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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Afrika muß sich selbst definieren

Von Prof. P.L.O. Lumumba

Prof. P.L.O. Lumumba war Direktor und Chief Executive Officer der Kenya School of Law. Er hielt den folgenden Vortrag am 12. Juli in der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts. (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion hinzugefügt.)

Ich danke Ihnen vielmals. Ich hatte den Vorzug, eine Reihe von Vorträgen zu hören, und werde mich deshalb sehr kurz fassen. Ich möchte nicht wiederholen, was bereits gesagt wurde, aber ich werde vom Standpunkt des afrikanischen Kontinents aus sprechen.

Ich habe Rednern zugehört, die über Afrika sprachen, als wäre es ein einziges Land, ein homogenes Land. Dabei wissen wir doch alle, daß Afrika in 54 souveräne Staaten unterteilt ist und eine Reihe weiterer Staaten sich um die Anerkennung bemüht.

Wir wissen auch, daß diese 54 Staaten sich weiterhin unter dem neokolonialen Projekt abquälen, durch Institutionen wie das Commonwealth für die ehemaligen britischen Kolonien, die Francophonie für die ehemaligen französischen Kolonien, die Organisation Portugiesischer Länder für die ehemaligen portugiesischen Kolonien.

Wir sind uns auch bewußt, daß die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg als Hegemon aufgetreten sind, der Politik und Wirtschaft durch Institutionen wie die Weltbank und den IWF diktiert hat.

Wir wissen auch, daß es neue Akteure auf der afrikanischen Bühne gibt, wie z.B. China, die sich nicht nur wirtschaftlich engagieren, sondern auch eine sehr subtile Diplomatie betreiben.

Wir wissen auch, daß die Russen auf dem afrikanischen Kontinent zunehmend an Einfluß gewinnen. Die Emirate sind ebenfalls präsent, und natürlich sind auch andere präsent.

Während ich jetzt zu Ihnen spreche, beginnt ein neues Gerangel um Afrika. Es ist ein Gerangel, das einen Hauch von früher hat. Es ist fast so, als ob sich Berlin wiederholen würde – 1884-85. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die Sprache versüßt ist und Afrika in falscher Sicherheit wiegen könnte. Ich hoffe daher, daß der Sinn und Zweck von Engagements wie diesem darin besteht, Afrika den ihm gebührenden Platz in der Weltpolitik zu sichern.

Afrika ist schwach

Aber ich mache der Welt keinen Vorwurf. Ein Teil des Problems, das wir in Afrika diplomatisch, wirtschaftlich und politisch haben, wird von Afrika mitverursacht: Wir sind nach wie vor gespalten und deshalb schwach. Wir sind anfällig für Manipulationen, und Afrika bleibt ein Spielplatz für all die Akteure, die ich genannt habe.

Ich hoffe, daß das Schiller-Institut durch die Vermittlung dieses Engagements in einen Bereich vordringt, in dem Afrika seinen Platz einnehmen wird. Das setzt voraus, daß Afrika sich selbst definiert; wir definieren uns nicht selbst. Unsere Institutionen sind schwach, unsere regionalen Gremien sind schwach. Die SADA in Südafrika ist schwach, die ECOWAS in Westafrika ist schwach, die Wirtschaftsgemeinschaft von Westafrika, Ostafrika ist schwach, Zentralafrika ist schwach, der Maghreb ist schwach, die Afrikanische Union ist schwach und wird von Außenstehenden finanziert. Gerade in dieser Schwäche zeigt sich die Stärke der anderen Akteure.

Wenn wir hier sitzen, mögen wir nett zueinander sein, aber die Realität ist, daß es ein Gerangel gibt. Es gab Zeiten, in denen Afrika gezwungen war, sich mit der ehemaligen Sowjetunion zu identifizieren, oder in denen afrikanische Führer ermordet wurden, weil man sie für Kommunisten hielt. Patrice Lumumba erlitt dieses Schicksal in der Demokratischen Republik Kongo. Kwame Nkrumah erlitt dieses Schicksal, als er 1966 in Ghana gestürzt wurde. Sylvanus Olympio erlitt dieses Schicksal 1963 in Togo. Amilcar Cabral; Ahmed Ben Bella. Und als Afrika sich in jenen frühen Tagen mit anderen zur Bewegung der Blockfreien zusammenschloß, war dies ein Versuch Afrikas, sich von den beiden Hegemonen jener Zeit zu befreien – der Sowjetunion und dem konzeptionellen Westen unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Bewegung der Blockfreien, angeführt von Sukarno aus Indonesien, Nehru aus Indien, Gamal Abdel Nasser aus Ägypten, Tito aus Jugoslawien und Nkrumah aus Ghana hatte das Ziel, weder nach Osten noch nach Westen zu schauen. Aber wir wissen, daß sie alle besiegt wurden.

