Der LaRouche-Faktor bei der Gestaltung des BRICS-Prozesses
Interview mit Richard Black, Repräsentant des Schiller-Instituts bei den Vereinten Nationen
Dies ist die bearbeitete und leicht gekürzte Abschrift eines
Interviews, das EIR am 7. November 2024 mit Richard A. Black geführt
hat. Black ist seit 50 Jahren mit der LaRouche-Bewegung verbunden und vertritt
derzeit das Schiller-Institut bei den Vereinten Nationen. Er war vom 1. bis 3.
Oktober als geladener Redner auf der Konferenz der BRICS International School
in Moskau, wo er Lyndon LaRouches Ideen einer internationalen Gruppe junger
Akademiker vorstellte. Das Interview führte EIR-Mitherausgeber Michael
Billington; Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.
Billington: Du warst vor kurzem in Moskau, um an der BRICS
International School zu sprechen, die nur zwei Wochen vor dem BRICS-Gipfel im
russischen Kasan stattfand. Kannst du uns mehr über die BRICS International
School erzählen?
Black: Sie brachte 85 Studenten, Graduierte und einige junge
Diplomaten aus der ganzen Welt zusammen. Etwa 300 junge Menschen haben sich für
das dreitägige Seminar bewarben, und 85 wurden angenommen, darunter auch junge
Professoren aus Brasilien, Südafrika, China und anderen Ländern. Die Idee für
diese Seminare hatte Professor Georgij Toloraja von der Russischen Akademie der
Wissenschaften, die erste war vor acht Jahren. Er ist seit mehreren Jahren
Direktor des russischen Nationalkomitees für BRICS-Forschung. Das war eine
Gelegenheit, junge Leute zusammenzubringen – Menschen in ihren Zwanzigern,
junge Spezialisten, einige College-Studenten –, die in der Zukunft den Kader
bilden werden, der den gesamten internationalen BRICS-Prozeß vorantreibt. Es
hat mich sehr gefreut, am ersten Tag auf dem ersten Podium sprechen zu dürfen.
Das war eine außergewöhnliche Erfahrung.
Billington: Welchen Eindruck hattest du von den Studenten, die
teilnahmen?
Black: Es war ziemlich beeindruckend. Zunächst einmal: Sie
kamen aus der ganzen Welt: Ecuador, Brasilien, Laos, Vietnam, Jemen, Ägypten,
Indonesien, Indien und mehr – sehr, sehr vielfältig. Sie waren von dem Seminar
total begeistert und hungerten geradezu nach Ideen. Mein Vortrag über die Rolle
des „Prinzips“ bei der Gestaltung der Weltgeschichte und des weiteren Verlaufs
des BRICS-Prozesses wurde mit großer Begeisterung aufgenommen.
© 8th BRICS International School, Moscow
Richard A. Black am Podium während seines 20minütigen Vortrags in der ersten Sitzung der Konferenz. Neben ihm Professor Georgij Toloraja von der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Vieles von dem, was ich vortrug, war ihnen unbekannt, und ich wurde drei
Tage lang in den Mittagspausen und Veranstaltungspausen von Gruppen von
Studenten belagert; sie hatten Fragen zu Lyndon LaRouche und zur Rolle der
Ideen vom Westfälischen Frieden über die Geburt der Blockfreienbewegung, die
Asien-Afrika-Konferenz in Bandung in Indonesien 1955 bis hin zum Vorschlag der
Zehn Prinzipien einer Neuen Internationalen Sicherheits- und
Wirtschaftsarchitektur, den Helga Zepp-LaRouche seit einigen Jahren verbreitet.
Jeder in der Schulung hat eine Kopie von Zepp-LaRouches Zehn Prinzipien
bekommen, entweder auf Englisch oder auf Russisch. Es herrschte wirklich eine
große Begeisterung, ich war von dem Optimismus völlig überwältigt. Es handelt
sich hier um junge Menschen, sehr intelligent, Klassenbeste, die darüber
nachdachten, wie man die Welt in Zukunft gestaltet, und der Globale Süden als
Kraft in der Geschichte definiert dabei ihre große Aufmerksamkeitsspanne und
ihre Offenheit für Ideen und Konzepte.
„Historische Amnesie“
Billington: Wie war es mit den anderen Experten, die während der
Sitzung gesprochen haben? Haben sie auf das reagiert, was du über Lyndon und
Helga LaRouche gesagt hast?
