Rettet unsere Menschlichkeit – rettet Gaza!
Angesichts der dringenden Lage in Gaza hat das Schiller-Institut in
Frankreich die folgende Erklärung verfaßt, um auf die sich dort abzeichnende
Tragödie aufmerksam zu machen. Frankreich müsse alles in seiner Macht Stehende
tun, um den sicheren Tod Tausender Zivilisten und die systematische Zerstörung
aller Lebensgrundlagen konkret zu verhindern. Niemand wird sagen können: „Ich
habe das nicht gewußt.“
Ende Februar ist der fragile Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas
gescheitert. Am 2. März begann Israel die barbarische Blockade sämtlicher
humanitärer Hilfslieferungen nach Gaza, und Anfang Mai, zwei Monate nach dieser
Entscheidung, ist die Lage so ernst, daß das Rote Kreuz gerade vor dem
Zusammenbruch der humanitären Hilfe gewarnt hat.
Konkret bedeutet das, daß zwei Millionen Menschen, die Bombardierungen,
Vertreibung, fehlende sanitäre Einrichtungen und eine ständige Hölle auf Erden
erdulden mußten, früher oder später zum Hungertod verurteilt sind.
Natürlich trägt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, gegen den die
sowohl die Justiz seines Landes als auch der Internationale Strafgerichtshof
vorgeht, eine erdrückende Verantwortung – sowohl dafür, daß er für seine eigenen
Zwecke die „Hamas-Karte“ gespielt hat, als auch dafür, daß er die Aussicht auf
positive Veränderungen, die sich mit dem in Doha in Katar ausgehandelten
vorübergehenden Waffenstillstand abzeichneten, systematisch vereitelt hat.
Aber niemand sollte sich täuschen lassen. Wenn Netanjahu so lange ungestraft
gegen alle grundlegenden Prinzipien unserer gemeinsamen Menschlichkeit verstoßen
hat, wenn er zynisch gegen alle Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen konnte,
dann deshalb, weil er von der grenzenlosen Nachsicht seiner westlichen
Beschützer profitiert hat.
Machen wir uns nichts vor: Das Blut der tausenden Opfer, die Toten, die
Verstümmelten, die Auslöschung einer Kultur – sei es durch die Vernichtung der
Bewohner Gazas oder die Zerstörung ihres historischen Erbes – werden nicht unter
den Teppich der Geschichte gekehrt werden, trotz aller bereits erkennbaren
Versuche, sie umzuschreiben.
Zu der Blockade humanitärer Konvois sei daran erinnert, daß das humanitäre
Völkerrecht und speziell die Genfer Konvention von 1949 „Drittstaaten
verpflichtet, Druck auf die Kriegführenden auszuüben, damit sie ihren
Verpflichtungen nachkommen“.
In Gaza wird bewußt der Hunger als Waffe eingesetzt, um möglichst viele
Menschen zu töten, den Widerstand der Palästinenser zu brechen und die
Überlebenden zur Flucht zu zwingen. Schlimmer noch, Israels Finanzminister
Bezalel Smotrich hat gerade erklärt, „Gaza wird vollständig zerstört werden“,
was die völkermörderische Dimension der israelischen Politik bestätigt.
Wenn die westlichen Länder nicht Komplizen dieses systematischen Vorhabens
der Entmenschlichung und Vernichtung sein wollen, das sich vor unseren Augen in
Gaza abspielt, dann müssen diese Länder (die historischen Kolonialherren des
Nahen Ostens) schnellstmöglich handeln, um die Lieferung humanitärer Hilfe zu
erzwingen und das Unwiderrufliche zu verhindern. Sie müssen auch alle Mittel
einsetzen, um Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit sie ihren
selbstmörderischen Kurs stoppt. Wenn sie das nicht tun, werden sie dazu verdammt
sein, sich in die traurige Reihe der entehrten und gescheiterten Zivilisationen
einzureihen.
Vor diesem Hintergrund wäre es für Präsident Emmanuel Macron der Moment,
Geschichte zu schreiben, wenn er seine erklärte Absicht, auf einer UN-Konferenz
im Juni in New York einen palästinensischen Staat anzuerkennen, konsequent
umsetzt, indem er sich Netanjahus mörderischem Wahnsinn entgegenstellt und
zeigt, daß es entgegen allen anderslautenden Behauptungen zwischen den
verschiedenen Akteuren in der Region und insbesondere zwischen Israelis und
Palästinensern eine Interessengemeinschaft gibt, die sich auf das wichtigste
Element des Lebens zurückführen läßt: Wasser.
Frieden wird nur auf der Grundlage einer gemeinsamen Entwicklung der Wasser-
und Energieressourcen möglich sein. Anhang 3 des Osloer Abkommens sah diesen
Horizont vor. Das wurde jedoch mißachtet, weil es dem israelischen Staat die
alleinige Kontrolle überließ. Heute muß Frankreich ein Beispiel für die
G7-Länder setzen, indem es unverzüglich einen palästinensischen Staat auf der
Grundlage tragfähiger Grenzen anerkennt. Dessen Existenz ist untrennbar mit der
Umsetzung des Oasenplans verbunden, den das Schiller-Institut vorschlägt.
Die westlichen Länder, die sich ständig einer Politik des „teile und
herrsche“ verschrieben haben, müssen nun mobilisieren, um sicherzustellen, daß
die israelische Armee den Gazastreifen räumt und daß Verhandlungen über das
Rückkehrrecht der Palästinenser, die Einstellung des Siedlungsbaus im
Westjordanland und die Freilassung aller Geiseln und Kriegsgefangenen
aufgenommen werden. Dieser kohärente Ansatz ist unverzichtbar. Er ist der
einzige Weg, um die Herausforderung zu bewältigen, anstelle der Barbarei eine
Ordnung der Zusammenarbeit und gegenseitigen Sicherheit zu schaffen.
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