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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Ein Notprogramm zur Rettung Argentiniens,
des jüngsten Mitglieds der BRICS

Von Dennis Small,
Schiller-Institut

Manchmal schreitet die Geschichte viel schneller voran, als die Menschen erwarten – auch die Menschen, die selbst die Hauptakteure in der Entwicklung dieser Geschichte sind. Und manchmal geht es schneller, als die Menschen es sich wünschen. Die Geschehnisse auf dem BRICS-Gipfel zeigen, wie sich die Entwicklungen auf strategischer Ebene in einer Weise beschleunigen, die von den meisten Menschen nicht vorhergesehen wurde.

Jetzt haben wir eine Entwicklung, bei der in weniger als zwei Monaten nach Abschluß dieses Gipfels die Existenz der BRICS und die Zukunft des Globalen Südens und der globalen Mehrheit bei den Wahlen in Argentinien, den Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober, tatsächlich in Frage gestellt wird.

Der Grund dafür ist folgender: Es gibt drei Kandidaten, die [bei den Vorwahlen] jeweils etwa ein Drittel der Stimmen erhalten haben. Zwei der drei – ich spreche von Javier Milei und Patricia Bullrich – sprechen sich beide offen dafür aus, daß Argentinien aus den BRICS austritt, noch bevor es am 1. Januar 2024 formell beitreten soll. Der dritte Kandidat, Sergio Massa, der auch Wirtschaftsminister der derzeitigen Regierung ist, würde ungeachtet seiner sonstigen Unzulänglichkeiten wenigstens in den BRICS bleiben.

Der IWF, die internationalen Banken, die Londoner City und die Wall Street haben mit ihren Wirtschaftskillern einen Finanzkrieg vom Zaun gebrochen, um Argentinien zu ruinieren und tun dazu verschiedene Dinge. Um es für jeden, der mit der amtierenden Regierung verbunden ist, unmöglich zu machen, die Wahlen zu gewinnen, haben sie eine hohe Inflation, extrem hohe Zinssätze – 120% –, massive Kapitalflucht und enorme Armut in der Bevölkerung verursacht.

Ihre Absicht ist es, an Argentinien ein blutiges Exempel zu statuieren. Erstens soll das Land geschwächt werden, damit es nicht den BRICS beitritt. Das würde dann auch eine Flanke gegen seinen Nachbarn Brasilien öffnen, eines der fünf Gründungsmitglieder der BRICS. Und es soll ein blutiges Exempel für die ganze Welt sein, um alle die 30 weiteren Länder, die derzeit über einen Beitritt zu den BRICS nachdenken, zu warnen: „Wenn ihr versucht, unser bankrottes System zu verlassen oder mit ihm zu brechen, werden wir euch von der Landkarte tilgen.“

Es ist an der Zeit, ein neues System zu schaffen

Daher wird der Kampf um Argentinien schnell zum Kampf um die BRICS. Sie haben gerade die Rede von Lyndon LaRouche gehört, die er 2002 in Saltillo in Mexiko gehalten hat, und er hat darin darauf hingewiesen, daß es jetzt an der Zeit sei, dieses System zu ändern, Und er hatte recht.

20 Jahre zuvor, am 1. Oktober 1982, hatte der damalige mexikanische Präsident José López Portillo vor der UN-Vollversammlung gesprochen und erklärt, es sei der rechte Ort und die rechte Zeit, um das Abgleiten in ein neues mittelalterliches finsteres Zeitalter zu stoppen und es durch ein neues Paradigma abzulösen. Sie hatten beide recht!

