Die Menschheit muß an erster Stelle stehen!
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche ist Gründerin und Vorsitzende des
Schiller-Instituts und Co-Initiatorin der Internationalen Friedenskoalition.
Wir kommen hier zu dieser internationalen Internetkonferenz zusammen, um
einen dringenden Aufruf an die Welt zu senden – nicht nur, daß wir Wochen, Tage
oder Stunden von der möglicherweise größten Katastrophe in der Geschichte der
Menschheit entfernt sein könnten, nämlich ihrer potentiellen Vernichtung in
einem thermonuklearen Krieg, sondern auch, um nachdrücklich darauf hinzuweisen,
daß es eine Lösung gibt, einen Ausweg aus dieser Gefahr, wenn sich Menschen
guten Willens auf der ganzen Welt zusammenschließen, um ihre Umsetzung
durchzusetzen. Es ist mir eine große Ehre, alle hochrangigen
Diskussionsteilnehmer, die den globalen Süden sowie westliche Nationen
vertreten, zum 40. Jahrestag der Gründung des Schiller-Instituts begrüßen zu
dürfen!
Aber die nächsten Wochen bis zum 20. Januar sind die gefährlichsten
überhaupt, bei weitem gefährlicher als die Kubakrise, denn die
Atomwaffenarsenale der NATO und Rußlands, vielleicht auch anderer, sind auf
„launch on warning“ (Start auf Warnung) gesetzt. Das bedeutet, daß die
Vorwarnzeit je nach System zwischen 5 und 30 Minuten beträgt – mit einer
atemberaubenden Eskalation Schritt für Schritt bis zum potentiellen Armageddon.
Und im Gegensatz zur Kubakrise gibt es keine Kommunikationswege zwischen den
beiden Seiten.
Während Präsident Biden der Ukraine bis vor kurzem die Nutzung der
ATACMs-Raketen für Angriffe tief in das Gebiet Rußlands hinein verweigerte,
ausdrücklich wegen der Befürchtung, daß dies eine direkte militärische
Konfrontation zwischen den USA und anderen NATO-Staaten und Rußland bedeuten
würde, erteilte er weniger als zwei Wochen nach dem Wahlsieg von Donald Trump am
17. November doch diese Erlaubnis, die dann prompt am 19. November von der
Ukraine für Angriffe auf die russischen Regionen Kursk, in die die Ukraine am 3.
August einmarschiert war, und Brjansk genutzt wurde.
Dabei wurde die Tatsache völlig ignoriert, daß Putin Ende September die
russische Nukleardoktrin aktualisiert hatte. In dieser Doktrin heißt es in Punkt
11: „Eine Aggression gegen Rußland und/oder seine Verbündeten durch einen
Nicht-Nuklearstaat mit Beteiligung oder Unterstützung eines Nuklearstaates wird
nun als gemeinsamer Angriff betrachtet.“
Damit befinden sich die USA und die NATO faktisch im Kriegszustand mit
Rußland. Das hinderte Admiral Thomas Buchanan vom US STRATCOM nicht daran, am
20. November in Washington bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Report Launch:
Project Atom 2024“ des Center for Strategic and International Studies (CSIS), zu
erklären, daß die USA zu einem nuklearen Schlagabtausch bereit wären, wenn die
globale Führungsrolle der USA auf dem Spiel stünde.
Am nächsten Tag, am 21. November, feuerte Rußland eine neue
Hyperschall-Mittelstreckenrakete, die Oreschnik, auf die Waffenfabrik Juschmasch
in der ukrainischen Stadt Dnipro ab. Präsident Putin sagte auf einer Konferenz
der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) in Astana
Folgendes zu diesem Angriff:
„Dutzende Sprengköpfe, selbstgesteuerte Einheiten, greifen das Ziel mit einer
Geschwindigkeit von Mach 10 (zehnfache Schallgeschwindigkeit) an. Das sind etwa
drei Kilometer pro Sekunde. Die Temperatur der Angriffselemente erreicht 4000
Grad. Wenn ich mich recht erinnere, beträgt die Temperatur auf der Oberfläche
der Sonne 5500 bis 6000 Grad. Daher wird alles, was sich im Epizentrum der
Explosion befindet, in Bruchstücke, in Elementarteilchen, zerlegt, alles
verwandelt sich im Wesentlichen in Staub. Die Rakete ist in der Lage, selbst
stark befestigte Strukturen und solche, die sich in beträchtlicher Tiefe
befinden, zu zerstören.“
Mit anderen Worten beschrieb Putin die Auswirkungen des gleichzeitigen
Einsatzes mehrerer Oreschnik-Raketen als so stark in Bezug auf ihre
Zerstörungskraft wie eine Atomwaffe.