Black: Ich habe ein wenig über die Vorgeschichte gesprochen, so gut
das in einem 20minütigen Vortrag möglich war, über Lyndon LaRouches Erfahrungen
in Indien am Ende des Zweiten Weltkriegs, als er den Völkermord des Britischen
Empire sah und sich schwor, in die USA zurückzukehren und auf irgendeine Weise
eine Bewegung zu gründen, eine Sammlung von Ideen und eine Bewegung darum
herum, um den Gang der Welt zu ändern. Ich habe in meinem Vortrag den
Westfälischen Frieden als Beispiel angeführt.
Zu meiner Überraschung – vielleicht hätte ich nicht überrascht sein sollen –
sagte einer der russischen Forscher auf demselben Podium: „Nein, nein, nein.
Der Westfälische Frieden war ein Mißerfolg, er war nicht wichtig, denn auch
wenn er den Krieg in Europa beendet haben mag, gingen im Rest der Welt
Konflikte weiter. Deshalb war der Westfälische Frieden nicht wichtig.“
Ein anderer sagte: ‚Ich bin anderer Meinung, die Bewegung der Blockfreien in
den 1950er und 60er Jahren hat für die BRICS heute keine Bedeutung, denn das
war damals nur eine Opposition gegen die Sowjetunion und gegen den Westen.
Deshalb sollte man das ignorieren.“ Interessant.
Ich fragte einen der erfahrenen Diplomaten dort: „Ich verstehe nicht ganz
den Einwand dieser Forscher gegen das, was ich vorgetragen habe. Das sind doch
die führenden Gelehrten des BRICS-Prozesses. Ist das historische Amnesie? Hat
für die nichts vor 1991 irgendeine Relevanz?“
Die Antwort war: „Nein, nein, Sie verstehen das nicht. Was Sie bei einigen
dieser jungen Professoren und Forscher sehen, ist die Folge von zwei
Jahrzehnten amerikanischen Steuergeldern, mit denen man junge Forscher in
Rußland einer Gehirnwäsche unterzieht.“
Was ich sagte, war also ziemlich kontrovers, und ich muß auch sagen, daß
einige der anderen Vorträge ein bißchen flach waren. Mein Vortrag wurde mit
großer Begeisterung aufgenommen.
Billington: Du hast auch erwähnt, daß der stellvertretende russische
Außenminister Sergej Rjabkow dort gesprochen hat.
Black: Das war großartig, Mike. Am zweiten Tag war der gesamte
Vormittag einem Vortrag von Vize-Außenminister Sergej Rjabkow vorbehalten. Er
hielt vor der versammelten Gruppe von 85 Studenten einen sehr scharfsinnigen
Vortrag über die Weltkriegsgefahr und über den BRICS-Prozeß als Ausweg aus
dieser Gefahr. Dann nahm er sich etwa 45 bis 50 Minuten Zeit, um die Fragen des
Publikums zu beantworten, eine nach der anderen. Die waren nicht zensiert,
nichts war aufgeschrieben oder vorher geprüft. Die jungen Leute aus Afrika und
Südamerika hatten eine Frage nach der anderen, meistens zu den
Entwicklungsperspektiven ihres jeweiligen Landes. Rjabkow gab erschöpfende
Antworten, war sehr entspannt, und er macht einen sehr belesenen Eindruck. Die
jungen Menschen schätzten es sehr, mit einem der führenden Männer der
Außenpolitik der Russischen Föderation zu sprechen.
© 8th BRICS International School, Moscow
Teilnehmer und Redner der 8th BRICS International School.
Oben rechts Richard A. Black und Professor Georgij Toloraja, in der Mitte
sitzend der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow.
Nach etwa anderthalb Stunden sagte der Moderator: „Laßt uns ein Foto
machen.“ Vizeminister Rjabkow ging vom Podium und setzte sich an den
Bühnenrand, und alle die jungen Leute stürmten heran wie ein Mob, jeder wollte
ihm nahe sein. 20 Fotografen machten Fotos von uns allen auf der Bühne. Die
Szene verkörperte mehr als alles andere, daß diese jungen Menschen wissen, daß
sie Teil der Geschichte sind. In gewisser Weise hat dieser sehr offene,
ausgedehnte Dialog mit dem stellvertretenden Außenminister, der ja der Sherpa
für die einjährige russische BRICS-Präsidentschaft war, die direkte Beziehung
zu ihm, wo man ihm Fragen stellen kann, ihre Begeisterung geweckt und die
Tatsache bestätigt, daß wir Geschichte schreiben.
Billington: Gibt es eine Verbindung zwischen der BRICS International
School und dem eigentlichen BRICS-Treffen, das zwei Wochen später in Kasan
stattfand?
