Starten wir die schönste Renaissance in der Geschichte der Menschheit!
Von Helga Zepp-LaRouche
Im vierten Abschnitt der Internetkonferenz zum 40jährigen
Bestehen des Schiller-Instituts hielt die Vorsitzende des Instituts, Helga
Zepp-LaRouche, am 8. Dezember 2024 den folgenden Vortrag. (Übersetzung aus dem
Englischen, Zwischentitel hinzugefügt.)
Danke, daß Sie an den Jahrestag des Schiller-Instituts erinnern. Denn wenn
man auf die vier Jahrzehnte unserer Arbeit zurückblickt – und ich möchte die
Menschen einladen, unser Internetarchiv1 zu besuchen und sich die
Ursprünge selbst anzusehen –, ist es durchaus bemerkenswert, daß wir in der Tat
ziemlich prophetisch waren, als wir die Themen definierten, die heute relevant
sein würden. Denn wir sagten, daß wir die damalige Außenpolitik – die im
wesentlichen aus unfreundlichen Beziehungen, Subversion, Staatsstreichen und
verschiedenen anderen negativen Formen bestand – unbedingt durch Staatskunst
ersetzen müssen, d.h., das Beste im anderen Staat fördern, in der Hoffnung, daß
dies umgekehrt auch die Einstellung zu uns wird. Es war ganz klar, daß die Welt
dringend eine gerechtere neue Weltwirtschaftsordnung brauchte, die aber nur
funktionieren würde, wenn sie mit einer Renaissance der besten Traditionen aller
Kulturen einhergeht.
Das war eine sehr ehrgeizige Idee. Aber ich denke, wenn man sich anschaut,
wie die Entwicklung in der Zeit seither verlaufen ist, dann ist diese Idee, daß
man eine Renaissance der besten Traditionen braucht, zu einer sehr
vorherrschenden geworden. Ich habe 2018 in Beijing an einem Dialog der
asiatischen Zivilisationen teilgenommen. Ich war einer der wenigen Nicht-Asiaten
dort und muß sagen, es war eine absolut erstaunliche Erfahrung, Menschen aus
China, Indien, Korea, Thailand, Afghanistan und anderen Ländern zu sehen, die
alle über die großen Traditionen ihrer Zivilisationen sprachen, die zum Teil bis
zu 5000 Jahre zurückreichen. Und sie betonten stolz, was in dieser
jahrtausendealten Tradition am fortschrittlichsten war, und sie beziehen sich
heute darauf, um die Identität der Bevölkerung in dieser Tradition zu verankern
und darauf aufbauend eine sehr positive Vorstellung von der Zukunft zu
entwickeln. Das bezog sich auf die alte vedische Periode in Indien oder die
baktrische Periode im heutigen Afghanistan, die persischen Traditionen und so
weiter.
Warum sind Europa und die Vereinigten Staaten nicht Teil dieser Diskussion?
Ich denke, [der russische Außenminister] Lawrow hat es vor einigen Jahren in
seiner jährlichen Neujahrsansprache auf den Punkt gebracht, als er sagte, das
Problem sei, daß der Westen sich von seinen traditionellen Werten entfernt habe
- jenen Werten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, von
Großeltern zu Eltern – und wir ein „postchristliches Wertesystem“ angenommen
hätten.2 Das sei das Hauptproblem, warum etwa die Kommunikation
zwischen den asiatischen Ländern und Europa und den Vereinigten Staaten
praktisch zusammengebrochen sei.
Warum sind sich die Menschen im Westen heute der Gefahr eines Atomkriegs so
wenig bewußt? Wir haben von Scott Ritter, Ted Postol und anderen gehört, daß die
Wahrscheinlichkeit, daß es völlig schiefgehen kann, extrem hoch ist. Anfang der
1980er Jahre, als wir die Krise um die Mittelstreckenraketen hatten, gingen
Hunderttausende Menschen auf die Straße, weil sie Angst vor einem Dritten
Weltkrieg hatten. Und jetzt, wo wir so nahe daran sind wie nie zuvor in der
Geschichte, auch nicht während der Kubakrise, machen sich nur sehr wenige
Menschen überhaupt Sorgen. Die meisten genießen ihr Vergnügen, ihren Urlaub,
ihre verschiedenen Hobbys, aber sie machen sich keine Gedanken darüber, was mit
der gesamten Zivilisation passieren könnte.
