„Die weißrussische Perspektive für Dialog,
Sicherheit, Frieden und Entwicklung“
Von Pavel Schidlowski
Pavel Schidlowski ist Geschäftsträger Weißrußlands in den
Vereinigten Staaten. In der Konferenz des Schiller-Instituts zum Oasenplan am
13. April sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen,
Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)
Ich möchte der Leitung des Internationalen Schiller-Instituts für die
Einberufung dieser wichtigen und zeitgemäßen Konferenz danken. Ich schätze die
professionellen, profunden, nuancierten und nüchternen Vorträge der
angesehenen Redner zu den Themen, die ganz oben auf der Tagesordnung der
politischen Entscheidungsträger der Welt stehen und die künftige Weltordnung
prägen.
Ich stimme voll und ganz mit der Aussage der Konferenzveranstalter überein,
daß es unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, daß jedes Leben auf der Welt
heilig ist, daß das Völkerrecht Vorrang haben muß, um Völkermord zu
verhindern, und daß die wirtschaftliche Entwicklung der Motor für den Frieden
sein muß. Wir in Belarus verfolgen denselben Ansatz.
Ich freue mich und fühle mich geehrt, daß ich die Gelegenheit habe, die
Vision von Belarus zu den Themen unseres heutigen Panels vorzustellen: Dialog,
Sicherheit, Frieden und Entwicklung – mit besonderem Augenmerk auf
Südwestasien.
Wir alle wissen, daß die sich abzeichnende multipolare und gerechtere
Weltordnung für den kollektiven Westen, der seine politische, finanzielle und
wirtschaftliche Vorherrschaft mit allen Mitteln und um jeden Preis
aufrechterhalten will, kategorisch inakzeptabel ist.
Belarus ist seit langem als Netto-Geberland für Frieden, Sicherheit und
Stabilität in der Region bekannt. Die internationale Gemeinschaft betrachtet
Belarus als eine tragende Säule der regionalen Sicherheit. Wir waren die
ersten, die einseitig auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet haben. Wir
waren unter den ersten, die den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in
Europa umgesetzt haben. Wir haben die „Integration der Integrationen“ im
postsowjetischen Raum und darüber hinaus vorgeschlagen. Bekannt sind unsere
Initiativen wie die Schaffung eines atomwaffenfreien Raums in Mittel- und
Osteuropa, die Anerkennung der unterschiedlichen Entwicklungspfade der
Staaten, die Einrichtung eines Helsinki-2-Dialogs und die Entwicklung des
Gürtels der digitalen Nachbarschaft, um nur einige zu nennen.
Jeder kennt das Minsker Abkommen, das dazu beigetragen hat, zwischen 2015
und 2022 massive menschliche Opfer in der Ostukraine zu vermeiden, und das der
einzige Weg zum Frieden in dieser Region war. Es ist nicht unsere Schuld, daß
die Vereinbarungen nicht umgesetzt wurden.
Als 2022 die russische Militärische Sonderoperation in der Ukraine begann,
initiierte Belarus drei Runden von Friedensgesprächen zwischen Rußland und der
Ukraine und richtete diese aus. Der Vertragsentwurf wurde von den Parteien
paraphiert – Rußland machte darin erhebliche Zugeständnisse –, aber irgend
jemand im Westen wollte keinen Frieden in der Ukraine, sondern wollte den
Krieg bis zum letzten Ukrainer. Daher wurden die Gespräche nach der vierten
Runde in Istanbul ganz eingestellt.
Weißrußland könnte die Rolle einer dritten Partei bei der Lösung des
Konflikts zwischen Rußland und der Ukraine spielen, sagte der weißrussische
Präsident Alexander Lukaschenko kürzlich. Erst vergangenen Donnerstag [11.
April] hat Lukaschenko seine Bereitschaft erklärt, bei Verhandlungen zwischen
Moskau und Kiew zu helfen.
Weder die Ukrainer noch der Westen haben es nötig, die Beziehungen zu
Belarus zu verschlechtern. Eine dritte Partei ist immer dann von Vorteil, wenn
zwei Staaten, und hier sogar eine Nation, gegeneinander ausgespielt werden. In
diesem Fall sieht es so aus, als bräuchten sowohl Rußland als auch die Ukraine
ein friedliebendes, ruhiges und berechenbares Belarus.
Dialog mit allen Seiten
Belarus verfügt über einen starken Staat, der auf der Einheit und dem
Patriotismus des Volkes, dem Engagement der Weißrussen für eine friedliche
evolutionäre Entwicklung und der kategorischen Ablehnung zerstörerischer
Farbrevolutionen beruht. Der letzte Versuch des Westens, im Jahr 2020 eine
Farbrevolution in Belarus zu inszenieren, ist gescheitert – und wir haben
seitdem umfassende Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, daß sich das nie
wiederholen wird.
