Nelson Mandela und unser Verständnis von Frieden und Entwicklung
Von Botschafterin Beryl Rose Sisulu
I.E. Beryl Rose Sisulu ist Botschafterin der Republik Südafrika
in Mexiko. Im ersten Abschnitt der Konferenz des Schiller-Instituts zum
Oasenplan am 13. April sagte sie folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen,
Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)
Verehrte Delegierte, verehrte Gäste, ich habe die Ehre, im Namen der
Republik Südafrika zu Ihnen zu sprechen, da wir heute hier auf der vom
Schiller-Institut veranstalteten internationalen Konferenz zusammenkommen.
Dieser Anlaß, der mit bedeutenden Meilensteinen in der Geschichte unseres
Landes zusammenfällt, legt uns nahe, über den Weg nachzudenken, den wir
zurückgelegt haben, über die Herausforderungen, die wir bewältigt haben, und
über den Weg, den wir uns für die Zukunft vorstellen.
Vor 30 Jahren, am 27. April 1994, feierte Südafrika ein bedeutendes
Ereignis: die ersten demokratischen Wahlen. Dieser entscheidende Moment
markierte den Höhepunkt eines langen und mühsamen Kampfes gegen die Apartheid
– eines Kampfes, der durch das unerschütterliche Engagement unseres Volkes für
Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit angetrieben wurde. Wenn wir nun drei
Jahrzehnte Demokratie feiern, ist es unerläßlich, daß wir die Lehren aus
unserer Vergangenheit an die jüngere Generation weitergeben und sie dazu
inspirieren, unsere hart erkämpfte Freiheit zu bewahren und gegenüber jeder
Bedrohung unserer demokratischen Werte wachsam zu sein.
Das Thema dieser Konferenz – „Entwicklung als notwendiger Rahmen für den
Frieden“ – steht in engem Zusammenhang mit dem Weg Südafrikas. Unsere
Erfahrung unterstreicht die untrennbare Verbindung zwischen Entwicklung und
Frieden, denn wir wissen, daß nachhaltiger Frieden nur in Gesellschaften
gedeihen kann, in denen Entwicklung und integratives Wachstum gefördert
werden.
Wenn wir über die Worte Nelson Mandelas nachdenken, werden wir außerdem an
die grundlegenden Bestrebungen erinnert, die alle Menschen teilen: den Wunsch
nach Sicherheit, Lebensunterhalt, Gesundheit und Bildung. Es ist unsere
Pflicht als Weltbürger, unermüdlich daran zu arbeiten, diese Wünsche für alle
zu verwirklichen.
Anläßlich des 30. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zwischen Mexiko und Südafrika würdigen wir die gemeinsamen Werte und
gegenseitigen Verpflichtungen, die unserer Partnerschaft zugrunde liegen. Von
der Förderung demokratischer Grundsätze bis hin zum Vorantreiben der Ziele für
nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) verkörpert unsere
Zusammenarbeit den Geist der Solidarität und Kooperation, der für die
Bewältigung der drängenden Herausforderungen unserer Zeit unerläßlich ist. Die
robusten Handelsbeziehungen zwischen unseren Nationen unterstreichen das
immense Potential für weitere Zusammenarbeit und wirtschaftliche Synergien,
die den Weg für gemeinsamen Wohlstand und gegenseitigen Nutzen ebnen.
Die Komplexität der heutigen Welt, die von Konflikten und Krisen geprägt
ist, erinnert uns daran, daß wir uns im Streben nach Frieden zusammenschließen
müssen. Von Gaza bis zur Ukraine und darüber hinaus kennt das Streben nach
Frieden keine Grenzen und erfordert gemeinsames Handeln, das auf Dialog,
Empathie und Verständnis beruht. Es ist unsere Pflicht, uns für den Frieden
einzusetzen, für Diplomatie statt Zwietracht zu plädieren und Brücken der
Zusammenarbeit zu bauen, die ideologische Grenzen überwinden.
Lassen Sie uns unser Engagement für die edlen Ideale von Frieden,
Entwicklung und globaler Harmonie bekräftigen. Lassen wir uns von der
Unbeirrbarkeit unserer Vorfahren und den Bestrebungen künftiger Generationen
inspirieren. Lassen Sie uns gemeinsam eine bessere Welt schaffen – eine Welt,
in der Gerechtigkeit regiert, Wohlstand gedeiht und Frieden herrscht.
Frieden und Entwicklung in den Augen Nelson Mandelas
Ausgehend von unserer Diskussion über den zwingenden Zusammenhang zwischen
Entwicklung und Frieden möchte ich nun die Bedeutung des Friedens im Kontext
Südafrikas näher beleuchten – einer Nation, die einen turbulenten Weg hin zu
Demokratie und Inklusivität zurückgelegt hat.
