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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Eine neue Form des antikolonialistischen Kampfes

Von S.E. Donald Ramotar

Donald Ramotar war Präsident von Guyana (2011-2015) und Mitglied des Parlaments (1992-2011). In der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. April hielt er den folgenden Vortrag. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Ich danke Ihnen sehr. Zunächst einmal möchte ich alle Teilnehmer grüßen.

Wir leben in sehr gefährlichen Zeiten. Unsere Welt erlebt viele Konflikte, von denen der ernsthafteste und gefährlichste die Situation in Europa und der russisch-ukrainische Konflikt ist. Wir sollten nicht vergessen, daß die beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts beide in Europa ihren Anfang nahmen.

Andererseits zeichnen sich auf der internationalen Bühne die Konturen eines tiefgreifenden Wandels ab. Die Kräfteverhältnisse ändern sich und geben Anlaß zur Hoffnung, daß eine bessere und gerechtere Welt entstehen kann. Wie bereits erwähnt, stellt der Ukraine-Konflikt eine große Gefahr für die Menschheit dar. Denn vier mit Atomwaffen ausgerüstete Länder sind an dieser Militäroperation beteiligt. Das Tragische daran ist, daß er vermeidbar gewesen wäre, wenn der Grundsatz der gleichen Sicherheit der Nationen in Bezug auf Rußland gewahrt und respektiert worden wäre.

Die Tatsache, daß sie andauert und eskaliert, liegt in der Natur des Imperialismus begründet. Das Streben der führenden imperialistischen Mächte nach totaler Vorherrschaft ist der Kern dieser Krise.

Der Hauptkampf in unserer heutigen Welt hat viele Ähnlichkeiten mit den antikolonialen Kämpfen des letzten Jahrhunderts. Die Form hat sich in vielerlei Hinsicht geändert; jetzt haben wir eine kollektive Kolonialmacht in Form der NATO-Staaten unter Führung der Vereinigten Staaten. Ihr Hauptziel ist es, den Rest der Welt ihrer Macht zu unterwerfen. Sie wollen die Ausbeutung der Mehrheit der Völker der Welt fortsetzen und die Massen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas arm und machtlos halten.

Der Krieg wurde Rußland aufgezwungen, weil der Imperialismus entschlossen ist, keinen Staat zu haben, der seine militärischen Kernkapazitäten herausfordern kann. Auch wenn Rußland heute selbst ein kapitalistischer Staat ist, ist seine Geschichte weiterhin ein Schreckgespenst für die kollektiven Kolonialisten. Die Angst vor Sozialismus und Kommunismus ist in den Köpfen der westlichen herrschenden Klasse noch immer präsent. Deshalb haben sie alle ihre Versprechen gegenüber Rußland in Bezug auf seine Sicherheit gebrochen. Das ist der Hauptgrund für ihre Ablehnung der russischen Freundschafts- und Kooperationsangebote, die in den 1990er Jahren und zu Beginn dieses Jahrhunderts gemacht wurden.

Es ist auch klar, daß die aggressivsten Elemente in der NATO-Allianz jeden Versuch, den Konflikt zu beenden, sabotiert haben. Statt dessen verschärfen sie die Gefahren, indem sie die Ukraine weiterhin mit den modernsten Waffen versorgen, um den Krieg in Gang zu halten. Die Hoffnung ist, Rußland zu erschöpfen. Der US-Imperialismus will sicherstellen, daß Rußland nie wieder seine Hegemonie in Frage stellen kann.

Dieser Konflikt dient auch als Vorwand für einen weiteren Aggressionsplan gegen die Sicherheit Rußlands. Ich spreche hier von Finnlands Beitritt zum NATO-Bündnis.