Hat das etwas mit dem Video zu tun, das Diane [Sare] gezeigt hat?3
Ich würde sagen: „Absolut, ja!“ Denn was ist passiert, wenn Lawrow sagt, wir
hätten uns von unseren Traditionen abgewandt und seien zu „postchristlichen
Werten“ übergegangen? Was war denn die beste Tradition in den Vereinigten
Staaten? Es war die Amerikanische Revolution, der erste Unabhängigkeitskrieg
gegen das Britische Empire, ein antikolonialer Krieg. Und heute geben die Briten
die Richtung vor. Sie versuchen im Grunde, eine unipolare Welt, die es gar nicht
mehr gibt, aufrechtzuerhalten – ausgehend von der anglo-amerikanischen
„Sonderbeziehung“, bei der das amerikanische Establishment akzeptiert hat, eine
Einheit mit dem britischen Establishment zu bilden, und das soll das Modell
sein, das die Hegemonie auf der Welt hat.
Der Angriff der Romantiker auf die Klassik
Deutschland hatte einmal eine sehr fortschrittliche Zivilisation und Kultur,
die deutsche Klassik, das umfaßt etwa in der Musik alles von Bach und Händel
über Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms bis hin zu einigen Werken von
Hugo Wolf. Aber was ist daraus geworden? Deutschland hat einen völlig anderen
Weg eingeschlagen. Es gibt nur noch wenige Menschen, die sich für klassische
Musik interessieren; relativ gesehen, im Vergleich zur großen Bevölkerungszahl,
ist es eine winzige Minderheit.
Das begann schon vor fast 200 Jahren mit dem Angriff der Romantiker auf die
Klassik. Und ich kann das nur betonen: Die Romantiker wollten herunter von der
Höhe des klassischen Prinzips, das in der Literatur einen Höhepunkt in der
Zusammenarbeit von Goethe und Schiller erreicht hatte, die die Idee des Guten,
Wahren und Schönen wiederbelebt hatten. Sie griffen das an mit der romantischen
Idee, die klassische Form sei nicht gut, sie wollten nicht das Schöne, sondern
das „Interessante“. Und weil das Interessante von heute morgen schon wieder
langweilig ist, muß es noch „interessanter“ werden, und damit sinkt natürlich
der Geschmack, die Kultur degeneriert immer weiter, bis hin zum heutigen Niveau,
wo „alles erlaubt ist“.
Heinrich Heine hat ein sehr wichtiges Buch geschrieben, das Sie lesen
sollten, wenn Sie Ihre Einsicht in diesen den Geist vertiefen, Die
romantische Schule. Er schloß sich Goethes Ansicht an – nicht direkt in
diesem Buch, aber in Bezug auf die Meinung –, daß die Romantiker verrückt waren,
weil sie jeglichen Bezug zur Realität verloren hatten. Und wenn man sich die
Romane von jemandem wie E.T.A. Hoffmann ansieht, der buchstäblich in die
Irrenanstalt Charenton in Frankreich ging, um Fälle für seine Romane zu
studieren, dann sieht man, was als literarisches Produkt herauskam. Das hat den
Weg für einen schrittweisen kulturellen Verfall geebnet.
Ich sage also nicht, daß das erst in der jüngeren Vergangenheit begann. Man
muß wirklich weit zurückgehen, und Heines Definition dieses Wahnsinns, die er
sehr witzig und polemisch schreibt, ist äußerst nützlich.
