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Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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Die schrecklichen Folgen der Caesar-Sanktionen

Von Marwa Osman

Marwa Osman ist Dozentin der Libanesischen Internationalen Universität und der Al-Maaref University im Libanon. Sie ist Moderatorin und Produzentin der politischen Sendung „MidEaStream“ auf PressTV.

Vielen Dank, daß Sie mir die Plattform geben. Ich bin Universitätsprofessorin und Professorin für Medienwissenschaften an der Al-Maaref Universität und der Lebanese International University.

Wir sind heute hier, um über die unerträglichen Sanktionen zu sprechen, unter denen das syrische Volk seit 2011 bis heute leidet. Wie wir alle gesehen haben, hat sich dieser Schaden noch durch die Naturkatastrophe vergrößert, die den nördlichen Teil Syriens und auch die Küste heimgesucht hat. Das verstärkt die Wirkung dieser Sanktionen, die seit Jahren und erst recht nach diesem Erdbeben verhindern, daß die syrische Regierung ihre Bevölkerung versorgen kann.

Ich möchte ein Beispiel dafür geben, was die Sanktionen in der Realität bedeuten, denn alle reden von Sanktionen, wissen aber gar nicht genau, wie sie in Syrien wirken. Und ich möchte besonders darauf hinweisen, daß das, was wir acht Tage nach dem Erdbeben von den Vereinigten Staaten von Amerika gelesen haben, nämlich daß sie „die Sanktionen gegen Syrien aufheben“, eine große Lüge ist. Ich werde erklären, warum.

Lassen Sie mich zunächst erklären, welche Sanktionen gegen Syrien verhängt wurden, wie sie sich seit 2011 kumuliert haben und wie sie sich nach der Katastrophe auswirken.

Im Grunde genommen haben die Vereinigten Staaten von Amerika beschlossen, alles zu sanktionieren, was irgendwie mit der syrischen Regierung zusammenhängt. Die Menschen im Westen denken vielleicht, die Sanktionierung der „Regierungselite“ in Syrien bedeute Sanktionen gegen den Präsidenten, seine Frau und die Minister. Aber es geht bei weitem nicht nur um das, sie haben nämlich alles sanktioniert, was mit dem syrischen Staat verbunden ist.

Falls Sie es nicht wissen: In Syrien wird alles vom Staat organisiert, koordiniert und verwaltet, u.a. das Bildungswesen, das Gesundheitswesen und vieles mehr, was mit dem täglichen Leben der syrischen Bevölkerung zu tun hat. Wenn man krank ist, geht man zum Arzt, und der Arzt überweist einen ins Krankenhaus; man geht ins Krankenhaus und bekommt die notwendige Operation, die man braucht. Das ist ein Beispiel.

Die Auswirkungen der Sanktionen der USA und des Westens behindern sehr die schnelle Reaktion auf diese [Erdbeben-]Tragödie, aber sie hatten schon vorher Auswirkungen. Wir haben also zweierlei, erstens die kumulative Wirkung und zweitens die aktuelle Wirkung.

Sprechen wir über die kumulative Wirkung. Sie besteht in Syrien seit 2011 und behindert alle Bemühungen der Regierungsinstitutionen, vor allem die Kriegsschäden in Syrien zu beseitigen und zu reparieren, gerade in den Gebieten, die von der Erdbebentragödie betroffen sind.

Sie haben direkte Sanktionen gegen den Energiesektor, den Bausektor und den Wiederaufbausektor sowie gegen den Bankensektor in Syrien verhängt. Was bedeutet das? Es bedeutet, daß das Land, Syrien, seinen Bedarf an modernen Maschinen nicht decken kann.

Das ist der Grund, warum heute immer noch Menschen unter den Trümmern sind: Die Maschinen, die notwendig wären, um die Menschen aus den Trümmern zu bergen, gibt es nicht. Sie haben diese Maschinen nicht, sie haben keine Ersatzteile, sie haben keine technische Unterstützung. Daher waren diese Sektoren nicht in der Lage, die Folgen des Erdbebens ohne internationale Unterstützung zu bewältigen.

Kumulierte Wirkung der Sanktionen

Wenn die USA nun behaupten, sie hätten die Sanktionen aufgehoben, ist das eine Lüge, denn es ist unmöglich, Geld in das syrische Bankensystem zu überweisen, um den betroffenen Menschen direkt zu helfen, das war in der jüngsten Erklärung des US-Finanzministeriums nicht enthalten. Sie sagten, daß ein bestimmter Teil der Sanktionen – er heißt Abschnitt B, wenn ich mich nicht irre – von der Aufhebung ausgenommen ist, und das bedeutet, daß sie absolut nichts tun. Denn man kann kein Geld schicken, um den Menschen zu helfen, um die Hilfe zu finanzieren, um den Menschen zu helfen, um zu versuchen, den Wiederaufbau der eingestürzten Gebäude zu finanzieren. Das ist also der erste Punkt.

