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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Eine neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen

Von Georgij Toloraja

Professor Georgij Toloraja ist Direktor des Zentrums für Asienstrategie des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Lassen Sie mich zunächst dem Schiller-Institut dafür danken, daß es diese sehr wichtige Konferenz zur rechten Zeit veranstaltet. Gerade dieser Tage gibt es viele Veranstaltungen, die mit dem Thema der heutigen Konferenz und besonders mit diesem ersten Panel zur Lage in Europa zusammenhängen.

Frau Zepp-LaRouche hat sehr eloquent über die Gefahren der gegenwärtigen europäischen Situation gesprochen. In der Tat können wir feststellen, daß sich in Europa das Schicksal der Welt entscheidet. Es ist doppelt wichtig, daß wir gerade in den letzten Tagen zwei wichtige Vorschläge des russischen Präsidenten Putin gehört haben: zum einen beim Petersburger Forum, und zum anderen bei einem Treffen mit Außenministern und Diplomaten, wo er einige Vorschläge für Friedensgespräche in der Ukraine-Krise gemacht hat. Diese Vorschläge wurden vom Westen bereits als unrealistisch kritisiert, aber sie sind in der Tat eine solide Grundlage für weitere Gespräche.

Wie Helga ganz richtig sagte, müssen wir früher oder später aus dieser Krise herauskommen. Europa und Eurasien sind geographisch, historisch und zivilisatorisch eng miteinander verbunden, und es muß auf jeden Fall ein neues europäisches oder eurasisches Sicherheitssystem geschaffen werden. Präsident Putins Vorschläge sind viel umfassender als nur konkrete Vorschläge zur Lösung der Ukraine-Krise. Sie beinhalten auch Ideen zur Festlegung neuer Prinzipien für die eurasische Sicherheit, Verhaltensregeln für den gesamten Kontinent und wichtige Prinzipien für die Beziehungen zwischen den Staaten, die natürlich auf den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen basieren, aber transparenter und gerechter sein sollten - und nicht auf der „regelbasierten Ordnung“, die der Westen als Grundlage für die internationalen Beziehungen vorschlägt.

Es muß klar gesagt werden, daß in Rußland, glaube ich, niemand den Krieg in der Ukraine als eine Art Aggression gegen einen souveränen Staat betrachtet. Die Ukraine, dieses Territorium, vor allem sein östlicher Teil, war lange Zeit ein Teil des Russischen Reiches und Rußlands selbst. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht es daher als einen weiteren Fall eines Krieges mit dem kollektiven Westen auf historisch russischem Territorium. Der Krieg findet nicht in Europa statt, sondern auf historisch russischem Territorium, und es sind russisch-ukrainische Menschen, die ethnisch gleich oder sehr ähnlich sind, die in diesem Krieg sterben.

Der Ursprung dieses Krieges ist der Wunsch, Rußland einzudämmen und der sogenannten regelbasierten Ordnung unterzuordnen. Die Lektion für die Menschen im Westen und in Rußland ist, daß der Westen vor nichts zurückschreckt, um seine Privilegien zu bewahren, um seine Vormachtstellung zu bewahren, die es der sogenannten Goldenen Milliarde erlaubt, das Leben auf Kosten anderer zu genießen, auf Kosten der Globalen Mehrheit oder dessen, was Rußland jetzt den Globalen Süden und den Globalen Osten nennt.

Die neue Rolle der BRICS

Doch heute hat sich die Situation verändert. Wie im Europa der Kolonialzeit versuchen die europäischen Mächte heute, sich in regionale Konflikte einzumischen und über das Schicksal weit entfernter Länder und Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika zu entscheiden - während die neu entstandene Zivilisation, die neuen Schwellenländer, ihre guten Dienste anbieten, um die Krise in Europa zu lösen. Das tut China. Das tun auch die anderen BRICS-Länder. Das ist der Unterschied zu früher.

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zu den BRICS sagen. Präsident Putin erwähnte in seiner Rede beim Außenministertreffen, daß die BRICS ein Schlüsselelement der neuen Global Governance sein könnten, und das werden sie jetzt auch. Wie Sie wissen, waren die BRICS in den letzten 15 Jahren ein Bündnis der größten Volkswirtschaften - Rußland, China, Brasilien, Indien und Südafrika (jeweils die gesamte Region repräsentierend). Die Kriterien für die BRICS-Mitgliedschaft waren die Größe des Territoriums, der Bevölkerung und des BIP.

Seit letztem Jahr haben sich die Dinge jedoch geändert. Das Ergebnis dieser Veränderung war der offene Konflikt zwischen einem der BRICS-Länder, das die aufstrebenden Mächte repräsentiert, Rußland, und dem kollektiven Westen, in der Ukraine. Dies war der eigentliche Grund, warum das Interesse an den BRICS im Globalen Süden und im Globalen Osten erheblich zugenommen hat. Auf dem Johannesburger Gipfel in Südafrika im vergangenen Jahr wurden neue Länder in die BRICS aufgenommen. Zehn Länder gehören nun zu den BRICS. Das signalisiert in der Tat das Ende der alten BRICS und den Beginn einer neuen BRICS - BRICS nicht als Bündnis verschiedener Zivilisationen, sondern als Verhandlungsplattform des Globalen Südens und der Globalen Mehrheit gegenüber dem dominanten Westen. Das ist die Rolle, die BRICS jetzt spielt.

Und in diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf das jüngste Treffen der Außenminister der BRICS-Staaten und anderer interessierter Länder lenken, das erst vor drei Tagen in Nischni Nowgorod stattgefunden hat. Es war das erste Treffen auf politischer Ebene nach dem Beitritt der neuen Länder, und die neuen Länder - Ägypten, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und Saudi-Arabien - haben Dokumente unterzeichnet, die die Strategie der BRICS definieren. Sie haben sich also darauf geeinigt, im gleichen Boot zu sitzen, die gleichen Prinzipien zu verteidigen und den gleichen Kurs zu verfolgen.

Darüber hinaus nahmen am zweiten Tag zwölf weitere Länder an dem Treffen teil. Einige Länder, wie zum Beispiel Thailand, haben sich offiziell um eine BRICS-Mitgliedschaft beworben. Es gibt etwa 50 weitere Länder, die daran interessiert sind. Das bedeutet, daß die BRICS ein globales Phänomen geworden sind, das seine Prinzipien und seine Strategie für eine neue Weltordnung formuliert hat: eine neue Weltordnung, in der nicht der Westen dominiert, sondern in der es einen Konsens geben soll, eine gleichberechtigte Partnerschaft der Länder der Welt im Stil des Westfälischen Friedens zum Wohle aller, wie Sie es wohl nennen würden.

Die Chance, an der Lösung der europäischen Krise und der Ukraine-Krise mitzuwirken, ist daher ein echter Test für die BRICS-Länder. Können China, Indien und andere Länder dazu beitragen, diese Aufgabe zu erfüllen? Vielleicht erleben wir dann eine ganz neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen und den Aufstieg zu neuen Prinzipien, die dem entsprechen, was das Schiller-Institut vorgeschlagen hat und was Rußland im allgemeinen teilt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.