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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Friedenspotential in einer hypervernetzten Welt

Von Sam Pitroda

Sam Pitroda ist ein indisch-amerikanischer Telekommunikations-Ingenieur, Erfinder, Unternehmer und Buchautor und war Berater der indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi und Manmohan Singh.

Meine Damen und Herren, ich grüße Sie aus Chicago. Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut, Helga und Dennis [Speed] für die Einladung zu dieser Veranstaltung danken. Ich konnte den meisten Rednern zuhören, und ich unterstütze sie und stimme allen zu.

Ich bin nicht hier, um den Ukraine-Krieg zu analysieren oder mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Ich bin wie wir alle hier, um ein Ende dieses Krieges zu fordern. Ich komme aus dem Land von Mahatma Gandhi, ich glaube an Gewaltlosigkeit. Ich habe mein ganzes Leben lang Gandhi studiert, und ich bin fest davon überzeugt, daß für diese Art des Tötens, diese Art des Krieges, den wir führen, im 21. Jahrhundert kein Platz mehr ist.

Ich möchte uns alle daran erinnern, daß wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit alle miteinander verbunden sind. Alle acht Milliarden Menschen sind im wesentlichen durch Hyperkonnektivität miteinander verbunden.

Hyperkonnektivität bedeutet, daß eine ganze Reihe von Technologien zusammenkommen, die das Potential haben, neue Zivilisationen zu schaffen. Hyperkonnektivität umfaßt Satelliten, Glasfasertechnik, Smartphones, mobile Konnektivität, Cloud Computing, Robotik, Analytik, Big Data und Künstliche Intelligenz. All diese Dinge demokratisieren im Grunde Informationen, sie dezentralisieren die Umsetzung, sie entmonetarisieren Dienstleistungen, und es geht um Kommunikation; es geht um Inhalt, Kontext und Dauer. Die Hyperkonnektivität verändert heute alles um uns herum: Handel, Unternehmen, Märkte, Vertrieb, Lieferung, Produkte, Dienstleistungen, Finanzen, Wirtschaft, Governance. Nichts, was ich kenne, bleibt wie es ist, weil die Hyperkonnektivität allgegenwärtig geworden ist.

Die entscheidende Frage ist nun, wie wir die Vorteile der Hyperkonnektivität nutzen können, um die menschliche Zivilisation auf die nächste Stufe zu heben.

Mit der alten Denkweise, dem alten Paradigma und der alten Organisationsstruktur ist das nicht möglich. Ich habe gerade ein Buch mit dem Titel Redesign the World („Die Welt neu gestalten“) geschrieben. In diesem Buch geht es um die Notwendigkeit, die Gestaltung der Welt zu überdenken, wie sie vor 80 Jahren konzipiert wurde, woraus die UNO, die Weltbank, der IWF und schließlich die WTO und die WHO hervorgingen.

Die Hyperkonnektivität verlangt, daß wir völlig anders denken. Helga [Zepp-LaRouche] hat über ihr Zehn-Punkte-Programm gesprochen. Ich habe es sorgfältig geprüft. Ich stimme mit dem meisten darin überein, und das ist wahrscheinlich auch ein Ergebnis der Betrachtung der vernetzten Welt.

Wir brauchen keine Supermacht mehr

Wenn man sich die Geschichte der Welt ansieht, glauben wir immer, man bräuchte eine Art Supermacht, um die Welt zusammenzuhalten. Dieses Denken muß sich völlig ändern.

In Indien hatten wir in der jüngeren Geschichte das britische Raj [Kolonialherrschaft], dann die Vorherrschaft der USA, und nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir eine bipolare Welt. Dann brach die Sowjetunion zusammen, ohne einen Schuß abzugeben; China ist auf dem Vormarsch; und jetzt sind wir besorgt über den Konflikt zwischen China und den USA. Es ist ein Konflikt um den Markt. Es ist ein Konflikt um die technologische Entwicklung. Es ist ein Konflikt um Dominanz, ein Konflikt um wirtschaftliche Macht.

Aber in einer hypervernetzten Welt braucht man keine Supermacht mehr. Netzwerke funktionieren viel besser. Man braucht keine Architektur für Steuerung und Überwachung, sondern eine Architektur, die stärker auf Zusammenarbeit, Kooperation und gemeinsame Gestaltung ausgerichtet ist. Es ist heute möglich, mit einer Netzwerkarchitektur den Weltfrieden zu schaffen.

Wir sind überzeugt, daß alle globalen Gespräche heute ein geopolitisches Gleichgewicht erfordern; sie erfordern ein Verständnis der Märkte und der Wirtschaft. Die Hyperkonnektivität verlangt von uns, daß wir ganz anders denken.