Die Umerziehung
Aber was hat das mit der heutigen Zeit zu tun? In der deutschen Geschichte
ist es trotz der Schrecken der zwölfjährigen nationalsozialistischen Herrschaft
nicht gelungen, die Tradition der klassischen Musik und der klassischen Dichtung
vollständig auszurotten, obwohl die Nazis beispielsweise vor Schillers
Wilhelm Tell Angst bekamen, weil sie dachten, es könne als Leitfaden
dienen, um Hitler loszuwerden. Es war also nicht so einfach. Aber als der Krieg
1945 endete und ganz Deutschland ein schreckliches Trümmerfeld war, viele Städte
nicht mehr existierten, gab es diesen unglaublichen Moment, in dem die Menschen
in sich gingen und sagten: „Was können wir tun, damit so etwas nie wieder
passiert?“ Und es gab eine kurze Zeit, in der die Debatte über das Naturrecht
wiederbelebt wurde. [Heinrich] Schlusnus gab Konzerte in ausgebombten Fabriken,
und es gab eine kurze Zeit, in der es möglich gewesen wäre, Deutschland wieder
an seine klassische Tradition anzuschließen.
Doch dann kamen die Besatzungsmächte, vor allem die Amerikaner, aber auch die
Briten, und beschlossen, das wichtigste sei, die Deutschen von ihrer Kultur
abzuschneiden, um sie unter Kontrolle zu halten, und sie Schritt für Schritt zu
zwingen, das kulturelle Paradigma der Anglosphäre zu übernehmen.
Das bedeutete, im Bildungswesen Humboldt abzuschaffen und durch Dewey zu
ersetzen, das Naturrecht durch das amerikanische Präzedenzrechtssystem zu
ersetzen, und in der Kultur bedeutete es, die Klassik zu einer Musik von vielen
zu machen. Es sollten keine Konzerte mehr ohne moderne Musik, Zwölftonmusik oder
atonale Musik stattfinden.
Zu diesem Zweck wurde der Kongreß für kulturelle Freiheit (CCF) ins Leben
gerufen, der in der Nachkriegszeit ein gigantischer Versuch der kulturellen
Manipulation war. Sie hatten die Kontrolle über alle Konzerte, alle
Aufführungen, und selbst hervorragende Musiker, die sonst damit gar nichts zu
tun hatten, waren Teil davon, weil es einfach keine andere Möglichkeit gab,
aufzutreten. Auf dem Höhepunkt dieser globalen Operation, die auch in Afrika und
Asien aktiv war, steuerte der CCF 120 Kulturmagazine, und das wurde nur ein
wenig unterbrochen, als 1967 der Skandal aufflog, daß er von der CIA finanziert
wurde und der gesamte Kongreß für kulturelle Freiheit eine CIA-Operation war –
was offensichtlich viel damit zu tun hatte, daß Truman nach dem Tod von Franklin
Roosevelt dessen Nachfolge antrat.
Ich kann nur empfehlen, in die Bibliotheken zu gehen und sich die Dokumente
anzusehen. Sie werden absolut schockiert sein, auch darüber, daß all das heute
kein großes Diskussionsthema ist. Denn viel moderne Kunst ist das Ergebnis
dieser Operation, und offensichtlich ist ein Großteil dieser Kunst extrem
häßlich. Dagegen hatte Schiller darauf bestanden, daß Kunst schön sein muß,
sonst dürfe sie nicht Kunst heißen.
Das war also die erste Welle, der CCF. Dann kam die nächste Welle, im Grunde
ausgehend von der OECD, in den 1960er Jahren. Die OECD unter der Leitung von Dr.
Alexander King, der später auch eine üble Rolle beim Club of Rome und der These
von den Grenzen des Wachstums spielte, die bereits auf unserer Konferenz
erwähnt wurde, begann eine Bildungsreform mit dem ausdrücklichen Ziel, Humboldt
loszuwerden.
Humboldts Idee war, daß das Ziel der Bildung die Schönheit des Charakters
sein müsse, und daß bestimmte Fächer besser geeignet seien als andere, einen
solchen schönen Charakter zu entwickeln: die Beherrschung der Hochsprache, wie
sie in den besten poetischen Traditionen zum Ausdruck kommt, die Weltgeschichte,
die Naturwissenschaften und so weiter.