Sofort beeilten sich verschiedene westliche „Experten“, die Zerstörungskraft
dieser neuen Waffe herunterzuspielen, indem sie sie als „vernachlässigbar“ und
nichts Besonderes bezeichneten. Damit wird jedoch der Punkt verfehlt, auf den
russische Militärexperten hinweisen, die darauf bestehen, daß das Ergebnis mit
einer Atomwaffe vergleichbar ist, wenn die Oreschnik in einem konzentrierten
massiven Angriff eingesetzt wird, bei dem mehrere Oreschnik-Raketen gleichzeitig
zum Einsatz kommen.
Aber es handelt sich um eine nicht-nukleare Waffe, die mit fast Mach 11
eingesetzt werden kann und daher nicht von NATO-Streitkräften abgefangen werden
kann. Sie trifft ihr Ziel mit kinetischer Energie mit einer so hohen
Geschwindigkeit, daß diese in Wärmeenergie umgewandelt wird, die eine
expandierende Masse von überhitzten Dämpfen mit einer Energiedichte ähnlich wie
TNT erzeugt. Sie erzeugt Krater wie ein Meteorit mit hoher Geschwindigkeit. Die
Hyperschalleigenschaften dieser neuen Waffe bedeuten, daß ihre Konstrukteure die
Physik hydrodynamischer Stoßwellen genutzt haben.
Es ist typisch für die übliche Realitätsverleugnung bestimmter Kräfte im
Westen – „Putin blufft“, „es gibt keine roten Linien“ usw. usw. –, die
entscheidenden Eigenschaften der Oreschnik auszublenden – nämlich, daß sie nicht
als Massenvernichtungswaffe eingestuft werden kann; daß sie eine
außergewöhnliche Präzision aufweist; und daß sie in Kombination mit anderen neu
entwickelten Waffen, die Rußland noch nicht eingesetzt, aber angedeutet hat,
eine Leistung erzielen kann, die der einer Atomwaffe nahekommt, aber im
Gegensatz zu diesen keinen nuklearen Fallout erzeugt.
LaRouches SDI
Aber die Oreschnik-Überraschung deutet über ihre unmittelbare Anwendung
hinaus auf ein weiteres faszinierendes Potential hin. Als die Welt bereits
einmal mit der nuklearen Auslöschung bedroht war, während der
Mittelstreckenraketenkrise Anfang der 1980er Jahre, als die Pershing II und SS20
ebenfalls eine nur Vorwarnzeit von 4-8 Minuten hatten, entwickelte Lyndon
LaRouche den Vorschlag, der als SDI bekannt wurde, nachdem Präsident Reagan ihn
in einer Fernsehansprache am 23. März 1983 als offizielle strategische Politik
der USA verkündet hatte. Im Wesentlichen ging es um die Idee, daß beide
Supermächte, die USA und die Sowjetunion, gemeinsam neue Technologien auf der
Grundlage neuer physikalischer Prinzipien entwickeln würden, um Atomwaffen
technologisch obsolet zu machen.
LaRouches Vorschlag beinhaltete das Konzept, diese neuen Technologien als
Wissenschaftsmotor für die zivilen Volkswirtschaften beider Seiten zu nutzen und
einen gemeinsamen gigantischen Technologietransfer in den Entwicklungssektor zu
betreiben, um die Unterentwicklung zu überwinden. Es handelte sich um einen
umfassenden Plan zur Überwindung der Blockbildung zugunsten einer Zusammenarbeit
im gegenseitigen Interesse.