Ich habe mein Leben fast 60 Jahre lang mit Konnektivität gearbeitet, und ich bin überzeugt, daß sie eine Chance ist, die menschliche Zivilisation auf die nächste Stufe zu heben. Aber das ist nur möglich, wenn wir die Denkweise der Vergangenheit, die nach dem Zweiten Weltkrieg das alte Konzept hervorbrachte, hinter uns lassen. Dieses besagt im Grunde, daß wir ohne eine bestimmte Machtstruktur auf globaler Ebene nicht überleben können. Also machen wir weiter mit dem Krieg. Wir organisierten Kriege in Vietnam, Syrien, Afghanistan, Irak und so weiter und so fort.

Für mich hat sich die Welt durch die Hyperkonnektivität völlig verändert. Sie ist offener, transparenter und zugänglicher geworden. Und wir müssen das Denken, das sich heute hauptsächlich auf Macht und Politik, Macht und Profit konzentriert, auf den Planeten und die Menschen verlagern. Es ist das Bedürfnis unseres Nächsten, daß wir uns ernsthaft um unseren Planeten kümmern. Der Planet braucht nicht uns, wir brauchen den Planeten. Die globale Erwärmung ist eine Krise; die Umwelt ist eine Krise. Dem müssen wir heute viel mehr Aufmerksamkeit schenken, als Panzer für den Krieg in die Ukraine zu liefern.

Wenn wir also unseren Fokus von Macht und Profit auf den Planeten und die Menschen verlagern, dann können wir uns den eigentlichen Problemen der Menschheit zuwenden: Umwelt, sauberes Wasser, saubere Luft, Hunger, Ernährungssicherheit, Armut, Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie.

Heute gibt es mehr Haß als Liebe. Heute gibt es mehr Ausgrenzung als Integration. Der alte Entwurf der Welt, der auf Demokratie, Menschenrechten, Kapitalismus, Konsum und Militär aufbaute, muß sich verlagern auf Inklusion, menschliche Grundbedürfnisse, eine neue Wirtschaft (denn der Kapitalismus hat nicht geliefert) und Gleichheit (er hat den Reichtum in den Händen weniger konzentriert, und viele Menschen sind sehr arm). Wir müssen uns mehr auf Konsum, Nachhaltigkeit und auch Gewaltlosigkeit konzentrieren.

Die Diskussion ausweiten

Daher ist meine Bitte an uns alle, daß wir dieses Gespräch weiterführen. Ich freue mich, daß der Papst sich für die Menschen einsetzt und zu Friedensgesprächen einlädt, aber es müssen sich noch viel mehr Menschen gegen diese Denkweise aussprechen, die nur nach Supermacht strebt, die sich nur auf geopolitische Gleichungen konzentrieren will. In einer hypervernetzten Welt haben Modelle eine andere Bedeutung. Digitale Bürger haben andere Rechte, Regeln, Verantwortlichkeiten und Pflichten. Und als digitaler Bürger halte ich es für meine Pflicht, uns darauf aufmerksam zu machen, daß wir unsere alte Denkweise ablegen und die Hyperkonnektivität als Potential für Frieden und Wohlstand für alle Menschen auf der Welt betrachten müssen. Aber das erfordert eine neue organisatorische Architektur, eine neue Denkweise.

Helga hat sich sehr bemüht, uns alle zusammenzubringen, aber ich glaube, unsere Stimmen werden nicht gehört. Ich habe Helga mehrmals gesagt, daß es gut ist, all diese Gespräche zu führen, aber wer hört uns zu? Die Leute wenden sich ab und machen ihr eigenes Ding. Der Papst hat Vorschläge, aber nicht viele Menschen sind bereit, sie anzunehmen.

Wie bringen wir das also in die öffentliche Diskussion? Wie können wir es so ausweiten, daß unsere Führungsriege in der Welt – sei es die G7 oder die G20 – sagt, wir sollen von diesem Weg abkommen und uns auf den Weg von Gewaltlosigkeit, Liebe, Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechten und Integration begeben?

Wir haben in den letzten 80 Jahren keine neuen Institutionen wie UNO, Weltbank oder IWF aufgebaut. Wir müssen Institutionen wieder aufbauen; wir müssen neue Institutionen schaffen. Dafür müssen wir mehr Mittel aufwenden, anstatt für Kriegsführung.

Und zum Schluß: Ich schließe mich Ihnen an, ich glaube an Sie und bin der Meinung, dass es für viele von uns an der Zeit ist, die Stimme zu erheben, um diesen blutigen Krieg zu beenden. Ich danke Ihnen.