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Friedrich Schiller



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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Das klassische Prinzip wiederbeleben,
eine neue Renaissance aufbauen

Von Megan Dobrodt

Megan Dobrodt, Präsidentin des Schiller-Instituts in den Vereinigte Staaten, hielt den folgenden Vortrag auf der Regionalkonferenz des Schiller-Instituts in New York City am 24. und 25. Mai im Rahmen des zweiten Abschnitts „Die Schönheit der Vielfalt der Kulturen“. (Übersetzung aus dem Englischen, Untertitel wurden hinzugefügt.)

Die Menschheit braucht eine neue Goldene Renaissance! Helga Zepp-LaRouche hat mir zum ersten Mal die Idee vermittelt, daß eine Renaissance nicht einfach so passiert, sie entsteht nicht zufällig als Segen aus den gleichgültigen Strömungen der Geschichte. Eine Renaissance wird geschaffen. Sie entsteht durch die Absicht und Leidenschaft von Menschen, die davon überzeugt sind, daß die Natur der Menschheit edler ist als ihr gegenwärtiger Zustand, und die danach streben, das beste ihrer Geschichte, Kunst, Musik, Poesie, Dramatik und Philosophie ihres Landes zu finden, und darauf beharren, daß dies als Grundlage und Katalysator für eine neue Kultur herangezogen wird.

Es gab viele schöne Renaissance-Perioden in der Geschichte der Menschheit: das islamische Goldene Zeitalter, das im 8. Jahrhundert in Bagdad begann, die Andalusische Renaissance des 10. und 11. Jahrhunderts in Südspanien, die Konfuzianische Renaissance der Song-Dynastie in China ab dem 11. Jahrhundert, und die Goldene Renaissance des 15. Jahrhunderts mit Florenz als Zentrum – um nur einige zu nennen. Wir stehen heute bereit, eine Renaissance zu entfesseln, die sie alle übertrifft. Denn in diesen Epochen blühte zwar ein Teil der Welt unter einer schönen Kultur auf, aber gleichzeitig litten viele andere Teile der Welt unter einem dunklen Zeitalter. Heute haben wir zum ersten Mal die Möglichkeit, daß die klassische Kultur auf dem gesamten Globus aufblüht und die ganze Menschheit gleichzeitig einbezieht.

Die wahre Bedeutung von „klassisch”

Klären wir als erstes, was man unter „klassisch” verstehen sollte. „Klassisch“ bezeichnet weder eine bestimmte Zeitperiode oder geographische Region, noch bedeutet es, daß etwas „sehr alt” ist. Der Begriff „klassisch” bezieht sich, richtig verwendet, auf ein Prinzip des menschlichen Geistes: die Kraft der kreativen Vernunft, die uns befähigt, Prinzipien unseres Universums zu entdecken und sie anderen mitzuteilen. Klassische Kultur bezieht sich auf diejenigen Kunstwerke, die zum Ziel haben, diese Fähigkeit der menschlichen Seele zu erschließen, zu entwickeln und zu bereichern.

Lyndon LaRouche schrieb 1992 in seinem Aufsatz „Die klassische Idee: Natürliche und künstlerische Schönheit”:

    „Der Zweck der Kunst besteht darin, den edelsten Geisteszustand, den der einzelne erreichen kann, zu feiern und zu stärken, und uns so dabei zu helfen, bessere Menschen zu werden. Es ist ein Beitrag, der am besten und natürlichsten in der von agapē [Nächstenliebe] vorgeschriebenen Weise gefeiert wird, durch eine Intensivierung jener anti-erotischen Qualität der Emotion, die wir mit kindlichen Tränen der Freude assoziieren...