Dieser Vorschlag wurde damals von Moskau mit dem Argument abgelehnt, er
bringe dem Westen mehr Vorteile als der Sowjetunion.
Aber die Idee, Atomwaffen technologisch obsolet zu machen, war offensichtlich
ein Element des Ansatzes, als Putin am 1. März 2018 in seiner jährlichen
Staatsansprache eine Vielzahl neuer Waffensysteme ankündigte. Dabei präsentierte
er Videos und Animationen von mit nuklearem Antrieb,
Hyperschall-Marschflugkörpern und einem neuen Interkontinentalraketensystem, der
RS-28 Sarmat-Rakete, die im Westen wegen ihrer enormen Zerstörungskraft „Satan“
genannt wird. Sie soll über zehn unabhängig voneinander zielbare
Wiedereintrittsraketen und bis zu 15 nukleare Sprengköpfe verfügen.
Es gibt das Konzept von Rüstungskontrollverträgen als Versuch, einen
nuklearen Holocaust zu verhindern. Aber wie wir in den letzten 23 Jahren gesehen
haben, funktioniert das nur, wenn beide Seiten dem Abkommen ehrlich zustimmen.
Praktisch jeder einzelne Abrüstungsvertrag zwischen den Großmächten wurde
aufgekündigt. LaRouches Konzept, das von Reagan bis zum Ende seiner
Präsidentschaft unterstützt wurde, bestand darin, Atomwaffen technologisch
obsolet zu machen.
Die Entwicklung der Oreschnik ist im Wesentlichen ein Schritt in diese
Richtung, auch wenn die derzeitige Geschwindigkeit von fast Mach 11 noch nicht
ausreicht, um die Wirkung einer Atomwaffe zu erreichen. Dies ist jedoch
höchstwahrscheinlich noch nicht das Ende der Forschung, die das Prinzip der
Stoßwellen in Hyperschallraketen anwendet. Wenn diese Raketen mit einer höheren
Geschwindigkeit die Wirkung von Atomwaffen übertreffen, höchstwahrscheinlich in
Kombination mit anderen Technologien, könnten diese Atomwaffen obsolet
werden.
Das Vorbild des Westfälischen Friedens
Als die Kriegsparteien im Europa des 17. Jahrhunderts nach 150 Jahren
Religionskrieg und der Zerstörung von einem Drittel der Bevölkerung, Dörfern,
Tieren usw. erkannten, daß niemand mehr am Leben sein würde, um den Sieg zu
genießen, wenn sie weiterkämpfen würden, setzten sie sich in Münster und
Osnabrück an den Verhandlungstisch und einigten sich nach vier Jahren auf den
Westfälischen Frieden. Ist es angesichts der unmittelbaren Gefahr eines globalen
Atomkriegs, der alles Leben auf dem Planeten auslöschen würde, nicht dringend
notwendig, sich auf eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur
zu einigen, die auf der Anerkennung des Westfälischen Friedens beruht, daß jede
Friedensordnung die Interessen des anderen, aller anderen berücksichtigen muß?
Und wäre es nicht äußerst dringend, daß diese Verhandlungen die gemeinsame
Zusammenarbeit von Militärwissenschaftlern aus Rußland, China und den USA
einschließen, um gemeinsam an der Erforschung neuer physikalischer Prinzipien zu
arbeiten, die Atomwaffen überflüssig machen könnten?
Der alternative Standpunkt wurde von STRATCOM-Admiral Thomas Buchanan auf
einer Sitzung des CSIS am 20. November mit dem Titel „Project Atom 2024“
vertreten, der argumentierte, es sei für die USA in Ordnung, Atomwaffen
einzusetzen, um die strategische Hegemonie der USA aufrechtzuerhalten. Sein
einziger Vorbehalt war, daß die USA darauf achten sollten, genügend Atomwaffen
übrig zu behalten, um die Hegemonie der USA danach aufrechtzuerhalten.