Black: Ich glaube, es gab im Laufe des Jahres 2024 hunderte
Vorbereitungstreffen, die auf das Treffen in Kasan Ende Oktober hinführten. Die
BRICS International School, die wie gesagt seit acht Jahren jedes Jahr
stattfindet, war eine dieser Veranstaltungen. Das bemerkenswerte war, daß dort
keine hochgestellten Minister über Bankenpolitik oder Außenpolitik
diskutierten, sondern daß da junge Menschen waren, um zu lernen, nachzudenken
und Kontaktdaten auszutauschen. Ich schätze, etwa 20 Studenten haben mir ihre
Kontaktdaten über WhatsApp und WeChat und so weiter gegeben, und
seitdem stehe ich mit ihnen in Kontakt. Sie sind sehr daran interessiert, sich
in irgendeiner Weise an dem zu beteiligen, was wir tun. Insofern war diese
BRICS-Schule, obwohl sie nur drei Tage dauerte, ein wichtiges
Vorbereitungstreffen für Kasan.
Putins Vorschläge für BRICS
Billington: Auf dem Treffen in Kasan hat der russische Präsident
Wladimir Putin mehrere „ernsthafte Vorschläge“ für die BRICS-Diskussion
vorgelegt. Dazu gehörten eine Investitionsplattform, eine Getreidepattform und
einige andere Ideen, die nicht im Detail ausgearbeitet wurden, sondern eher
Ideen waren, die noch konkretisiert werden müssen. Wie siehst du Putins
Vorschläge zum jetzigen Zeitpunkt, da die BRICS-Präsidentschaft im nächsten
Jahr an Brasilien übergeht?
Black: Eines der Dinge, die mir aufgefallen sind, ist Putins Aussage
in seiner Eröffnungsrede zu Beginn des Gipfeltreffens in Kasan, daß die
BRICS-Staaten die Geschichte gestalten, und das nicht nur mit Worten, sondern
auch mit Taten. Das war eine äußerst starke Aussage über die Souveränität des
Prozesses, in dem diese Nationen auf der ganzen Welt sich verbinden, um etwas
Neues zu schaffen. Und am Ende der Konferenz, ich glaube in einer seiner
Abschlußreden, erwähnte er unter anderem, daß die BRICS mehrere Initiativen
hat: eine Investitionsplattform, eine Getreideplattform; die Afrikaner haben
eine geologische Plattform für die Erschließung der unerschlossenen
unterirdischen Reichtümer vorgeschlagen; andere Plattformen im Zusammenhang mit
der Nuklearmedizin usw. Was er vorschlug, waren also ganz konkrete Ideen.
Wir von der LaRouche-Bewegung vertreten bekanntlich schon seit langem die
Auffassung, daß das gegenwärtige Weltwährungssystem realistisch betrachtet
nicht reformierbar ist und daß man neue Institutionen braucht, die keine
Währungsinstitutionen, sondern Kreditinstitutionen sind, damit sehr
langfristige, sehr große Kredite nach Afrika, Mittel- und Südamerika und
Südostasien vergeben werden können, um Projekte zu realisieren, die fünf, zehn
oder auch dreißig Jahre dauern können. Diese Idee einer neuen
Investitionsplattform, die Putin vorbrachte, geht tatsächlich in diese
Richtung.
Und seit Kasan haben sich viele Sprecher in diese Richtung geäußert. Während
wir heute sprechen, findet gerade seit mehreren Tagen in Rußland im Waldai-Club
in Sotschi die Waldai-Konferenz statt, mit wichtigen Beiträgen zur Gestaltung
einer neuen Welt auf der Grundlage der Realwirtschaft und des Transfers
moderner Wissenschaft in den ehemaligen kolonialen Süden. Die Vorträge halten
u.a. der russischen Akademiker Sergej Glasjew, Paulo Nogueiro Batista aus
Brasilien und Dr. Wang Wen vom Chongyang-Institut der chinesischen
Renmin-Universität. Das sind herausragende Denker, die neue Ideen vorbringen.
Das ist es, was bei den College- und Graduiertenstudenten, vor denen ich an
der BRICS-Schule gesprochen habe, soviel Anklang fand. Sie wissen, daß etwas
Neues geschieht. Wenn wir mit ihnen über „die nächsten 50 Jahre der Erde“
sprechen, dann wissen sie, daß sie es sind, die das in die Tat umsetzen werden.
So denke ich, daß diese Vorschläge von Putin, wie eine Getreideplattform und
eine Finanzplattform, sehr wichtig sein werden, wenn die BRICS-Präsidentschaft
am 1. Januar, also in wenigen Wochen, an Brasilien und Präsident Lula übergeben
wird.
