„Dann muß Deutschland aus der NATO austreten“
Seminar zu den Enthüllungen über die Sabotage der NordStream-Pipeline
Von Paul Gallagher
„Die Story, die nicht wieder verschwinden wird“, wie Helga Zepp-LaRouche es
nennt, war das Thema eines Internetseminars des Schiller-Instituts am 23.
Februar mit dem Titel „Die Nord-Stream-Enthüllungen untersuchen: Stoppt den
atomaren Weltkrieg“.1
Diese Story ist für die NATO innerhalb kurzer Zeit zum Stachel im Fleisch
geworden, seit der Nestor der Enthüllungsjournalisten, Seymour Hersh, am 8.
Februar seinen Bericht „Wie Amerika die Nord-Stream-Pipeline zerstörte“
veröffentlicht hat. Die Sprengung von drei der vier großen
Unterwasserpipelines für Erdgaslieferungen von Rußland nach Deutschland am 26.
September 2022 – ein klarer Fall von Staatsterrorismus, den nur ein Staat in
den intensiv überwachten und patrouillierten Ostseegewässern durchführen
konnte – schockierte die Welt, wurde danach aber in Amerika und Europa fast
ein halbes Jahr lang weitgehend totgeschwiegen.
Dann recherchierte Seymour Hersh, der auf eine unvergleichliche, 50-jährige
Erfahrung mit brisanten Enthüllungen zurückblicken kann – die gewöhnlich erst
dementiert, aber später bestätigt und zugegeben wurden –, über die
Nord-Stream-Sabotage, an der Deutschland, Schweden, Dänemark und Norwegen so
gar kein Interesse zeigten. Sein Bericht erschien in seinem
Substack-Blog, weil Hersh wußte, daß keines der großen Medien ihn
veröffentlichen würde. Dennoch hat er sich in den nächsten Wochen so weit
verbreitet, daß die Washington Post am 22. Februar immerhin berichten
mußte, daß der ehemalige CIA-Analyst Ray McGovern Hershs Untersuchung am 20.
Februar dem UN-Sicherheitsrat vorgestellt hat. McGovern war auch einer der
Redner beim Seminar des Schiller-Instituts.
Hershs Untersuchung war mehr als Journalismus, fast schon der Wahrheit
verpflichtete Geheimdienstarbeit, mit Quellen, die offenbar direktes
operatives Wissen über die Planungen der Biden-Administration für die
Sprengung aller vier Pipelines hatten. Diese Planungen und Vorbereitungen
erstreckten sich über fast ein Jahr und hatten lange vor Rußlands
Militäroperation in der Ukraine begonnen.
Nun wird immer häufiger und nachdrücklicher eine ehrliche und transparente
staatliche Untersuchung dieser Zerstörung von Deutschlands industrieller
Energielebensader gefordert, so von der Abgeordneten Sahra Wagenknecht im
Deutschen Bundestag und von Rußlands UN-Botschafter Wassili Nebensja im
Weltsicherheitsrat.
„Deutschland wird alles genommen“
Das Seminar des Schiller-Instituts am 23. Februar wurde während der
Übertragung von mehr als 700 Menschen gesehen und seitdem von Tausenden auf
der Website des Schiller-Instituts angeschaut, wo es archiviert ist.
Die Gründerin des Instituts, Helga Zepp-LaRouche, gab in
ihrer Rede einen Überblick darüber, wie US-Vertreter, angefangen mit Präsident
Biden persönlich, vor und nach der Tat über die Zerstörung der
Nord-Stream-Pipelines jubelten, ohne eine Beteiligung daran zuzugeben. Bidens
Satz am 7. Februar 2022, während Bundeskanzler Scholz kleinlaut neben ihm
stand: „Wenn Rußland einmarschiert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben,
wir werden es beenden“, ist inzwischen weltweit berüchtigt. Zepp-LaRouche
setzte die Liste fort:
„Die berühmt-berüchtigte Victoria Nuland sagte: ,Wenn Rußland in die
Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream so oder so nicht weiterlaufen.‘ Und
nach dem Anschlag drückte sie in einer Anhörung im US-Kongreß ihre Freude
darüber aus, daß Nord Stream 2 jetzt ein Stück Altmetall auf dem Meeresgrund
ist. Der ehemalige Außenminister Polens, Radoslaw Sikorski, schrieb
unmittelbar nach der Tat in einem Tweet: ,Danke, Amerika!‘
Liz Truss, die damalige Premierministerin Großbritanniens, soll nur eine
Minute nach der Explosion an US-Außenminister Antony Blinken getwittert haben:
,Es ist erledigt.‘
Vier Tage nach der Explosion sagte Außenminister Blinken: ,Das ist eine
großartige Gelegenheit, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für
allemal zu beenden und damit Wladimir Putin die Möglichkeit zu nehmen, Energie
als Waffe und Druckmittel zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne
einzusetzen.‘“
Zepp-LaRouche erklärte, Deutschland sei zum Spielball in einem Krieg zur
Wiederherstellung der „unipolaren Ordnung“ unter der Globalen NATO geworden.