Wir bekämpfen den Informationskrieg, der gegen uns geführt wird, mit der
Wahrheit. Wir haben eine landesweite, umfassende Untersuchung der Verbrechen
des Völkermords eingeleitet, die von Nazideutschland und seinen
Kollaborateuren am weißrussischen Volk begangen wurden. Wir stellen sicher,
daß der Nazismus in Belarus nie wieder sein häßliches Haupt erhebt.
Belarus hat eine strategische Entscheidung getroffen – es wird nicht
möglich sein, unser Land von Rußland loszureißen. Aber ein normaler Dialog mit
dem Westen ist im Interesse beider Seiten. Weißrußland ist bereit, den Dialog
mit dem Westen wieder aufzunehmen und gemeinsam nach Auswegen aus der
derzeitigen Situation zu suchen. Wir appellieren an unsere westlichen Partner,
die aktuelle Lage realistisch einzuschätzen und alles gründlich zu
überdenken.
Die Fähigkeit, als logistisches Bindeglied zwischen Asien und Europa zu
fungieren, ist die wichtigste Grundlage für die politische Ökonomie der
weißrussischen Staatlichkeit. Belarus spielt eine wesentliche geostrategische
Rolle in den logistischen Verkehrsnetzen zwischen Asien und Europa durch den
„Nördlichen Korridor“, der über Rußland und Belarus verläuft. Die Instabilität
im Nahen Osten und am Roten Meer hat die Nachfrage nach Landtransporten über
diese Route erhöht.
Wir sehen enorme Vorteile in der Zusammenarbeit mit regionalen
Organisationen wie der Bewegung der Blockfreien Staaten, in der wir seit
langem Mitglied sind. Unsere Zusammenarbeit mit den Ländern des Globalen
Südens, einschließlich Südwestasiens, hat sich erheblich weiterentwickelt. Der
historische Prozeß des Beitritts von Belarus zur Shanghaier Organisation für
Zusammenarbeit ist in seine letzte Phase eingetreten. Belarus hat seinen
Beitritt zur BRICS-Gruppe eingeleitet. Die systematische Arbeit zur
Intensivierung der Zusammenarbeit mit ASEAN wurde fortgesetzt, unter anderem
durch die Förderung des Antrags von Belarus auf Beitritt zum Bali-Vertrag.
In unserer Außenpolitik ist unser wichtigstes Ziel Fairneß. In unserem
Handeln haben pragmatische wirtschaftliche Überlegungen Vorrang vor
ideologischen Positionen. Wir haben zahlreiche Verbindungen zu internationalen
Partnern im Globalen Süden und anderswo aufgebaut.
Für einen historischen Kompromiß im Nahen Osten
Zum Nahen Osten: Im Oktober 2023 äußerte Belarus seine ernste Besorgnis
über die drastische Verschärfung der Lage im Nahen Osten. Wir waren zutiefst
schockiert über die exorbitante Zahl von Opfern. Wir trauern mit den
Angehörigen und Freunden der Verstorbenen und wünschen den Verletzten baldige
Genesung.
Wir sind der Auffassung, daß jede Form von Aggression inakzeptabel ist.
Opfer unter der Zivilbevölkerung sind unannehmbar. Wir rufen die
Konfliktparteien auf, dringend Maßnahmen zur Deeskalation der Spannungen in
der Region zu ergreifen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und Wege zur
Wiederaufnahme des Dialogs zu finden, damit sich eine solche Tragödie nicht
wiederholt. Das Hauptziel ist es, einen historischen Kompromiß zu erreichen.
Wir sind davon überzeugt, daß der Weg direkter Verhandlungen für eine
langfristige Beilegung der palästinensisch-israelischen Krise alternativlos
ist.
Belarus ist der Ansicht, daß die Schaffung eines dauerhaften Friedens im
Nahen Osten eine wichtige Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung und
Wohlstand, einen Wachstumsfaktor für den internationalen Handel sowie die
langfristige Stabilität der Staaten in der gesamten Region darstellt. Wir sind
überzeugt, daß der Frieden in der Region das ist, woran die Länder in der
ganzen Welt heute interessiert sind.
Wir gehen davon aus, daß der Konflikt ausschließlich auf einer
internationalen Rechtsgrundlage durch die Umsetzung des Prinzips „Zwei Staaten
für zwei Völker“ gelöst werden kann.
Belarus hat den Oasenplan noch nicht geprüft, aber in Hinsicht auf das
gerade Gesagte würden wir jede Initiative unterstützen, die darauf abzielt,
eine langfristige und dauerhafte Lösung und Frieden zu sichern. Programme, die
eine nachhaltige Entwicklung vorsehen, sind von besonderem Wert, da es sich
dabei zweifellos um Lösungen handelt, von denen alle Seiten profitieren. Der
Oasenplan ist ehrgeizig, aber er ergibt sich aus der Situation vor Ort und
bietet Vorteile für alle Parteien. Je mehr man sich mit ihm beschäftigt, desto
mehr wächst er einem ans Herz. Hoffen wir, daß die Hauptakteure und die
internationale Gemeinschaft insgesamt den Appell beherzigen und sich der
Initiative anschließen werden.
Ich danke Ihnen.
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