Dann ist da noch der Wechselkurs der syrischen Lira, der im Laufe der Jahre erheblich gesunken ist durch die Verschärfung der US-Blockade und die Sanktionen des sogenannten Caesar's Act. Der Wechselkurs lag 2019 bei über 400 syrischen Lira, ein Dollar entsprach fast 500 syrischen Lira. Aber jetzt ist ein Dollar gleich 6800 Lira! Und die Gehälter sind immer noch dieselben. Können Sie sich das vorstellen?

Dieser Rückgang hatte auch direkte Auswirkungen auf die Fähigkeit des Landes, die Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Medikamente, Erdölprodukte, technische Geräte und andere zu sichern. Denn Sie wissen, daß der Ölpreis weltweit ebenfalls gestiegen ist.

Das belastet die syrische Regierung stark, denn sie kommt nicht an ihr eigenes Öl heran, wie wir alle wissen, weil die USA darauf sitzen, angeblich um es zu „schützen“. Die beiden größten Ölfelder, die Conoco-Ölfelder und die Al-Omar-Ölfelder, die syrischen Ölfelder im östlichen Euphratgebiet, sind vollständig unter der Kontrolle der Vereinigten Staaten von Amerika, wo sie diesen sehr ressourcenreichen, wichtigen Sektor der syrischen Wirtschaft plündern und verkaufen.

Dann benutzen sie niemand anderen als ISIS und auch ihre Freunde der sogenannten SDF [Syrian Democratic Forces], auch bekannt als die kurdischen Separatisten, im nördlichen und nordöstlichen Teil Syriens, um dieses Öl zu verkaufen, entweder über die Türkei oder über den Irak. Sie erlauben Syrien also nicht, es zu bekommen: Sie stehlen es und verkaufen es anderswo.

Einer der kumulativen Effekte dieser Sanktionen sind die hohen Kosten für die Einfuhr von Waren und Materialien. Denn das hohe Risiko, mit Syrien zu handeln, weil die USA praktisch jedem anderen, jedem Staat oder Unternehmen außerhalb Syriens drohen, wenn man mit Syrien Handel treibt, läßt die Preise explodieren. Diese Sanktionen haben dazu beigetragen, daß die Kosten für Waren, die nach Syrien eingeführt werden, um 50-60% gestiegen sind.

Der Lebensmittel- und der Arzneimittelsektor sind hier am stärksten betroffen. Wenn der Westen davon spricht, daß sie von den Sanktionen ausgenommen seien, ist das eine große Lüge, weil sie direkt von anderen Sanktionen betroffen sind, wie zum Beispiel den Sanktionen gegen Öl. Denn wie kann man ein Krankenhaus betreiben, wenn man keinen Dieselkraftstoff für Strom hat? Können Sie sich das vorstellen? Die Leute werden krank, gehen ins Krankenhaus und haben dann während der Operation keinen Strom, weil es nicht genug Ölderivate gibt, um die Betriebsanlagen in dem Krankenhaus zu versorgen!

Hinzu kommt, daß auch das Bildungswesen seit 2011 schwer getroffen wurde, denn ohne Diesel gibt es keine Busse, die die Kinder zur Schule bringen könnten. Das bedeutet, daß es jetzt bzw. seit den letzten elf Jahren einen hohen Anteil an Analphabeten gibt.

Sanktionen sabotieren Hilfe und Wiederaufbau

Nun zum zweiten Aspekt. Heute haben wir die akkumulierten Auswirkungen der US-Sanktionen seit 2011, die dazu geführt haben, daß die syrische Regierung nicht in der Lage ist, diese neue Katastrophe zu bewältigen. Wenn Sie darüber sprechen wollen, was jetzt gerade passiert, seit dem 6. Februar bis jetzt: Die US-Sanktionen haben die Fähigkeit Syriens geschwächt, den Menschen zu helfen und die Folgen des Erdbebens und die Nachwirkungen des Erdbebens zu bewältigen. Es gibt viele Nachbeben, das letzte war in der vergangenen Nacht und war entsetzlich. Wir haben es sogar hier im Libanon gespürt, es war entsetzlich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich die Menschen in Aleppo, Latakia, Idlib, Hama und Jableh gefühlt haben, als sie zum sechsten oder siebten Mal von einem so starken Nachbeben heimgesucht wurden, während sie nichts haben, in Zelten leben oder in Einrichtungen wie Schulen oder auf offenen Flächen wohnen.