Leider ist diese gestörte Denkweise eines Dr. Seltsam, die Illusion, daß ein
Atomkrieg geführt und sogar gewonnen werden kann, ein tödliches Virus, das in
jüngster Zeit die Gehirne vieler Menschen in atlantischen Kreisen infiziert
hat.
Die Lösung des gordischen Knotens
Kurt Campbell, stellvertretender Außenminister, sagte kürzlich vor dem
Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses: „Ehrlich
gesagt verblaßt der Kalte Krieg im Vergleich zu den vielfältigen
Herausforderungen, die China darstellt“, und betonte, dies sei die größte
Herausforderung in der Geschichte der USA. „Es ist nicht nur eine militärische
Herausforderung, sondern eine Herausforderung in allen Bereichen. Sie betrifft
den globalen Süden. Sie betrifft die Technologie. Wir müssen uns in allen
Bereichen verbessern.“
Dieses erstaunliche Eingeständnis, daß es der wissenschaftliche und
technologische Aufstieg Chinas und damit der Aufstieg des globalen Südens ist,
der als beispiellose Bedrohung in der Geschichte der USA gilt, verdient eine
genauere Betrachtung. Tatsächlich deutet es auf die Lösung des gordischen
Knotens hin.
Als der Kalte Krieg aufgrund des wirtschaftlichen Scheiterns der sowjetischen
Wirtschaftsform endete, gab es für eine gewisse Zeit keine strategische
Bedrohung, wie bedeutende Zeitzeugen wie der US-Botschafter Jack Matlock und
andere versichert haben. Es wäre absolut möglich gewesen, eine globale
Friedensordnung auf der Grundlage von LaRouches Vorschlägen für das Produktive
Dreieck Paris-Berlin-Wien von 1989 und die Eurasische Landbrücke von 1991 als
wirtschaftliche Grundlage zu schaffen.
Diese Vorschläge wurden jedoch von den Neokonservativen in Washington und
London auf der Grundlage dessen, was später als Wolfowitz-Doktrin bezeichnet
wurde, und des damit verbundenen Bruchs der Versprechen an Gorbatschow, die NATO
nicht einen Zoll nach Osten zu verschieben und keine ausländischen Truppen auf
dem Gebiet der ehemaligen DDR zu stationieren, abgelehnt. Die erste
NATO-Erweiterung 1999 umfaßte Polen, die Tschechische Republik und Ungarn,
gefolgt von fünf weiteren Erweiterungen über 1000 km weiter nach Osten, sowie
Farbrevolutionen, Regimewechseln, Interventionskriegen und einseitigen
Sanktionen, die alle darauf abzielten, die Aussage von Fukuyama zu beweisen, die
Geschichte sei mit dem Kalten Krieg zu Ende, was bedeute, daß die ganze Welt
schließlich das westlich-liberale Demokratiemodell übernehmen werde.
Damit einher ging eine Vertiefung des Paradigmenwechsels, vor dem LaRouche in
seiner historischen Prophezeiung von 1971 gewarnt hatte, als er Nixons
Einführung flexibler Wechselkurse als Systemübernahme bezeichnete. Die
transatlantische Welt gab immer mehr die soliden Prinzipien der Realwirtschaft
auf, zugunsten von Outsourcing auf billige Arbeitsmärkte,
Just-in-Time-Produktionsweisen, Börsengängen und Gewinnmaximierung durch
hochriskante Spekulationen auf den Derivatemärkten.
Gleichzeitig führte die Ansicht, Rußland sei auf eine „Regionalmacht“
reduziert worden, wie Obama es gefordert hatte, zu der Fehleinschätzung, es sei
nun nicht mehr notwendig, bei Technologien im Zusammenhang mit höheren
Energiestromdichten führend zu bleiben, zugunsten einer stark ideologisierten
Bevorzugung „grüner“ alternativer Energiequellen mit einer sehr niedrigen
Energiestromdichte.
