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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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BRICS: Eine Medizin zur Kriegsverhütung

Von Prof. Georgij Toloraja

Professor Toloraja ist ein hochrangiger russischer Diplomat im Ruhestand mit dem Rang eines Gesandten-Botschaftsrats und stellvertretender Vorsitzender des Russischen Nationalen Komitees für BRICS-Forschung. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Guten Morgen. Es ist mir eine große Ehre, an der Konferenz „Laßt uns gemeinsam mit der globalen Mehrheit ein neues Kapitel der Weltgeschichte aufschlagen!“ teilzunehmen. Ich beschäftige mich schon seit 13 Jahren mit den BRICS. Und ich habe schon lange erwartet, daß dieser Tag kommen würde, der Tag, an dem die BRICS zu einem echten Akteur in der Weltpolitik werden würden. Aber ich war wirklich erstaunt, daß dieser Tag jetzt so schnell gekommen ist.

Ich würde sagen, daß der jüngste Gipfel Ende August in Johannesburg wirklich ein historisches Ereignis war. Er wird als historisch in die Geschichte eingehen, auch aus technischen Gründen, denn es war das Datum und der Gipfel, an dem sich die Mitgliederzahl der BRICS verdoppelt hat, was niemand, auch ich nicht, erwartet hat. Darüber hinaus ist es im wesentlichen ein historischer Gipfel, weil die BRICS zum ersten Mal erklärt haben, daß sie auf dem Weg und in der Lage sind, eine neue Weltordnung zu schaffen: Das ist eine wirklich große Veränderung. Jetzt sind 20 bis 40 Länder daran interessiert, den BRICS in der einen oder anderen Form beizutreten, und das ist etwas, womit niemand gerechnet hat, auch ich nicht.

Was ist passiert? Ich denke, die Antwort liegt in der offenen Konfrontation, die im Februar 2022 mit Rußlands Militärischer Sonderoperation in der Ukraine begann und die das eigentliche neue Kapitel der Geschichte einläutete, als die westlichen Länder versuchten, die neuen Machtzentren mit aller Gewalt unter Druck zu setzen, um das Entstehen einer neuen Weltordnung zu verhindern.

Es ist ein turbulenter Moment der Geschichte. Aber das Ergebnis war, daß die Mehrheit der Länder, die globalen Mehrheiten, diese Bemühungen des Westens nicht unterstützten, auch wenn viele Länder auf dem Papier und in Erklärungen, u.a. in den Vereinten Nationen, Rußland Aggression vorwarfen. Trotzdem sind sie nicht mit der Politik des Westens einverstanden, der versucht, seine Dominanz in den globalen Angelegenheiten aufrechtzuerhalten und die Regeln festzulegen, denen alle anderen zu gehorchen haben.

Es gibt also eine neue Situation, in der die globale Mehrheit ein neues Modell will, ein neues Modell der internationalen Beziehungen, das nicht auf dem traditionellen Modell nach dem Zweiten Weltkrieg basiert, als die großen Länder, die „Herren der Welt“, den anderen diktierten, was sie zu tun haben. Und jetzt wollen die Länder eine gleichberechtigte Partnerschaft, viele, vielleicht sogar konkurrierende Machtzentren, die jeweils ihre eigene Rolle spielen, mit ihrem eigenen Kopf denken und ihre eigene Politik machen.

Auf lange Sicht erinnert das vielleicht ein wenig an das System des Westfälischen Friedens in der europäischen Geschichte, das auf der Souveränität der Nationalstaaten beruhte, der Gleichheit, der Nichteinmischung und dem Versuch, die Interessen der Partner zu berücksichtigen. Vielleicht sind wir also auf dem Weg zu einem globalen westfälischen System.

Wir sollten jedoch nicht vergessen, daß das westfälische System das Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges war – und vielleicht sind wir gerade dabei, einen solchen Krieg zu führen, und die Ukraine ist erst der Anfang. Es kann sein, daß wir noch weitere 30 Jahre oder mehrere Jahrzehnte mit Kriegen in verschiedenen Teilen der Welt zu tun haben werden, bevor sich ein solches System herausbildet. Das wäre ein schlechtes Szenario.

Aber vielleicht dauert der Krieg auch nicht 30 Jahre. Er könnte auch nur 30 Minuten dauern, wenn die großen Weltmächte einfach ihre Atomraketen starten würden. Dann wäre der Krieg in 30 Minuten vorbei: Es wäre das Ende der Welt.

Dem sollten wir natürlich nicht zustimmen.

Der einzige Weg ist also, einen Weg zu finden, um zu verhandeln, um zu versuchen, eine Lösung zu finden, bevor es so weit kommt. Und dafür, denke ich, ist die Änderung der westlichen Politik das Entscheidende. Die globale Mehrheit will die Politik der Dominanz nicht akzeptieren – der Diktatur, der Sanktionen, der Einmischung in innere Angelegenheiten, des faktischen Raubes, wenn das Nationalvermögen eigenmächtig und einseitig beschlagnahmt wird.

Es sind also nicht Rußland und China, die isoliert sind, wie ich oft in verschiedenen vom Westen veranstalteten Foren höre, es sind vielmehr die westlichen Länder, die isoliert sind.

Und die BRICS haben auf diesem Gipfeltreffen gezeigt, daß sie dem Westen entgegenkommen wollen. Die BRICS sind nicht antiwestlich. Sie sind nicht gegen die Vereinigten Staaten als Land. Sie sind nicht gegen die westliche Zivilisation. Sie sind nicht gegen Europa. Die BRICS sind bereit, mit diesen Ländern zusammenzuarbeiten und sie einzubeziehen: BRICS ist eine inklusive Struktur. Sie sind offen für Dialog und Zusammenarbeit, aber nicht im Sinne von „Herr und Knecht“, sondern auf Augenhöhe. Darauf sollten wir alle hinarbeiten.

Und vor allem glaube ich, daß die USA in diesem Bereich wichtig sind: Die USA sind ein Land mit einer reichen Geschichte, mit großen natürlichen Ressourcen, Technologie, Finanzen und einer regen Bevölkerung. Und natürlich spielt dieses Land eine wichtige Rolle in dieser Welt und kann für die Zukunft der Menschheit sehr wichtig sein: Aber auf Augenhöhe, in Zusammenarbeit mit der neu entstehenden BRICS-Union und der globalen Mehrheit.

Ich wünschte, ich würde das erleben. Ich warte seit 13 Jahren darauf, daß die BRICS zu einer echten Kraft in den internationalen Beziehungen werden. Ich hoffe, daß der nächste Schritt, nämlich die Einbeziehung des Westens in diesen Prozeß, schon früher erfolgen kann.

Ich wünsche uns allen viel Glück. Ich danke Ihnen.