„Die Frage, die einen umhaut“
Bericht vom 52. Treffen der Internationalen Friedenskoalition
Von Daniel Platt
Mit dem Treffen am 31. Mai wurde das einjährige Bestehen der
Internationalen Friedenskoalition (IPC) mit 52 aufeinanderfolgenden
wöchentlichen Online-Treffen gefeiert. An diesem Freitag nahmen Menschen aus
mehr als 30 Ländern teil. Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga
Zepp-LaRouche, kündigte zu Beginn an, daß diesmal die Ukraine im
Mittelpunkt stehe, weil die drei Angriffe des Landes auf russische
Frühwarnradaranlagen eine extreme Gefahr darstellen. Diese Anlagen hätten
nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, seien aber Bestandteil der
strategischen Verteidigung Rußlands. Das Schiller-Institut schlug dazu „Roten Alarm“, und die Nachricht
gelangte anschließend in die Mainstream-Medien, erhält aber immer noch nicht
die nötige Aufmerksamkeit.
Es folgte eine Diskussionsrunde mit militärischen, wissenschaftlichen und
diplomatischen Experten, darunter der Atomwaffenexperte Dr. Theodore
Postol, emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und nationale
Sicherheit am Massachusetts Institute of Technology, Oberst a.D. Prof.
Dr. Wilfried Schreiber, Senior Research Fellow am
WeltTrends-Institut für Internationale Politik in Potsdam, Oberstleutnant
a.D. Ralph Bosshard von der Schweizer Armee, ein Berater für
militärisch-strategische Angelegenheiten, Oberst a.D. Richard H.
Black, ehemaliger Leiter der Strafrechtsabteilung der US-Armee im
Pentagon, sowie Botschafter a.D. Charles („Chas“) Freeman,
amerikanischer Diplomat und Chinaexperte.
Angriff auf Rußlands strategisches Verteidigungssystem
Zu Beginn erläuterte Dr. Postol die Funktion des russischen
Frühwarn-Radarsystems. Mit diesen Anlagen könne Rußland einen nahenden Angriff
mit Atomraketen erkennen. Wenn die USA eines ihrer landgestützten
Frühwarnradare verlieren würden, könnten sie immer noch mit ihren Satelliten
vom Weltraum aus nach unten schauen, aber die Russen hätten diese Fähigkeit
noch nicht vollständig. Satelliten könnten einen Raketenstart sofort erkennen,
aber ein Radar spüre Raketen erst ab einer bestimmten Höhe auf. Wenn eine
dieser Anlagen ausgeschaltet wird, verkürze sich für Rußland die Zeit, in der
entschieden werden muß, wie zu reagieren ist – ob es einen nuklearen
Gegenschlag startet oder nicht –, um entscheidende Minuten.
Oberst Black ergänzte, solche Angriffe auf die russischen Radaranlagen
seien nur mit ausdrücklicher Genehmigung der USA denkbar, und sie könnten nur
dem einzigen Zweck dienen, „Rußlands nukleare Abschreckung zu blenden“. Er gab
zu bedenken, daß es unmöglich wäre, die gesamte russische nukleare
Verteidigung einschließlich der U-Boot-Raketen präventiv zu zerstören. „Wir
können die russische Zivilisation zerstören, aber nicht ihre Fähigkeit,
zurückzuschießen.“
Die Podiumsteilnehmer erörterten dann eingehend die ernüchternden Folgen
eines Versuchs, Rußlands nukleare Abschreckung auszuschalten. Der ehemalige
US-Botschafter Freeman betonte in einem Videointerview, das während des
Treffens abgespielt wurde, keine große Atommacht könne es sich leisten, das
Gleichgewicht der nuklearen Abschreckung zu untergraben, aber die Ukraine als
Stellvertreter tue genau das.
Oberst Black erklärte, das grüne Licht für den Angriff auf die Radaranlagen
bedeute zusammen mit der Lieferung atomwaffenfähiger F16-Flugzeuge,
daß die USA und die NATO den Rahmen für einen möglichen Atomschlag schaffen.
Black erinnerte die Teilnehmer an den Unterschied zwischen der amerikanischen
und der russischen Doktrin für den Einsatz von Atomwaffen: Für die USA ist ein
Ersteinsatz, ein nuklearer Überraschungsangriff nicht verboten, „die russische
Nukleardoktrin ist dagegen ausschließlich defensiv ausgerichtet.“
Oberstleutnant Bosshard sagte: „Um glaubwürdig zu bleiben, muß die NATO
Rußland mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, nicht umgekehrt.“
Was haben sie sich dabei gedacht?
