„Die geopolitische Situation verändert sich“
Von Graham Fuller
Graham E. Fuller ist ehemaliger stellvertretender Vorsitzender
des Nationalen Geheimdienstrates der CIA für Langzeitprognosen. Für die
Konferenz des Schiller-Instituts zum Oasenplan am 13. April 2024 übermittelte
er die folgende Videobotschaft. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Guten Morgen! Es ist mir eine große Freude, auf der Konferenz des
Schiller-Instituts über den Oasenplan sprechen zu können, der meiner Meinung
eines der spannendsten und positivsten Elemente ist, die seit einiger Zeit im
Nahen Osten auf diplomatischer Ebene aufgetaucht sind.
Ich möchte nur ein paar Bemerkungen auf zwei Ebenen machen. Zunächst möchte
ich auf die sehr schädlichen geopolitischen Auswirkungen mehrerer Jahrzehnte,
wenn nicht sogar eines Jahrhunderts ziemlich häßlicher Geopolitik im Nahen
Osten hinweisen, die sicherlich dazu beigetragen hat, daß die Region
Schwierigkeiten hatte, irgendeinen kohärentem Plan für sich zu entwickeln.
Es ist interessant, daß immer, wenn wir im Laufe der Jahre Schlagzeilen
über dieses und jenes Problem im Nahen Osten hören, die beliebte Frage
aufkommt: „Was ist eigentlich mit dem Nahen Osten los? Woher kommen diese
ständigen Konflikte?“
Es gibt keine einheitliche Antwort. Jede Region hat ihre eigenen Probleme,
das gilt weiß Gott auch für den Westen, für Afrika, Asien und Südamerika. Aber
zum Nahen Osten ist interessant festzustellen: Sobald die europäischen Mächte
im Mittelalter begannen, sich die Hörner abzustoßen und den Wunsch verspürten,
zu expandieren und nach außen zu gehen, war der Nahe Osten der erste
Landstrich, den sie ansteuerten, als sie ihre Streitkräfte nach außen
verlegten, um ihre Macht auszuweiten. In gewissem Sinne können wir sogar bis
zu den Kreuzzügen zurückgehen, als dem ersten ernsthaften Versuch des Westens,
den Nahen Osten zu beherrschen, und das hat seither nicht mehr aufgehört.
Ich denke, heute gibt es mehr Grund zur Hoffnung, daß wir vielleicht einen
kühnen Plan wie den Oasenplan umsetzen können, der Wasser, Land, Ressourcen
aller Art, Öl und Energie einbezieht und die gesamte Region umgestaltet. Es
gibt jetzt eine größere Chance, daß ein Kalter Krieg nicht mehr ganz so stark
stört wie früher. Sicher, die Vereinigten Staaten sind besorgt über den
Aufstieg Chinas in der Welt, und das wird sich nicht ändern. Die USA stecken
jetzt gewissermaßen im Kampf gegen diesen Aufstieg fest, aber es gibt doch
keinen echten ideologischen Kampf in dem Sinne, daß Mao Zedong in China oder
die Kommunistische Partei Rußlands Ideen eines globalen Kommunismus
propagierten. Das ist einfach nicht der Fall, und wir haben meiner Meinung
nach in ideologischer Hinsicht ein entspannteres internationales Umfeld.
Auch Rußland ist jetzt – obwohl viele sich über den Ukraine-Konflikt
streiten mögen – eine neue Macht, die sich in einer ganz anderen Form
präsentiert. Und überraschenderweise erfährt es viel Sympathie und
Unterstützung aus dem aufstrebenden Globalen Süden.
Ich würde diesen neu entstehenden Globalen Süden als einen weiteren,
wirklich wichtigen Faktor in der sich entwickelnden Weltlage bezeichnen.
Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative bildet in gewisser Weise eine Einheit
mit dem Oasenplan, aber auch die BRICS – Brasilien, Rußland, Indien, China und
Südafrika, zu denen sich nun viele andere schwergewichtige Wirtschaftsakteure
der Welt gesellen – verändern die geopolitische Situation.
Ich denke also, daß neue Akteure im Spiel sind. Es handelt sich nicht mehr
um einen zweiseitigen oder gar dreiseitigen Kampf im Kalten Krieg. Es sind
viel mehr Akteure beteiligt, die viel mehr zu sagen haben, viel mehr
Selbstvertrauen haben und in der Lage sind, sich darüber zu äußern, wie die
zukünftige Weltarchitektur aussehen soll. In diesem Sinne bin ich recht
optimistisch, daß wir neue Faktoren erwägen und hoffentlich einige der
schlimmsten der Vergangenheit hinter uns lassen können.
Man könnte am Rande erwähnen, daß einer der Gründe für den Erfolg von
Dschingis Khans „Gürtel- und Straßen-Initiative“, seinen Plan den eurasischen
Raum, leider darin bestand, daß er sehr viele Menschen umbrachte, damit sie
bei dem Plan mitmachen. Und in der Tat, nachdem diese Menschen tot waren,
führte der Plan zu einer bemerkenswerten neuen Entwicklung eines globalen
Eurasiens.
Das Problem für das Schiller-Institut ist nun, daß es keinen Dschingis Khan
hat, der helfen kann, einen höchst lohnenswerten Plan in die Tat umzusetzen.
Aber ich hoffe, daß die allgemeine Weisheit des Plans und die neue Weltlage
seine Umsetzung auch ohne das erleichtern werden. Ich danke Ihnen.
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