Chinas technologische Revolution
China hingegen, das bereits begonnen hatte, die wissenschaftsfeindliche
Ausrichtung der Kulturrevolution mit Deng Xiaopings Politik der Reform und
Öffnung umzukehren, machte mit der Wirtschaftstheorie von Präsident Xi Jinping
weitere qualitative Fortschritte. Nachdem China 850 Millionen (!) seiner eigenen
Bevölkerung aus der Armut befreit hatte, begann es, das chinesische
Entwicklungsmodell auch den Ländern des globalen Südens zugänglich zu machen,
als es 2013 in Kasachstan die Politik der Neuen Seidenstraße einleitete.
In den elf Jahren, die seitdem vergangen sind, hat sich das größte
Infrastrukturentwicklungsprojekt der Geschichte entfaltet, an dem mittlerweile
150 Länder teilnehmen, die darin eine Win-Win-Situation für sich selbst sehen,
um ihre eigene Armut und Unterentwicklung zu überwinden.
In China wurde der Fokus auf eine schnelle Entwicklung mehr und mehr durch
den Fokus auf eine qualitativ hochwertige Entwicklung ersetzt, die auf den
Aufbau von Eigenständigkeit und Stärke in Wissenschaft und Technologie
abzielt.
Laut dem Critical Technology Tracker des Australian Strategic Policy
Institute ist China nun in 37 von 44 Technologien führend, die das ASPI
beobachtet, darunter in den entscheidenden Bereichen Verteidigung, Raumfahrt,
Robotik, Energie, Umwelt, Biotechnologie, künstliche Intelligenz,
fortschrittliche Materialien und Schlüsselbereiche der Quantentechnologie. Es
zeigt auch, daß bei einigen Technologien alle zehn weltweit führenden
Forschungseinrichtungen in China ansässig sind und zusammen neunmal mehr
hochkarätige Forschungsarbeiten hervorbringen als das zweitplatzierte Land.
Diese Schwerpunktsetzung wurde seit etwa Mitte 2023 von Xi Jinping
beschleunigt, als er das Konzept der „Produktivkräfte neuer Qualität“
vorstellte, die „von neuen Theorien der Produktivkräfte geleitet“ werden
sollten. Er fordert, daß „revolutionäre technologische Durchbrüche“ die
Entstehung neuer Produktivkräfte von hoher Qualität beschleunigen sollten, die
neue Industrien, neue Geschäftsmodelle und neue Wachstumstreiber hervorbringen,
was alles zu einer „Explosion origineller und disruptiver Innovationen in
Wissenschaft und Technologie“ führen wird.
Xi Jinping nennt es nicht so, aber wenn man sich das Ergebnis der „Explosion
disruptiver Technologien“ ansieht, ist es sehr offensichtlich, daß er im
Wesentlichen zu derselben Wirtschaftstheorie gelangt ist wie mein verstorbener
Ehemann Lyndon LaRouche. LaRouches gesamte Methode basierte auf dem Verständnis,
daß die Gesetze des physischen Universums anti-entropischer Natur sind und daß
jeder qualitative Fortschritt bei der Entdeckung neuer universeller
physikalischer Prinzipien notwendigerweise disruptiver Natur sein würde, was zu
einer nichtlinearen Zunahme der Freiheitsgrade in den Auswirkungen der neuen
Entdeckung führen würde.
Der Maßstab, ob eine solche neue Entdeckung für das langfristige Überleben
der Menschheit nützlich wäre, war seine Vorstellung, daß sie zu einer höheren
relativen potentiellen Bevölkerungsdichte führen müsse.
In seinem 1982 veröffentlichten Aufsatz „Was ist eine wirtschaftliche
Stoßwelle“ schrieb er:
„Von diesem Standpunkt aus verachten wir die Behauptung, menschliches Wissen
sei durch die Perfektionierung einer bestehenden technologischen Methode
wiederholter, unveränderlicher Praxis gekennzeichnet. In dem Maße, in dem wir
dieselbe Technologie lediglich rigoroser wiederholen, stirbt die Menschheit.
