Die Notwendigkeit der Vision der Weltgemeinschaft
Von Helga Zepp-LaRouche
Auf dem Beijing Culture Forum 2025 hielt die Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, den folgenden Vortrag.
Die Weltgeschichte hat im Sinne der Dramentheorie Friedrich Schillers einen
„punctum saliens“ erreicht, an dem gewissermaßen alle bisherigen
Tendenzen an einen Punkt der Entscheidung gekommen sind: Hat die Menschheit, die
dank thermonuklearer Waffen zum ersten Mal das Potential hat, sich und alles
Leben auf der Welt auszulöschen, und die dank Internet zum ersten Mal einen nun
seit 22 Monaten andauernden Genozid jeden Tag live miterleben kann, die
moralische Fähigkeit zu überleben?
Es ist jedenfalls offensichtlich, daß die alte Weltordnung, so wie sie sich
nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem nach dem Ende des Kalten Krieges
herausgebildet hat, und mit ihr das Völkerrecht zerbrochen ist. Selbst die UN,
deren Charta das wichtigste Dokument der Völkergemeinschaft ist und bleibt, ist
dringend reformbedürftig, weil sie sich in ihrer gegenwärtigen Konstitution als
unfähig erwiesen hat, auf Kriegsgefahr und Genozid adäquat zu reagieren.
Nun hat Präsident Xi Jinping mit seiner Idee der Zukunftsgemeinschaft der
Menschheit und den vier Globalen Initiativen – die Globale
Entwicklungsinitiative (GDI), die Globale Sicherheitsinitiative (GSI), die
Globale Zivilisationsinitiative (GCI) und nun die Globale Governanz-Initiative
(GGI) – ein Konzept vorgelegt, das ganz eindeutig die nächste Phase der
menschheitsgeschichtlichen Evolution definiert.
Dieses Konzept hat mit dem Entstehen einer neuen Weltordnung durch die BRICS,
die BRI und vor allem auf der Konferenz der SCO in Tianjin Gestalt angenommen
und für die Globale Mehrheit der Menschheit eine ungeheuer optimistische
Perspektive eröffnet, die 500jährige Epoche des Kolonialismus endgültig zu
überwinden. Die chinesisch-russische Partnerschaft ist der Felsen, auf den die
neue Weltordnung gebaut ist. Die Überwindung von Spannungen zwischen China und
Indien, zwei Wiegen der Menschheit, die zusammen bereits 35% der Weltbevölkerung
repräsentieren, ist der Wegweiser für den positiven Wandel zwischen allen
Nationen, deren Beziehung durch Manipulationen aus der Kolonialzeit belastet
sind.
Der tektonische Umbruch, der mit der Herausbildung einer neuen Weltordnung
stattfindet, die auf der Tradition der fünf Prinzipien der friedlichen
Koexistenz und der Blockfreien Bewegung gegründet ist und jetzt mit den vier
Initiativen Xi Jinpings fortgesetzt wird, schafft offensichtlich die
Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in der Welt. Die Attraktivität
dieses Modells, das allen Nationen wirtschaftlichen Fortschritt und kulturelle
Entfaltungsmöglichkeiten bietet, reflektiert sich in der wachsenden Anzahl von
Nationen des Globalen Südens, die sich als aktive und gleichberechtigte
Teilnehmer verstehen. Wenn es nur diese Dynamik gäbe, stünde die Menschheit vor
einer glänzenden, ungetrübten Zukunft.
Es wird aber alles darauf ankommen, einen Weg zu finden, wie die Nationen des
vormals „kollektiven Westens“, der seit des Beginns der 2. Amtszeit Präsident
Trumps, nicht mehr kollektiv ist, für die Kooperation mit der neuen entstehenden
Weltordnung gewonnen werden können. Die Tatsache, daß es einer „Koalition der
Willigen“ bedarf, die die Entscheidung im Konflikt um die Ukraine auf dem
Schlachtfeld erzwingen wollen, zeigt, da sie selbst in Europa eine Minderheit
darstellen, und selbst in dieser Koalition sind die Zustimmungsraten der
jeweiligen Regierungen äußerst dürftig.
Die entstellende oder vollkommen abwesende Berichterstattung in den
westlichen Mainstream-Medien über die entstehende neue Weltordnung, wie sie bei
dem jüngsten SCO-Gipfel sichtbar wurde, hat zur Folge, daß die Bevölkerungen in
den USA und Europa keinen Schimmer davon haben können. Statt dessen wird
versucht, die Bevölkerung auf einen neuen Militarismus einzustimmen, mit
Appellen wie „Deutschland muß kriegstüchtig werden“ (Pistorius), Deutschland muß
die „konventionell stärkste Armee Europas“ aufbauen (Merz), und Rußland und
China könnten „bis 2027 soweit erstarken, daß sie eine Konfrontation mit NATO
und USA suchen“ (NATO-Oberbefehlshaber Alexus Grynkewich).