Lyndon LaRouche hat immer wieder betont, daß in einer Krise der Schlüssel zum Sieg darin liegt, genügend Menschen zu gewinnen, die wirklich denken und Politik planen können, damit sie die erforderlichen Konzepte verinnerlicht haben, wenn der sprichwörtliche Tropfen das Faß zum Überlaufen bringt, so wie es jetzt der Fall ist. LaRouche hat das 1982 in seinem Meisterwerk Conceptual Outlines of Modern Economic Science („Konzeptioneller Grundriß der modernen Wirtschaftswissenschaft“) mit großer Klarheit erklärt. Hier ist ein Auszug aus dieser Erklärung:

    „Jede dieser Krisen stellt eine Art Verzweigungspunkt in der Geschichte dar. An solchen Punkten müssen sich die Völker entscheiden, ob sie in den Ruin getrieben werden wollen, indem sie sich weigern, frühere Tendenzen in der Politik radikal zu ändern, oder ob sie durch geeignete Veränderungen in der Politik und in den Institutionen bewirken wollen, daß es mit der Menschheit wieder aufwärts geht...

    Es waren immer nur eine relative Handvoll, die diese Hingabe für ein höheres, weitreichendes Ziel aufbrachte und so für ihr Volk im allgemeinen die Führungsqualitäten boten, die die Menschen brauchten... Wenn ich dabei helfen kann, eine solche Führung innerhalb der Entwicklungsländer zu stärken..., können wir alle, die wir gleichzeitig Patrioten und Weltbürger sind, als eine Prinzipiengemeinschaft zusammenarbeiten, um dabei zu helfen, unsere jeweiligen Nationen für gemeinsame Anstrengungen zu vereinen.“

Der Zusammenbruch des gesamten transatlantischen Finanzsystems in Verbindung mit dem BRICS-Gipfel, der das Tempo der Entwicklungen radikal verschoben hat, hat also Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte von Entwicklungen in einen sehr kurzen Zeitraum zusammengeschoben. Deshalb sage ich: „Die Zeit ist jetzt!“

Die Bilanz des BRICS-Treffens

Lassen wir die Argentinien-Frage einen Moment beiseite und wenden uns einem anderen Kampf zu, der im Gange ist und im Zusammenhang mit den Entwicklungen auf dem BRICS-Treffen steht. Denn wenn man eine Bilanz der Ereignisse auf dem BRICS-Treffen zieht, dann sieht man folgendes:

    Erstens: Der Handel in nationalen Währungen – die Entdollarisierung – schreitet sehr schnell voran. Das breitet sich weltweit aus, und es gibt praktisch keine Möglichkeit, es zu stoppen. Wir haben eine Situation, die von Rußlands führendem Wirtschaftswissenschaftler, Sergej Glasjew, kürzlich folgendermaßen beschrieben wurde: „Der Übergang zu den nationalen Währungen mußte schwindelerregend schnell erfolgen, aber an sich ist der Übergang zu Abrechnungen in nationalen Währungen nur ein kleines Element der Wirtschaftstätigkeit und der wirtschaftlichen Sicherheit.“

Da hat er recht.

    Zweitens: Aus den BRICS-5 wurden bei diesem Treffen die BRICS-11: 47% der Weltbevölkerung, was ziemlich wichtig ist; 36% des BIP (ein völlig bedeutungsloses Maß für die reale Wirtschaftstätigkeit, aber wie dem auch sei); 80% der weltweiten Ölvorkommen werden jetzt von den BRICS-11 kontrolliert, dazu etwa 72% aller Seltenen Erden.

    Eine dritte Entwicklung: Die Neue Entwicklungsbank (NDB) der BRICS-Staaten hat damit begonnen, in erheblichem Umfang Kredite an BRICS-Mitgliedsländer für Infrastrukturprojekte in deren Landeswährung zu vergeben, und sie haben auch angekündigt, daß sie den Prozeß, Kapital außerhalb des Dollar-Markts aufzunehmen, fortsetzen und ausweiten werden.

Das ist äußerst wichtig, denn der Dollarmarkt ist ein Koloß von zwei Billiarden Dollar an Spekulationsgeschäften und ein Krebsgeschwür, das bisher die Funktionsfähigkeit der Neuen Entwicklungsbank behindert. Jetzt haben sie damit begonnen, Anleihen aufzulegen, um sich Kapital in China in Renminbi und in Südafrika in Rand zu besorgen. Demnächst werden sie dies auch in Indien in Rupien und in Brasilien in Reals tun. Sie müssen ihre Kreditvergabe um mindestens das Hundertfache erhöhen, um den Bedarf an umfangreichen Infrastrukturinvestitionen in der nächsten Zeit zu decken.

