Streicht die Schulden für eine Renaissance Afrikas!
Von Diogène Senny,
Generalsekretär der Panafrikanischen Liga UMOJA
Liebe Redner, liebe Teilnehmer, liebe Gäste, im Namen unserer Organisation
danke ich dem Schiller-Institut für die Einladung, aus dem Kongo an diesem
Moment der Reflexion und des Austauschs teilzunehmen. Ich möchte auch allen
Rednern für die Qualität ihrer Beiträge danken, bevor ich das Wort
ergreife.
Unser Beitrag trägt den Titel „Alternativen zu anrüchigen und illegitimen
afrikanischen Schulden“. Nach einer kurzen historischen Erinnerung an die
Ursprünge der verhängnisvollen Schulden, die das Schicksal der afrikanischen
Völker plagen, werden wir dann die richtig-falschen Lösungen der
internationalen Mächte betrachten, um schließlich zu den Alternativen zu den
anrüchigen und illegitimen Schulden zu kommen.
Kurze historische Erinnerung an die Ursprünge der Verschuldung
Die afrikanischen Schulden haben ihren Ursprung in den Mechanismen der
Herrschaft und Ausbeutung, die im wesentlichen von den ehemaligen
Kolonialmächten unter Komplizenschaft einer afrikanischen Minderheitselite
entwickelt wurden.
Tatsächlich standen die ehemaligen Kolonialmächte an der Wende zur
afrikanischen Unabhängigkeit in den 1960er Jahren vor zwei großen
Herausforderungen – die Kontrolle über die ehemaligen Kolonien zu behalten,
indem sie den Aufstieg patriotischer panafrikanischer Persönlichkeiten mit
allen Mitteln verhinderten, und gleichzeitig mit Unterstützung der Vereinigten
Staaten zu verhindern, daß die Sowjetunion Verbündete in Afrika hat und somit
Zugang zu Mineralien und anderen strategischen Ressourcen erhält.
Nachdem trotz einiger Ausnahmen nominell mit dem Osten verbündeter Länder
diese beiden Herausforderungen gemeistert waren – u.a. mit der
symbolträchtigen Ermordung von Patrice Lumumba 1961 und seiner Ersetzung durch
Joseph-Désiré Mobutu –, waren die Bedingungen für die massive und anrüchige
Verschuldung Afrikas erfüllt. Und wie jeder weiß, verfügte der Westen dank
dreier historischer Phänomene über enorme finanzielle Mittel, um seine
Übernahme Afrikas zu erreichen:
- Die Privatbanken und das Eurodollar-Phänomen –
gekennzeichnet durch ein massives Abwälzen amerikanischer Dollarkredite,
die nach dem Marshallplan in die Vereinigten Staaten hätten zurücklaufen
müssen, auf Afrika, begünstigt durch selbstgefällige, gleichgeschaltete und
habgierige Regime, zum Nachteil ihrer Bevölkerung.
- Der Ölschock von 1973 und das Phänomen der Petrodollars –
gekennzeichnet durch eine plötzliche Vervierfachung der Ölpreise, deren
Einnahmen in westlichen Banken deponiert wurden. So kamen zu den Eurodollars
noch die Öldollars hinzu, die nach Afrika fließen, natürlich mit der
Komplizenschaft der selbstgefälligen und habgierigen afrikanischen Regime.
- Die bilaterale Verschuldung und das Phänomen der gebundenen
Entwicklungshilfe – hierbei handelt es sich um eine Art indirekte
Subventionierung großer westlicher Unternehmen, deren Gewinne von der
afrikanischen Bevölkerung bezahlt werden. Es ging darum, Absatzmärkte für
Waren zu finden, die im Westen aufgrund des Kaufkraftverlustes am Ende der „30
Glorreichen Jahre“ [der Nachkriegsjahrzehnte] keine Abnehmer mehr fanden.
Nach den nominellen Unabhängigkeiten wurde die „schlüsselfertige
Entwicklung“, die der Westen Afrika auferlegte, begleitet, gefördert und
gestaltet von Horden von Söldnern, die man „technische Helfer“ nannte. Diese
hervorragend bezahlten „technischen Attentäter“ besetzten die afrikanischen
Präsidentschaften und Kabinette wie Entwicklungs-Zauberer. Angesichts des
Zustands Afrikas spricht ihr massives Versagen, wie jedermann sieht, für sich
selbst. Wir ersparen Ihnen die Litanei all der richtig-falschen Lösungen in
den 60 Jahren seit der Unabhängigkeit und wollen stellvertretend nur zwei
davon aus den letzten beiden Jahrzehnten nennen:
- Die Chirac-Steuer auf Flugtickets. Worum geht es dabei? Im
Kampf gegen AIDS, Malaria und Tuberkulose – drei Pandemien, denen weltweit und
besonders in Afrika Millionen zum Opfer fallen – griff Jacques Chirac 2006 in
Begleitung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan einen Vorschlag der
französischen „Vereinigung für die Besteuerung von Finanztransaktionen und
Bürgeraktionen“ (ATTAC) auf, jedes Flugticket zwischen 1 und 40 Euro zu
besteuern. Dieser Beitrag sollte 200 Millionen Euro pro Jahr einbringen. Es
genügt ein Blick auf die Tragödien, die diese drei Pandemien 2023, also 17
Jahre später, verursachen sollten, um den offensichtlichen Mißerfolg dieser
Maßnahme zu erkennen.