Jewgeni Primakow als geistiger Vater der BRICS
Billington: Präsident Putin erinnerte die etwa 12.000 Teilnehmer des
BRICS-Gipfels in Kasan auch daran, daß das ursprüngliche Konzept für die BRICS
vom damaligen russischen Ministerpräsidenten Jewgeni Primakow stammt. Das war
1998. Primakow erklärte bei einem Besuch in Indien, die Zukunft werde von „RIC“
geprägt sein, wie er es damals nannte: Rußland, Indien, China. Was bedeutet es
deiner Meinung nach, wenn Putin das zur Sprache bringt?
Black: Ich halte das für äußerst wichtig. Wir vom Schiller-Institut
haben über die Jahre hinweg immer wieder an die enorme Bedeutung dieses Genies
erinnert – das war er meines Erachtens –, Akademiemitglied Jewgeni Primakow,
der 1998 zum russischen Ministerpräsidenten ernannt wurde und sich einer
schrecklichen internationalen Krise gegenübersah. Es hatte gerade den Bankrott
der russischen Staatsanleihen gegeben. In Rußland schrumpfte die Bevölkerung
unter der Schocktherapie der 1990er Jahre, es verlor eine Million Bürger pro
Jahr. China war noch ziemlich arm, und die Beziehungen zwischen China und
Indien waren unklar. Und inmitten dieser Krise sagt ein Visionär wie Jewgeni
Primakow, die Zukunft werde vom Erfolg der Zusammenarbeit zwischen Rußland,
Indien und China geprägt sein. Erstaunlich!
Das ist der wahre Ursprung der BRICS-Idee. Wenn Putin das so zum Ausdruck
bringt, ist das eine Polemik, denn wenn man die westlichen Finanzmedien liest,
steht dort, den Begriff BRICS hätte ein Goldman-Sachs-Banker namens Jim O'Neill
geprägt. Das ist eine Geschichtsfälschung. Es handelt sich um ein 25-jähriges
Projekt, das es dem Globalen Süden ermöglichen soll, ins Zentrum der Geschichte
zu rücken. Und es war natürlich einer der wichtigsten Vorschläge der Gründerin
des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, daß der Globale Süden Geschichte
schreiben und Chancen schaffen muß, auch als Brücke zum Westen. Und jetzt sehen
wir, daß es so geschieht.
Ich denke also, daß es für diejenigen, die sich ein wenig mit Geschichte
auskennen, ziemlich polemisch war, daß Präsident Putin Akademiemitglied
Primakow zitiert hat. Unsere Konferenz fand übrigens in einem Hotel in der
Moskauer Innenstadt gegenüber dem riesigen Gebäude des Außenministeriums statt.
Direkt vor dem Hotel steht eine große Gedenkstatue von Primakow, die seine
Verdienste um die Weltgeschichte würdigt
Billington: Auf dem BRICS-Gipfel in Kasan gab auch ein etwas
unerwartetes, aber äußerst wichtiges Treffen zwischen dem chinesischen
Präsidenten Xi Jinping und dem indischen Premierminister Narendra Modi, die
sich während des Gipfels ausführlich unterhielten. Kannst du etwas zur
Bedeutung dieses Treffens sagen?
Black: Das ist meiner Meinung nach eine der wunderbaren Dimensionen
des BRICS-Prozesses. Unser Freund von der Russischen Akademie der
Wissenschaften, Professor Georgij Toloraja, der wirklich eine treibende Kraft
im russischen BRICS-Prozeß war, hat darauf hingewiesen, daß die BRICS-Staaten
zusammenkommen, um über Politik zu beraten und sich auf neue Wege in Richtung
wirtschaftlicher Gerechtigkeit zu einigen, die bisher verwehrt wurde. Natürlich
gibt es Konflikte zwischen den verschiedenen Ländern außerhalb des
BRICS-Prozesses, aber diese Konflikte werden nicht in die Diskussion innerhalb
der BRICS eingebracht. Das heißt, die BRICS ist neuen Ideen verpflichtet, die
auf einem gemeinsamen „Win-Win-Prozeß“ basieren, wie die Chinesen sagen.
Bei diesem Treffen zwischen Indien und China, einem langen persönlichen
Treffen zwischen Modi und Xi – das erste seit fünf Jahren – ging es darum, daß
wir uns in ein neues Paradigma bewegen, wie Helga Zepp-LaRouche es beschreibt.