„Deutschland wird alles weggenommen, und die deutsche Regierung verteidigt
nicht die Interessen des deutschen Volkes, obwohl sie bei ihrem Amtsantritt
einen Eid geschworen hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Die
Lebensgrundlagen des deutschen Volkes werden zerstört – Ersparnisse,
Arbeitsplätze, alles ist weg.“
Zepp-LaRouche schloß: „Wenn sich Hershs Vorwürfe bestätigen, hat
Deutschland nur eine mögliche Antwort: Es muß aus der NATO austreten. Und ich
denke, es ist schon jetzt höchste Zeit, daß wir anfangen, über die dringende
Notwendigkeit einer neuen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur zu
diskutieren, die die Sicherheitsinteressen jedes Landes auf diesem Planeten
berücksichtigt.“
Der Schweizer Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard, der nach
Zepp-LaRouche auf dem Seminar sprach, fügte hinzu, daß Präsident Biden durch
das Verhalten seiner Regierung gegenüber Deutschland und dem Bundeskanzler,
sowohl bei der Zerstörung von Nord Stream als auch mit dem Erzwingen der
Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, tatsächlich das NATO-Bündnis spalten
könnte. Auch andere große westeuropäische NATO-Mitglieder würden unter Druck
gesetzt, obwohl deren Bevölkerung mit den Forderungen und Risiken des
Ukrainekrieges unzufrieden ist.
Oberst Bosshard, der eine Karriere im militärischen Nachrichtendienst
hinter sich hat, merkte an, er und seine Kollegen hätten eigene
nachrichtendienstliche Erkenntnisse über die Nord-Stream-Sabotage
gewonnen:
„Auf der Grundlage der von uns durchgeführten Analyse, die auf den
unmittelbar nach der Sabotage dieser beiden Pipelines vor Bornholm bekannten
Informationen basierte, läßt sich eine Plausibilitätsprüfung von Seymour
Hershs Artikel durchführen. Tatsächlich waren, auch laut Herrn Hersh,
professionelle Taucher der Streitkräfte im Einsatz, was uns natürlich nicht
überrascht. Darüberhinaus deckt sich sein Artikel mit unseren Erkenntnissen,
daß eine gründliche Vorbereitung erforderlich war, daß das Anbringen einer
großen Menge Sprengstoff an den Pipelines notwendig war und stundenlange,
anstrengende Arbeit unter sehr schwierigen Bedingungen erforderte. Darüber
hinaus bestätigte Hershs Artikel unsere Voraussage, daß ein kleines
Kriegsschiff im Rahmen einer Marineübung eingesetzt wurde.“
Statuten für Kriegsverbrechen
Ein dritter Referent des Schiller-Instituts war der bekannte
Völkerrechtsexperte Prof. Francis Boyle von der Universität von
Illinois, der sich mit den rechtlichen und verfassungsrechtlichen Folgen der
staatlichen Sabotage bzw. des Staatsterrorismus gegen die Pipelines und deren
Funktion befaßte. Boyle:
„Lassen Sie mich zunächst sagen, daß es sich eindeutig um einen Kriegsakt
und ein Kriegsverbrechen handelt. Ich möchte Ihnen den genauen Wortlaut des
Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zitieren. Als ein
Kriegsverbrechen wird darin definiert: ,vorsätzliche Angriffe auf die
Zivilbevölkerung als solche oder auf einzelne Zivilpersonen, die an den
Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen; oder vorsätzliche Angriffe auf
zivile Objekte, das heißt auf Objekte, die nicht militärische Ziele sind‘.
