„Das Bewußtsein für die Atomkriegsgefahr
hinkt weit hinter der tatsächlichen Gefahr her“
Von Donald Ramotar
Donald Ramotar war Präsident von Guyana (2011-2015).
Genossen, unser Treffen findet in einer sehr komplexen Phase des
Weltgeschehens statt. Es ist zweifellos eine der gefährlichsten Zeiten für die
gesamte Menschheit. Während wir sprechen, werden in vielen Teilen der Welt
Tausende in Kriegen getötet.
Es ist herzzerreißend, das offene Massaker am palästinensischen Volk in Gaza
und im Westjordanland mitanzusehen. Es wird wahllos ein Völkermord begangen, bei
dem Palästinenser getötet werden. Dies geschieht ungestraft. Die Opfer sind
Kinder und Frauen im gebärfähigen Alter, etwa 70% der Getöteten fallen in diese
Kategorie. Hunger ist zu einer Kriegswaffe geworden, und zivile Einrichtungen
wie Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser und alle anderen sozialen Infrastrukturen
werden systematisch zerstört.
Ich fühle mich heute besonders geehrt, das Podium mit Naledi Pandor, der
ehemaligen Außenministerin Südafrikas, zu teilen, die die Anklage ihres Landes
gegen das rassistische Apartheid-Regime Israels vor dem Internationalen
Gerichtshof leitete. Die Bemühungen von Genossin Pandor und die ihres Landes
haben dazu beigetragen, die Seele unserer Menschlichkeit zu retten, und sie
haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft geweckt.
Aber nicht nur die Palästinenser kämpfen um ihr Überleben. Das russische Volk
und der russische Staat wurden in einen Kampf um seine Sicherheit und sein Recht
auf ein Leben in Sicherheit und Frieden gezwungen. Seit 2014 versuchen die USA
und ihre NATO-Verbündeten, sich über Rußland herzumachen, Rußland zu beherrschen
und seinen sozioökonomischen Fortschritt zu verhindern. Seit Anfang der 1990er
Jahre war es ihr Ziel, Rußland schwach und machtlos zu machen.
Dieser Kampf hat zu einer äußerst beängstigenden Situation geführt. Dies
liegt daran, daß an dem militärischen Konflikt zwischen Rußland und der Ukraine
mindestens vier Länder beteiligt sind, die im Besitz von Atomwaffen sind, deren
Einsatz das Leben auf der Erde sehr wohl beenden kann.
Leider sind sich die meisten Menschen auf der Welt dieser großen Gefahr nicht
wirklich bewußt. Tatsächlich hinkt das Bewußtsein für eine solche Katastrophe
weit hinter der tatsächlichen Gefahr her.
Das liegt daran, daß die imperialistischen Mächte aus früheren Kriegen, an
denen sie beteiligt waren, ihre Lehren gezogen haben, insbesondere aus dem
Vietnamkrieg. Heute haben sie es geschafft, die Medien und damit die Verbreitung
von Informationen zu kontrollieren. Nachrichten werden entweder vor den Menschen
der Welt verborgen oder verdreht und verzerrt, um ein falsches Bewußtsein zu
schaffen. In den großen Nachrichtenredaktionen werden Bilder von „Bösen und
Guten“ hergestellt. Daher werden überall Menschen mit den Ansichten der Banker
und der Hersteller von Massenvernichtungswaffen infiziert. Diese Leute machen
mit Kriegen gigantische Gewinne.
Diese Kontrolle der Medien ist für die imperiale Vorherrschaft über unsere
Welt von entscheidender Bedeutung.
Wie und warum sind wir an diesen Punkt gekommen?
Man könnte fragen: Wie und warum sind wir an diesen Punkt gekommen? Ich
möchte hiermit versuchen, eine Antwort zu geben.
Wir leben in einer Zeit des Übergangs von einer unipolaren zu einer
multipolaren Welt. Die Zeit, in der die USA die einzige militärische,
wirtschaftliche und politische Supermacht waren, ist vorbei. Andere Länder,
insbesondere Länder des Südens, beginnen sich zu rühren und sich
aufzurichten.
Darüber hinaus hat Rußland, das Teil der mächtigen Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken war und sich Ende der 1980er und 1990er Jahre in großen
Schwierigkeiten befand, einen Großteil seiner Probleme überwunden. Auch wenn
sich sein sozioökonomisches System geändert hat, hat es einige der besten
Prinzipien der UdSSR übernommen. Ich spreche hier von internationaler
Solidarität und Freundschaft mit unterdrückten Völkern im globalen Süden.