Die Grenzfrage wurde aufgegriffen; Soldaten sowohl Chinas als auch Indiens
wurden zurückgezogen. Das war ein wichtiger Schritt. Wir wissen, daß in Indien
viele Industrielle und Unternehmer Modi gesagt haben: „Wir sollten China als
Chance sehen, nicht als Bedrohung. Und wir würden uns über chinesische
Investitionen in die Chipindustrie und andere Hochtechnologiebereiche in Indien
freuen.“ Das ist nur ein weiterer Beweis dafür, daß das, was den Menschen an
der London School of Economics, der Wharton School usw. beigebracht wird,
Unsinn ist.
Diese Konflikte, zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, Ägypten und Syrien,
China und Indien, können gelöst werden, wenn man weiß, wie man denkt. Und hier
betont Helga Zepp-LaRouche den „Zusammenfall der Gegensätze“, eine Denkmethode,
die Nikolaus von Kues vor vielen Jahrhunderten entwickelt hat und die heute
noch relevant ist. Man muß vom „Einen“ ausgehen, von der Universalität der
Menschheit, von der Definition der gemeinsamen Ziele der Menschheit als Ganzes,
dann können von diesem Standpunkt aus Konflikte gelöst werden – auf diese Weise
und auf keine andere, nur durch diesen Prozeß.
Die zukünftige Rolle der Neuen Entwicklungsbank
Billington: Eine der wichtigsten Rednerinnen auf dem BRICS-Treffen in
Kasan war Dilma Rousseff, die Leiterin der Neuen Entwicklungsbank (NDB), die
offiziell mit der BRICS-Bewegung verbunden ist. Sie ist außerdem ehemalige
Präsidentin Brasiliens. Wie siehst du die Rolle der Neuen Entwicklungsbank im
Zuge dieses Prozesses?
Black: Wie üblich hat Präsident Putin eine Flanke geschaffen. Im
Verlauf der Diskussion auf dem BRICS-Gipfel in Kasan sagte er, Rußland sei zwar
an der Reihe, nächsten Juli einen neuen Leiter der BRICS-Bank, der Neuen
Entwicklungsbank, zu ernennen, aber Rußland wolle mit seinen Problemen und
Kontroversen dem positiven Prozeß der Weiterentwicklung der Bank nicht im Wege
stehen. Deshalb schlug Putin vor, daß Dilma Rousseff im Amt bleibt, weil sie
seiner Meinung nach absolut außergewöhnliche Arbeit geleistet habe. Putin und
Dilma Rousseff haben sich wie gesagt während der Konferenz getroffen. Zudem hat
Präsident Xi in China Dilma Rousseff den höchsten Orden verliehen, den die
chinesische Regierung an einen ausländischen Staatsbürger vergeben kann. Das
ist schon ziemlich brillant.
Der BRICS-Prozeß, die Präsidentschaft, wird am 1. Januar an Lula und
Brasilien übergeben. Vermutlich wird Dilma in der NDB bleiben. Andere, wie
Paulo Nogueira Batista aus Brasilien, der ehemalige Vizepräsident der NDB,
skizzieren genau, wie Schritte in Richtung einer Reservewährung und umfassender
Alternativen zum IWF und den IWF-Konditionalitäten ausgearbeitet werden können.
Ich denke also, Dilma Rousseffs Rolle und die Zustimmung der „Schwergewichte“
Rußland und China, sie im Amt zu halten – wenn man das mit dem zusammennimmt,
worüber wir gerade gesprochen haben, die Notwendigkeit einer neuen
Investitionsplattform –, das bedeutet: Kredite. Es bedeutet große Kapitalmengen
für Dinge wie den Grand-Inga-Staudamm in der Demokratischen Republik Kongo,
dessen Verwirklichung immer wieder verschoben wurde, oder das Transaqua-Projekt
in Westafrika. All diese Projekte müssen, wie Glasjew sagt, „polyzentrisch“ in
Bezug auf Investitionen sein.
Die Idee ist, daß die Neue Entwicklungsbank von ganz oben her – Putin, Xi,
Lula – zu dem werden kann, was Lyndon LaRouche vor langer Zeit, 1975/76,
entworfen hat: eine Internationale Entwicklungsbank oder eine Entwicklungsbank
des Südens und für den Süden, wie Dilma es beschreibt. Ich denke also, das hat
viel Potential. Da Präsident Trump wieder ins Amt kommt und er wiederholt
erklärt hat, daß er sich mit Putin treffen und sich für ein Ende des Krieges in
Europa einsetzen wird, gibt es gute Aussichten, wenn wir diese Staatschefs beim
Wort nehmen.