Die US-Regierung war in den letzten Jahren sehr darauf bedacht, in der ganzen Welt Schrecken und Terror zu verbreiten: „Wenn ihr mit Syrien handelt, wenn ihr versucht, Syrien zu helfen, dann werden wir vor eurer Tür stehen. Wir werden es nicht erlauben; wir werden euch sanktionieren.“ Das ist auch ein Teil der Sanktionen, die nicht aufgehoben wurden.

Der beste Beweis dafür ist, daß auch, nachdem die USA sich entschieden hatten zu sagen „Wir heben die Sanktionen für 180 Tage auf“, z.B. kein einziges Hilfs- und Unterstützungsflugzeug der Europäischen Union, der größten Verbündeten der USA, in Syrien gelandet ist, weder in Aleppo noch in Damaskus, um dem syrischen Volk Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen. Wir haben gesehen, wie ein italienisches Flugzeug hier in Beirut gelandet ist, sie mußten alle Hilfsgüter zwei oder drei Stunden lang ausladen und dann in Lastwagen umladen, um dann 12 Stunden lang nach Aleppo oder 9 Stunden nach Latakia zu fahren, was bedeutet, daß Sie die Hilfe, die die Syrer genau in diesem Moment brauchen, schon wieder verzögern.

Mächtige Unternehmen in vielen Bereichen scheuen sich, mit der syrischen Regierung zusammenzuarbeiten und mit ihr zu verhandeln, um Syrien beim Wiederaufbau zu helfen, um Syrien dabei zu helfen, die beschädigten Gebäude wieder aufzubauen oder neue, zumindest provisorische Häuser für die Menschen zu bauen, die ihre Häuser verloren haben. Oft ist es erforderlich, daß sie mit einer dritten Partei verhandeln, damit Syrien Hilfe bekommt.

So ist das zum Beispiel mit Italien und dem Libanon geschehen. Wenn ein Unternehmen oder ein Land helfen will, geht das mindestens über einen nicht-syrischen Hafen oder einen nicht-syrischen Flughafen. Und selbst danach kann es schwierig werden, wenn man überhaupt dorthin gelangt, denn man könnte bei der Rückkehr sanktioniert werden, weil es dann vielleicht heißt: „Hmmm. Wir haben verfolgt, wo Sie waren. Auch wenn Sie Ihre Hilfsgüter oder was immer Syrien kaufen wollte im Libanon abgeladen haben, ist das nach Syrien gelangt, und das bedeutet, daß Sie gegen das Caesar-Gesetz verstoßen, und Sie werden sanktioniert.“

Sie gehen praktisch wie Gangster gegen jede Organisation und jeden Staat vor, der es wagen könnte, Syrien zu helfen.

Leider hat dieses Netzwerk der Angst auch die Unternehmen und Institutionen erreicht, sogar diejenigen, die Syrien politisch unterstützen.

Ich werde Ihnen ein Beispiel geben. Wenige Stunden nach dem Erdbeben in Syrien am Montag [6. Februar] habe ich versucht, viele der libanesischen NGOs zu kontaktieren, denen ich vertraue und die nicht von USAID finanziert werden. Ich kontaktierte sie und fragte, ob sie Bankkonten zur Verfügung stellen würden, über die unsere im Ausland lebenden Freunde Hilfsgüter schicken können, so daß diese NGO im Libanon das Geld entgegennehmen und es in bar nach Syrien bringen können, weil wir es wegen der Sanktionen nicht überweisen können. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele NGOs sich leider geweigert haben, obwohl es ihnen sehr leid tat. Denn sie sagten: „Wenn wir das zulassen – wenn wir euch unsere Konten zur Verfügung stellen und den Leuten erlauben, Geld im Namen der Syrienhilfe zu schicken –, dann werden wir sanktioniert. Und dann sind wir nicht in der Lage, der libanesischen Bevölkerung zu helfen, die gerade jetzt von vielen NGOs dringend Hilfe braucht, wegen der wirtschaftlichen und finanziellen Katastrophe, die der Libanon durchmacht.“

Die Regierungen haben also Angst vor wirtschaftlicher Zusammenarbeit, die NGOs haben Angst davor, Hilfe und Unterstützung nach Syrien zu schicken – vor dem Erdbeben und nach dem Erdbeben, obwohl die USA gesagt haben, sie hätten die Sanktionen aufgehoben. Ich habe gerade erklärt, warum das nicht der Fall ist.

