Die wachsende Rolle der BRICS+ bei der Gestaltung einer besseren Welt
Von Prof. Georgij Toloraja
Prof. Geoergij Toloraja ist Stellv. Direktor des Russischen
Nationalkomitees für BRICS-Forschung. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Zunächst möchte ich Frau Zepp-LaRouche vom
Schiller-Institut meine tiefe Dankbarkeit dafür ausdrücken, daß sie mich
eingeladen hat, auf einer so bedeutenden Konferenz zu sprechen.
Natürlich ist es eine Herausforderung, über ein mehr praktisches Thema zu
sprechen, nachdem so bedeutende Redner eine sehr weitsichtige Vision der
Aufgaben und Ziele der neuen Weltordnung gegeben haben. Ich möchte jedoch über
praktischere Dinge sprechen und dabei die BRICS als ein Instrument betrachten,
das meiner Meinung nach entscheidend sein kann, um echte praktische
Veränderungen in der Weltordnung und der Global Governance herbeizuführen.
BRICS ist eine neue Art von nationaler Organisation, und eigentlich ist es
noch keine Organisation, sondern ein Bündnis von Nationen. Es handelt sich
nicht einfach um eine Organisation von Ländern, auch nicht von großen Ländern,
sondern um eine Organisation oder ein Bündnis von Zivilisationen. Es ist also
tatsächlich ein Bündnis, das die ältesten Zivilisationen der Welt
zusammenbringt, die viel stabiler und langfristiger sind als Nationalstaaten.
Und genau so würde eine neue Struktur der neuen Machtzentren in der Welt
aussehen.
Wir sprechen von einer multipolaren Welt, wobei ich das Wort multipolar
eigentlich nicht mag, denn bei polar unterscheiden wir zwischen Norden und
Süden, es gibt verschiedene Machtzentren, die sowohl in der Größe als auch in
ihrer Stärke unterschiedlich sein können. Wie auch immer, die Frage ist, wie
man die Interessen aller von ihnen in Einklang bringen kann, wie man wieder
verschiedene Machtzentren und verschiedene Nationen unterscheiden kann und wie
man Gleichheit und Gerechtigkeit in die Weltordnung bringen kann, die ihr
jetzt fehlt.
Denn eine unipolare Welt oder eine Welt, die vom westlichen System und den
westlichen Staaten dominiert wird, ganz zu schweigen von der politischen und
militärischen Dominanz der NATO mit den USA an der Spitze, ist weit davon
entfernt, gerecht zu sein, und immer mehr Länder im Süden und Osten verstehen
das. Deshalb können die BRICS eine Plattform sein, um ein neues Paradigma für
die Weltordnung zu entwickeln, und zwar ein neues Paradigma für die
gesellschaftliche Entwicklung.
Wir haben die letzten Jahrzehnte unter dem Konzept des mehr oder weniger
liberalen Kapitalismus gelebt, und die kommunistische Doktrin, die Versuche,
den Sozialismus aufzubauen, sind gescheitert. Eigentlich gibt es deshalb keine
Alternative für das Paradigma der gesellschaftlichen Entwicklung für eine neue
Zivilisation, für diese neue Gruppe von Schwellenländern und eigentlich für
die Zivilisation.
Eine der Ideen, die BRICS verfolgen könnte, ist also die Schaffung einer
Plattform für die Zusammenarbeit zwischen den – wie ich sie nenne – weisen
Männern und Frauen dieser Länder und den westlichen Ländern, um ein solches
Paradigma zu schaffen, eine Art kollektiven gemeinsamen Markt, um neue Ideen
und neue Konzepte zu präsentieren, wie die Gesellschaft und die internationale
Ordnung funktionieren sollten.
Die zweite Funktion ist die einer Dialogplattform, denn es gibt klare
Widersprüche zwischen dem kollektiven Westen und anderen Teilen der Welt, vor
allem im Fall von Rußland. Im Falle Rußlands ist der Krieg in der Ukraine eine
Art Stellvertreterkrieg Rußlands gegen den kollektiven Westen, was ein sehr
tragisches Ergebnis ist. Und genau das ist das Ergebnis des fehlenden Dialogs
und der Unfähigkeit, die bestehenden und wachsenden Konflikte auf friedliche,
diplomatische und demokratische Weise zu lösen. Mehr noch, auch zwischen dem
kollektiven Westen und China bahnen sich größere Konflikte an. Und wenn es zu
einem offenen Konflikt käme, wäre das eine noch größere Gefahr für die Welt,
für die Gemeinschaft als Ganzes.
Um das zu vermeiden, gibt es meiner Meinung nach nur einen Weg: Diplomatie,
Kompromisse und eine Art von Dialog. Und die BRICS können eine Plattform für
einen solchen Dialog sein, um dem Westen eine kollektive Sicht auf die globale
Entwicklung und die internationale Ordnung zu präsentieren. Mit der Macht
dieser fünf Zivilisationen und anderer Länder und souveräner Nationen, die sie
unterstützen, denke ich, daß der Westen nicht in der Lage sein wird, diesen
Vorschlag zu ignorieren.
Und hier kommt das Konzept von BRICS-Plus ins Spiel. BRICS selbst ist eine
sehr amorphe, lose Organisation. Sie hat kein Sekretariat, sie ist nicht
institutionalisiert und basiert auf Konsens. Und es ist nicht einfach,
innerhalb der BRICS Entscheidungen zu treffen, da sie seit über 15 Jahren in
diesem Prozeß unter sich sind. Ich kann sagen, daß es immer der kleinste
Nenner ist, den wir haben, wenn wir zu einer Entscheidung oder Lösung
kommen.
