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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Den Dialog für das Gemeinwohl suchen

Von Dr. Olga Lasorkina

Dr. Olga Lasorkina ist Leiterin der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR).

Vielen Dank. Ich möchte den Veranstaltern für die Einladung danken, auf dieser Konferenz zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Länder waren immer durch die Geographie, durch große Entfernungen getrennt, aber das war nie ein Hindernis für die normale menschliche Kommunikation. Hier in Belarus verstehen wir, daß heute jedes Land seine politischen, wirtschaftlichen und analytischen Prioritäten setzt, aber wir leben alle auf einem Planeten. Wir sind verantwortlich für alles, was passiert. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur unsere Prioritäten zu verkünden, sondern auch eine gemeinsame Basis mit anderen zu finden. Darin sehe ich die Aufgabe unseres Landes: Unter allen Umständen den Dialog für das Gemeinwohl zu suchen.

Ich möchte Ihnen einige Trends vorstellen, die die globale und regionale Agenda für Belarus bestimmen. Die Analyse der gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse zeigt, daß die Welt in eine Phase der Transformation eingetreten ist, die in vielerlei Hinsicht unvermeidlich war. Viele Veränderungen, denen wir nicht immer Bedeutung beigemessen haben, haben nun eine kritische Masse erreicht und Prozesse in Gang gesetzt, die wir nicht mehr aufhalten können. Wir sehen eine geopolitische Konfrontation, die zu einer weiteren Eskalation großen Ausmaßes zu werden droht, die auf der Erschöpfung der ideologischen und wertebezogenen Narrative der westlichen Welt beruht. Sie sind zu einem echten Entwicklungshindernis geworden, nicht nur für ihre Anhänger, sondern auch für die Länder, die sie einst respektiert haben.

Die wirtschaftliche Globalisierung, die von den meisten Ländern als ein Element des gemeinsamen Zukunftsbildes wahrgenommen wird, hat sich in einen gewaltigen Mechanismus des Drucks und der Hemmung der wirtschaftlichen Entwicklung verwandelt. Wir sehen jedoch in diesem Rahmen auch positive Trends: Die Bedeutung nationaler Interessen, der Souveränität, der Bewahrung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen hat zugenommen.

Zum ersten Mal seit 1945 steht die Weltgemeinschaft vor einem neuen Krieg. Das Schlimmste daran ist, daß jeder weiß, wie er enden könnte, aber nichts unternimmt, um diesen gefährlichen Weg zu stoppen. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit einer Vielzahl von Partnern zusammen und vertrauen auf die Formeln der friedlichen Koexistenz. Niemand kann uns vorwerfen, dieses Rezept nicht ausprobiert zu haben. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Doppelte Standards durchziehen die Demokratie. Die Welt ist in einem Netz von Sanktionen gefangen.

Im Jahr 2023 gab es 183 regionale Konflikte, das ist der höchste Stand seit 30 Jahren.
Das läßt den Schluß zu, daß die großen Ideen der Demokratie am Ende sind, und dies wird die Weltgemeinschaft teuer zu stehen kommen. Das Konfliktpotential hat sich als stärker erwiesen als der Pragmatismus, der Ehrgeiz als stärker als die Vernunft. Wir sehen, daß der Kampf um die Ressourcen, die Einfluß auf die staatliche Nutzung haben, die Weltgemeinschaft überfordert. Deshalb suchen alle Staaten nach neuen Formaten des Zusammenlebens, und dabei geht es nicht darum, jemanden auszuschalten, sondern darum, die vernünftigen Kräfte in der Weltpolitik zu beurteilen und diejenigen zu identifizieren, die das Potential haben, in die Zukunft zu gehen.

Die Forderung nach einer Neugestaltung der Weltordnung ist überfällig. Die Multipolarität hält Einzug in die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Prozesse. Diese Bewegung läßt sich nicht mehr verlangsamen, geschweige denn aufhalten. An der Seitenlinie will heute niemand mehr stehen.