Wenn ich jetzt zu Ihnen spreche, sollten wir uns überlegen, was wir tun – und ich kann meinem Vorredner Ray McGovern nicht zustimmen, der sagte, wir wüßten, was wir tun sollten. Die Welt ist ein Wald von Verträgen und Resolutionen. Die Welt ist ein Wald von Protokollen. Die Welt ist ein Wald von diplomatischen Feinheiten. Aber erst vor ein paar Tagen haben diejenigen unter Ihnen, die zugehört haben, gesehen, wie der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika fünf afrikanische Staatsoberhäupter herablassend behandelt hat; er hat mit ihnen geredet wie ein Lehrer in der High School mit einem Schüler: „Dein Englisch ist so gut.“ Das ist die Art und Weise, in der Afrikaner behandelt werden.

Wir müssen uns also in diesem Forum fragen, ob wir von Multipolarität sprechen, denn sie ist notwendig. Aber welche Art von Multipolarität? Ist es die Ablösung früherer Hegemonen durch andere? Der eine sticht Sie, während er grinst, der andere sticht Sie, während er lächelt; aber er sticht Sie trotzdem?

Wer definiert Demokratie?

Ich fordere dieses Publikum und das Schiller-Institut auf, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Und denjenigen, die vom afrikanischen Kontinent kommen, sage ich: Es ist an der Zeit, daß wir uns befreien. Wenn ich von Demokratie höre, frage ich mich: „Was ist Demokratie? Wer definiert Demokratie für uns?“ Ich würde lieber über Regierungsführung sprechen. Wenn ich von Menschenrechten höre und sehe, wie die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs von Israel ignoriert werden, frage ich mich, was Menschenrechte sind. Wenn ich mir den Internationalen Strafgerichtshof ansehe, der im Rahmen des Römischen Statuts geschaffen wurde und sich mit Personen befaßt, die internationale Verbrechen begangen haben, und wenn ich sehe, wie Tony Blair nach dem, was er im Irak getan hat, immer noch frei herumläuft, dann frage ich mich: „Welche internationale Gerechtigkeit gibt es?“ Es ist an der Zeit, daß die Welt die Wahrheit sagt und daß Afrika sich in die Welt einmischt, wohl wissend, daß die internationalen Beziehungen immer noch vom Gesetz des Dschungels bestimmt werden – das Überleben des Stärkeren und der Tod des Schwachen.

Ich hoffe, daß mein Mutterkontinent Afrika die Afrika-Agenda 2063 in die Praxis umsetzt, die Kontinentale Afrikanische Freihandelszone in die Praxis umsetzt und sich dann aus einer Position der Stärke heraus mit der Welt auseinandersetzt. Ich hoffe, daß wir uns, auch wenn wir die BRICS feiern, fragen, wer der Hegemon in den BRICS sein wird? Wird es China sein? Wird es Indien sein? Wird es Brasilien sein, wobei die afrikanischen Länder den Anstandswauwau spielen? Das sind unbequeme Fragen, aber sie müssen gestellt und beantwortet werden.

Die Nachkriegsinstitutionen überdenken

Wir befinden uns in einer Phase, in der es angebracht ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Institutionen zu überdenken. Denken Sie daran, daß die Charta 1945 in San Francisco ins Leben gerufen wurde, als noch kein afrikanisches Land unabhängig war. Wir waren nicht dabei! Liberia mag unabhängig gewesen sein, war aber schwach. Äthiopien mag unabhängig gewesen sein, war aber schwach. Wir waren nicht dabei. Die Institutionen der Vereinten Nationen wurden in Ungleichheit geschaffen. Alle afrikanischen Länder und der Rest der Welt können abstimmen, so viel sie wollen, aber die Vereinigten Staaten, Rußland, China und das Vereinigte Königreich können alle unsere Stimmen neutralisieren. Es ist eine Welt der Ungleichen. Die 1944 gegründete Bretton-Woods-Institution, die heute den afrikanischen Kontinent mit Füßen tritt, war nicht für Afrika gedacht. Sie hält uns durch Schulden, die eigentlich nicht zurückgezahlt werden sollen, in einem Zustand ständiger Knechtschaft.

Es ist jetzt an der Zeit, daß unser Mutterkontinent aus einer Position der Stärke heraus auf die Welt zugeht. Ich hoffe, das Schiller-Institut wird dafür sorgen, daß es sich bei den künftigen Gesprächen nicht um bloße Luftschlösser handelt, sondern um Themen, die es verdienen, behandelt zu werden, und zwar mit Nachdruck zum Wohle der Menschheit. Ich danke Ihnen vielmals.