Eine Null-Wachstumspolitik mit zunftähnlicher Praxis ist die Praxis einer
Gesellschaft, der es an moralischer Überlebensfähigkeit mangelt. Wir müssen
Vorstellungen über Wissen verachten, die sich auf die Messung wiederholbarer
Handlungen beziehen.“
LaRouches gesamte wissenschaftliche Wirtschaftsmethode basierte auf der
Tatsache, daß er die lineare, auf Euklid basierende Informationstheorie und
Systemanalyse von John von Neumann und Norbert Wiener ablehnte und statt dessen
die Riemannsche Geometrie, die in der Arbeit des großen Bernhard Riemann von
1859 „Über die Ausbreitung ebener Wellen endlicher Amplitude“ und anderen
Schriften Riemanns vorgestellt wurde, auf die Analyse wirtschaftlicher Prozesse
anwendete. Er betonte nachdrücklich, daß wir nicht in einem Universum leben, wie
es von Theoretikern in der Tradition von Isaac Newton beschrieben wird, sondern
in einem Universum, das nach hydrodynamischen Prinzipien organisiert ist.
Es ist eine Ironie der Geschichte, wenn man so will, daß in den beiden
existentiellen Bereichen der Militärwissenschaft und der Wirtschaft jene
Nationen, die die von LaRouche hervorgehobenen Prinzipien anwenden, sich als
überlegen erweisen, während diejenigen, die an den Axiomen der euklidischen,
aristotelischen und Newtonschen Anschauung festhalten, scheitern. Wäre es nicht
an der Zeit, die erkenntnistheoretischen Gründe dafür zu untersuchen?
Wir stehen an einer Wegscheide
Wir stehen an einer Wegscheide für die Existenz der Menschheit. In der
Ukraine geht es entweder um sofortige Friedensverhandlungen oder um die
Eskalation zu einem nuklearen Flächenbrand. In Gaza wird die Menschheit vor
einem Weltgericht beurteilt, und das Urteil ist verheerend. Wir lassen zu, daß
ein Völkermord vor den Augen der Welt weitergeht! Der gesamte südwestliche Teil
Asiens steht kurz davor, in Flammen aufzugehen. Südkorea, Georgien, Rumänien –
sie alle sind Schauplatz des Kampfes der Weltmächte.
Wir stehen vor der moralischen Bewährungsprobe der Menschheit, um zu
überleben. Entweder setzen wir ein neues Paradigma auf die Tagesordnung, das das
Konzept der einen Menschheit in den Vordergrund stellt und nationale Interessen
nur im Einklang mit den Interessen dieser einen Menschheit zuläßt, oder wir
schaffen es als Gattung nicht.
Wir sollten die barbarischen Vorstellungen von Carl Schmitt ablehnen, der
behauptete, das Wesen der Politik sei die Einteilung in Freunde und Feinde, und
der törichterweise die politische Souveränität als die Macht ansah, „über die
Ausnahme zu entscheiden“, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird. Wir sollten
die Vorstellung ablehnen, daß die Beziehungen zwischen den Nationen ein
Nullsummenspiel sind, bei dem einer gewinnt und der andere verliert. Wir sind
Menschen und keine wilden Tiere!
Der Ausweg aus dieser existentiellen Krise ist eigentlich ganz einfach: Wir
müssen die Nationen des kollektiven Westens davon überzeugen, ihre
eurozentrische Arroganz aufzugeben und statt dessen mit den Nationen des
globalen Südens, die mit 85 % der Weltbevölkerung die globale Mehrheit
darstellen, zusammenzuarbeiten, um eine gerechte neue Weltwirtschaftsordnung
aufzubauen, die auf den fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der
UN-Charta basiert.
Um dies zu erreichen, müssen wir endlich alle oligarchischen Axiome in
unserem Denken aufgeben und sie durch die Philosophie der Coincidentia
oppositorum, des Zusammentreffens der Gegensätze von Nikolaus von Kues,
ersetzen, die es uns ermöglicht, die Menschheit als das Höhere, das eine höhere
Macht als die Vielen darstellt, zu betrachten.
Wir müssen uns vom Geist von Beethovens 9. Symphonie leiten lassen, in der er
die Ode an die Freude von Friedrich Schiller vertonte. „Alle Menschen werden
Brüder“, denn das bedeutet es, Mensch zu sein.
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