So sagten sie: „Laßt uns den gesamten Ballast von 2500 Jahren Wissen seit
Platon über Bord werfen, all das sollte verschwinden“, und das taten sie auch.
Sie strichen das alles aus dem Lehrplan.
Lyndon LaRouche, der die Deutschen gut kannte, hat mehrmals gesagt,
diejenigen, die vor der Bildungsreform zur Schule gingen, und diejenigen, die
danach zur Schule gingen, seien wie zwei verschiedene Gattungen. Und ich denke,
da war etwas dran.
Die Gegenkultur
LaRouche war meines Wissens auch der einzige, der in den 1960er Jahren mit
absoluter Präzision den üblen Einfluß der Gegenkultur mit „Sex, Rock und
Drogen“, Hippies und Flower Power als das potentiell Zersetzendste erkannt hat,
was das kognitive Potential jeder Gesellschaft, die sich einer solchen
Gegenkultur hingab, zerstören würde. Schauen Sie sich noch einmal das Video mit
[Tony] Blinken [als Rockmusiker] an und urteilen Sie selbst, ob LaRouche Recht
hatte. Viele dachten damals: „Die Hippies sind irgendwie lustig, San Francisco,
das ist doch alles schön.“ Aber was es mit dem Geist macht, sehen wir heute an
der Jugendkultur, an den Selbstmordraten, der Drogenabhängigkeit, dem
allgemeinen Kollaps der kognitiven Fähigkeiten im Vergleich etwa zu vielen
Schülern in Asien.
Warum war das so absolut verheerend? Weil die klassische Kultur mit der Idee
von Schönheit, der Erhebung des Geistes, der Selbstverbesserung und dem
permanenten lebenslangen Lernen verbunden war, wenn man an Schiller zurückdenkt,
der zusammen mit Beethoven den höchsten Punkt der deutschen Kultur überhaupt
darstellte.
Ich habe Lyn [LaRouche] einmal gefragt: „Wer war deiner Meinung nach der
größte Deutsche, der je gelebt hat?“ Zu meiner freudigen Überraschung antwortete
er: „Friedrich Schiller.“ Ich fragte nach: „Meinst du wirklich...?“ Er
antwortete: „Ja, absolut.“ Und das paßt sehr gut zu dem Grund, warum ich mich
entschieden habe, das Schiller-Institut so zu nennen, weil Schiller uns mit
seinen Ästhetischen Briefen und seinen anderen ästhetischen Schriften
eine Methode liefert, wie man Menschen verbessern und den Charakter veredeln
kann.
Schiller war sehr enttäuscht vom Zusammenbruch der Französischen Revolution,
von der er anfangs gehofft hatte, sie würde eine Wiederholung der Amerikanischen
Revolution auf europäischem Boden sein. Aber als dann der Jakobiner-Terror die
Oberhand gewann, war er bestürzt und entsetzt, und er schrieb diese
Ästhetischen Briefe, ausgehend von der Idee, daß „ein großer Moment“, die
Französische Revolution, „ein kleines Geschlecht“ gefunden hatte – daß zwar die
objektive Gelegenheit für Veränderung gegeben war, aber die subjektive
moralische Möglichkeit in den Menschen fehlte, diese Chance zu nutzen.
Also machte er sich daran, eine Methode zu entwickeln, damit die Menschen
beim nächsten Mal, wenn sich eine große Chance in der Geschichte bietet, besser
gerüstet sind. Und er schrieb die Ästhetischen Briefe, die Sie meiner
Meinung nach über die Weihnachtszeit lesen sollten, denn diese Literatur gibt
Ihnen wirklich eine Antwort darauf, was man in der heutigen Situation tun
kann.
In diesen Briefen sagte Schiller: Woher soll die Verbesserung kommen, wenn
die Regierungen, die Staaten degeneriert sind und die Massen barbarisch sind?