Die Worte von Nelson Mandela haben einen tiefen Bezug zu unserem
Verständnis von Frieden und Entwicklung. Er brachte zum Ausdruck, daß wahre
Entwicklung von Bildung abhängt – ein Gedanke, der von führenden Politikern
auf der ganzen Welt aufgegriffen wurde. Bildung befähigt nicht nur den
einzelnen, sondern fördert auch das kritische Denken, das Einfühlungsvermögen
und den sozialen Zusammenhalt, die für den Aufbau friedlicher Gesellschaften
unerläßlich sind.
Darüber hinaus unterstreicht Mandelas Aussage, daß echte
Führungspersönlichkeiten bereit sein müssen, für die Freiheit ihres Volkes
Opfer zu bringen – das tiefe Engagement, das erforderlich ist, um einen Weg zu
Frieden und Entwicklung zu beschreiten.
Im südafrikanischen Kontext ist der Frieden aus mehreren zwingenden Gründen
von größter Bedeutung, die alle eng mit dem historischen Erbe und den
gegenwärtigen Bestrebungen unseres Landes verwoben sind:
Erstens unterstreicht unsere turbulente Vergangenheit, die von der
Apartheid und unserem gewaltsamen Befreiungskampf geprägt war, die zentrale
Bedeutung des Friedens auf unserem Weg zu Demokratie und Entwicklung. Die von
Mandela und anderen visionären Führern geführten friedlichen Verhandlungen
sind ein Beispiel für die transformative Kraft von Dialog und Versöhnung bei
der Überwindung tief verwurzelter Spaltungen und der Förderung der nationalen
Einheit.
Zweitens bildet der Frieden die Grundlage für den sozialen Zusammenhalt und
die Einheit in unserem kulturell vielfältigen Land. Indem wir unsere
Unterschiede anerkennen und unsere gemeinsame Menschlichkeit feiern, schmieden
wir eine gemeinsame Identität, die auf gegenseitigem Respekt und Verständnis
beruht.
Drittens ist Frieden für die Förderung des wirtschaftlichen Wohlstands
unerläßlich. Ein friedliches Umfeld zieht Investitionen an, stimuliert das
Wirtschaftswachstum und schafft Chancen für alle Bürger. Indem wir in Bildung,
Infrastruktur und Innovation investieren, legen wir den Grundstein für
nachhaltige Entwicklung und gemeinsamen Wohlstand.
Viertens spielt der Frieden eine zentrale Rolle bei der Gestaltung unserer
internationalen Beziehungen und der Förderung der regionalen, kontinentalen
und globalen Stabilität. Ein friedliches Südafrika ist ein Leuchtfeuer der
Hoffnung und Inspiration für den afrikanischen Kontinent und fördert die
Zusammenarbeit und den Dialog zwischen den Nationen.
Fünftens erleichtert der Frieden die Heilung und die Bewältigung von
Traumata und ermöglicht es Einzelpersonen und Gemeinschaften, sich mit den
Hinterlassenschaften unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen und eine
Zukunft anzustreben, die von Versöhnung und Vergebung geprägt ist.
Frieden ist von grundlegender Bedeutung, um unsere Gemeinschaften vor
Gewalt und Kriminalität zu schützen und zu gewährleisten, daß alle Bürger in
Sicherheit leben können. Lassen Sie mich klarstellen, daß Frieden in Südafrika
nicht nur die Abwesenheit von Konflikten bedeutet; er ist der Eckpfeiler
unseres gemeinsamen Strebens nach Fortschritt, Wohlstand und sozialer
Gerechtigkeit.
Gegenwärtige und künftige Herausforderungen
Verehrte Delegierte, Südafrika hat seit dem Übergang zur Demokratie Mitte
der 1990er Jahre erhebliche Fortschritte bei der Verbesserung des Wohlergehens
seiner Bürger gemacht. Es ist jedoch zwingend erforderlich, die anhaltenden
Herausforderungen anzuerkennen, die unseren Fortschritt behindern. Der
prozentuale Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der Armutsgrenze für Länder
mit mittlerem Einkommen lebt, zeigt besorgniserregende Tendenzen: Er stieg von
56% im Jahr 2010 auf schätzungsweise 62,7% im Jahr 2023.
Diese Tendenzen werden durch strukturelle Herausforderungen und ein
schwaches Wachstum verschärft, das durch die Auswirkungen der
COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Steigende Arbeitslosenquoten,
insbesondere unter Jugendlichen, stellen eine ernsthafte Einschränkung des
Wohlstands der Haushalte und der Wirtschaft dar. (Die offizielle
Arbeitslosenquote lag im vierten Quartal 2023 bei 32,1%.)