    Das wertvollste Geschenk, das wir empfangen können, ist das Mittel, die Kraft von agapē hervorzubringen, um unseren Geist zu beherrschen und unser Handeln nach Belieben zu lenken. Künstlerische Schönheit ist ein Hebel, mit dem wir genau das tun können. Das ist der Zweck der Kunst im allgemeinen und der Musik im besonderen, gemäß der klassischen Idee.“

Ich kann mir denken, daß das eine ganz andere Vorstellung von „klassisch“, aber auch von der Rolle und dem Zweck der Kunst im allgemeinen ist, als Sie es gewohnt sind. Sicherlich ist es das Gegenteil von fast allem, was heutzutage im Namen von „Kunst“ gemacht wird. Was LaRouche zum Ausdruck brachte, ist eine universelle Idee, denn sie bezieht sich auf eine universelle Eigenschaft des menschlichen Geistes, der menschlichen Seele, die uns alle von den Tieren unterscheidet.

Lassen Sie uns etwas tiefer in diese Idee eintauchen. Was ist dieser „edelste Geisteszustand”, von dem Lyndon LaRouche spricht? Was ist das Besondere am menschlichen Denken im Gegensatz zum „Denken“ der Tiere?

Körper und Geist – ein einzigartiger Widerspruch im Menschen

Als Menschen führen wir ein paradoxes Dasein. Einerseits laufen wir in tierartigen Körpern herum, die in Hinsicht auf den Körper im Vergleich zum Rest der natürlichen Welt nichts Besonderes sind. Unsere Körper erleben alle möglichen Dinge über unsere Sinne. Wir beobachten Phänomene, wir erkennen Muster; manche möchten wir in Zukunft vermeiden, andere möchten wir vielleicht weiterverfolgen.

Wir bemerken vielleicht, daß die Sonne jeden Tag aufgeht, über den Himmel wandert und auf der anderen Seite des Horizonts untergeht. Wenn wir etwas scharfsinniger sind, bemerken wir vielleicht auch, daß der Ort, an dem sie aufgeht, nicht jeden Tag genau derselbe ist. Er ändert sich im Laufe des Jahres.

Wir bemerken vielleicht auch andere Dinge am Himmel, wie bestimmte Sterne, die nicht in festen Konstellationen bleiben, sondern sich frei zu bewegen scheinen und manchmal Bahnen vor dem Hintergrund der anderen Sterne beschreiben, die wie Loopings aussehen. Die alten Griechen nannten diese vagabundierenden Sterne „Planeten” – Wanderer. All diese und andere beobachtete Phänomene und die Muster, die sie bilden, sind für unsere Sinne und unser Gehirn wahrnehmbar.

Der andere Teil unserer Existenz betrifft den menschlichen Geist, der etwas anderes ist als das Gehirn. Der Geist ist in der Lage, aus sich selbst heraus, nicht aus Erfahrungen, sondern aus seinen eigenen Vorstellungen von Angemessenheit, Güte, Schönheit und Effizienz eine Vorstellung von Ursachen zu entwickeln. Was ist die wirksame Ursache hinter einem beobachteten Phänomen? Warum bewegen sich die Planeten? Was ist die wirksame Ursache hinter einer Vielzahl von miteinander verbundenen und paradoxen Phänomenen?

Eine Ursache ist nichts, was man sehen kann. Man kann sie nicht anfassen, schmecken oder riechen. Eine Ursache ist eine Idee. Sie ist die Antwort auf die Frage: „Warum hat Gott das so geschaffen und nicht anders?“ Eine Ursache hat keine Farbe oder Form, keine besonderen physikalischen Eigenschaften, und doch hat jede Ursache einen ganz bestimmten und erkennbaren Charakter, eine Wirkungsweise, die, obwohl sie zunächst als Idee in einem bestimmten menschlichen Geist entstanden ist, potentiell allen anderen menschlichen Geistern mitteilbar und erkennbar ist. So werden universelle und wahre Ideen von Ursache und Prinzip geschaffen durch diese unglaubliche Fähigkeit, die wir den menschlichen Geist nennen.