Dies sind also einige der Fortschritte, die bereits erzielt wurden. Aber was ist mit einer neuen Währung? Diese Frage ist wiederholt in den Medien aufgetaucht, aber die meisten bringen nur sehr wenig Licht in diese Angelegenheit. Die Frage ist: Wird es fünf oder zehn Jahre dauern, sie zu entwickeln und alle technischen Einzelheiten auszuarbeiten, bis man vielleicht zu einer Einigung kommt? Nein, dafür haben wir keine Zeit, und es wird auch nicht so lange dauern.

Was Argentinien jetzt tun muß

Mit all diesen Überlegungen und LaRouches Konzepten zum Verständnis der Krise und der notwendigen Maßnahmen im Hinterkopf wollen wir nun kurz auf Argentinien und das Notfallprogramm des Schiller-Instituts zu dieser Situation zurückkommen. Argentinien ist das jüngste Mitglied der BRICS.

Zunächst müssen eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, um den Aderlaß zu stoppen. Das muß einfach gestoppt werden, das Wohl der Menschen steht an erster Stelle.

    Erstens muß man ein Moratorium auf die Zahlungen der Auslandsschulden verkünden; es geht um Hunderte von Milliarden Dollar. Allein 46 Milliarden Dollar sind Schulden beim IWF; Argentinien ist der größte Schuldner des IWF. Argentinien hat längst ein Vielfaches seiner Schulden bezahlt, und es gibt keinen Grund, kein Schuldenmoratorium zu verhängen. Man darf sich nicht weiter ausplündern lassen.

    Zweitens muß die Kapitalflucht durch Kapital- und Devisenkontrollen gestoppt werden, im Falle Argentiniens auch durch sehr strenge Exportkontrollen, so daß alle Exporteinnahmen nach Argentinien zurückfließen und nicht Kapitalflucht und Spekulationen im Ausland dienen.

    Drittens muß ein festes Paritätsverhältnis zwischen dem argentinischen Peso und dem US-Dollar hergestellt werden, so daß der Peso nicht ständig durch Marktspekulationen abgewertet wird. Die Regierung kontrolliert dann genau, wieviel Geld von Pesos in Dollar für erlaubte Verwendungszwecke der Währung umgetauscht wird, nicht für spekulative Zwecke. Das ist der erste Bereich.

Der zweite Bereich ist die Ausgabe produktiver Kredite, die dringend benötigt werden, um die Menschen aus der Armut zu holen und die Wirtschaft zu entwickeln. Zunächst müssen staatliche Notfonds ausgegeben werden, wie es Massa als Wirtschaftsminister zu tun versucht. Dazu gehören Zinssenkungen, Zinssubventionen und so weiter. Das ist in Ordnung, das ist ein erster Schritt. Aber das Problem ist, daß das, was die Regierung heute am Montag ausgibt, am Dienstag durch Kapitalflucht und Spekulation gestohlen wird. Das bekommt man mit der erwähnten ersten Gruppe von Maßnahmen in den Griff.

Die zweite Maßnahme zur Bereitstellung dringend benötigter Kredite ist die Verstaatlichung der argentinischen Zentralbank – die heute eine von Bankern geführte autonome Bank ist –, so wie damals mit Hamiltons Erster Nationalbank der Vereinigten Staaten, um Kredite für Vorhaben zu vergeben, die dem Gemeinwohl dienen.

Dann muß es strenge Preiskontrollen geben. Damit wird der unglaublichen, unkontrollierbaren Inflation von 120% pro Jahr, die heute durch Abwertung usw. entsteht, die Grundlage entzogen. Aber man braucht strenge Preiskontrollen. Ganz einfach: Wer dagegen verstößt oder versucht, illegal mit Zinsen oder Devisen zu spekulieren, wird vor Gericht gestellt und sehr hart mit Gefängnis bestraft.