BRICS ist nicht-westlich, aber nicht anti-westlich
Billington: Im Gegensatz dazu stellen die Massenmedien im Westen die
BRICS als eine große Bedrohung für den US-Dollar, für Institutionen wie den IWF
und die Weltbank und für Amerika und seine Bürger dar. Was sagst du dazu?
Black: Präsident Putin ist ein Meister der Flanke. Er hat im Verlauf
des Gipfeltreffens in Kasan sehr deutlich gesagt, daß das, was wir
zusammenbauen, nicht westlich, aber auch nicht antiwestlich ist. In jeder
größeren Rede in den letzten sechs Monaten hat er gesagt, daß diese neue
internationale Architektur, die wir zusammenbauen, allen Ländern offensteht,
auch den NATO-Ländern. Putin sagte: Die BRICS-Staaten sind gegen niemanden, sie
sind für die Entwicklung der Menschheit als Ganzes.
Bisher besteht die Propaganda in den Medien nur aus Horrorgeschichten, um in
der amerikanischen und europäischen Bevölkerung antirussische und
antichinesische Ressentiments zu schüren. Aber wenn man sich die Fakten
ansieht, haben die Präsidenten Xi und Putin gesagt, daß sie einem Beitritt des
Westens völlig offen gegenüberstehen. Wie Helga Zepp-LaRouche uns kürzlich in
Erinnerung gerufen hat, traf sich Präsident Xi mit dem damaligen US-Präsidenten
Obama und bot Obama an, der Gürtel- und Straßen-Initiative beizutreten und mit
ihr zusammenzuarbeiten. Das ist die ständige Politik.
© Alexei Danichev/ Photohost agency brics-russia2024.ru
Runder Tisch der Delegationsleiter der bisherigen neun Mitgliedstaaten der
BRICS. Im Bild links Chinas Präsident Xi Jinping, in der Bildmitte Rußlands
Präsident Wladimir Putin, rechts Indiens Premierminister Narendra Modi.
Und es ist wahr: Die BRICS-Führer gehen vom Standpunkt der „einen
Menschheit“ aus. Das ist die Zerstörung der Geopolitik. Das geht wirklich auf
Helgas großartige Einsicht in ihren Zehn Prinzipien für eine neue Sicherheits-
und Entwicklungsarchitektur zurück. In den Prinzipien neun und zehn sagt sie,
die Grundlage unseres Vorgehens sei, daß der Mensch gut ist und fähig ist, die
Kraft seines Geistes, die Kraft der Vernunft und die Schönheit seiner Seele zu
vervollkommnen. Und da diese Eigenschaften des Geistes und der Seele universell
sind, ist die Geopolitik aus dieser Sicht eine falsche Doktrin, weil sie auf
gegenteiligen Axiomen beruht, nämlich daß der Mensch ein Tier sei. Und weil der
Mensch ein Tier sei, gebe es jemanden an der Spitze und jemanden am unteren
Ende, und daher kommt die Idee des Hegemon.
Was diesen Diskussionsprozeß über die Offenheit der BRICS gegenüber dem
Westen betrifft, so war ich vor etwa einem Jahr in Minsk auf einer großen
Sicherheitskonferenz, und ausnahmslos jeder Außenminister oder stellvertretende
Außenminister, der dort sprach – von Lawrow aus Rußland über Szijjarto aus
Ungarn bis hin zu vielen stellvertretenden Außenministern aus Asien – sagte
dasselbe: Wir schaffen etwas Neues, und wir möchten, daß der Westen mitmacht,
sie ist aber jetzt noch nicht bereit, sich anzuschließen, sie halten an ihrem
System der imperialen Kontrolle fest. Sobald sie es aufgeben, heißen wir sie
willkommen, wenn sie mit gegenseitigem Respekt und gutem Willen kommen.
Wir müssen also gute Arbeit leisten, Mike, um unsere amerikanischen
Mitbürger zu erreichen und ihnen zu erklären, daß dies eine einmalige
Gelegenheit ist – und übrigens eine sehr „amerikanische“ Gelegenheit! Eines der
Themen, die ich mit den Studenten der BRICS-Schule besprochen habe, ist die
Rede Präsident Roosevelts aus dem Jahr 1941, die als „Rede über die vier
Freiheiten“ bekannt ist: Freiheit von Hunger, Freiheit von Angst, Freiheit der
Religion, Freiheit der Rede für alle, überall auf der Welt. Für diese
Freiheiten kämpfen wir, überall auf der Welt. Das ist keine amerikanische
Politik. Das ist eine universelle Politik. Und das ist im wesentlichen die
Ausrichtung der BRICS-Staaten.