Eine hohe Ungleichheit verlängert einen Kreislauf der Ausgrenzung, indem
sie das Potential für integratives Wachstum, das allen Bürgern zugute kommt,
einschränkt. Dieser Kreislauf wird angetrieben vom Erbe der Ausgrenzung und
einer Arts des Wirtschaftswachstums, das den Bedürfnissen der Armen keine
Priorität einräumt und nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten schafft.
Darüber hinaus verschärft das Wohlstandsgefälle die Situation, und die geringe
Mobilität zwischen den Generationen führt dazu, daß die Ungleichheiten über
Generationen hinweg bestehenbleiben und sich im Laufe der Zeit kaum
ändern.
Angesichts dieser Herausforderungen hält Südafrika an seinem Engagement für
Frieden und Entwicklung fest, sowohl im eigenen Land als auch auf dem gesamten
afrikanischen Kontinent. Im Einklang mit der visionären Agenda 2063 der
Afrikanischen Union (AU): Das Afrika, das wir wollen, läßt sich unser Land
von Prinzipien leiten, die integratives Wachstum, Einheit, gute
Regierungsführung, Frieden, Sicherheit und die Bewahrung des kulturellen Erbes
in den Vordergrund stellen. Durch die Einhaltung dieser Grundsätze legen wir
den Grundstein für eine Zukunft, die von Frieden, Wohlstand und kollektivem
Wohlergehen geprägt ist.
Darüber hinaus erkennt Südafrika die Bedeutung von Initiativen wie dem
Oasenplan, der durch die Wiederherstellung und Verbesserung der Bodenqualität
die globale Erwärmung bekämpfen soll. Dieses Projekt, das eine Fortsetzung der
Emission Zero Global Initiative ist, sieht die Schaffung eines dauerhaften
Regenwaldes im Norden Afrikas vor, wo sich einige der trockensten Regionen der
Welt befinden. Durch die Beteiligung an Initiativen wie dem Oasenplan kann
Südafrika einen Beitrag zur regionalen Klimastabilität und zur biologischen
Vielfalt leisten, was unserem Engagement für eine nachhaltige Entwicklung und
den Schutz der Umwelt entspricht. Auf halbem Weg zur globalen
Entwicklungsagenda 2050 ist unser Land immer noch mit den Herausforderungen
von Armut, Ungleichheit und Arbeitslosigkeit sowie den verheerenden
Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Die SDGs bieten einen Plan, der
mit anderen regionalen, nationalen, kontinentalen und interkontinentalen
Entwicklungsplänen im Einklang steht.
In den letzten vier Jahren hat die Welt mehrere Krisen erlebt, darunter die
verheerende COVID-19-Pandemie, wirtschaftliche Abschwünge, zunehmende
Auswirkungen des Klimawandels und politische Instabilität. Südafrika hat
positive Fortschritte bei der Erhöhung des Lebensstandards, der Verbesserung
des Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen und der Verringerung der
CO₂-Emissionen gemacht. Trotz Herausforderungen wie der Stromknappheit
engagiert sich Südafrika weiterhin für nachhaltige Entwicklung und
integratives Wachstum durch gemeinsame Anstrengungen.
Der Satz „Entwicklung ist der notwendige Rahmen für den Frieden“ hat einen
starken Widerhall auf dem Weg Südafrikas. Unsere Erfahrung unterstreicht den
untrennbaren Zusammenhang zwischen Entwicklung und Frieden und zeigt, daß
nachhaltiger Frieden nur in Gesellschaften gedeihen kann, in denen Entwicklung
und integratives Wachstum gefördert werden.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Südafrika inmitten der Prüfungen einer
Ära nach der Pandemie und den drohenden Schrecken von Umweltkrisen
unerschütterlich an seinem Engagement für die Förderung von Frieden und
Entwicklung festhält, und dies nicht nur für seine eigenen Bürger, sondern für
die gesamte afrikanische und globale Gemeinschaft. Wir verpflichten uns zu
einem unerschütterlichen Engagement für eine integrierte Entwicklungsagenda
und arbeiten mit Partnern aus der gesamten Gesellschaft zusammen, um den
nationalen Entwicklungsplan Agenda 2063 und die UN-Ziele für nachhaltige
Entwicklung voranzutreiben. Auf diese Weise wollen wir die Hoffnung aller
Südafrikaner und aller Menschen weltweit wecken und ihre Bestrebungen
verwirklichen. Ich danke Ihnen.
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