Wissenschaft als Motor für das neue Paradigma der physischen Ökonomie
Von Jacques Cheminade
Jacques Cheminade war Kandidat für das Amt des französischen
Staatspräsidenten und ist Vorsitzender der Partei Solidarité et Progrès, Er
eröffnete den 3. Abschnitt der Konferenz zum 40jährigen Bestehen des
Schiller-Instituts am 8. Dezember 2024 mit dem folgenden Vortrag.
Unsere Mission ist es, die Menschheit von ihrem Weg in die thermonukleare
Auslöschung abzubringen. Das bedeutet Frieden – nicht als Abkommen zwischen zwei
Kriegsperioden oder lediglich zur Beendigung des Krieges, sondern daß wir
unseren Kampf auf wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt stützen, um
allen Nationen und der gesamten Menschheit das Überleben zu ermöglichen.
Das Engagement für wissenschaftlichen Fortschritt steht im Mittelpunkt der
physischen Voraussetzungen für das Überleben der Menschheit als Ganzes, um in
uns allen die Gewißheit zu schaffen, daß zukünftige Generationen besser sein
werden als unsere. Wir müssen dieses Prinzip in unseren subjektiven Handlungen
teilen, um die notwendige Hoffnung und das Vertrauen in die Kräfte der
schöpferischen Vernunft zu fördern. Eine solche Hoffnung ist, entgegen den
bösartigen Erzählungen der oligarchischen Kriegstreiber, die einzige Waffe, um
unsere Mitmenschen zu inspirieren, sich überall für die Sache des Friedens
zusammenzuschließen und verängstigte Flüchtlinge in selbstbewußte Millionen von
Demonstranten zu verwandeln.
Die folgenden Redner werden die Konsequenz eines Nicht-Eingreifens – unsere
gegenseitige nukleare Vernichtung – und statt dessen die Freude an der Schaffung
eines neuen Entwicklungsparadigmas aufzeigen, wenn sich die Nationen des Westens
mit den BRICS-Staaten zusammenschließen, um die rasche Industrialisierung
unseres gesamten Planeten sicherzustellen und Milliarden qualifizierter
Arbeitsplätze zu schaffen, die für die Bewältigung einer solchen Aufgabe
erforderlich sind. Unter den zehn Prinzipien, die Helga Zepp-LaRouche zur
Diskussion über eine neue internationale Sicherheits- und
Entwicklungsarchitektur vorstellte, definiert das letzte unsere
Herausforderung:
„Die Grundannahme des neuen Paradigmas ist, daß der Mensch grundsätzlich gut
ist und fähig, die Kreativität seines Geistes und die Schönheit seiner Seele
unendlich zu vervollkommnen, und daß er die am weitesten entwickelte geologische
Kraft im Universum ist, was beweist, daß die Gesetzmäßigkeit des Geistes und die
des physischen Universums in Übereinstimmung und Kohäsion stehen und daß alles
Böse das Ergebnis eines Mangels an Entwicklung ist und daher überwunden werden
kann”
Das gemeinsame Potential der Menschheit
Dies ist die eigentliche Quelle der Wissenschaft, die entscheidende Tatsache,
auf die sich das christliche Prinzip des „göttlichen Funken der Vernunft“
bezieht, der in jedem von uns als souveräne, individuelle, kreative Person
innewohnt. Lyndon LaRouche verweist in seinem Artikel „Geschichte als
Wissenschaft“ vom 8. Februar 1993 auf „Gottfried Leibniz‘ erstaunliche
Entdeckung der charakteristischen Punkte der Affinität zwischen dem Christentum
und der Konfuzius-Tradition innerhalb der Sprachkultur Chinas“. Hier geht es
darum, was wir gemeinsam haben und was wir in unseren westlichen Ländern in die
„Gemeinschaft für eine gemeinsame Zukunft der Menschheit“ einbringen können und
sollten.
Was wir gemeinsam haben, ist das, was Helga Zepp-LaRouche betont: das
angeborene Potential des Guten in allen Menschen, das im Westen durch das
platonische Christentum gegen den bösartigen Gnostizismus und Nominalismus, die
beide auf Sinneswahrnehmungen reduziert sind, und in China durch die
ursprüngliche konfuzianische Tradition gegen den fehlgeleiteten Taoismus und
Legalismus zum Ausdruck kommt.
In beiden Fällen steht dies im völligen Gegensatz zu dem, was der Jurist des
Dritten Reiches, Carl Schmitt, als die Notwendigkeit bezeichnet, einen
existentiellen Feind zu haben, um das eigene Identitätsgefühl zu behaupten.
Dieser böse Glaube, man habe für immer einen existentiellen Feind, bis man ihn
vernichtet, führt „logischerweise“ zum Krieg.
Die chinesische Kultur mit ihrem Win-Win-Konzept und die westliche Kultur,
wie sie im Westfälischen Frieden und in den Evangelien zum Ausdruck kommt,
teilen eine ähnliche, ontologisch optimistische Auffassung. Sie ist nicht nur
die Grundlage für die Vorstellung eines dauerhaften Friedens, sondern drückt
auch die unvermeidliche Wechselbeziehung zwischen moralischer Motivation und
wissenschaftlicher Praxis aus.