- Öffentlich-private Partnerschaften: Im Mai 2021 versammelte
Emmanuel Macron 21 afrikanische Staatschefs und Leiter der wichtigsten
internationalen Finanz- und Handelsorganisationen, um auf den Schock zu
reagieren, den COVID-19 für die afrikanischen Volkswirtschaften bedeutete. Der
französische Präsident kündigte eine Art „afrikanischen New Deal“ an. Eines
der Mittel der Wahl für diese Initiative sind Öffentlich-Private
Partnerschaften, also Vereinbarungen, mit denen die Finanzierung und
Verwaltung öffentlicher Dienstleistungen privaten Anbietern anvertraut
wird.
Obwohl man diese in Europa für minderwertig erklärt – so der Europäische
Rechnungshof, der darin „keine wirtschaftlich tragfähige Option für die
Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur“ sieht, und der Rechnungshof in
Frankreich, der die Kosten und „finanzielle Untragbarkeit“ kritisierte,
weshalb Emmanuel Macrons Regierung sie aufgab –, werden ÖPPs in afrikanischen
Ländern weiter massiv gefördert, auch von Frankreich über die Französische
Entwicklungsagentur (AFD).
Warum wird etwas, was man in Europa und Frankreich für minderwertig
erklärt, in Afrika gefördert, wo die Regierungen ganze Ministerien für diese
berühmten Öffentlich-Privaten Partnerschaften schaffen?
Alternativen zu den anrüchigen und illegitimen Schulden
So paradox es auch erscheinen mag, die Frage der Schulden und damit der
Entwicklung ist in erster Linie eine grundsätzlich politische Frage. Wir
werden hier nicht alle Alternativen zu den anrüchigen und illegitimen Schulden
aufzählen, aber wir wollen einige Beispiele nennen, wenn auch nur für das
frankophone Afrika und speziell die Länder der Franc-Zone:
- Schluß mit der Unterstützung von Diktaturen: Wie wir gerade
angedeutet haben, ist die Frage der Verschuldung in der Tat eine grundsätzlich
politische Frage. Diktatorische politische Regime, die alles andere als
aufgeklärt sind, erhalten ihre Macht, indem sie den Reichtum des Landes
veräußern und so der öffentlichen Politik eine ausreichende Finanzierung
vorenthalten. Als Folge davon wird der Rückgriff auf illegitime Schulden, ohne
Kontrolle durch demokratische Institutionen, zur Regel.
- Kampf gegen Steuerparadiese: In den Enthüllungen der Panamas
Papers, die im Mai 2018 von der investigativen Webseite Mondafrique
veröffentlicht wurden, tauchen allein sechs Kongolesen auf (fünf
Mitglieder des Politbüros und Zentralkomitees der Kongolesischen
Arbeiterpartei und ein Mitarbeiter des Staatschefs), die auf Offshore-Konten
rund 5500 Milliarden CFA-Francs [ca. 8,4 Mrd.€] halten, das entspricht 68% der
8130 Milliarden Schulden des Kongo und 79% des BIP zum 31. Dezember 2021. Und
man sollte erwähnen, daß das noch nicht das gesamte Vermögen ist, das diese
kongolesischen Persönlichkeiten angehäuft haben.
- Rückgabe der Währungssouveränität: Es ist angebracht, den
ehemaligen französischen Kolonien die Währungssouveränität zurückzugeben,
indem der CFA-Franc abgeschafft wird. Die angebliche „Abschaffung“ des
CFA-Franc (nur für die acht Mitgliedstaaten der Westafrikanischen Wirtschafts-
und Währungsunion UEMOA), die von Frankreichs Nationalversammlung und Senat im
Januar 2021 beschlossen wurde, hat die afrikanische Öffentlichkeit nicht
überzeugt.
Darüber hinaus wurde mit der Umbenennung in ECO versucht, die Bevölkerung
glauben zu machen, die beiden von den Afrikanern am meisten angeprangerten
Bestimmungen seien abgeschafft – nämlich die französische Vertretung in den
Entscheidungsgremien und dem Betriebskonto –, doch auch das nicht
überzeugend.
Zusammengefaßt: Es gibt zahlreiche Alternativen zu den böswilligen
und illegitimen Schulden. Wir hätten auch über Bürgerbeteiligung (Citizen
Audit) sprechen können, ein Instrument der staatlichen Souveränität. So
oder so werden im gegenwärtigen, von Souveränitätsansprüchen geprägten Kontext
zweifellos alle Aspekte der Souveränität der afrikanischen Völker betroffen
sein, die Schulden eingeschlossen. Schließlich sind die afrikanischen Schulden
eine eminent politische Frage!
Ich danke Ihnen.
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