Afghanistan als Opfer geopolitischer Kriege
Von Fatah Raufi
Fatah Raufi sprach in der Internetkonferenz als Vertreter der
afghanischen Exilgemeinde in den Niederlanden.
Sehr geehrte Damen und Herren, zunächst möchte ich Ihnen meinen Dank und
meine Anerkennung dafür aussprechen, daß Sie mir die Gelegenheit geben, meine
Erfahrungen als Opfer mehrerer Invasionen und Kriege, die aus sehr engen
geopolitischen Gründen geführt wurden, mit Ihnen zu teilen.
Meine Damen und Herren, ich vertrete eine Nation, die in der jüngeren
Geschichte mehrfach Opfer von Invasionen und Kriegen wurde, die nicht für hohe
Werte der Menschheit, sondern für sehr enge geopolitische Interessen geführt
wurden. Alle diese Invasionen und Kriege, denen die Afghanen aus welchen
Gründen auch immer ausgesetzt waren, haben das Leben des gesamten afghanischen
Volkes und sogar das Leben derjenigen, die diese Invasionen und Kriege
unterstützten, in eine Katastrophe gestürzt.
Das afghanische Volk leidet unter diesen Invasionen, denn sie zerstörten
seine Dörfer und Städte, seine gesamte Infrastruktur für die
Nahrungsmittelproduktion, wie landwirtschaftliche Betriebe und
Bewässerungsanlagen, Schulen und Universitäten, Fabriken, Straßen und Brücken,
die von einem Volk gebaut wurden, das zu den ärmsten der Welt gehört.
Diese Kriege haben Millionen Afghanen getötet, dauerhaft körperlich
geschädigt oder verwundet, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort
waren und nicht das Glück hatten, zu entkommen.
Diese Kriege zwangen Millionen von Afghanen, ihre Heimat zu verlassen, um
irgendwo außerhalb ihrer Dörfer oder sogar außerhalb ihres Heimatlandes
Nahrung und Unterkunft zu finden.
Auch die letzte NATO-Invasion und der Krieg, der von fast 50 Ländern der
„zivilisierten Welt“ gegen die armen Afghanen geführt wurde, haben dem
afghanischen Volk enorme Verluste, Schmerzen, Kummer und Leid zugefügt, die
mit Worten nicht zu beschreiben sind.
Nach dem Abzug der NATO aus Afghanistan hat das afghanische Volk nun mit
großen Problemen zu kämpfen:
- Mangel an ausreichenden Nahrungsmitteln, da die Einrichtungen zur
Nahrungsmittelproduktion vorsätzlich zerstört wurden.
- Unzureichende Gesundheitsversorgung, weil Fachkräfte des
Gesundheitswesens getötet wurden oder das Land verlassen haben.
- Mangel an ausreichender Bildung, da Schulen und Universitäten während
des Krieges angegriffen wurden, Lehrer und Dozenten getötet wurden oder das
Land verlassen haben.
- Arbeitslosigkeit, weil die von der „zivilisierten Welt“ verhängten
Sanktionen die gesamte Wirtschaft des Landes zerstörten.
- Drogensucht, weil der Drogenhandel während der Jahre der Invasion
florierte.
- Flüchtlingskrise, weil es in Afghanistan keine Hoffnung für die
Zukunft gibt.
- Armut, weil das Land durch die wiederholten Invasionen keine Chance
hat, seine Wirtschaft wieder aufzubauen und die Armut zu beseitigen.
Wenn wir aus den genannten Problemen nur das Problem der Drogenabhängigkeit
herausnehmen, dann sprechen wir von vier Millionen Menschen, die
drogenabhängig sind – das sind ca. 10% der Bevölkerung Afghanistans, eine
enorme Zahl. Unter diesen Süchtigen sind hochgebildete Menschen, deren
Fachwissen jetzt für den Wiederaufbau des Landes dringend benötigt würde.
Warum wurden diese Menschen drogenabhängig? Weil sie jede Hoffnung auf
Frieden, Sicherheit und eine Zukunft in absehbarer Zeit verloren haben.
Während der NATO-Invasion lag die Vergabe aller Arbeitsplätze in den Händen
hochgradig korrupter Leute, die für eine freie Stelle riesige Geldbeträge
verlangten, Tausende von Dollar. Aber diese Menschen waren nicht in der Lage,
eine solche Summe zu zahlen, um die Stelle zu bekommen.
Im strengen Winter dieses Jahres drohte diesen Menschen definitiv der Tod,
weil die Temperatur in einigen Teilen Afghanistans auf minus 33 Grad Celsius
sank. Aber zuletzt hat die Regierung Unterkünfte für sie gefunden und alle
diese vier Millionen Abhängigen unter Schutz und medizinische Versorgung
gestellt. Es handelt sich um eine riesige Operation mit sehr geringen
finanziellen Mitteln. Das ist kein Problem der „zivilisierten Welt“, sondern
ein Problem einer armen Nation, die unter den Sanktionen der „zivilisierten“
Welt steht.
Das andere große Problem Afghanistans ist die Armut; der Hauptgrund für die
Armut in Afghanistan sind die aufeinanderfolgenden ausländischen Invasionen
und die verheerenden Kriege, zu denen es als Folge der Invasionen kam. Man
gibt dem Land keine Chance, sich von den Invasionen und Kriegen zu erholen und
seine Wirtschaft wieder aufzubauen, um die Armut zu beseitigen. Indem man das
gesamte afghanische Volk zur Armut verurteilt, werden die Menschenrechte des
gesamten Volkes mißachtet – von Männern und Frauen, von Jungen und Alten, von
Kindern und Erwachsenen – sogar die Rechte derjenigen, die Afghanistan
verlassen haben und Tag und Nacht an die Zukunft ihrer zurückgelassenen
Angehörigen denken.
Meine Damen und Herren, kein Krieg ist ein guter Krieg. Alle Kriege
verursachen großes Leid für die Menschheit und verletzen ihre Würde. Deshalb
sollte alles getan werden, um Invasionen und Kriege grundsätzlich zu
verhindern. Es ist an der Zeit, friedliche Mittel zur Überwindung von
Differenzen zu finden. An die Stelle von Invasionen und Kriegen sollten
gegenseitiger Respekt, Austausch und gemeinsame kulturelle Werte treten.
Meiner Meinung nach hat unser Planet das Potential, die gesamte Menschheit
zu ernähren und allen ein glückliches Leben zu ermöglichen. Hören wir also
auf, Invasionen und Kriege zu führen, sondern fangen an, zu kooperieren, um
die gesamte Menschheit zu ernähren und ihr ein glückliches Leben zu
ermöglichen. Nur so werden wir die Achtung der Menschenrechte sicherstellen,
die für die ganze Menschheit ohne Ausnahmen gelten.
Vielen Dank, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, den Schmerz, den
Kummer und das Leid eines Volkes zum Ausdruck zu bringen, das Opfer von
Invasionen und Kriegen wurde, die nicht für gemeinsame Werte, sondern für sehr
enge geopolitische Interessen geführt wurden. Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
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