Die Experten diskutierten über die Denkweise der Verantwortlichen in den
westlichen Ländern: Was könnte sie bewegen, mit dem Einsatz von Waffen zu
liebäugeln, die die gesamte Menschheit auslöschen können? Helga Zepp-LaRouche
nannte dies „die Frage, die einen umhaut“. Bosshard sagte: „Die Politiker im
Westen sind sich der Risiken, die sie eingehen, offenbar nicht bewußt.“
Wahrscheinlich seien sie überzeugt, daß Putin nur blufft. Postol fügte hinzu,
anders als professionelle Beamte, die als Fachleute mit solchen Fragen
vertraut sind, träten Politiker ihre Ämter mit wenig oder gar keiner
Sachkenntnis an und hätten nur Politik im Kopf. Black führte Bidens jüngste
Aktionen auf dessen ins Stocken geratene Wiederwahlkampagne zurück: „Präsident
Biden hat erkannt, daß das Projekt Ukraine gescheitert ist... Je mehr sich das
Weiße Haus um die bevorstehenden Wahlen sorgt..., desto größer ist das Risiko
eines hochriskanten militärischen Schachzugs.“
Auch die Rolle der Medien, die ein Umfeld für unverantwortliches Handeln
schaffen, kam zur Sprache. Freeman betonte, es sei sehr wichtig, den Roten
Alarm des Schiller-Instituts zu verbreiten, nicht zuletzt wegen des
„militärischen und strategischen Analphabetismus der heutigen
Journalistengeneration“.
Zepp-LaRouche antwortete, die Medien seien nicht einfach nur inkompetent:
„Die Massenmedien sind komplett in den Händen derjenigen, die diese
Konfrontation vorantreiben.“ Sie beschrieb weiter, wie führende Politiker, die
das „Kriegsnarrativ“ in Frage stellen, wie der slowakische Ministerpräsident
Fico, zur Zielscheibe von Schikanen und sogar Attentaten werden, und verwies
dazu auf die inzwischen berühmt-berüchtigten „Abschußlisten“ der ukrainischen
Agenturen für
„Desinformationsbekämpfung“.
Zepp-LaRouche sprach an, daß Präsident Biden kürzlich der Ukraine die
Erlaubnis erteilt hat, US-Waffen gegen Ziele in Rußland einzusetzen. Einige
europäische Regierungen, u.a. Bundeskanzler Scholz, hätten sich lange gegen
diese Vorstellung gewehrt, aber „heute morgen hat er plötzlich zugestimmt,
weil Biden zugestimmt hat“. Black betonte, die USA beherrschten Europa und die
NATO: „Die Zeit, in der [die NATO] defensiv ausgerichtet war, ist längst
vorbei. Sie ist zu einer hochaggressiven globalen Organisation geworden.“
Oberst Dr. Schreiber erwähnte einige der neuen Dimensionen der
Kriegsführung, die sich zu seinen Lebzeiten herausgebildet haben, und sagte,
die Digitalisierung eröffne einen neuen Horizont in der Kriegspolitik, die
Cyberspace-Kriegsführung. Auch die mögliche militärische Nutzung des
Elektromagnetischen Impulses (EMP) stelle eine neue Qualität der Kriegsführung
dar.
Diane Sares Senatskandidatur
Diane Sare, die unabhängige LaRouche-Kandidatin für den US-Senat in
New York, teilte mit, daß sie gerade fast 70.000 Unterstützungsunterschriften
für die Wahlzulassung eingereicht hat, bei einer vorgeschriebenen
Mindestanzahl von 45.000. Viele Wähler in ihrem Bundesstaat seien auf die
Gerichtsverfahren gegen Donald Trump fixiert. Sie wundere sich, warum in einem
Präsidentschaftswahlkampf, in dem die strategischen Gefahren im Mittelpunkt
stehen sollten, so viele Menschen von dem „pornographischen, infantilen
Spektakel“ fasziniert sind, daß ein Ex-Präsident eine Prostituierte aus dem
falschen Bankkonto bezahlt hat. Sie zeigte den Teilnehmern den Flyer ihres
Wahlkampfes mit dem Slogan „Laßt uns Schwerter zu Pflugscharen schmieden“.
Lyndon LaRouche habe einmal gesagt, „Kriege aus Rache und Vergeltung“ seien
die dümmsten überhaupt, die immer auf das Land zurückfallen, das sie
betreibt.
In der Diskussionsrunde bat der Leiter des französischen
Schiller-Instituts, Jacques Cheminade den französischen Oberst a.D.
Alain Corvez um eine Stellungnahme. Corvez sagte: „Ich vertraue sehr auf
China und Rußland... Man muß sich darüber im klaren sein, daß Putin bei seinem
Vorgehen enorme Zurückhaltung gezeigt hat... China kann nicht zulassen, daß
dieser Angriff auf Rußland weitergeht, denn China weiß, daß es selbst das
nächste Ziel sein wird.“
Es wurde auch ein kurzer Videokommentar des internationalen
Menschenrechtsanwalts Prof. Francis Boyle zur Lage um Israel und Gaza
gezeigt. Boyle sagte, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs
habe Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen beantragt, aber er hätte auch
Haftbefehle wegen Völkermordes beantragen sollen; Südafrika habe dafür
sorgfältig dokumentierte Beweise vorgelegt. Die drei IStGH-Richter stünden
unter einem enormen Druck mit Erpressung, Drohungen und Einschüchterung, damit
sie keine Haftbefehle erlassen.
Abschließend erinnerte Zepp-LaRouche die Teilnehmer an die bevorstehende Konferenz des Schiller-Instituts und
sagte, der Westfälische Frieden sei ein guter historischer Bezugspunkt. Sie
lobte die neue chinesisch-brasilianische Friedensinitiative für die Ukraine.
Diese müsse mit einer Renaissance der besten kulturellen Traditionen aller
Nationen verbunden werden, um ein neues Paradigma als Grundlage für einen
dauerhaften Frieden zu schaffen.
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