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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

„Rußland wird den Zeitplan diktieren“

Von Scott Ritter

Scott Ritter ist ehemaliger UN-Waffeninspektor und ehemaliger Offizier der US-Marines. In seinem Beitrag bezog er sich auf die Kampagne Helga Zepp-LaRouches und des Schiller-Instituts für sofortige Verhandlungen im Vatikan über einen Frieden in der Ukraine.

Ich danke Ihnen sehr für die Einladung. Ich danke Ihnen, Helga, für Ihre inspirierenden einleitenden Worte.

In einer perfekten Welt wäre ein solches Ergebnis, wie Helga es anstrebt, nicht nur möglich, sondern sogar wünschenswert. Aber wir leben nicht in einer perfekten Welt, und ich bin in einer Position, in der ich das Vertrauen in den Westen, sich als verantwortungsvoller Partner für den Frieden zu verhalten, verloren habe.

Es ist nicht nur ein Mangel an Vertrauen in die Regierungsinstitutionen, sondern offen gesagt habe ich auch das Vertrauen in die Menschen im Westen verloren. Sie sind so eingenommen von ihrem konsumorientierten Lebensstil, daß sie praktisch jede Sünde verzeihen, die ihre Regierungen begehen, einschließlich der Sünde der Lüge, des Betrugs nicht nur an anderen, sondern an den eigenen Leuten. Solange die Regierung für niedrige Energiepreise, erschwingliche Lebensmittel und ein Mindestmaß an Bequemlichkeit sorgt, wird ihr alles verziehen.

Das sehen wir auch an der Haltung des Westens gegenüber Rußland, wo jede Lüge, jede Verdrehung der Wahrheit für bare Münze genommen wird und jeder Vertrauensbruch als ganz etwas ganz Normales akzeptiert wird. Die Russen werden verteufelt, so weit, daß ein Volk von mehr als 158 Millionen Menschen auf eine einzige Person – Wladimir Putin – reduziert wird, von dem der Westen zudem nicht einmal weiß, wie er ihn richtig definieren soll. Der Westen ist unfähig, Putin in einen angemessenen historischen Kontext zu stellen; er ist unfähig, ihn als Produkt der modernen russischen Gesellschaft zu würdigen; und so ist er auch unfähig, sich ihm gegenüber verantwortungsvoll zu verhalten, wenn es darum geht, die Probleme zu lösen, mit denen wir heute in der Welt konfrontiert sind.

Nur Angela Merkel kann die Frage beantworten, ob sie heute eine Lügnerin ist oder ob sie schon immer eine Lügnerin war. Aber so oder so ist sie eine Lügnerin. Es gibt einen Grundsatz in der amerikanischen Rechtsprechung: einmal gelogen, immer gelogen. Nachdem sie sich einmal als Lügnerin erwiesen hat, kann man ihr nicht mehr trauen. Das gleiche gilt für die Franzosen, für die Vereinigten Staaten, für den gesamten Westen.

Wir verlangen von Rußland, daß es mit Lügnern verhandelt, daß es seine nationalen Sicherheitsinteressen aufs Spiel setzt in der Hoffnung, daß die Lügner nicht mehr lügen. Das ist aus russischer Sicht ein unverantwortlicher und unrealistischer Vorschlag.

Ich weiß, daß wir im Westen das gerne hätten, aber wir sagen damit: „Wir haben versagt, und nun sind wir völlig auf den guten Willen der Russen angewiesen, um wenigstens noch etwas zu retten.“ Daß die Russen sich an den Verhandlungstisch setzen und alles verzeihen und guten Willen unterstellen – ich glaube nicht, daß Rußland das tun kann, und ich glaube auch nicht, daß Rußland dazu bereit ist.

Ich glaube sogar, daß Rußland genau in die entgegengesetzte Richtung geht. Weil man dem Westen in seiner jetzigen Form nicht trauen kann, geht Rußlands Politik einen Weg, der dem entspricht, was hochrangige westliche Vertreter, u.a. der NATO-Generalsekretär, gesagt haben, nämlich, daß die Situation in der Ukraine auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Rußland denkt genauso: Die Situation wird auf dem Schlachtfeld entschieden.

Das Beste, worauf der Westen hoffen kann, ist meiner Ansicht nach, daß Rußland ein Treffen einberuft, das an das Treffen im September 1945 in der Bucht von Tokio erinnern wird – das Treffen an Deck des Schlachtschiffs Missouri, wo dem besiegten japanischen Feind die Möglichkeit gegeben wurde, Dokumente der bedingungslosen Kapitulation zu unterzeichnen – oder zu sterben. So wird Rußland der Ukraine die Möglichkeit geben, Dokumente der bedingungslosen Kapitulation zu unterzeichnen oder zu sterben. Das Beste, worauf der Westen hoffen kann, ist ein frühzeitiges Eingreifen, bei dem Rußland davon überzeugt werden kann, daß es in seinem besten Interesse liegt, diese Bedingungen eher früher als später anzubieten.

