr Putin nicht auch? Die sind schrecklich!“ Und man muß
gemeinsam diese Person mit ihren bösen Machenschaften aufhalten und
unschädlich machen, egal was geschieht.
Jetzt kann man die Menschen mitziehen, man kann die Wut und den Zorn, die
man gegen den „Bösewicht“ erzeugt hat, ausnutzen und die Menschen dazu
bringen, so zu denken, zu handeln und Risiken einzugehen, wie sie es
normalerweise niemals tun würden. Denn jetzt sind sie überzeugt, daß sie Teil
dieses riesigen Kreuzzugs für das Gute sind, der diesen Bösewicht aufhalten
muß.
Der Feind meines Feindes…
Eine Möglichkeit besteht also darin, Wut auf das Ziel zu schüren und diese
Wut als Waffe einzusetzen. Eine andere Möglichkeit, mit der wir alle sehr
vertraut sind, funktioniert in etwa so:
Warum scheinen sich die USA immer mit extremistischen Organisationen zu
verbünden? Da gibt es die Volksmudschaheddin (Mujahedin-e-Khalq, MEK), sie
haben ein Lager in Albanien. Wenn man sich mit ihnen befaßt, sieht man, daß
die Iraner sie hassen, das iranische Volk haßt sie. Sie betrachten sie als
Verräter, denn sie waren an gewalttätigen terroristischen Angriffen auf den
Iran beteiligt. Sie sind eine wirklich seltsame quasi-religiöse Sekte, die von
den USA angestachelt wird.
Was hat es mit ihnen auf sich? Sie sind wütend und zornig auf die iranische
Führung. Also kommen die USA an und sagen: „Hey, ihr haßt die iranische
Staatsführung?“ „Ja, das tun wir.“ „Ihr seid wütend und zornig auf sie, nicht
wahr?“ „Ja, das sind wir.“ „So ein Zufall, wir auch. Ich denke, wir müssen uns
zusammentun. Unsere Interessen stimmen überein. Warum helfen wir euch nicht
und arbeiten zusammen, um diese bösen Leute, die ihr so sehr haßt, zu
vernichten?“
Und jetzt schauen Sie auf die Ukraine. Was ist dort los? Sie gehen dorthin
und sagen: „Wen oder was gibt es hier? Da sind ein paar Nazis.“ Sie gehen zu
den Nazis: „Ihr haßt doch die Russen?“ „Niemand haßt die Russen mehr als wir.
Wir verachten sie zutiefst.“ „So ein Zufall, wir sehen das ganz genauso.
Unsere Interessen stimmen überein, wer hätte das gedacht. Ich habe da eine
Idee: Warum helfen wir euch nicht? Wir arbeiten zusammen, um diese bösen
Russen zu vernichten.“
Wie schaut es nun aus? Man kommt in ein Umfeld, in dem es Extremisten gibt,
die voller Wut sind. Sie hassen die Russen – oder wer auch immer das Ziel ist,
in diesem Fall eben die Russen. Man kommt hin, und diese Wut ist die Waffe,
die man einsetzt. Man benutzt die Wut als Waffe gegen den Gegner, aber auch
gegen die – in Anführungszeichen – „Verbündeten“. Die Nazis, die Faschisten
sind also die angeblichen „Verbündeten“. Man nutzt sie aus und überzeugt sie:
„Ihr müßt für uns alle eure Männer im wehrfähigen Alter vor die russische
Artillerie werfen und totschießen lassen. Wir wollen Rußland eine Zeitlang
schikanieren, indem wir ihnen immer mehr von euren Leichen vor die Füße
werfen; indem wir aus eurem Land eine Ruine machen.“ Wichtig ist, daß man sie
dazu bringt, mitzumachen. Man kann ihre Wut ausnutzen und sie aufstacheln.
Eines der Dinge, die nach 2014 geschahen, nachdem die USA die ukrainische
Regierung gestürzt hatten – das ist interessant, da haben viele von Nazis in
der Ukraine gesprochen, denn sie waren schon damals dort, es gab einige davon.
Aber nachdem die USA die Kontrolle über die Regierung übernommen hatten, haben
sie unter anderem deren Macht gestärkt und ausgebaut. Diese faschistischen
Milizen wurden erst nach der Machtübernahme durch die USA formell Teil des
ukrainischen Militärs. Nachdem die USA an die Macht gekommen waren, machten
sie sie formell und ganz offiziell zu einem Teil der ukrainischen Streitkräfte
und werteten sie in vielerlei Hinsicht auf. Sie machten sie fast zu einer
Ikone der Verteidigung der Ukraine; sie förderten diesen Nationalismus. Sie
wurden zu Helden gemacht, Schurken und Helden. Sie machten sie zu Helden, sie
gaben ihnen Waffen, und dann nutzten sie diesen Haß, diese Wut und diesen
Zorn, um praktisch das ganze Land in den Selbstmord zu treiben.