Einige mögen antworten: Aber es ist die Wissenschaft, die die Chinesen dazu
gebracht hat, das Pulver für Kanonen zu erfinden, und den Westen dazu, zwei
Atombomben zu entwickeln und auf die Zivilbevölkerung abzuwerfen.
Nun, was den Westen betrifft, so ist es die Perversion der Wissenschaft.
Warum? Weil, wenn nichts für das Gute getan wird, das Böse entsteht und die
Ergebnisse der Wissenschaft kontrolliert, um Macht über andere zu erlangen! Ein
Eintreten für die Entwicklung der noch nicht entwickelten Länder, wie es
Roosevelt oder De Gaulle konzipiert haben, hätte die Versuchung verhindert, 1945
aus geopolitischen Gründen Atombomben zu werfen, um Japan zu demütigen und das
„kommunistische Rußland“ zu bedrohen.
Geopolitik basiert auf einer Politik, die darauf abzielt, den existentiellen
Feind zu beherrschen und loszuwerden, und nicht darauf, eine höhere Ebene der
Beziehungen, des Friedens und der Zusammenarbeit zu erreichen. Deshalb muß man
sich im Namen des Friedens für immer von der Geopolitik abwenden.
Rückbesinnung auf die Goldene Renaissance
Für uns im Westen bedeutet dies, daß wir uns auf unsere historische
Bestimmung besinnen müssen, wie sie in der Goldenen Renaissance zum Ausdruck
kam. Wir können uns dem neuen Paradigma nicht mit leeren Händen oder, schlimmer
noch, mit leeren Köpfen anschließen. Wir sollten das wiedererlangen, was wir
seit den beiden Barbarenkriegen in Europa und der Kolonisierung von Gebieten und
Köpfen verloren haben: die Methode Platons, die sokratische Hypothesenbildung,
die der Renaissance das gab, was ihr fehlte, nämlich die christliche Vorstellung
vom imago viva dei.
Es würde natürlich viel mehr als fünfzehn Minuten dauern, um zu erklären, was
das ist, und ich empfehle Ihnen, Lyndon LaRouches „Geschichte als Wissenschaft“
zu lesen. Aber zumindest ein Vorgeschmack darauf ist notwendig, um unseren
Marsch in Richtung Frieden jetzt erfolgreich zu gestalten.
Die Methode Platons basiert auf Hypothesen, im Gegensatz zu der von Isaac
Newton praktizierten „hypothesis non fingo“ („Hypothesen erdenke ich
nicht”). Wir wissen nicht aufgrund von Sinnesgewißheit, wir wissen, weil wir
Hypothesen aufstellen – eine Änderung der Axiome – die durch entscheidende
Experimente bestätigt werden. Die wissenschaftliche Methode ist eine Methode
aufeinanderfolgender Änderungen, die in einer höheren Hypothese verkörpert ist,
der historischen Perspektive der internen Geschichte wissenschaftlicher
Entdeckungen. Statt dessen wurde die Wissenschaft durch Syllogismus, bloße
Schlußfolgerungen, ersetzt und ihre Praxis durch die Verwaltung unterworfener
Menschen und Objekte.
Was das Imago Dei und das damit verbundene Capax Dei hervorbringen, ist, daß die Souveränität des einzelnen Menschen, des
Mikrokosmos, die Instanz ist, durch die die gesamte Menschheit befähigt wird,
den Makrokosmos zu verändern, und eine solche Veränderung im Makrokosmos wird
nur durch eine Veränderung zum Besseren aller Elemente des Mikrokosmos
möglich.
Es ist das zweite Prinzip von Helga Zepp-LaRouche: „Absolute Priorität muß
die Überwindung der Armut in jedem Land der Erde haben, was leicht möglich ist,
wenn die vorhandenen Technologien zum Nutzen des Gemeinwohls eingesetzt werden.”
Es ist diese makrokosmische Verantwortlichkeit jedes Mikrokosmos, als
Absicht, für jede Nation und jeden Menschen, die das Gute definiert, die
Politik, von der das weitere Überleben der Zivilisation absolut abhängt. Die
Übernahme dieser Richtung für die gesamte Menschheit – den Makrokosmos zu
verändern, capax dei – ist die Antwort des christlichen Platonismus auf
die existentielle Herausforderung unserer Zeit, die bewußte Gestaltung der
vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Geschichte der Menschheit. Capax
dei ist die individuelle, souveräne Person, die Fähigkeit, am Schöpfungswerk
teilzuhaben – durch Handlungen, die Produkte kreativer Vernunft sind, motiviert
durch Agape, Liebe zum Schöpfer und zur Menschheit, wobei die „Gesetzmäßigkeit
des Geistes und die des physischen Universums in Übereinstimmung und Kohäsion
stehen“.
