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"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die meisten Menschen und Landtiere würden verhungern

Von Steven Starr

Steven Starr ist pensionierter Direktor des Programms für Klinische Laborwissenschaften der Universität von Missouri, Experte für Atomkrieg und leitender Wissenschaftler der Physicians for Social Responsibility. Im Rahmen der Internetkonferenz am 8. Januar wurde der folgende Videobeitrag von ihm gezeigt.

Danke, daß ich heute hier sein darf. Ich weiß die Gelegenheit zum Gespräch wirklich zu schätzen. Ich habe eine Power-Point-Präsentation, die ich gerne verwenden möchte.

Ich möchte ein Beispiel dafür geben, was den Amerikanern über einen Atomkrieg erzählt wird. Es gibt nicht nur die Kriegspropaganda, die wir über die Ukraine bekommen. Dies ist der Screenshot eines Videos, das vor kurzem von der New Yorker Katastrophenschutzbehörde herausgegeben wurde, um den Menschen zu erklären, wie sie einen Atomangriff überleben können. Scheinbar ist es ganz einfach: Sie müssen nur schnell ins Haus gehen, drinnen bleiben und Türen und Fenster schließen. Wenn Sie radioaktiven Niederschlag abbekommen haben, sollten Sie duschen, Seife und Shampoo benutzen. Und dann halten Sie sich auf dem Laufenden und verfolgen die Medien, die Behörden werden Funk- und Notfallwarnungen senden.

© Hiroshima Peace Memorial Museum/Shigeo Hayashi


Abb. 1: Hiroshima vor und nach dem Atombombeneinsatz am 6. August 1945, der einen gigantischen Feuersturm auslöste und eine Landfläche von etwa zehn Quadratkilometern in Ödland verwandelte.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute in Washington das wirklich glauben, aber viele Amerikaner könnten es leider glauben. Wir werden in unseren Schulen nicht mehr über Atomwaffen unterrichtet. Ich gebe an der Universität von Missouri einen Kurs über Atomwaffen. Ich habe viele wirklich brillante Studenten, aber sie haben keine Ahnung, wie die Realität eines Atomkriegs aussieht!

Was mir Sorgen macht, ist, daß die Neokonservativen in Washington, die die Außenpolitik bestimmen, überzeugt sind, sie könnten einen Atomkrieg gewinnen. Ich glaube, das geht auf das Jahr 2006 zurück, als der Council on Foreign Relations in Foreign Affairs einen Artikel mit dem Titel „The Rise of U.S. Nuclear Primacy“ („Die Entstehung der nuklearen Vormachtstellung der USA“) veröffentlichte. Die Wissenschaftler, die diesen Artikel veröffentlichten, behaupteten im wesentlichen, die USA könnten einen Erstschlag gegen Rußland führen und Rußlands Fähigkeit, mit Atomwaffen zurückzuschlagen, zu 100% ausschalten. Das ist falsch.

Für den Fall, daß jemand in Washington zuschaut, möchte ich ein wenig mehr über Atomwaffen erklären. Es gibt konventionelle, nicht-nukleare Waffen, die hochexplosiv sind. Die größte Waffe im Arsenal der USA hat 11 Tonnen TNT-Sprengkraft. Eine Tonne sind 2.000 Pfund, das sind also 22.000 Pfund Sprengkraft. Nuklearwaffen werden in Kilotonnen beschrieben. Kilo bedeutet 1.000; diese Bombe hat also eine Sprengkraft von 1/100 Kilotonnen; sie ist also ziemlich groß.

Eine Atombombe von der Größe Hiroshimas hat 15.000 Tonnen TNT-Sprengstoff oder 30 Millionen Pfund TNT; Sie sehen also, daß sie etwa tausendmal Mal größer ist als die größte konventionelle Waffe.

Aber Atomwaffen einfach nur mit ihrer Sprengkraft zu beschreiben, geht an der grundlegenden Tatsache vorbei, daß sie wie ein Stück der Sonne sind. Die Temperaturen, die auf der Oberfläche eines nuklearen Feuerballs entstehen, sind sogar heißer als die Oberfläche der Sonne.

Wenn also eine Kernwaffe über einer Stadt detoniert, wird sie im Umkreis von vielen Kilometern sofort alles, was auch nur im Entferntesten brennbar ist, in Brand setzen.