Die Propagandalinie, die der Westen verfolgt, lautet, Putin habe mit seiner Militäroperation in der Ukraine das Gegenteil von dem bekommen, was er erwartet hat. Das ist unzutreffend. Dieser seit langem bestehende Plan wurde vom finnischen Präsidenten selbst in seiner Beitrittsrede zur NATO offengelegt. Er erklärte, die NATO habe seit langem darauf hingewirkt, daß Finnland seinen Neutralitätsstatus aufgibt. Er sagte – ich zitiere: „Als Partner haben wir uns bereits seit langem an den Aktivitäten der NATO beteiligt.“ Er bestätigte weiter, daß die Beitrittszeremonie nur eine Formalität war, als er sagte: „Seit Jahren haben wir unsere NATO-Kompatibilität entwickelt.“

Dies ist ein Eingeständnis, daß es sich nicht um eine plötzliche Entscheidung handelt, sondern um eine, die von langer Hand geplant war und auf einen geeigneten Vorwand wartete, um sie auszuführen. Jetzt zu sagen, Rußland habe sich das selbst zuzuschreiben, obwohl es Finnland nie bedroht hat, ist eine faustdicke Lüge.

In diesem Jahr wird dieser Krieg nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Die NATO-Mächte hatten wirtschaftliche Sanktionen gegen Rußland vorbereitet, lange bevor überhaupt ein Schuß gefallen war. Erinnern Sie sich an die Arroganz der USA, als ihr Präsident ankündigte, daß Rußland mit der „Mutter aller Sanktionen“ konfrontiert werden würde und daß „der Rubel verschrottet werden würde“. In diesem Fall sah sich Rußland mit den wirtschaftlichen Angriffen der USA und ihrer NATO-Verbündeten konfrontiert. Diese Maßnahmen sind nicht wie geplant ausgefallen. Sie haben sich sogar als Bumerang erwiesen, aber darauf komme ich gleich zurück.

Die Situation im Rußland-Ukraine-Konflikt hat eine weitere Eigenschaft des Westens offenbart. Sie hat gezeigt, daß die Vereinigten Staaten wirklich nur Lippenbekenntnisse zu den globalen Umweltbedingungen ablegen. Ihre Gier und ihr Wunsch nach Vorherrschaft sind viel stärker als ihre Sorge um die globale Umwelt.

Wie sonst läßt sich die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines erklären? Dies war ein Sabotageakt gegen die gesamte Menschheit. Ungezählte Millionen Tonnen von Treibhausgasen wurden vorsätzlich in unsere Atmosphäre freigesetzt. Das Gerede über den Schutz unserer Umwelt, das aus den USA, Großbritannien, Dänemark und anderen Ländern kommt, klingt zu diesem Zeitpunkt besonders hohl. Dies war ein Angriff auf all diejenigen, die versuchen, die internationale Umweltzerstörung aufzuhalten.

Umrisse einer gerechteren Welt zeichnen sich ab

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die großen Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, herunterspielen zu wollen, gestatten Sie mir die Bemerkung, daß sich die Umrisse einer gerechteren und faireren Welt abzeichnen. Die massiven Wirtschaftssanktionen haben vielen Ländern vor Augen geführt, wie verletzlich sie sind und daß solche Maßnahmen gegen jedes Land verhängt werden können, das versucht, seine Souveränität zu behaupten.

Aus diesem Grund suchen viele Länder jetzt den Schulterschluß mit den BRICS. Damit wollen sie ihre eigene Wirtschaft schützen. Die Sanktionen gegen Rußland und andere Länder haben diese Länder gezwungen, nach Alternativen für den internationalen Handel und das internationale Finanzwesen zu suchen. Schon jetzt ist zu beobachten, daß der Yuan, die chinesische Währung, im Welthandel an Bedeutung gewinnt. China hat sich als zuverlässiger Partner für die Entwicklungsländer erwiesen. Es hat sich das Vertrauen großer Teile der Welt erworben. Die Möglichkeit, daß eine neue Handelswährung entsteht, scheint sehr groß zu sein.