Woher soll sie kommen? Und er gab die für einige überraschende Antwort: Sie
kommt durch die große klassische Kunst. Denn wenn der einfache Mensch, der
Bäcker, der Friseur, der Ingenieur, einfach der normale Durchschnittsmensch, der
nicht jeden Tag über die großen Fragen der Menschheit nachdenkt, mit einer
großen Komposition, einem großen Drama, großer Poesie oder einem anderen großen
Kunstwerk konfrontiert wird, erhebt dies den Menschen, weil es den Verstand,
aber gleichzeitig auch die Emotionen anspricht. So erzieht es die Emotionen
schließlich auf der Ebene der Vernunft und ist daher geeignet, Menschen auf eine
höhere Ebene ihrer Fähigkeiten zu bringen. Und Schiller sagte, jeder Mensch
trägt potentiell einen idealen Menschen in sich, und es ist die große Aufgabe
des Daseins, dieses Potential mit diesem idealen Menschen in Einklang zu
bringen.
Die Antwort lautet also, daß jeder die Chance hat, eine schöne Seele zu
werden. Eine schöne Seele ist laut Schiller ein Mensch, der seine Emotionen auf
die Ebene der Vernunft gebracht hat, so daß er diesen Emotionen blind folgen
kann, ohne jemals irregeführt zu werden. Es ist ein Mensch, der seine Pflicht
voll Leidenschaft erfüllt und für den Vernunft und Liebe im Grunde dasselbe
sind. Und der einzige Mensch, der diese Bedingung ganz erfüllt, ist das Genie.
Laut Schiller hat also jeder Mensch das Potential, ein Genie zu werden, wenn man
sich nur genug anstrengt.
Wenn man diese Idee kaputtmacht und statt dessen die Idee hat, „alles ist
erlaubt“, bedeutet das, daß es keine Maßstäbe mehr gibt. Die Dekonstruktion
aller Moralvorstellungen ist inzwischen so weit, daß die Chance, in den
Boulevardzeitungen zu erscheinen und als eine Art „Influencer“ gefeiert zu
werden, um so größer ist, je verrückter eine Idee ist. Und deshalb befinden wir
uns heute im Westen wirklich in einer sehr tiefen kulturellen Krise.
Als der Kalte Krieg endete, erklärte Francis Fukuyama anmaßend oder besser
gesagt voller Hybris, das sei das „Ende der Geschichte“, d.h. die westlichen
Demokratien würden das westliche demokratische Modell in alle Länder der Welt
exportieren und die ganze Welt würde dies akzeptieren. Das wäre das „Ende der
Geschichte“. Nun, wie wir in den mehr als 30 Jahren seither gesehen haben, ist
das nicht so gut gelaufen. Und wenn man versucht, den gegenwärtigen Zustand
unserer Kultur – mit „Wokismus“, mit der LBGTQ-Kultur mit 99 verschiedenen
Geschlechtern – nach Afrika, Ungarn, Rußland oder China zu exportieren, sagen
diese Länder: „Nein, danke. Wir haben unsere eigenen Traditionen, die viel
besser dem entsprechen, worin wir unsere Identität sehen.“ Sie lehnen diese
Auferlegung dieser fremden Kulturen ab.