Das wichtigste Beispiel aus der Zeit vor dem Erdbeben war, daß Washington sich stur weigerte, Ägypten eine schriftliche Erlaubnis zu erteilen, den Libanon über syrisches Territorium mit Strom und Gas zu versorgen, weil das die einzige Möglichkeit ist. Nachdem die Sanktionen aufgehoben worden waren, versuchten einige libanesische Minister, mit den Ägyptern zu verhandeln, um diese Erlaubnis von den Amerikanern zu erhalten, aber sie weigerten sich immer noch – was im Grunde genommen jenseits jedes menschlichen Vorstellungsvermögens liegt.

Sanktionen ignorieren

Trotz der schwerwiegenden negativen Auswirkungen all dieser westlichen Sanktionen auf die syrische Wirtschaft – denn es sind nicht nur die US-Sanktionen, es sind die Sanktionen der USA und anderer – machen die Freunde der USA dabei mit, daß diese erdrückenden Sanktionen gegen das syrische Volk fortgesetzt werden. Das hat eine sehr große Auswirkung, denn die Aufhebung dieser Sanktionen könnte schon nach kurzer Zeit dazu beitragen, positive Ergebnisse zu erzielen, die sich auf das Leben und den Lebensunterhalt der Bevölkerung auswirken. Aber wir müssen den Bedarf des Landes an Rohstoffen, insbesondere im Lebensmittel- und Gesundheitsbereich, schnell wiederherstellen.

Warum bin ich kein bißchen hoffnungsvoll, daß dies der Fall sein wird oder daß dies funktionieren wird? Weil ich nicht mehr an etwas glaube, das sich „internationale Gemeinschaft“ nennt, was Syrien helfen könnte. Ich kann das nicht glauben. Ich kann mich nicht in diese Lage versetzen, und sei es, unsere Freunde im Westen zu bitten, mit ihren eigenen Regimen zu reden, um zu versuchen, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Das hat nie funktioniert, und es wird auch jetzt, in der schlimmsten Zeit, die Syrien in dieser Katastrophe durchlebt, nicht funktionieren.

Ich denke, der beste Weg, um Syrien jetzt zu helfen, besteht darin, der amerikanischen Hegemonie in der gesamten westasiatischen Region zu trotzen. Wie kann man das tun? Auf die gleiche Weise, wie Algerien, Jordanien, der Libanon, der Irak und der vom Krieg zerrissene Jemen Hilfe nach Syrien geschickt haben! Sie haben einen Weg gefunden, und sie haben Syrien Hilfe geschickt! Der einzige Weg ist, sich diesen Akten westlicher Hegemonie gegen Syrien, gegen den Libanon und auch gegen den Irak zu widersetzen. Denn, wie Vanessa [Beeley] schon sagte, wurde die einzige Grenze zwischen dem Irak und Syrien schon vor dem Erdbeben von den Vereinigten Staaten von Amerika bombardiert, weil sie nicht wollen, daß irgendeine Form von Hilfe nach Syrien kommt.

Nun, sie können uns nicht mehr aufhalten! Denn wir sind jetzt mehr als einer, wir sind mehr als zwei. Es sind nicht mehr nur der Irak und der Libanon. Es sind der Irak, der Libanon, Algerien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien: Es sind viele Länder, die jetzt dazu beitragen, Syrien zu unterstützen und zu helfen.

Ich denke auch, daß die UN-Charta klar besagt, daß ein Land, das besetzt ist, das volle Recht auf Widerstand hat. Ich glaube, Stärke ist das einzige, was die USA verstehen, und wenn es keine Stärke gibt, werden die Vereinigten Staaten von Amerika Syrien niemals in Ruhe lassen. Deshalb glaube ich, daß die Freunde Syriens, die Arabische Armee Syriens und die ihr angeschlossenen Organisationen, die Widerstandskämpfer in bestimmten Gebieten, die Syrer in bestimmten Gebieten Syriens, die der syrischen Armee helfen, die so genannten Shan Shabiha, die Nationalgarde in bestimmten Gebieten Syriens, dazu in der Lage sind. Ich denke, sie haben die Fähigkeit und die Technologie, und sie haben definitiv den Wunsch, die US-Besatzung loszuwerden. Und der einzige Weg, den sie gehen können, ist der, ihnen von der gleichen Medizin zu geben, die sie Syrien in den letzten 13 Jahren gegeben haben: „Ihr bombardiert? Dann werdet ihr bombardiert.“

Ich danke Ihnen.