Zur Frage des Kampfes gegen neokoloniale Praktiken
Von S.E. Botschafter Anatoli I. Antonow
S.E. Anatoli I. Antonow, Botschafter der Russischen Föderation
in den Vereinigten Staaten, stellte dem Schiller-Institut, dem Magazin
„Executive Intelligence Review“ (EIR) und der Nachrichtenagentur EIRNA am 11.
Juli den folgenden Artikel zur exklusiven Veröffentlichung zur Verfügung. Der
Botschafter bezieht sich darin auf eine „russische Initiative zur Schaffung
einer neuen internationalen antikolonialen Bewegung ,Für die Freiheit der
Nationen‘, um die modernen Praktiken der Ausbeutung und Hegemonie
auszurotten“. Helga Zepp-LaRouche antwortete dem Botschafter im Zusammenhang
mit dem Attentatsversuch auf den ehemaligen Präsidenten Trump in einer kurzen
Stellungnahme, die sich an seinen Artikel anschließt.
11. Juli – Rußland setzt sich für die Schaffung eines gerechteren und
stabileren multipolaren Systems der internationalen Beziehungen ein, das auf
der Charta der Vereinten Nationen und vor allem auf dem Prinzip der souveränen
Gleichheit der Staaten beruht. Wir unterstützen die Entstehung einer
Weltordnung, die die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt der modernen
Welt widerspiegelt und das Recht jeder Nation, ihr Schicksal selbst zu
bestimmen, respektiert.
Dieser Ansatz findet immer mehr Unterstützung in der internationalen
Gemeinschaft, die die Überreste des kolonialen Systems beseitigen will.
Unterdessen widersetzt sich der kollektive Westen weiterhin aktiv solchen
Bemühungen und versucht, die „Zügel der Macht“ und den Status des „Herrn des
Schicksals“ zu behalten. Die aktuelle Dynamik in der Ukraine und die
unermüdlichen Versuche aus den westlichen Hauptstädten, die Lage im
postsowjetischen Raum zu destabilisieren, sind anschauliche Beispiele für den
verzweifelten Kampf des „globalen Hegemons“ um die Aufrechterhaltung seiner
Vorherrschaft und eine Gelegenheit, der internationalen Gemeinschaft das
unipolare Modell aufzuzwingen.
Die Mehrheit der Weltbevölkerung ist sich bewußt, daß die kolonialen
Praktiken des Westens zu nichts Gutem führen. Die Anwendung von Gewalt durch
eine aggressive Minderheit unter Führung der USA in einer Reihe von Ländern,
darunter Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien und einige Staaten in Asien und
Afrika, ist eine bittere Bestätigung dafür. Experten schätzen, daß Washington
seit 1945 mehr als 50 Putschversuche und Militärinterventionen unternommen
hat.
In die gleiche Kerbe schlägt die Verhängung illegitimer wirtschaftlicher
Restriktionen. Dazu gehören die Einschränkung der Möglichkeiten für eine
eigenständige Entwicklung, der Zwang zum Abschluß unfairer Verträge, die
Ausbeutung von Ressourcen zum Nulltarif und die Verlagerung umweltschädlicher
Industrien in Länder des Südens. Besonders hervorzuheben ist die illegale
Praxis des Westens, mit Sanktionen Druck auf Staaten auszuüben, die sich dem
Diktat nicht unterwerfen und ihre Souveränität und nationale Identität opfern
wollen. Beispiele für solche illegalen restriktiven Maßnahmen sind die
langjährige Wirtschaftsblockade gegen Kuba und die einseitigen Restriktionen
gegen den Iran und Venezuela.
Um ihre geopolitische Präsenz in verschiedenen Regionen der Welt
aufrechtzuerhalten, bedienen sich die westlichen Hauptstädte aktiv der
Mechanismen des „Schulden-Neokolonialismus“. Unter dem Deckmantel des
Umweltschutzes und des Kampfes gegen den Klimawandel fördern sie heuchlerisch
Konzepte des „grünen Imperialismus“, von denen nur die so genannte „goldene
Milliarde“ profitiert. Die technologische Kluft wird bewußt vertieft, um das
Monopol der westlichen IT-Konzerne zu festigen. In dem von ihnen
kontrollierten Informationsraum sind Publikationen, die dem etablierten
westlichen Narrativ widersprechen, tabu.
Ein anschauliches Beispiel ist die ungleiche Verteilung von Impfstoffen
während der COVID-19 [Pandemie] und die gleichzeitigen westlichen Bemühungen,
die Zertifizierung des russischen Sputnik-Impfstoffs, der Millionen von
Menschenleben in Entwicklungsländern hätte retten können, künstlich zu
verzögern. Gleichzeitig wurde niemand für die schweren Nebenwirkungen
verantwortlich gemacht, die durch die Verwendung der hastig zugelassenen
westlichen Impfstoffe auftraten.