Lassen Sie mich dies hinzufügen: Sie machen dasselbe mit Polen, mit der
Slowakei usw. Sie gehen zu den baltischen Staaten, die die Russen hassen, und
sagen: „Ihr haßt die Russen? Habt ihr diese Wut auf die Russen?“ „Ja, das
haben wir; wir hassen sie.“ „Perfekt! Das tun wir auch.“
Das ist die Nutzung der Wut als Waffe. Aber wenn die Wut zur Waffe wird,
richtet sie sich nicht nur gegen den Gegner, gegen das Ziel, sondern auch
gegen die vorübergehenden angeblichen Verbündeten. Denn man muß Menschen zu
Handlungen überreden, die ihrer eigenen Gesundheit, ihrem eigenen
Wohlbefinden, ihren Familien und allem anderen schaden. Daß sie das alles über
Bord werfen, nur weil sie glauben, daß man mit ihnen verbündet ist.
Und lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Das funktioniert am besten, wenn
man einen schwachen Verbündeten hat, wenn man ein Szenario „David gegen
Goliath“ schaffen kann. Man geht zu dem Verbündeten und sagt: „Ihr wollt gegen
die Russen kämpfen, richtig? Aber ihr seid sehr schwach und deshalb nicht in
der Lage, gegen die Russen zu kämpfen, nicht wahr?“ „Nein.“ „Aber wir würden
das gerne, und wir sind sehr, sehr mächtig. Ihr könnt euch unsere Macht
zunutze machen, und jetzt könnt ihr sehr, sehr mächtig sein.“
Man überzeugt sie irgendwie davon, daß man da sein wird, um sie zu
unterstützen und ihnen zu helfen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten – was
man aber nicht tut. Man macht die Wut zur Waffe und benutzt sie gegen die
„Verbündeten“, um sie zu Handlungen zu bewegen, die nicht in ihrem Interesse
sind. Und man benutzt ihre Wut, um Gegner anzugreifen. Sie sind also nur das
Werkzeug.
„Ihr müßt Opfer bringen“
Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, so machen sie es mit ganz
Europa.
Wenn man sich Europa anschaut, gibt es immer noch in Westeuropa eine
unterschwellige Emotion, ich würde es eine Art Rassismus gegen slawische
Menschen nennen. Man kann zu diesen Menschen gehen und sagen: „Seht her, die
Russen sind nicht so gute Menschen wie wir, das sind Untermenschen, usw.“
Seien wir ehrlich, es gibt immer noch etwas davon in Europa. Und das kann man
ausnutzen, um zu sagen: „Die Russen sind ein Haufen Barbaren, und wir müssen
uns ihnen widersetzen. Dafür werdet ihr einige Opfer bringen müssen.“
Worauf läuft alles am Ende wieder hinaus? „Ihr müßt Opfer bringen, große
Opfer. Aber ihr seid ein Teil dieses riesigen Bündnisses gegen die Leute, die
ihr haßt – die Leute, auf die ihr eine Wut habt.“ Und diese Wut schürt und
nährt man, denn die Wut ist die Waffe, mit der man solche Stellvertreter gegen
einen Gegner einsetzen kann, und auch Gegner dazu bringen kann, ihre eigenen
Interessen zu vergessen und zu glauben, daß ihre Interessen mit unseren
übereinstimmen, so daß sie praktisch zu Selbstmordattentätern werden.
Ich denke, das ist es, was in Europa vor sich geht. Aber vergessen Sie
nicht, das gleiche passiert mit dem amerikanischen Volk. Das ist für unsere
Diskussion sehr relevant, denn das ist einer der Wege, wie die Amerikaner
überredet werden. Hassen Sie Putin oder Rußland? Und das Gleiche fängt auch
mit China an: Hassen Sie diesen anderen Gegner?
Es ist verantwortungslos – davon reden wir hier ja alle –, für eine
neokonservative Phantasie ewiger Weltherrschaft alle Menschen auf der Erde in
Gefahr zu bringen. Aber den Menschen wird etwas vorgemacht: „Nein, nein, darum
geht es doch nicht. Es geht darum, daß wir alle zusammen Gutes tun müssen,
gegen diesen Bösewicht da draußen.“
Und dann füttert man sie ständig weiter, ob es nun um „Russiagate“ geht
oder was auch immer. Man füttert sie mit immer mehr Gründen, diesen Gegner zu
hassen. Und wenn dann jemand zu ihnen sagt: „Leute, ihr wißt, daß ihr einen
Atomkrieg und die Vernichtung der Menschheit riskiert?“ Dann heißt es: „Ja!
Aber ich bin Teil einer Gruppe, die gegen das Böse kämpft. Das ist wichtiger
als alles andere, ganz egal, was passiert. Was wir riskieren, spielt keine
Rolle, denn wir haben uns alle zusammengeschlossen, um gegen das Böse zu
kämpfen.“
Ich halte es für wichtig, diese Diskussion zu führen und das zu verstehen,
denn wir müssen die Menschen dazu bringen, zu verstehen, daß sie irregeführt
werden. Man muß den Menschen bewußt machen, daß ihr Zorn und ihre Wut
künstlich erzeugt und als Waffe gegen sie selbst und ihre Gegner eingesetzt
werden.
Ich habe festgestellt, wenn ich im Radio über dieses Phänomen spreche, daß
Menschen dort anrufen, die kopfschüttelnd sagen: „Jawohl, das macht Sinn.“
Natürlich sieht man im Radio nicht, wie sie den Kopf schütteln, aber Sie
verstehen, worauf ich hinaus will. Das also war mein Vortrag, vielen Dank.
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