Dies ist einer der Gründe, warum die USA versuchen, sein Wachstum zu
verhindern, und warum so viel in diesem Teil unserer Welt darauf ausgerichtet
ist, Rußland maximale Probleme zu bereiten. Dies ist einer der Gründe für die
Ausweitung der NATO an ihre Grenzen.
Der andere Grund hat mit der ausbeuterischen Natur imperialistischer Mächte
zu tun. Wie bereits erwähnt, erzielen sie durch Kriege enorme Gewinne. Die
Aktienkurse der Waffenhersteller sind auf einem Allzeithoch. Das ist kein
Geheimnis. Sie haben das rassistische israelische Regime und die
Marionettenregierung in der Ukraine mit so vielen Waffen beliefert, daß der
militärisch-industrielle Komplex Schwierigkeiten hat, die Lieferungen
aufrechtzuerhalten. Dies führt zu sagenhaften Supergewinnen für die Händler des
Todes.
Der andere Grund ist, die Ressourcen im Süden und in Osteuropa in die Finger
zu bekommen. Der ultrarechte US-Senator Lindsey Graham hat sich zu diesem Thema
klar geäußert. Im Fall der Ukraine erwähnte er die Bodenschätze des Landes, zu
denen auch seltene Erden gehören, die für die Elektronikindustrie und natürlich
für das Militär von großer Bedeutung sind und in der Ukraine in großen Mengen
vorkommen.
Ein weiterer Köder in der Ukraine ist der fruchtbare Ackerboden, der die
Ukraine zu einem wichtigen Land in der Lebensmittelindustrie macht. Wie Sie
wissen, handelt es sich hierbei um eine überaus strategische Branche. Wie
bekannt, hat der multinationale Konzern „Black Rock“ große Landstriche in der
Ukraine aufgekauft.
Die USA und andere imperialistische Staaten wollen weiterhin wertvolle
natürliche Ressourcen abbauen und billige Arbeitskräfte ausbeuten, um ihre
Gewinne zu maximieren. Für sie ist es wichtig, den globalen Süden in
unterentwickeltem Zustand zu halten, in neokolonialen Beziehungen.
Neue Art von Beziehungen
Diese imperialistische Denkweise erklärt einen Großteil der Haltung der USA
gegenüber der Volksrepublik China.
Die Feindseligkeit gegenüber China nahm nach 2008 besonders stark zu, als die
VR China eine wichtige Rolle dabei spielte, der internationalen Wirtschaft aus
einer der schlimmsten Krisen der jüngeren Zeit herauszuhelfen. Chinas Ansehen in
der Welt ist stetig gewachsen. An diesem Punkt scheinen die USA die Entscheidung
getroffen zu haben, Chinas Entwicklung zu bremsen.
Im globalen Süden haben Chinas Beziehungen dazu geführt, daß es hoch
angesehen ist, Vertrauen genießt und ein bevorzugter Partner für Geschäfte ist.
Dies liegt daran, daß Chinas Politik gegenüber dem globalen Süden auf
gegenseitigem Respekt, Solidarität und Freundschaft beruht.
Es ist erwähnenswert, daß China, als es selbst wohlhabend wurde, begann, den
ärmsten Ländern im Süden zu helfen, jenen Ländern, die als bankrott und aus
wirtschaftlicher Sicht als risikoreich galten. Viele dieser Länder mußten die
demütigende Erfahrung machen, die Bedingungen des IWF und der Weltbank
akzeptieren zu müssen, die ihren Status als Rohstoffquellen und billige
Arbeitskräfte für den Norden reduzierten und festigten.
An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, daß der globale Süden immer noch
ein Nettoexporteur von Kapital in den globalen Norden ist. Die Politik der
Weltbank und des IWF besteht darin, sie in dauerhafter Armut zu halten, damit
sie leicht ausgebeutet werden können. Die Schätzungen des Nettokapitaltransfers
von den Entwicklungsländern in den Westen variieren, belaufen sich aber seit den
1960er Jahren auf mindestens zehn Billionen Dollar pro Jahrzehnt.
Chinas Zusammenarbeit mit dem globalen Süden ist das genaue Gegenteil. Sie
basiert auf gegenseitigem Nutzen oder, wie die Chinesen es nennen, auf einer
„Win-Win“-Beziehung.
Wichtige Infrastrukturen wie Straßen, Schienen, Brücken, See- und Flughäfen
entstehen nun im Süden. Das Fehlen einer solchen lebenswichtigen Infrastruktur
war einer der Gründe für die anhaltende Armut in den ehemaligen Kolonien.