So sah Hiroshima vor der Atombombe aus, und so sah es danach aus (Abbildung 1). Etwa vier oder fünf Quadratmeilen (ca. 10 km2) wurden in einem nuklearen Feuersturm verbrannt.

© Steven Starr

Abb. 2: Wirkungs­radius von Atomwaffen, die über Man­hattan eingesetzt werden: links ein Spreng­kopf, wie er über Hiroshima eingesetzt wurde (15 Kilo­tonnen), rechts ein russischer Standard-Spreng­kopf (800-Kilotonnen).

© U.S. Department of Energy/gemeinfrei

Abb. 3: Nukleartest im Südpazifik, aufgenommen aus 80 km Entfernung.

Die USA und Rußland verfügen über strategische Atomwaffen, die 7 bis 87 Mal stärker sind als die Hiroshima-Atombombe. Dabei handelt es sich um abschußbereite Waffen, die, wie Senator Black erwähnte, in wenigen Minuten gestartet werden können.

Ich möchte einen Vergleich anstellen (Abbildung 2): Auf der linken Seite sehen Sie, daß der 15-Kilotonnen-Sprengkopf vier Quadratmeilen in Brand setzt. Dagegen kann eine russische Standard-Atomwaffe unter fast allen Wetterbedingungen 100 Quadratmeilen (ca. 250 km2) in Brand setzen, und an einem klaren Tag sogar bis zu 150 Quadratmeilen (ca. 400 km2).

Nun stellen Sie sich einen Krieg vor, in dem innerhalb einer Stunde Hunderte oder Tausende dieser Sprengköpfe gezündet werden! Es ist unvorstellbar, aber das ist es, wovon man in einem Atomkrieg ausgehen muß.

Das Video1 einer thermonuklearen Detonation im Südpazifik soll Ihnen einen Eindruck vermitteln. Dieser Film wurde aus einer Entfernung von 50 Meilen (80 km) aufgenommen (Abbildung 3). Die Palmen auf dieser Insel befinden sich in der Feuerzone. Sie sehen, wie sie durch die Hitze des Feuerballs in Flammen aufgehen. Der Feuerball erzeugt eine Druckwelle, die sich über Hunderte von Meilen ausbreitet. Man kann sehen, wie sie sich ausbreitet, und zwar auf der Oberfläche des Ozeans. Man sieht, wie es sich auf dem Ozean nähert, es nähert sich der Insel. Wenn es auf die Palmen trifft, werden sie in Stücke gesprengt. Die Druckwelle bewegt sich mit Hunderten von Meilen pro Stunde. Das ist eine strategische Atomwaffe.

In 5 bis 15 Minuten können die USA und Rußland jeweils 800 bis 1.000 strategische Atomsprengköpfe aufeinander abschießen.

Es wird seit langem vermutet, daß sowohl die USA als auch Rußland die Politik des „Einsatzes bei Warnung“ (Launch on Warning) anwenden. Die USA haben versucht, das abzustreiten. Es bedeutet, daß ein nuklearer Vergeltungsschlag ausgeführt wird, sobald ein amerikanisches oder russisches Frühwarnsystem einen feindlichen Atomangriff entdeckt. Wir haben Frühwarnsatelliten und Radar. Wenn die einen Angriff melden, sollen unsere Atomwaffen abgefeuert werden, bevor sie getroffen werden.

Der Angriff wird also gestartet, während sich die feindlichen Raketen noch in der Luft befinden, bevor eine nukleare Detonation erfolgt. Es gibt also keinen eindeutigen Beweis, wir glauben nur, daß es sich um einen Atomangriff handelt. Ein Fehlalarm, den wir für einen echten Angriff halten, würde den Vergeltungsschlag zu einem nuklearen Erstschlag machen und einen Atomkrieg auslösen.

Wie Helga [Zepp-LaRouche] und Senator Black bereits erwähnten, gab Putin am 9. Dezember eine Pressekonferenz und sagte, Rußland könne sich auf einen Präventivschlag der USA einstellen. Was ich an dieser Pressekonferenz bemerkenswert fand, war, daß er zum ersten Mal öffentlich erklärte, daß für Rußland der Einsatz bei Warnung gilt. Ich kann mich nicht erinnern, daß das in den letzten Jahrzehnten jemals öffentlich gemacht wurde. Er sagte, wenn das Frühwarnsystem ein Signal über einen Raketenangriff erhält, starten wir Hunderte von Raketen, die unmöglich zu stoppen sind.