Lassen Sie mich den letzten Punkt wiederholen: ,vorsätzliche Angriffe auf
zivile Objekte, das heißt auf Objekte, die nicht militärische Ziele sind‘. Es
ist klar, daß die Nord-Stream-Pipelines in keiner Weise Teil irgendwelcher
militärischer Aktivitäten waren.“
Prof. Boyle listete dann auf, welche Konsequenzen es hätte, wenn bewiesen
wird, daß die Vereinigten Staaten (und/oder andere NATO-Staaten) diese
Pipelines zerstört haben – Konsequenzen in Bezug auf das Römische Statut des
Internationalen Strafgerichtshofs, Amtsenthebungsverfahren gemäß der
US-Verfassung oder Strafverfolgung in europäischen Ländern, die die Römischen
Verträge unterzeichnet haben:
„Alle Staaten der Welt, die das Römische Statut unterzeichnet haben, müssen
eigene Durchführungsvorschriften haben, die Verstöße gegen das Römische Statut
zu Verbrechen nach nationalem Recht machen... Es wäre also durchaus möglich,
daß die von mir erwähnten fünf Personen – Biden, Blinken, Nuland, Sullivan und
Austin – in jedem Unterzeichnerstaat des Römischen Statuts im Rahmen der
nationalen Umsetzungsgesetze strafrechtlich verfolgt werden können.“
Boyle wies darauf hin, welche abschreckende Wirkung Anträge auf
Amtsenthebung im US-Repräsentantenhaus auf frühere Präsidenten hatten, und
nannte als ein Beispiel, daß Präsident Reagan kurzfristig von einer Invasion
Nikaraguas abgehalten wurde. Er schloß:
„Ich empfehle, daß wir zumindest die Anklage gegen Biden, wenn nicht auch
die anderen, sofort im Repräsentantenhaus verabschieden lassen. Erst neulich
hat EIR berichtet, daß die Kongreßabgeordnete Marjorie Taylor Greene,
die jetzt sehr viel Einfluß hat, gesagt hat, daß Biden wegen der Ukraine
angeklagt werden sollte. Wir müssen das tun; wir müssen diese Leute aufhalten,
bevor es zu einem allgemeinen De-jure-Krieg mit Rußland kommt. Im Moment haben
wir einen De-facto-Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland; sogar
Herr Lawrow hat das gesagt, und er hat recht. Noch ist es nicht de jure, wir
müssen das verhindern!“
Wußte Scholz Bescheid?
Wie bereits erwähnt, sprach Ray McGovern, langjähriger
Rußland-Analyst der CIA und Gründer der Veteran Intelligence Professionals for
Sanity (VIPS), ebenfalls auf dem Seminar des Schiller-Instituts, nachdem er
einige Tage zuvor zu einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats über die Sabotage
der Pipelines eingeladen worden war.
McGovern erinnerte an wichtige Teile der russischen Geschichte und sagte,
das „Fenster nach Europa“, das der modernisierende Zar Peter der Große erst im
frühen 18. Jahrhundert geöffnet hatte, sei nun wieder zugeschlagen, und das
werde ein oder mehrere Jahrzehnte lang so bleiben. „Was sollen die Russen von
Olaf Scholz halten, der Präsident Joe Biden zuhörte, als der sagte, die
Vereinigten Staaten würden die Nord-Stream-Pipeline nach Deutschland
,beenden‘, und auf die Frage, was er davon halte, nur antwortete: „Wir machen
alles gemeinsam.“
McGovern kommentierte: „Jemand sollte Bundeskanzler Scholz fragen:
,Bedeutet das, daß Sie von den Plänen zur Zerstörung der Nord Stream-Pipelines
wußten? Hat Biden Ihnen gesagt, als Sie in Washington waren, daß das
vorbereitet wurde? War das etwas, was Sie ,gemeinsam‘ gemacht haben?‘ Ich
kenne die Antwort darauf nicht. Aber das deutsche Volk verdient sicherlich
eine Antwort auf diese sehr wichtige Frage.“
McGovern wies darauf hin, daß die von Rußland eingebrachte
Sicherheitsratsresolution – die zu der Anhörung führte, bei der er als Zeuge
aussagte –, von China nachdrücklich unterstützt wurde. Das an sich sei schon
eine „bedeutende Entwicklung“.