Was ich gerade zumindest in groben Zügen beschrieben habe, bildet die Grundlage der Wissenschaft und aller Verbesserungen der menschlichen Lebensbedingungen über Jahrtausende hinweg.

Wie hängt das nun mit der Kunst zusammen?

Die Rolle großer Kunst bei der Gestaltung der Zukunft

Große Dichtung – denken wir zum Beispiel in der englischen Sprache an die Werke von Shakespeare, Shelley, Keats, Poe und Dunbar – drückt etwas so präzise aus, wie man es in wörtlicher Sprache nicht ausdrücken kann. In einem meisterhaften Gedicht wird das Thema nicht in wörtlichen Aussagen oder Bildern des Gedichts dargestellt, das kann es auch gar nicht. Man kann ihm keinen „Namen” geben, der einfacher ist als das Gedicht in seiner Gesamtheit: Zu sagen, „das Thema dieses Gedichts ist Unsterblichkeit” oder „der Schmerz des Verlusts” oder „die Freude der Entdeckung” ist so bedeutungslos und unlustig und wirkungslos wie die Pointe eines Witzes ohne die Einleitung zu erzählen. Das Thema der Poesie ist die unaussprechliche Idee, die zwischen den Worten liegt und nur als Gedanke entsteht, der in den mentalen Prozessen eines anderen Geistes in der Stille am Ende des Gedichts entsteht.

Die Schönheit eines klassischen Gedichts liegt in der Erkenntnis, daß der Dichter in dir einen präzisen Gedanken hervorrufen konnte, seinen präzisen Gedanken, den du als deinen eigenen Gedanken entwickelst. So werden wir mit großer Kunst unmittelbar mit der Universalität des menschlichen Geistes und der Kreativität als universellem Phänomen konfrontiert, was mit einem Gefühl der Liebe, der Agape, einhergeht: Man erkennt sich selbst im anderen und das Wahre und Gute in beiden.

Ideen, die es wert sind, in großer Poesie ausgedrückt zu werden, sind von Natur aus edler als die simplen Gedanken und Emotionen, die in unserem Alltag vorherrschen. Sie erheben uns für eine gewisse Zeit zum Ideal der Menschheit.

Was über Poesie gesagt werden kann, gilt hundertfach für große Musik. Klassische Musik nutzt die natürliche Schönheit der entwickelten Singstimme und ihrer Nachahmung in Musikinstrumenten sowie das Medium des wohltemperierten Systems, um durch den Einsatz von Polyphonie, Kontrapunkt, Ironie und der Freiheit von der linearen Erfahrung der Zeit eine einzige einheitliche Idee, einen universellen Gedanken zu entfalten, der jeden Moment der Aufführung bestimmt, über einige Minuten und manchmal viele Minuten, manchmal sogar über mehr als eine Stunde hinweg.

Der große Dirigent Wilhelm Furtwängler spricht dies in einer Schrift über J.S. Bach an:

    „[In Bachs Musik] finden wir die Konzentration auf den Moment in der Zeit vereint mit der ungehörten Weite; die unmittelbare Verwirklichung des Teils gepaart mit der wahrhaft souveränen Gesamtvision des Ganzen. Mit ihrem stets bewußten Gefühl für das Nahe und das Ferne zugleich; mit ihrer ungezwungenen Erfüllung des Hier und Jetzt, verbunden mit einem allgegenwärtigen unterbewußten Gefühl für die Struktur, den Fluß des Ganzen; ist Bachs Musik ein größeres Beispiel für biologische Zielsicherheit und natürliche Kraft, als wir es sonst irgendwo in der Musik finden können... Bach, der Schöpfer dieser Chöre und Fugen, scheint kein Mensch zu sein, sondern der Geist, der die Welt regiert, der eigentliche Architekt des Universums…“

In der klassischen Musik sind wir somit eingeladen, an einem destillierten und konzentrierten Ausdruck universeller Kreativität teilzuhaben. Auf diese Weise subsumiert die große klassische Kunst wissenschaftliche Entdeckungen und bietet die stärkste Grundlage für einen Dialog der Zivilisationen, der uns zur Verfügung steht.