China ist keine Bedrohung
Billington: Du hast nicht nur Rußland und Weißrußland besucht und mit
ihnen zusammengearbeitet, du warst auch mehrmals in China. Und ich weiß, daß du
dich intensiv mit der Frage der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten
und China beschäftigt hast. Ich habe gehört, was du über Präsident Trumps
Versprechen gesagt hast, den Ukraine-Krieg, den NATO-Krieg gegen Rußland zu
beenden, was extrem wichtig ist. Aber wie du bereits angemerkt hast, hat Trump
vor der Wahl gesagt, daß er China von Rußland wegbringen will, die enge
Verbindung zwischen China und Rußland sei eine Bedrohung für die USA und den
Westen. Gibt es also einen Grund für uns, China zu fürchten?
Black: Absolut nicht. Das bringt mich wieder zu den Teilnehmern der
BRICS-Schule. Sie sind begeistert von einer neuen Welt und hungern nach neuen
Ideen, um diese neue Welt zum Funktionieren zu bringen.
Ich möchte zwei außergewöhnliche Dinge an China nennen, die mir in den Sinn
kommen. Erstens sagten sie etwa 2016, wir müssen etwas gegen die extreme Armut
bei uns tun. Und sie starteten ein Programm zur Beseitigung der extremen Armut
in jeder Provinz und jedem Dorf in diesem riesigen Land. Geografisch gesehen
hat das Land etwa die Größe der Vereinigten Staaten. Sie stellten dafür 240.000
Sozialarbeiter, Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler im ganzen Land an und
organisierten die Beseitigung der ländlichen Armut durch großangelegte
Wirtschaftsentwicklung. Und 2020 haben sie es geschafft. Sie haben die extreme
Armut beseitigt, in dem ganzen Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern. Das ist
außergewöhnlich.
Und ich kann Ihnen sagen, das hat einen enormen Einfluß auf jede
Staatsführung in Afrika, Südamerika, Südwestasien und Südostasien: diese
Vorstellung, daß die Chinesen das geschafft haben. „Sie waren in extremer
Armut. Und wenn sie es geschafft haben, dann können wir es auch.“
Das ist also ein Merkmal Chinas. China gewinnt Freunde, indem es
Außergewöhnliches leistet, nicht indem es sich gegen die USA oder irgend etwas
im Westen stellt.
Zweitens läuft dort eine sehr amerikanische wirtschaftspolitische Debatte,
in der Präsident Xi vor einem Jahr Studien auf höchster Regierungsebene
forderte, um eine neue Theorie der Produktivkräfte in der Wirtschaft auf den
Weg zu bringen. Heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, um hier ins Detail zu
gehen, aber die Theoretiker an der Spitze der chinesischen Regierung sagen: Der
Schlüssel zu unserem anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg liegt nicht darin, so
weiterzumachen wie bisher. Präsident Xi sagte, was wir bisher getan haben,
reicht nicht aus. Sie fordern, die Rate ihrer Innovationssprünge in der
Wissenschaft zu erhöhen. Von Quantencomputern, Lebenssystemen im Weltraum,
Kernfusion bis zur Saatgutforschung produzieren sie eine Erklärung nach der
anderen, ein Papier nach dem anderen, daß sie versuchen, eine neue Theorie der
Produktivkräfte auf der Grundlage der Physik, auf der Grundlage der
Wissenschaft zu bilden.
Aber das ist eine ganz amerikanische Idee! Sie haben die Spätzeit der
Regierung von Franklin D. Roosevelt studiert, als der Physiker Dr. Vannevar
Bush, Roosevelts brillanter Wissenschaftsberater, sagte, die Grundlage für
unseren Erfolg nach dem Krieg werde darin bestehen, neue Prinzipien und neue
Konzepte zu beherrschen und sie im ganzen Land zu verbreiten – eine sehr
amerikanische Idee, typisch Lincoln, typisch Hamilton. Das ist es, was die
Chinesen jetzt tun.
Die Chinesen gewinnen Freunde, nicht indem sie die Vereinigten Staaten
angreifen, sondern indem sie etwas tun, das meiner Meinung nach sehr
amerikanisch ist. Und das andere ist, daß Trump nach seinem ersten Wahlsieg an
der ersten Phase eines Handelsabkommens mit China arbeitete. Das dauerte etwa
ein Jahr, anderthalb Jahre. Und ich erinnere mich lebhaft an die Szene im
Weißen Haus, als der chinesische Chefökonom Liu He, ein brillanter Mann, neben
Trump stand.