Eine Interkontinentalrakete (ICBM) hat eine Flugzeit von etwa 30 Minuten von den USA nach Rußland und von Rußland in die USA. Wenn man eine U-Boot-gestützte ballistische Rakete (SLBM) vor der Küste abschießt – man kann ein U-Boot vor der Küste der USA oder vor der russischen Küste parken –, dann kann diese Rakete Ziele in den USA und Rußland in nur 7-10 Minuten treffen. Wenn eine Rakete in 7-10 Minuten die eigene Hauptstadt treffen kann, dann hat man nicht viel Zeit zu entscheiden, was man tun soll.

© NORAD

Abb. 4: Lagezentrum des Nordamerikanischen Luft- und Raumfahrtkommandos (NORAD)

NORAD in den USA hat drei Minuten Zeit, um den Angriff zu erkennen und zu bestätigen. Dann wird der Präsident benachrichtigt, er hält eine 30-Sekunden-Telefonkonferenz mit den Generalstabschefs und einigen anderen ab, und dann muß er entscheiden, was zu tun ist. Nehmen wir an, er hält den Angriff für echt und ordnet einen atomaren Angriff an. 2-3 Minuten werden benötigt, um den Startbefehl an die ICBM-Felder in den USA zu übermitteln. Es dauert etwa 2 Minuten, bis der ICBM-Start dieser landgestützten Raketen erfolgt. Der Befehl wird auch an U-Boote übermittelt, und es dauert 15 Minuten, bis die Raketen dort starten. Wenn es ein Fehlalarm war, wird trotzdem ein Atomkrieg ausgelöst.

Abbildung 4 zeigt NORAD (North American Aerospace Defense Command), wo ein Angriff erkannt werden soll. Rußland hat etwas ähnliches; sie haben auch eine Kommandozentrale. Alle halten ständig Ausschau nach einem Angriff.

Ich sollte erwähnen, daß Rußland einen Abschußbefehl erteilen kann, der alle unteren Kommandoebenen umgeht. Sie sind in der Lage, in zehn Minuten oder weniger einen Angriff zu starten. Der russische Präsident, der Verteidigungsminister und der Generalstabschef tragen Atomkoffer bei sich, mit denen der Angriffsbefehl erteilt werden kann. Der russische Generalstab kann einen Fernstart landgestützter Raketen anordnen, der die untergeordnete Befehlskette und die Raketenstartgruppen umgeht. Mit anderen Worten, er kann einen Knopf drücken und die Raketen von seiner nationalen Kommandozentrale aus starten.

Rußland verfügt auch über ein System der „Toten Hand“, das mit Hilfe von Raketen einen automatisierten Abschuß seiner Atomstreitkräfte auslösen kann – Helga hat das erwähnt. In Rußland nennt man es „Perimeter“; es hat den Spitznamen „Tote Hand“: Diese Raketen geben Startbefehle an alle noch vorhandenen russischen Atomstreitkräfte. Das System wurde mit dem Gedanken entwickelt, daß die Führung im Falle eines Überraschungsangriffs immer noch in der Lage wäre, einen Vergeltungsschlag zu befehlen. So steht irgendwo in einem abgelegenen Bunker eine Abschußmannschaft 24 Stunden am Tag bereit und wartet.

Es gibt eine Reihe von Kriterien, die erfüllt sein müssen, bevor sie den Angriff anordnen kann, bevor sie die Notfall-Kommunikationsraketen starten kann. Im wesentlichen geht es dabei um den Ausfall der Kommunikation auf verschiedenen Kanälen und um nukleare Detonationsdetektoren, mit denen überprüft wird, ob ein atomarer Angriff vorliegt. Wenn alle Kriterien erfüllt sind, können sie diese Raketen starten, und sie senden Startbefehle an alle noch vorhandenen russischen Nuklearstreitkräfte, sie werden alle per Fernsteuerung von diesen Raketen aus gestartet.

© Luke Oman

Abb. 5: Ausbreitung von lichtabsorbierendem Rauch in der Stratosphäre zwei Wochen nach einem Atomkrieg: in der nördlichen Hemisphäre würden 70%, in der südlichen 35% des Sonnenlichts absorbiert, die Temperaturen lägen drei Jahre lang unter dem Gefrierpunkt.