Lyndon LaRouche schrieb über diese Kraft der klassischen Kultur in seinem Artikel „Economics as History: The Science of Physical Economy” (Wirtschaft als Geschichte: Die Wissenschaft der physikalischen Ökonomie) aus dem Jahr 2009:

    „Die maßgebliche Rolle der menschlichen Kreativität, die naturwissenschaftliche Kreativität eingeschlossen, liegt in jeder Hinsicht nicht in der Mathematik, sondern in der dynamischen Rolle der schöpferischen künstlerischen Vorstellungskraft von klassischer Musik, Poesie, Drama und vergleichbaren Ausdrucksformen der klassischen bildenden Kunst... Eben dieses subjektive Element in der menschlichen Natur ist der Ort wahrer Kreativität, in der Naturwissenschaft und anderswo, und damit der Ort, der den Menschen dem Tier grundsätzlich überlegen macht. Das ist das ultimative Geheimnis des Erfolgs in der Wirtschaft; es ist die unverzichtbare Funktion der klassischen künstlerischen Kultur.“

Kultur als Kompaß

Das ist der Maßstab, auf den wir heute für unsere Kultur bestehen müssen – jeder von uns, egal in welchem Land wir leben; egal, welche Sprache wir sprechen. Wir müssen zurückblicken, zurückgreifen auf das Beste und Schönste, was unsere jeweiligen Kulturen hervorgebracht haben, und es zum Mittelpunkt unseres Alltags, des Lebens unserer Kinder und unseres sozialen Lebens machen. Wie Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb: Jede Monade – jede einfache Substanz, jede Seele – „ist ein lebendiger Spiegel oder ein mit innerer Wirkung ausgestatteter Spiegel, der das gesamte Universum aus seiner eigenen Perspektive darstellt und so geordnet ist wie das Universum selbst“.

Auch Kulturen können wir auf diese Weise betrachten. Denn die klassische Kunst – egal ob chinesisch, amerikanisch, deutsch, persisch oder aus welchem Land auch immer – verkörpert das Menschliche in uns. Sie ist universell, und doch spiegeln verschiedene Kulturen diese universellen Ideen auf einzigartige Weise wider. Das verleiht der menschlichen Kultur einen unglaublichen Reichtum, der unsere Einsicht in universelle Ideen und die Rolle der Kreativität in unserem sich entwickelnden Universum erheblich steigert.

Stellen Sie sich ein Kind vor, das in einer wunderschönen klassischen Kultur aufwächst, die im Dialog mit anderen wunderschönen klassischen Kulturen aus vielen verschiedenen Ländern der Welt steht. Welch ein Reichtum an Gedanken, Emotionen und Geist steht diesem jungen Menschen zur Verfügung!

Ich bin fest davon überzeugt, daß die Menschheit heute an der Schwelle zu einer völlig neuen Epoche ihrer Entwicklung steht – einer Epoche, in der wir Kinderkrankheiten wie Kolonialismus, Krieg, Unterentwicklung und Armut für immer hinter uns lassen. Diese schrecklichen Dinge wird es unter den Menschen nicht mehr geben, sie werden für immer in eine vergangene Ära unserer Entwicklung verbannt sein – etwas, das Kinder nur noch als Teil der Geschichte lernen werden. Das ist kein Wunschdenken, sondern ein gesetzmäßiges Element der natürlichen Entwicklung unserer Erde und unseres Universums, weil wir die schöpferische Gattung sind – die einzige uns bekannte Gattung, die in der Lage ist, die Selbstentwicklung des Universums als willentliche Handlung voranzutreiben.

Laßt uns also eine neue klassische menschliche Kultur schaffen, eine neue, weltweite Goldene Renaissance, damit diese neue Ära erblühen kann.