Und es ist natürlich ein offenes Geheimnis, daß bestimmte Länder und Kräfte
versuchen, die BRICS zu untergraben. Große souveräne Länder und Zivilisationen
können sich meist nicht auf gutmütige Art und Weise einigen, denn es gibt
immer Widersprüche. Und diese Widersprüche werden vom Westen künstlich
angeheizt.
Ein Beispiel dafür sind die Bemühungen des Westens, die Beziehungen
zwischen Indien und China zu untergraben, die durchaus ihre Probleme haben.
Aber jetzt versucht der Westen, insbesondere die USA, Indien in seinen Orbit
zu bringen, indem das Konzept des Indopazifiks gefördert und versucht wird,
eine Art asiatisches Bündnis gegen China und auch Rußland zu schaffen. Doch
Indien versucht, sich in den BRICS-Prozeß einzubringen. Dies ist nur ein
Beispiel. Natürlich gibt es noch viele weitere, und es ist wichtig, daß die
BRICS-Länder ihre Einheit bewahren und einen engen Dialog pflegen.
Dieser Dialog ist inzwischen sehr vielschichtig. Wir haben mehr als 150
ständige Dialogkanäle auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen,
von Industrie und Handel über Finanzen und Sicherheit bis hin zu Bildung,
Technologie und Medizin und so weiter und so fort. Dennoch mangelt es an
Institutionalisierung, Koordination und institutionellem Gedächtnis, wenn man
so will.
Mein zweiter Gedanke ist, daß eine gewisse Institutionalisierung der BRICS
für die Entwicklung dieses internationalen Phänomens zu einem brauchbaren
Instrument zur Veränderung der internationalen Ordnung unerläßlich ist.
Und das Thema BRICS-Plus ist eng damit verbunden, denn schon bei nur fünf
Ländern, fünf Nationen, ist es nicht so einfach, sich auf alles zu einigen.
Was wäre, wenn BRICS erweitert würde? Was wäre, wenn neue Länder hinzukämen?
Das könnte zu Chaos führen. Das könnte zu einer wirklich unüberschaubaren
Allianz führen, die sich in Widersprüche verwickelt.
Deshalb denke ich, daß es zum jetzigen Zeitpunkt notwendig ist, anstatt die
BRICS zu erweitern, mehrere, ich würde sagen, konzentrische Kreise zu
schaffen, Kreise, die die verschiedenen Beziehungen der Länder des Südens und
des Ostens mit den BRICS-Mitgliedern und den BRICS selbst umfassen.
Im ersten Teil des heutigen Treffens erwähnte Dr. Bobrow das neue
außenpolitische Konzept Rußlands und hob die Rolle der regionalen
Organisationen und Regionen für die russische Außenpolitik hervor. Das ist
genau das, was wir als Integration von Integrationen bezeichnen, d.h., daß die
BRICS versuchen, nicht nur Beziehungen zu einzelnen Ländern aufzubauen,
sondern auch zu regionalen Organisationen wie z.B. den lateinamerikanischen
oder afrikanischen, der ASEAN oder anderen regionalen Organisationen.
Ich denke, daß diese konzentrischen Kreise die BRICS umfassen sollten, fünf
Länder als Kern, dann eine Reihe von Ländern, die Beobachter dieses Prozesses
sind, die an vielen BRICS-Projekten auf einer selektiven Basis teilnehmen und
volle Rechte in diesen Projekten genießen, aber nicht die volle
Mitgliedschaft. Und dann gibt es noch einen weiteren Bereich, einen größeren
Kreis von Dialogpartnern oder Freunden der BRICS, die sich an den Projekten
und Bereichen beteiligen, die für sie interessant sind, und sie so Erfahrungen
sammeln und mit den BRICS zusammenarbeiten können.
Durch die Entwicklung dieses Prozesses können wir die BRICS in einiger Zeit
in eine echte Plattform verwandeln, die demokratisch die Ansichten und
Interessen der globalen Mehrheit der Länder zum Ausdruck bringt, die heute
eine Entwicklungswelt in verschiedenen Entwicklungsstadien bilden.
Und diese Plattform sollte nicht unbedingt feindselig gegenüber dem Westen
und der bestehenden globalen Regierungsstruktur sein, die vom Westen dominiert
wird. Dies ist eine Plattform, um Lösungen zu finden, um Kompromisse zu
finden, denn natürlich wissen wir alle, daß die Interessen der westlichen
Länder, die rechtlichen Interessen, ebenfalls respektiert werden sollten. Sie
sollten berücksichtigt werden, aber nur rechtliche und nachvollziehbare
Interessen, nicht die Interessen der Ausbeutung oder unverdienter Gewinne aus
Finanzspekulationen.
Deshalb ist Rußland der Meinung, daß die BRICS einer der wichtigsten
Bereiche seiner außenpolitischen Aktivitäten ist. Und das vor allem auch im
Finanzbereich, und es gibt starke Signale, die von vielen Ländern
ausgehen.
Zum Beispiel hat die kürzliche Ernennung von Dilma Rousseff zur Präsidentin
der neuen Entwicklungsbank eine starke politische Symbolik. Und es ist
wichtig, ein neues Finanzsystem zu finden, das eine internationale Währung
verwendet, die auf den nationalen Währungen der BRICS-Staaten basiert, oder
vielleicht eine gemeinsame Währung. Rußland wird im nächsten Jahr, dem Jahr
2024, den BRICS-Vorsitz einnehmen, und wir hoffen, daß wir bis dahin einige
neue Ideen in die von mir beschriebene Richtung einbringen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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