Diese einzigartige Fähigkeit eines einzelnen Menschen, den Makrokosmos zu
verändern, kann weder die Weisheit des Konfuzius noch das wissenschaftliche
Genie Platons und des nicht-platonischen Christen voll und ganz erreichen. Es
ist die „Capax dei“, ein universeller Prozeß der fortwährenden Schöpfung
im Geist eines souveränen Individuums, eine axiomatische revolutionäre
Veränderung als universeller Prozeß der fortwährenden Schöpfung, die das
Geschenk der goldenen christlichen Platoniker-Renaissance ist, ausgedrückt in
Menschen, die sich der höchsten Stufe ihrer schöpferischen Kräfte verschrieben
haben, wie Nikolaus von Kues, Gottfried Leibniz, Albert Einstein und Lyndon
LaRouche.
Dies ist natürlich kein Wettbewerb, sondern eine Angelegenheit der
Inspiration, der freudigen Inspiration. Der christliche Platonismus ist ein
entscheidender Schritt für die gesamte Menschheit, kein Alleinwert des
europäischen Denkens. Er ist wertvoll, wenn er geteilt wird, und er hat das
Potential, mit allen Menschen geteilt zu werden.
Ein Beispiel: Afrikas Weltraumindustrie
Lassen Sie mich ein Beispiel für eine solche Fähigkeit nennen. Die
afrikanischen Länder brauchen faire Entwicklungsbedingungen, die Achtung ihrer
Souveränität, Wassermanagement, Krankenhäuser und Schulen. Aber sie müssen auch
in die fortschrittlichsten Technologien einbezogen werden, in ein dynamisches
Projekt des Wandels, wie es China erfolgreich getan hat. Wie Cheikh Anta Diop
und Lyndon LaRouche beide feststellten, müssen afrikanische Länder nicht als
arme Länder betrachtet werden, denen man helfen muß, sondern im Geiste von
Bandung mit den Mitteln ausgestattet werden, um Entwicklungsstufen zu
überspringen.
Bedenken Sie, daß die afrikanische Raumfahrtindustrie mehr als 22 Milliarden
Dollar umfaßt, daß 17 afrikanische Nationen in 58 Satellitenprojekte investiert
haben und 9 davon in Afrika konzipiert, hergestellt und montiert wurden. Dies
ist von entscheidender Bedeutung für die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen,
die Bildung und natürlich die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen
Ingenieurwesen, Mechanik und Forschung.
Jedes Land braucht einen Wissenschaftsmotor in Schlüsselsektoren. So ist
beispielsweise die Kernenergie potentiell der Schlüssel zur sicheren
Elektrifizierung des Kontinents, aber auch zur Schaffung von Kernzentren für die
industrielle Entwicklung und zur Datierung des archäologischen Materials aus der
sehr frühen menschlichen Besiedlung des Kontinents.
Im Januar 2023 hat die Afrikanische Union in Ägypten die Afrikanische
Weltraumorganisation ins Leben gerufen. Frankreich und Südafrika haben zusammen
mit der senegalesischen Gesellschaft für Weltraumstudien und der türkischen
Weltraumorganisation eine Absichtserklärung zur Entwicklung der
Weltrauminfrastruktur in beiden Ländern unterzeichnet.
Solche Investitionen für den Frieden, wie sie in der Studie des
Schiller-Instituts mit dem Titel Entwicklung bedeutet: Milliarden neue
Arbeitsplätze, keine Flüchtlinge, kein Krieg vorgeschlagen werden, sind
Entwicklungsplattformen, die die Grundlage für eine Steigerung des
Arbeitskräftepotentials schaffen. Die Zusammenarbeit zwischen westlichen Ländern
und der globalen Mehrheit ist, gemäß dem Ansatz, der in diesem Panel definiert
wird, die beste Investition für den Frieden. Sie ist weltweit die einzige
Alternative zum Atomkrieg.
© Investing in People ASBL
Schüler eines Zentrums für kooperative Studien in der Demokratischen Republik Kongo.
Auf diesem Bild (Abbildung) können Sie die Freude am Lernen dieser
jungen Mädchen im Zentrum für kooperative Studien in der Demokratischen Republik
Kongo sehen. Lassen Sie uns von ihrem Lächeln inspirieren und aufhören, ihr Land
auszuplündern, und statt dessen Staudämme bauen – das Inga-Staudammprojekt – und
nukleare Kleinstkraftwerke, um Zentren der wirtschaftlichen Entwicklung zu
fördern, die ihnen zur Verfügung stehen, wenn sie erwachsen werden. Das
Aufstreben Afrikas ist ihre Zukunft, aber auch unsere, für einen anhaltenden
Prozeß des Weltfriedens.
Wir müssen aufhören, in Kategorien von Machtverhältnissen zu denken, und
statt dessen auf eine integrative Zusammenarbeit setzen, um unseren zukünftigen
Generationen eine bessere Welt zu bieten. Wir sind es ihnen allen schuldig,
ihnen eine bessere Welt zu bieten, und nicht Stellvertreterkriege, die immer
kurz davor stehen, in unserer menschlichen Vernichtung zu enden.
Wir sind in einer Falle mit nuklearen Zähnen gefangen. Es ist an der Zeit,
aus unserem Schlafwandeln aufzuwachen und uns alle wieder auf den Weg der
Wissenschaft der Menschheitsgeschichte zu bringen.
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