Darüber hinaus trägt die VR China auch zum Aufbau von Humankapital bei. Neben
der Erhöhung der Stipendien für Studierende in ärmeren Ländern unterstützt China
den Aufbau sozialer Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Schulen, Universitäten
und Kulturhäuser in vielen Entwicklungsländern.
Diese Projekte ermöglichen es den Entwicklungsländern des Südens zum ersten
Mal seit der Unabhängigkeit in den 1950er und 1960er Jahren, eine gewisse
wirtschaftliche Souveränität zu genießen. Die meisten Projekte, mit deren Bau
China beauftragt wird, sind sehr transformativ. Dies ist mehr als alles andere
die Ursache für die Feindseligkeit der USA gegenüber China.
Tatsächlich wird hier ein Gegensatz von Philosophie und Ideologie
deutlich.
Einerseits will der Imperialismus auf Kosten des globalen Südens weiter
expandieren und wachsen. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, daß die starke
imperialistische Macht nicht nur den schwächeren Süden ausbeutet, sondern auch
ihre Juniorpartner. Wie sonst können wir erklären, was in Europa passiert, wo
die Industrie immer weiter in die Vereinigten Staaten abwandert. Es herrscht
eine Ellbogenmentalität.
Die Beziehungen Chinas basieren auf seinen eigenen traditionellen Prinzipien
und seiner marxistischen Herangehensweise an die Welt. So steht beispielsweise
das chinesische Sprichwort „Die steigende Flut hebt alle Boote an“ im Einklang
mit dem marxistischen Prinzip der „internationalen Solidarität“.
Chinas Herangehensweise besteht darin, zu einer gerechteren und
wohlhabenderen Welt beizutragen. Der Win-Win-Ansatz untermauert die neu
entstandene Allianz BRICS. Sie gewinnt zunehmend an Attraktivität, da sie eine
humanere Welt verspricht.
Gleichzeitig hat sie, wie ich bereits angemerkt habe, die Schattenseiten des
imperialistischen Systems ans Licht gebracht, das in vielen Teilen der Welt zu
Kriegen und Zerstörung geführt hat.
Die große Sorge heute ist, daß der Imperialismus zwar als System überholt
ist, was sich an seinen Bemühungen zeigt, wissenschaftliche Entdeckungen zu
unterdrücken, z. B. beim Streit um die Chip-Technologie, aber dennoch sehr stark
und rücksichtslos ist, wie sich in Gaza und der Ukraine zeigt.
Wie können wir die Kriege stoppen?
Ich möchte daher vorschlagen, daß wir als progressive Kräfte in der Welt
zunächst einmal überlegen, wie wir Kriege stoppen können.
Ich glaube, der erste Schritt besteht darin, eine starke Bewegung zur
Abschaffung von Atomwaffen aufzubauen. Diese Waffen bedrohen die gesamte
Menschheit. Ein Großteil dieser Waffen befindet sich in den Händen einer
imperialen Führung, die im Laufe der Jahre viel an Qualität verloren hat und im
Grunde zur Handlangerin der feindlichsten Kräfte der Welt geworden ist.
Gleichzeitig müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um das
wirtschaftliche Wohlergehen aller Völker zu verbessern. In diesem Zusammenhang
sollten wir den Westen dazu aufrufen, sich mit den BRICS-Staaten
zusammenzuschließen, um gemeinsam der Armut und Ungleichheit in allen Teilen der
Welt ein Ende zu setzen. Wenn der Westen sich einigen Initiativen wie der Neuen
Seidenstraße anschließt, könnten wir das Ende der Armut noch zu unseren
Lebzeiten erleben. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und weniger
Konfrontationen.
Abschließend möchte ich sagen, daß wir, obwohl wir im Schatten schrecklicher
Kriege leben, immer noch Hoffnung schöpfen können, daß ein neuer Tag möglich
ist. Die enormen Fortschritte in allen Lebensbereichen, die China und andere
BRICS-Staaten vorweisen, geben uns die Inspiration, unseren Kampf fortzusetzen.
Wir müssen daran glauben, daß die Kriegstreiber aufgehalten werden können.
Vielleicht sind das, was wir gerade erleben, nicht nur Tod und Zerstörung,
sondern möglicherweise die Geburtswehen eines neuen Systems internationaler
Beziehungen, das auf den Grundsätzen von Solidarität und Freundschaft
beruht.
|