Aber auch das wird nach einem von Rußland diktierten Zeitplan geschehen. Was wird der Punkt sein, der Einschnitt, an dem Rußland bereit ist, den Weg zum militärischen Sieg zu unterbrechen und die Möglichkeit einer bedingungslosen Kapitulation anzubieten? Nur Rußland kann diese Entscheidung treffen; der Westen hat keine Stimme mehr. Der Westen verdient keine Stimme mehr, der Westen sollte keine Stimme mehr haben, der Westen zählt nicht mehr! Die einzige Partei, die heute zählt, wenn es um die Lösung des Ukraine-Konflikts geht, ist Rußland.

Deshalb denke ich, daß wir verpflichtet sind, mit den Russen zusammenzuarbeiten, um ihnen zu signalisieren, daß wir Vertrauen in ihre Menschlichkeit haben, Vertrauen in ihre Reife als Nation. Wir vertrauen auf die Reife ihrer Führung, daß sie es nicht übertreiben wird, daß sie das Notwendige tun wird, um Frieden und Sicherheit zu russischen Bedingungen zu gewährleisten.

Und wir sollten dabei nicht vergessen, daß die russischen Bedingungen keine Bedingungen sind, mit denen der Westen nicht leben kann. Rußland hat seine Bedingungen schon definiert. Seit dem 17. Dezember 2021 hat es zwei Vertragsentwürfe vorgelegt – einen für die NATO und einen für die Vereinigten Staaten –, in denen es sehr detailliert die Bedingungen darlegt, unter denen Rußland und der Westen einen neuen europäischen Sicherheitsrahmen definieren sollen. Ein Vertrag, der keine Auflösung der NATO und keine Kapitulation des Westens voraussetzt. Der Rahmen verpflichtet den Westen lediglich dazu, Rußlands legitime nationale Sicherheitsinteressen zu respektieren, so wie Rußland die legitimen nationalen Sicherheitsinteressen des Westens respektieren würde.

Ich glaube, wenn der Westen Rußland signalisiert, daß solche Bedingungen in einem Umfeld nach dem Ukraine-Konflikt akzeptabel wären, dann ist das die Grundlage für künftige Verhandlungen.

Ich sage nicht, daß der Gedanke an eine Intervention des Vatikans falsch ist, das vergesse ich nicht. Ich sage nur, daß der Zeitpunkt nicht der richtige ist. Vielleicht kann der Vatikan der neutrale Ort sein, an dem ein neuer europäischer Sicherheitsrahmen zwischen einem siegreichen Rußland und einem besiegten Westen ausgehandelt werden kann.

Aber im gegenwärtigen Stadium wird es keine Chance für eine Intervention geben, solange dieses Krebsgeschwür, das die Ukraine geworden ist – das Krebsgeschwür, das vom Westen geschaffen, bewaffnet und motiviert wurde – nicht ausgemerzt und für immer aus der menschlichen Gesellschaft entfernt worden ist. Und das kann nur Rußland tun. Eine Verhandlungslösung wird es nicht geben.

Ich denke, das ist eine realistische Einschätzung der Lage. Ich befürchte auch, daß jeder Versuch, Rußland zu einer Verhandlungslösung zu zwingen, nach hinten losgehen und nur eine härtere Reaktion Rußlands nach sich ziehen würde. Jeder Versuch des Westens, Rußland mit Waffengewalt zu etwas zu zwingen, würde zu einer Eskalation führen, die sehr wohl in einem allgemeinen Atomkrieg enden könnte.

Daher halte ich Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt sogar für die denkbar schlechteste Vorgehensweise. Das Beste, worauf man hoffen kann, ist, den Westen dazu zu bringen, die Bewaffnung der Ukraine einzustellen; den Westen dazu zu bringen, die Vorstellung eines möglichen ukrainischen Sieges aufzugeben; den Westen dazu zu bringen, zu akzeptieren, daß man den Schaden, der dem ukrainischen Volk und der ukrainischen Nation schon zugefügt wurde, möglichst klein hält, indem man sich in die Unvermeidlichkeit eines russischen Sieges fügt und hofft, daß Rußland vor der totalen Zerstörung des ukrainischen Staates Halt macht.

Ich danke Ihnen sehr. Ich danke Ihnen für die Einladung und wünsche Ihnen eine sehr erfolgreiche Konferenz.