Das kognitive Potential des Westens ist gesunken
Wir im Westen haben also ein sehr ernstes kulturelles Problem. Ich denke, das
kognitive Potential all unserer Gesellschaften ist stark gesunken. Deutschland
war früher ein Land, das auf der ganzen Welt bewundert wurde. Wenn man als
Deutscher nach Lateinamerika, Afrika oder Indien reiste, sagten die Menschen
immer: „O, Sie kommen aus Deutschland! Das ist das Land der Erfinder, der
Dichter und Denker! Was ist mit Beethoven? Was ist mit Goethe?“ Und jetzt sagen
sie: „O, Sie kommen aus Deutschland! Sie Ärmster! Ihre Wirtschaft bricht
zusammen, Sie haben einen Kanzler, der sich nicht einmal gegen die Sabotage von
Nord Stream 2 wehrt, Sie haben explodierende Energiepreise. Warum tun Sie nichts
dagegen?“
Nun, ich denke, das hat alles damit zu tun, daß das kognitive Potential bei
uns abgenommen hat und die Menschen so entmündigt, daß sie nicht einmal mehr die
tödliche Gefahr eines möglichen Atomkriegs erkennen. Und das hat alles mit
unserem kulturellen Geschmack zu tun, oder besser gesagt, dem Geschmack für
schreckliches Zeug, das die Leute „Kultur“ nennen, wenn man sich die
Verderbtheit einiger Popmusik, das Menschenbild oder speziell das Frauenbild
ansieht. Deshalb haben die Chinesen Hip-Hop verboten, weil sie sagen, Hip-Hop
hat ein mieses Frauenbild, deshalb wollen wir unsere Kinder und Jugendlichen dem
nicht aussetzen.
Der Vorwurf, einige dieser anderen Kulturen wären „Diktaturen“ und
„autokratisch“ und so weiter, das ist einfach Unsinn! Es ist vielmehr so, daß
etwa die chinesische Kultur eine 5000 Jahre alte Geschichte hat. Und die letzten
2500 Jahre davon wurden stark von Konfuzius beeinflußt, der die Idee des
„lebenslangen Lernens“ hatte. Da die chinesische Tradition auch das Gemeinwohl
vor das Individuum stellt, besagt sie, wenn der Staat voranschreitet, dann
schreiten auch alle Individuen voran. Dagegen ist es in Europa und den
Vereinigten Staaten eher umgekehrt, dort steht das Individuum im Vordergrund,
und man meint, wenn es allen Individuen gut gehe, dann gehe es auch dem Staat
gut – was zu diesem übertriebenen Individualismus führt, den wir heute sehen.
Aber aus der Sicht der Chinesen ist es ganz normal, daß sie versuchen, durch den
Staat Einflüsse fernzuhalten, von denen sie wissen, daß sie schlecht für die
Kultur des Volkes sind. Das hat nichts mit der Kommunistischen Partei zu tun,
sondern mit 2500 Jahren Konfuzianismus.
Ich könnte noch viel mehr sagen, aber ich denke, wir im Westen müssen uns
ehrlich den Rest der Welt ansehen und erkennen, daß wir vom rechten Weg
abgekommen sind! Dieser übertriebene Individualismus, diese Vorstellung, alles
sei erlaubt, es gebe keine Grenzen für die Perversion dessen, was man tun kann,
hat verheerende Auswirkungen auf unsere Kultur und unseren Geist.
Es wäre so einfach, das wiederzuentdecken, was an der europäischen Kultur,
deren Verlängerung die Vereinigten Staaten sind, so großartig war. Man muß
zurückgehen zur italienischen Renaissance, zur École Polytechnique, zur
andalusischen Renaissance, zur deutschen Klassik, und wir müssen diese
wunderbaren Ideen wiederbeleben und sie wieder zur Grundlage dafür machen, Neues
zu schaffen. Und wenn wir dann einen Dialog der besten Tradition der
europäischen Kultur mit den besten Traditionen all dieser anderen Länder und
Orientierungen führen, können wir eine neue Renaissance erreichen.
Ich denke, wenn wir unsere Arbeit richtig machen, kann das sogar die
wichtigste und schönste Renaissance in der Geschichte der Menschheit werden, die
es je gab! Denn der Mensch ist vernunftbegabt, und wir sollten diese Aufgabe
voller Energie angehen!
Anmerkungen
1. What's New at Schiller Institute?
2. Foreign Minister Sergey Lavrov's remarks and answers to media questions at a news conference on the results of Russian diplomacy in 2016, Moscow January 17, 2017
3. Über Außenminister Blinken, Antony Blinken plays guitar in Kyiv bar: „Free world is with you”, Video, The Telegraph.
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