Es wäre daher dringend, Wege zu finden, der Bevölkerung der europäischen
Nationen die Gefahren eines neuen Militarismus und das Potential aufzuzeigen,
das in der Kooperation mit der neuen Weltordnung liegt.
Sehr geeignet dazu wäre gerade angesichts der jüngsten Annäherung zwischen
China und Indien der Ansatz, den Präsident Xi im Jahre 2014 in einer Rede in New
Delhi wählte:
„Schon in antiken Zeiten kam man in China zu der Einsicht, daß ein
kriegerischer Staat, so groß er auch sein mag, letztlich scheitern muß. Frieden
ist von überragender Bedeutung. Harmonie ohne Gleichförmigkeit und universellen
Frieden gilt es zu erringen. Die chinesischen Konzepte vom ,universellen
Frieden‘ und ,universeller Liebe‘ sind den indischen Konzepten von
,Vasudhaiva Kutumbakum’ (die Welt als eine Familie) und ,Ahimsa’
(keine Verletzung zufügen) sehr ähnlich.“
Präsident Xis GCI bietet einen hervorragenden Ansatz, auch mit den Kulturen
des Westens einen ähnlichen Dialog auf der Basis der entwickeltsten Konzepte und
Ideen zu intensivieren.
Neben Gottfried Wilhelm Leibniz, der ein großer Bewunderer der chinesischen
Kultur und Philosophie war, hatte Friedrich Schiller die schönste Idee einer
visionären Idee einer vereinten Menschheit, die durch die ästhetische Erziehung
und Selbstkultivierung zum höchsten Ideal der Menschheit mit einander verbunden
ist. Schillers Erkenntnis, daß dieses Ideal durch die ästhetische Erziehung zu
erreichen ist, hatte einen großen Einfluß in China dank der Intervention des
Gelehrten Cai Yuanpei, dem ersten Erziehungsminister der provisorischen Republik
Chinas und späteren Präsidenten der Beijing Universität. Cai Yuanpei führte das
Konzept der ästhetischen Erziehung Schillers in das chinesische Bildungswesen
ein und schuf dafür eigens ein neues Wort: „meiju“.
Gleichfalls inspiriert durch Schiller Idee, die in seiner Ode an die
Freude – „Alle Menschen werden Brüder" –, zum Ausdruck kommt, entwarf
er die Vision einer „großen Gemeinschaft“ der gesamten Welt, „datong
shijie“, die friedlich und harmonisch, ohne Armee und Krieg, zusammenlebt.
Cai sah im Dialog der Kulturen den Weg zur Erreichung dieses Ziels, daß eine
Nation die Kulturen anderer Völker unbedingt aufnehmen müßte: „Wirft man einen
Blick auf die Entwicklung der Geschichte, so sieht man, daß die
Auseinandersetzung unterschiedlicher Kulturen immer zur Entstehung einer neuen
führt.“
Es gilt also, in allen Kulturen und Zivilisationen jene Ideen und Entwürfe
aufzuspüren, bei denen deren beste Geister, ihre größten Dichter und Denker
Vorstellungen von der gemeinsamen Zukunft der einen Menschheit entwickelt haben.
Diese Ideen sind nämlich heute im Westen fast vergessen, wenigstens bei den
kriegstreiberischen Kreisen, die trotz der permanenten Beschwörung der
„westlichen Werte“ keine Ahnung von den wirklich großen Ideen mehr haben. Ein
Austausch über die schönsten Werke der verschiedenen Kulturen auf der Ebene der
Völker wird nicht nur das Verständnis, sondern zugleich die Liebe zu ihnen
erwecken.
Die chinesischen Initiativen haben bereits bewiesen, daß das Prinzip „Frieden
durch Entwicklung“ wirklich tiefe Konflikte überwinden kann, wie man an der
chinesischen Vermittlerrolle zwischen dem Iran und Saudi Arabien, oder kürzlich
zwischen Pakistan und Afghanistan sehen kann. Es besteht also die berechtigte
Hoffnung, daß es mit der Kombination von gemeinsamer wirtschaftlicher
Entwicklung und dem Dialog der besten Traditionen der jeweiligen Kulturen auch
gelingen wird, die europäischen Nationen und sogar Amerika in diese
Weltgemeinschaft einzubeziehen! Auf jeden Fall ist dies ein Ziel, dem wir uns
mit der ganzen Leidenschaft der Liebe zur Menschheit widmen sollten!
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