Ein weiteres Symptom des Neokolonialismus ist die aggressive Durchsetzung
neoliberaler Einstellungen auf Kosten traditioneller geistiger und moralischer
Werte. Dabei geht es um die Durchsetzung einer zerstörerischen Agenda, zu der
auch die sexuelle Diversität und die Legalisierung von Drogen gehören. Dazu
gehören auch die so genannten „Gipfeltreffen für Demokratie“, die unter der
Schirmherrschaft Washingtons organisiert werden, um das amerikanische
Instrumentarium der externen Kontrolle und der Einmischung in die inneren
Angelegenheiten souveräner Staaten zu aktualisieren, sowie der Kampf gegen
das, was hier in den Vereinigten Staaten als „Autokratien“ bezeichnet
wird.
Diese Tatsachen zeigen deutlich, wer der wahre Kolonisator ist. Es ist
höchste Zeit, daß das westliche Lager, das die Minderheit repräsentiert, die
Sinnlosigkeit der Auferlegung neokolonialer Praktiken (einschließlich der so
genannten „regelbasierten Ordnung“) und aller Versuche, die Schuld auf andere
zu schieben, begreift.
Ausgehend von den Erfahrungen unseres Landes bei der Unterstützung der
Volksbefreiungsbewegungen in den 1960er Jahren zeigen die Nationen der
Weltmehrheit ein starkes Engagement für den Kampf um einen gleichberechtigten
und von gegenseitigem Respekt getragenen Dialog. Die Differenzen zwischen
unseren Partnern, die die Länder des Südens und des Ostens vertreten, und den
westlichen Interpretationen der Situation in der Ukraine sowie deren
Verständnis der Ziele und Zwecke der militärischen Sonderoperation sind dafür
ein anschauliches Beispiel.
Die Unterstützung der russischen Initiative zur Gründung einer
internationalen antikolonialen Bewegung „Für die Freiheit der Nationen“, die
sich gegen die modernen Praktiken der Ausbeutung und Hegemonie richtet, geht
in die gleiche Richtung.
* * *
Die Kunst der Diplomatie muß wiederbelebt werden!
Von Helga Zepp-LaRouche
16. Juli – Das knapp gescheiterte Attentat auf den
Präsidentschaftskandidaten Donald Trump hat die Welt schockiert und ihr vor
Augen geführt, wie fragil die internationale Lage geworden ist. Dies sollte
ein Weckruf für alle sein: Im Zeitalter thermonuklearer Waffen haben wir keine
andere Wahl, als auf Diplomatie als Mittel der Konfliktlösung zurückzugreifen.
Das bedeutet, immer die Interessen der anderen – aller anderen – zu
berücksichtigen; das ist die wichtigste Lehre aus dem Westfälischen Frieden,
der 150 Jahre Religionskriege in Europa beendete. Damals einigten sich die
Kriegsparteien darauf, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Sie erkannten,
daß bei einer Fortsetzung der Kämpfe bald niemand mehr am Leben sein würde,
der sich über den Sieg freuen könnte. Genau vor dieser Situation stehen wir
heute.
Die Dämonisierung Rußlands funktioniert im globalen Süden nicht, weil sie
nicht den Erfahrungen dieser Länder entspricht, die weltweit die große
Mehrheit stellen. In der jüngsten NATO-Erklärung heißt es, Rußland und China
stellten eine Herausforderung für die euro-atlantische Ordnung dar. Diese
Erklärung wird in den Ländern des Südens eher als ein Lob für diese beiden
Länder verstanden werden, da die NATO-Staaten von den sogenannten
Entwicklungsländern als die Kräfte angesehen werden, die weiterhin eine
neokoloniale Politik betreiben.
Es ist noch nicht zu spät, die gefährlichste strategische Situation zu
lösen, die die Welt je gesehen hat. Das Angebot von Präsident Putin für eine
neue eurasische Sicherheitsordnung1 sollte im Westen auf positive
Resonanz stoßen und sogar zu einer neuen globalen Sicherheits- und
Entwicklungsarchitektur2 ausgebaut werden, die die Interessen aller
Länder der Welt berücksichtigt.
Anmerkungen
1. https://seniora.org/politik-wirtschaft/friedensvorschlag-an-kiew-putins-komplette-grundsatzrede-zur-russischen-aussenpolitik
2. https://schillerinstitute.com/blog/2022/11/30/ten-principles-of-a-new-international-security-and-development-architecture/
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