Seit vielen Jahren spricht Belarus von den internationalen Tribünen über die Zerstörung des Völkerrechts und des Kanons der Diplomatie. Heute sehen wir auch ein gezieltes Vorgehen zur Entwertung der internationalen Institutionen, der Mechanismen zur Stabilisierung der Situation, der Autorität und vor allem der unglaublichen Arbeit der gesamten Weltgemeinschaft.

Belarus ist sich wie kein anderes Land der Gefährlichkeit der gegenwärtigen Situation bewußt. Unser Volk hat zwei Weltkriege erlebt. Der Beitrag unseres Landes zur Erhaltung von Frieden, Stabilität und Schaffung gleicher Bedingungen für alle Länder im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen ist kaum zu überschätzen. Es gibt keine internationale Initiative, zu der Belarus nicht Stellung genommen hat. Die internationale Anerkennung unseres Landes als unabhängiger Staat in den 1990er Jahren war beispiellos, und das ist vor allem unserer enormen Arbeit auf internationalen Plattformen zu verdanken. Wir haben in den 90er Jahren nicht nur unsere Unabhängigkeit bewahrt, sondern auch aktiv an der Lösung verschiedener Probleme mitgewirkt.

Seit dem Angriff auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 ist der Terrorismus zu einem internationalen Problem geworden. Die USA riefen die Weltgemeinschaft zur Bildung einer internationalen Koalition gegen den Terrorismus auf. Diesem Aufruf schlossen sich fast alle Länder an, darunter auch Belarus. Heute sehen wir jedoch deutlich, daß die Sicherheitslage in unserer Region keine geopolitischen Phrasen erfordert, sondern spezielle Fähigkeiten – ein tiefes Verständnis der Probleme in ihrem historischen Kontext und Verantwortung. Wir spekulieren nicht, sondern schlagen wie bisher konkrete Aktionspläne vor, die auf realen Möglichkeiten beruhen.

Vor dem Hintergrund einer tiefen Vertrauenskrise, die globale Ausmaße angenommen hat, ist es von entscheidender Bedeutung, die einzige Struktur zu präsentieren, die eine anerkannte und maßgebliche Plattform für die Begegnung von Vertretern mit gegensätzlichen Ansichten und Meinungen darstellt. Es stimmt zwar, die Realität sieht heute so aus, daß die Mechanismen der Vereinten Nationen nicht immer funktionieren, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht genutzt werden können. Wir sind auch auf der Suche nach anderen internationalen Plattformen, die das Potential haben, in verschiedenen Bereichen für Stabilität zu sorgen. Der Werteblock des Zusammenschlusses – Solidarität, Kooperation und Partnerschaft – entspricht den Bedürfnissen der meisten Länder. Ich denke an die BRICS, an die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU): Sie sind auf dem Weg, alternative Mechanismen der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen, ohne die bestehenden zu verwerfen. Wir bauen strategische Beziehungen zu Rußland auf. Die Union ist ein organischer Zusammenschluß, der auf einem soliden Fundament von Freundschaft und Kontinuität beruht. Sie ist sogar der einzige Zusammenschluß in unserer Region, der über eine solide und bewährte Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit verfügt, die es uns ermöglicht, unsere Souveränität zu wahren, unsere internationale Rechtspersönlichkeit zu stärken und unsere Wirtschaft im Einklang mit den globalen Trends zu entwickeln.

Natürlich sind wir nicht losgelöst von der Tragödie, die sich an unseren Grenzen abspielt. Der belarussische Präsident hat wiederholt seine Vorstellungen zur Lösung der Krise dargelegt. Der belarussische Außenminister Sergej Aleinik hat betont, daß die Plattform für Verhandlungen immer offen ist. Das liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Es gibt heute kein wichtigeres Thema für unser gemeinsames europäisches Haus. Wir sind sicher, daß es keine Verhandlungen ohne Belarus geben kann und daß es keine regionale Sicherheit ohne Belarus geben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heutige Treffen zeigt die Bemühungen der rationalen Kräfte, darunter Wissenschaftler, Analytiker und Experten, die Weltlage mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu stabilisieren. Jedes Land hat seinen eigenen Wert. Belarus bereitet sich darauf vor, seine einzigartige Entwicklungsstrategie zu überprüfen, die auf Vertrauen, Vertragsfähigkeit und progressivem Fortschritt basiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.