Sie hatten gerade ein riesiges Geschäft mit Sojabohnenverkäufen an China und
anderem abgeschlossen. Trump hielt eine Rede vor den chinesischen
Spitzenökonomen und dem amerikanischen Kabinett. Er sagte, das sei nicht nur in
Bezug auf den Handel wichtig, wir schaffen damit eine ganze Reihe neuer
Möglichkeiten, und das ist unsere Arbeit. Das war Trump mit der chinesischen
Wirtschaftsführung, ein Jahr nach seinem Amtsantritt.
Ich sage oft scherzhaft: Das einzig wirklich Gute an Trump ist, daß er keine
Prinzipien hat. Er ist durch und durch pragmatisch. Wenn er also etwas wirklich
Dummes sagt, wie er es im Wahlkampf getan hat, nämlich daß er, sobald er ins
Weiße Haus einzieht, Rußland und China auseinanderbringen wird – das ist
absurd, natürlich wird das nicht funktionieren. Aber ist er dem wirklich
verpflichtet? Ich glaube nicht. Er ist nur sehr wenig verpflichtet, nur dem,
was er gerade denkt.
Das ist eine unserer Aufgaben, was die von Diane Sare organisierte nationale
Bewegung verkörpert. Hinter mir ist das Plakat zu sehen, auf dem auf
Mandarin-Chinesisch steht: „Atomkraft, nicht Atomkrieg“. Das war eines unserer
Kampagnenplakate in Chinatown in New York City. Unsere Aufgabe ist es, die
Bewegung, die wir im ganzen Land aufbauen, dazu zu bringen, Trump wachzurütteln
und ihm etwas Vernunft in Bezug auf die physische Wirtschaft zu vermitteln.
Führt der BRICS-Gipfel in ein neues Paradigma?
Billington: Wie würdest du insgesamt die Erfolge des BRICS-Gipfels in
Kasan charakterisieren?
Black: Unsere Kollegin Helga Zepp-LaRouche hat in all ihren
Interviews in TASS und anderen internationalen Medien betont, daß sie
sich vom Kasaner Gipfel nicht nur die Vereinbarung und Unterzeichnung einiger
neuer politischer Maßnahmen erhofft, sondern daß er ein neues Paradigma der
internationalen Beziehungen einläutet – daß wir der britischen Geopolitik den
tödlichen Pflock ins Herz treiben und sie durch ein neues Paradigma der
internationalen Beziehungen ersetzen. Und ich denke, unter den BRICS-Staaten
sehen wir den Keim dieser Entwicklung wachsen.
Man darf nicht vergessen, daß China keine christliche Nation ist; es ist
konfuzianisch, es ist buddhistisch, es ist daoistisch. Rußland ist eine
ökumenische Nation mit einem langen, stolzen christlichen Erbe. Brasilien, auf
der anderen Seite der Welt, ist ein Riese in einer anderen Hemisphäre. Wie
kommt es, daß diese Nationen – China 5000 Jahre alt, Rußland 1000 Jahre alt,
eine christliche Nation – bei bestimmten Grundprinzipien zusammenarbeiten? Ich
denke, wir machen Fortschritte in Richtung dessen, was Helga Zepp-LaRouche als
sehr hohen Standard gesetzt hat: daß wir ein neues Paradigma, eine neue
Denkweise brauchen. Wie Dr. Sun Yat-sen 1918 polemisch bemerkte, als er über
das Chaos in China frustriert war, selbst nach dem erfolgreichen Sturz der
Dynastie im Jahr 1911: Er sagte, die chinesische Ideologie unter den Bauern ist
falsch. Die Bauern glauben, Denken sei einfach und Handeln sei schwer. Das sei
die Ursache allen Chaos. Handeln ist einfach – denken ist schwer! Wenn man auf
wahrheitsgemäße Weise denken kann, dann ist die Ausführung relativ einfach.
Und ich denke, wir sehen den Beginn eines Umdenkens auf höchster Ebene, nicht
in den Bürokratien dieser verschiedenen Nationen, sondern auf der Ebene von
Präsident Xi und Präsident Putin. Unser Beitrag und sicherlich auch Helga
Zepp-LaRouches Zehn Prinzipien1 waren in Kasan im Umlauf. Ich denke,
wir stehen kurz davor, ein neues Paradigma ins Leben zu rufen.
Anmerkung
1. Helga Zepp-LaRouche, Zehn Prinzipien für eine neue internationale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur.
|