Diese Entwicklungen werden sicherlich einen großen Beitrag zur Demokratisierung der internationalen Wirtschaft leisten. Sie sind eine große Hoffnung für die armen Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika. Ich glaube, daß die Versuche, die Spannungen im Nahen Osten zu lösen, darauf zurückzuführen sind, daß viele Länder zunehmend erkennen, wie anfällig sie für imperialistische Machenschaften sind. Dies ist eine höchst begrüßenswerte Entwicklung. Hoffentlich kann dies dazu beitragen, die demokratischen Kräfte in Israel zu stärken und den Tag näher zu bringen, an dem das palästinensische Volk mit den Worten von Martin Luther King, Jr. sagen kann: „Wir sind endlich frei.“

Die Rolle der internationalen Institutionen

Es gibt noch eine weitere wichtige Aufgabe, die vor uns liegt und für die wir die Solidarität unserer Völker brauchen. Es geht darum, die internationalen Institutionen zu schützen.

Seit dem Konflikt in der Ukraine haben wir gesehen, wie der Westen internationale Institutionen für seine eigenen Zwecke mißbraucht hat. Arme und weniger arme Länder wurden unter Druck gesetzt, in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Gremien in einer bestimmten Weise abzustimmen.

Dies hat ein lächerliches Ausmaß erreicht, als der Internationale Strafgerichtshof Anklage gegen den russischen Präsidenten erhob. Der angebliche Grund dafür ist die Verschleppung von Kindern aus einem Kriegsgebiet. Dies ist eine sehr gefährliche Provokation durch unsere internationalen Institutionen. In der gleichen Zeit wurde nichts gegen diejenigen unternommen, die in den Irak einmarschiert sind, die Muammar Qaddafi in Libyen ermordet haben, die dieses Land zerstört und die Greueltaten in Afghanistan begangen haben. Dennoch wurde niemand von diesen internationalen Gremien angeklagt oder auch nur getadelt.

Diese Handlungen dienen nur dazu, die internationalen Institutionen zu diskreditieren. Wir müssen die internationalen Gremien auffordern, unabhängig zu handeln und sich nicht dem Druck der Vereinigten Staaten und der NATO-Staaten zu beugen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg, der vor uns liegt, ist einerseits voller großer Versprechungen für eine bessere Zukunft, andererseits aber auch noch sehr gefährlich für die gesamte Menschheit. Die Demokratisierung der internationalen Wirtschaft, die gerade erst beginnt, wird kein reibungsloser Prozeß sein. Wir müssen damit rechnen, daß der Imperialismus dies nicht auf die leichte Schulter nehmen wird. Ich glaube, daß er seine Anstrengungen verdoppeln wird, um fortschrittliche Regierungen zu untergraben. Sie werden auf Regimewechsel zurückgreifen, wo sie können. Sie sind bereit, Länder zu unterwandern und die Schwächen von Staaten auszunutzen, die sich ihrem Diktat widersetzen.

Deshalb möchte ich vorschlagen, daß unsere erste Aufgabe darin besteht, zu versuchen, den gefährlichen Konflikten in Europa ein Ende zu setzen. Wir brauchen Frieden, um viele dieser Probleme zu lösen. Wir brauchen Frieden, um die sozioökonomischen und ökologischen Probleme zu lösen.

In dieser Hinsicht haben wir einige sehr wichtige Vorschläge auf dem Tisch, und wir müssen sie weltweit bekannt machen. Es handelt sich um Vorschläge des Papstes, der den Vatikan als Ort für Friedensverhandlungen angeboten hat. Wir haben den Friedensvorschlag der Volksrepublik China. Das sind sehr wichtige Vorschläge. Der Vorschlag des [brasilianischen] Präsidenten Lula und unser eigener Vorschlag der Zehn Prinzipien von Helga [Zepp-LaRouche], worin sie die Frage der menschlichen Entwicklung und des dauerhaften Friedens miteinander verbunden hat. Das muß noch mehr betont werden, denn ohne Entwicklung gibt es keinen dauerhaften Frieden.

Alle diese Prinzipien sind wichtig und haben gemeinsame Merkmale. Deshalb sollten wir sie immer wieder hervorheben und darauf drängen, daß Friedensgespräche jetzt beginnen. Dies wäre der erste Schritt zu einem dauerhaften Frieden in unserer Welt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.