Allein die Drohung damit bringt, wie schon Franklin Delano Roosevelt während seiner Präsidentschaft bewiesen hat, ein erstaunliches Maß an Rationalität in das Denken der Banker, das sonst völlig fehlt.

Um die Wirtschaft mit den notwendigen Devisen und Investitionen zu versorgen, nachdem der Aderlaß gestoppt wurde, muß Argentinien den Handel in nationalen Währungen mit anderen BRICS-Mitgliedern fortsetzen und ausweiten und die Neue Entwicklungsbank nutzen, um Investitionskredite nach Argentinien und in andere Länder zu holen.

Und damit kommen wir zum letzten und wichtigsten Punkt, der erforderlich ist. Man muß große Infrastrukturprojekte für Argentinien und für die Region auf den Weg bringen. Das wird die Arbeitsproduktivkraft erhöhen. Es gibt keine größere Ursache für Armut als mangelnde Beschäftigung in solchen produktiven Tätigkeiten.

Wir haben zwei konkrete Vorschläge gemacht, um das in die Wege zu leiten, insbesondere in Zusammenarbeit mit China und seiner Gürtel- und Straßen-Initiative.

Der eine ist der Bau einer bi-ozeanischen Eisenbahnlinie vom Atlantik zum Pazifik. Eine Strecke führt von Brasilien nach Peru, eine andere von Brasilien über Bolivien nach Peru, eine dritte von Argentinien nach Bolivien und weiter zur Westküste Perus. Und so weiter. Das wird eine ähnliche Entwicklung ermöglichen wie die Transkontinentale Eisenbahn in den Vereinigten Staaten oder der Bau der Transsibirischen Eisenbahn in Rußland. Solche Infrastrukturprojekte werden dringend gebraucht. China bietet das an – man sollte es einfach machen. Das ist es, was die BRICS tun sollten, was Argentinien tun sollte.

Ein zweites großes Projekt besteht darin, daß Argentinien mit anderen Ländern zusammenarbeitet, um seine bereits vorhandenen, beträchtlichen Fähigkeiten im Bereich der Weltraumwissenschaften und der Raketentechnik auszubauen. Es gibt eine Startbasis in Alcântara in Brasilien, ganz in der Nähe des Äquators; es ist die dem Äquator am nächsten gelegene Startbasis der Welt, was große Vorteile hat.

Argentinien und Brasilien haben in der Vergangenheit viele Jahre lang im Bereich der Weltraumforschung zusammengearbeitet. Argentinien verfügt über enorme Fähigkeiten, und jetzt haben wir diese enorme Leistung gesehen, daß Indien einen Rover auf dem Südpol des Mondes gelandet hat, und das mitten während des BRICS-Treffens – als ob es ein Ausrufezeichen hinter den eigentlichen Inhalt des Neuen Paradigmas setzen sollte, jener neuen Wirtschaftsarchitektur, die nötig ist, um die gesamte globale Mehrheit aus der Armut und in eine fortgeschrittene wissenschaftliche Entwicklung zu führen.

Schließlich muß man sich ansehen, was der Rest der Welt tut, wenn er auf die Teile der Welt blickt, wo solche Fortschritte erzielt wurden und werden. Länder sehen ihre eigene Armut, und dann sehen sie China und die 850 Millionen Menschen, die dort innerhalb von 40 Jahren aus der Armut herausgeholt wurden. Und die Menschen im Globalen Süden sagen: „Wenn China das kann, warum nicht auch wir?“

Ähnlich verhält es sich mit den wissenschaftlichen Errungenschaften: Man sieht den Mangel an Technologie, die fehlende Konzentration auf die eigenen Fähigkeiten in Bildung und Wissenschaft, und dann sieht man, was Indien geschafft hat. Mit hundert Schulen, wo die Kinder lernen, wie Raketen starten, und lernen, welche Entwicklungen in der Raketentechnik erreicht wurden, um diesen Rover auf dem Mond zu landen. Und mit der gleichen Stimme und im gleichen Atemzug sagt der Globale Süden jetzt: „Wenn Indien das kann, warum nicht auch wir?“ In der Tat.