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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Das amerikanische Volk hat
keine Ahnung von der Atomkriegsgefahr

Von Oberst a.D. Larry Wilkerson

Oberst a.D. Larry Wilkerson war zur Zeit des Irakkriegs Stabschef von US-Außenminister Colin Powell und ist heute prominenter Kritiker der Kriegspolitik der US-Regierung. In der Pressekonferenz „Die Gefahr eines Atomkrieges ist real und muß gestoppt werden“ am 12. Juni sagte er folgendes.

Ich danke Ihnen, daß ich hier sein darf, und ich danke Ray [McGovern], daß ich für ihn einspringen durfte. Ich werde mich sehr kurz fassen, aber ich hoffe, daß die Punkte, die ich anspreche, sich mit denen decken, die Scott und die anderen genannt haben, denn es sind alles sehr wichtige Punkte.

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, mich mit einem großen Mann zusammenzusetzen, einem Patrioten, einem Helden dieses Landes. Und er stellte die Frage, mit der wir uns beschäftigten. Es war Dan [Daniel] Ellsberg, der durch die Pentagon-Papiere berühmt wurde. Dan sagte: „Die Frage ist, sind wir heute näher dran denn je seit dem 29. August 1949, als die Sowjets ihre erste Atombombe zündeten und es ein nukleares Wettrüsten gab?“ Und bevor ich antworten konnte, sagte er: „Ja, wir sind näher dran als je zuvor. Das Bulletin of the Atomic Scientists hat recht: Der Zeiger bewegt sich so dicht auf Mitternacht zu, daß man die Uhr kaum noch entziffern kann. Wir sind so nah an einem Atomkonflikt.“

Soweit Dan Ellsberg, der einer der führenden, wenn nicht der führende Nuklearplaner für RAND und dann für das Pentagon war, als er für die Regierung der Vereinigten Staaten arbeitete. Das ist auch der Mann, der mit einem Jeep durch den Zaun in Nevada fuhr, um zum Ground Zero zu gelangen und sicherzustellen, daß Ronald Reagan den letzten Atomtest nicht durchführen konnte. Und er war erfolgreich. Er fuhr einen Jeep zum Ground Zero, damit sie nicht schießen konnten. Ein sehr tapferer Mann; ein Held. Er war der Meinung, daß wir uns an einem Punkt befanden, an dem wir noch nie zuvor gewesen waren: wenige Sekunden vor einem Atomkrieg.

Und wir haben über die Gründe gesprochen. Den ersten Grund hat Scott bereits genannt, aber ich möchte ihn noch einmal wiederholen, weil er so wichtig ist, denn es ist alles unsere Schuld. Es ist die Schuld des Imperiums: Es ist die Schuld der Vereinigten Staaten von Amerika.

Wir haben jede vertragliche Regelung in Bezug auf Atomwaffen außer Kraft gesetzt. Wir waren das! Wir haben sogar dafür gesorgt, daß auch noch der letzte Vertrag, der Neue START-Vertrag, von Moskau wegen unseres Vorgehens in der Ukraine keiner Verlängerung mehr für würdig befunden wird. Damit haben wir ausnahmslos alle schützenden Vertragswerke außer Kraft gesetzt, die wir in den vielen Jahren des Kalten Krieges mühsam aufgebaut haben. Nuklearwaffen können sich jetzt frei bewegen.

Der zweite Punkt ist, daß es jetzt neun Länder gibt, die Atomwaffen besitzen, und dazu zähle ich natürlich auch Israel – meiner Meinung nach einer der gefährlichsten Atomwaffenstaaten. Dazu kommen zwei oder drei Anwärter. Ich glaube, die Saudis haben mit den Pakistanern einen Vertrag über den Kauf von 30 oder 40 Sprengköpfen abgeschlossen, für den Fall, daß der Iran eine Bombe entwickelt, so daß es innerhalb kürzester Zeit zwei neue Atommächte geben könnte, wenn der Iran sich plötzlich entschließt, das angereicherte Uran zu verwenden, über das er jetzt verfügt und das laut IAEO sogar für drei Bomben ausreicht. Und das sogar ziemlich schnell, wenn er diese Entscheidung treffen würde. Wir haben also eine Proliferation von Atommächten und keinerlei vertragliche Regelungen.

Der dritte Punkt – und der ist genauso wichtig wie die ersten beiden –, das habe ich auf meinen Reisen durch ganz Amerika und bei meinen Vorträgen an Universitäten, bei den Rotariern und bei allen möglichen Organisationen in allen 50 Staaten festgestellt: Die Amerikaner haben alles vergessen. Die Amerikaner verstehen nicht, was es bedeutet, einen Bunker in seinem Hinterhof zu bauen und ihn mit Lebensmitteln und Wasser auszustatten.

Ich habe früher Broschüren verteilt, eine von Lyndon Baines Johnson unterzeichnete Broschüre der US-Regierung, in der mit Fotos und Bildern und anderen Hilfsmitteln erklärt wurde, wie man einen Luftschutzkeller in seinem Hinterhof baut. Als ich klein war, ging ich in den Keller meiner Schule und saß dort mit dem Kopf in meinem Schoß, während der Lehrer uns anleitete, wie wir vorgehen sollten, denn wir machten eine Atomübung.

Man hat in diesem Land keine Vorstellung mehr davon, was Atomwaffen anrichten können.

Schließlich der letzte Punkt. Während des Kalten Krieges hatten wir ein Prinzip, das war absolut grundlegend für unsere Einstellung zu den Atomwaffen, und es war auch ziemlich grundlegend für die anderen Atomwaffen besitzenden Staaten in der Welt, einschließlich Rußland – damals die Sowjetunion: Kein Staat, der Atomwaffen besitzt, würde jemals direkt einen Krieg gegen einen anderen Staat führen, der Atomwaffen besitzt.

Denken Sie einen Moment darüber nach: Das ist ein verdammt guter Grundsatz! Das einzige Mal, daß dagegen verstoßen wurde, war mit Indien und Pakistan. Und in beiden Fällen eilten wir nach Delhi und Islamabad, so schnell wir konnten. 2002 haben wir uns mit General Musharraf und den Diplomaten in Neu-Delhi zusammengesetzt – ich weiß das aus erster Hand – und haben ihnen gesagt: „Schluß jetzt, hört auf damit!“ Und wir ließen ihnen keine andere Wahl, wir haben sogar eine gewisse Drohung ausgesprochen. Keine zwei Staaten, die Atomwaffen besitzen, sollten gegeneinander Krieg führen.

Wo stehen wir in der Ukraine? Wie weit sind wir in der Ukraine? Wir sind um Haaresbreite davon entfernt, diesen Grundsatz zu verletzen! Um Haaresbreite! Und es gibt Staatsoberhäupter wie Macron, der sich für einen neuen Charles de Gaulle hält, der diese Drohung wahr machen will. Er will tatsächlich NATO-Truppen vor Ort in der Ukraine einsetzen.

Wir befinden uns also in einer sehr gefährlichen Phase, und wenn Dan noch am Leben wäre, er wäre entsetzt. Ich garantiere Ihnen, daß er das wäre. Er hat sein Leben damit verbracht, diesen Moment zu verhindern, und es sieht so aus, als stünde er so unmittelbar bevor wie seit dem 29. August 1949 nicht mehr. Und das amerikanische Volk ist im Großen und Ganzen völlig unwissend, was diese Tatsache betrifft. Ich danke Ihnen.