Was ist, wenn eine dieser Raketen versehentlich gestartet wird? Es gibt viele Dinge, über die man sich Sorgen machen muß. Sobald die Raketen gestartet sind, kann man sie nicht mehr zurückholen.

Das (Abbildung 5) ist ein Video, das ich mit Hilfe eines deutschen Animators erstellt habe.1 Es zeigt, was passieren würde, wenn die USA und Rußland einen ausgewachsenen Atomkrieg beginnen und führen würden. Ich möchte betonen, daß das, was am Ende des Videos gezeigt wird, auf von Experten begutachteten Studien über den „nuklearen Winter“ beruht. Diese Studien werden seit 16 Jahren in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht und begutachtet, und es wurde nicht festgestellt, daß ihre Prognosen unzureichend oder fehlerhaft sind.

Nehmen wir also an, irgendwann in diesem Winter marschieren NATO-Truppen in die Ukraine ein, und ein Krieg mit Rußland beginnt. Als Vergeltung für die US-Angriffe mit Marschflugkörpern gegen russische Streitkräfte feuert Rußland eine Rakete ab und versenkt einen US-Lenkwaffenkreuzer im Schwarzen Meer. Die USA setzen daraufhin eine Atomwaffe ein, um russische Schiffe im Schwarzen Meer zu versenken. Dies kann mit F-16-Kampfflugzeugen geschehen, die B-12-Schwerkraftbomben tragen. Rußland greift daraufhin NATO-Ziele in ganz Europa an. Die USA führen daraufhin einen massiven Atomschlag gegen Rußland durch. Russische Frühwarnsysteme entdecken dies, und Rußland startet einen massiven Atomschlag gegen die USA und Europa. Innerhalb einer Stunde werden mehr als 3000 Nukleardetonationen gezündet, und zwar mit strategischen Atomwaffen.

Alle großen Städte Europas, der Vereinigten Staaten und Rußlands würden eingeäschert werden. Massive nukleare Feuerstürme könnten Hunderttausende von Quadratmeilen erfassen. Alles, was in den Brandzonen auch nur annähernd brennbar ist, würde verbrennen. Man geht davon aus, daß diese nuklearen Feuerstürme etwa 150 Millionen Tonnen Ruß und Rauch erzeugen würden. Der Rauch würde schnell in die Stratosphäre über der Wolkenhöhe aufsteigen, wo er nicht abregnen kann, und sich innerhalb von zehn Tagen bis zwei Wochen um die Erde verteilen.

© Steven Starr

Abb. 6: Landwirtschaft im nuklearen Winter, das Sonnenlicht wird größtenteils durch den Rauch in der Stratosphäre absorbiert.

Der Rauch würde dann eine globale stratosphärische Rauchschicht bilden. Etwa 70% des Sonnenlichts auf der nördlichen Erdhalbkugel und 35% auf der südlichen Halbkugel wären blockiert. Die Rauchschicht würde verhindern, daß das wärmende Sonnenlicht die Erdoberfläche erreicht. Man geht davon aus, daß die Rauchschicht zehn Jahre lang bestehen bleiben würde. Der Verlust des wärmenden Sonnenlichts führt zu eiszeitlichen Wetterbedingungen auf der Erde. Die Temperaturen würden in den nächsten drei Jahren jeden Tag unter den Gefrierpunkt fallen, und das Eiszeitwetter würde den Anbau von Nahrungsmitteln zehn Jahre lang unmöglich machen. Die meisten Menschen und Landtiere würden verhungern.

Abbildung 6 zeigt einen Bauern auf einem kargen Feld, der in den wolkenlosen Mittagshimmel blickt. So würde der Himmel in etwa aussehen. Das sind keine Wolken, das ist nur Rauch in der Stratosphäre.

Ich hoffe, jemand in Washington hat das verstanden. Ich bin nicht davon überzeugt, daß das viele tun. Ich versuche schon seit geraumer Zeit, diese Botschaft zu verbreiten. Worüber auch immer wir uns streiten werden, es ist es nicht wert, die Menschheit zu vernichten.

Ich danke Ihnen vielmals.


Anmerkung

1. Den Mitschnitt des Videovortrags mit allen Videoanimationen finden Sie in deutscher Simultanübersetzung auf der
Internetseite des Schiller-Instituts.