Er beschrieb auch sein Briefing im Sicherheitsrat. Er verglich das
Verhalten von US-Präsident John F. Kennedy 1962, als er von der Stationierung
sowjetischer Atomraketen auf Kuba erfuhr, mit dem Verhalten des russischen
Präsidenten Putin 2021/22, als atomwaffenfähige NATO-Raketenabwehrsysteme in
Polen und Rumänien stationiert wurden und der ukrainische Präsident Selenskyj
auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 sagte, die Ukraine brauche
Atomwaffen gegen Rußland und könne sie bauen. McGovern erinnerte die
UN-Diplomaten daran, daß damals niemand auf die Idee gekommen wäre, Kennedys
Blockade und angedrohte Invasion Kubas „unprovoziert“ zu nennen.
McGovern schloß: „Was wir also tun müssen, ist aktiv zu werden und zu
agitieren! Wir müssen unsere Mitbürger aufklären, denn die Presse tut das
nicht. Wir müssen unseren Hintern hochkriegen und sagen: ,Leute, seht her, das
hier sind die Fakten. Seymour Hersh hat die Tatsache aufgedeckt, daß wir
diesen schrecklichen terroristischen Akt begangen haben, einen Kriegsakt, wie
Professor Boyle sagte.‘ Und klären Sie unser Volk auf. Sagen Sie: ,Wollen wir
wirklich einen Atomkrieg für so etwas riskieren?‘ Ich glaube nicht, daß wir
das wollen.“
Interessante Fragen
Weitere prominente Redner auf der Online-Veranstaltung des
Schiller-Instituts waren der französische Armeegeneral a.D. Dominique
Delawarde sowie Graham Fuller, ein langjähriger
Geheimdienstanalyst der CIA. Fuller warnte, die NATO habe faktisch eine
„Berliner Mauer“ gegen Rußland errichtet und sei dabei, eine „Große Mauer“
gegen China zu errichten. Nun wende sich Rußland China zu und bilde mit ihm
eine Partnerschaft „mindestens auf Jahrzehnte“, und wenn die Europäische Union
aktiv dagegen ankämpfe, werde daraus ein „Großasien“ mit Nationen wie dem
Iran, Saudi-Arabien, der Türkei, dem Irak und Syrien, das sogar Länder wie
Italien anziehen werde.
General Delawarde betonte: „Ich unterstütze die Aktion der heutigen
Konferenz des Schiller-Instituts, aber auch alle anderen Konferenzen, die
versuchen, dem zerstörerischen Vorgehen der US-Regierung und der US-Elite ein
Ende zu setzen.“
Anschließend fragte ein Reporter der indischen Zeitung The Hindu die
Redner, warum der Westen jetzt plötzlich die Vergangenheit des indischen
Ministerpräsidenten Modi entdeckt habe und kritisiere, „nachdem man ein
Jahrzehnt lang mit ihm Geschäfte gemacht hat“? Fuller antwortete, daß die
Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich „großen Druck auf Indien“
ausüben wollen, damit es seine Neutralität im Ukraine-Konflikt und den zuletzt
ausgeweiteten Handel mit Rußland aufgibt und sich statt dessen gehorsam an die
Seite der „Demokratien“ stellt, um die Mauern zwischen den großen Nationen zu
errichten, von denen er gesprochen hatte.
Ein anderer Fragesteller fragte, was man tun könne, um Hershs Artikel für
den Kampf gegen die Weltkriegsgefahr zu nutzen? Zepp-LaRouche verwies auf die
Kundgebungen und Demonstrationen in etwa hundert Städten in ganz Europa, die
um den 25. Februar herum stattfanden und tendenziell mit den Kräften der
Demonstration für die Auflösung der NATO in Washington am 19. Februar zu einer
Einheit verschmelzen. Sie zitierte Friedrich Schiller, nach dem das Institut
benannt ist, daß „herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines
Despoten beugen“ kann.
Zepp-LaRouche ermutigte auch erneut zu einer breiten internationalen
Diskussion über ihre „Zehn Prinzipien für eine neue internationale
Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur“,2 die auf der
Internetseite des Schiller-Instituts zu finden sind.
Anmerkungen
1. https://www.youtube.com/watch?v=_9roLUHoEi4
2. https://schillerinstitute.com/de/blog/2022/11/30/zehn-prinzipien-fuer-eine-neue-internationale-sicherheits-und-entwicklungsarchitektur/
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