Zwei gegen einen
Von Ray McGovern
Ray McGovern, langjähriger Rußlandexperte der CIA und Mitgründer
der „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“, hielt am 12. Juli den
folgenden Vortrag vor der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts.
(Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion
hinzugefügt.)
Ich danke Ihnen vielmals. Ich habe einige gute Nachrichten – wir hatten schon
genug schlechte Nachrichten, nicht wahr? Vorgestern hat sich Rubio mit Lawrow
getroffen. Sie wissen, wer das ist. Und Rubio berichtete der Presse: „Wow!
Lawrow hat mir einige neue und interessante Dinge erzählt, die einen anderen
Ansatz für die Ukraine darstellen. Es war irgendwie erstaunlich; es war wie eine
Schritt-für-Schritt-Karte für Verhandlungen. Das werde ich dem Präsidenten
mitteilen“, sagt Rubio. „Ich werde es dem Präsidenten mitteilen.“ Das war das
erste Mal seit einigen Monaten, daß sich die beiden getroffen haben, aber das
ist eine gute Nachricht.
Als Lawrow gestern eine seiner exzellenten Pressekonferenzen abhielt, wurde
ihm diese Frage gestellt, die ich hier aufgeschrieben habe, damit ich ihn nicht
falsch zitiere. Hier ist die Frage: „Herr Rubio sagte gestern, daß es einen
neuen Plan für die Ukraine gibt und daß dies mit Ihnen, Herr Lawrow, besprochen
wurde. Was sind das für neue Ansätze?“ Lawrow: „Ich würde gerne mit den Worten
von US-Präsident Trump antworten: ,Ich werde Ihnen sagen, daß Sie große
Überraschungen erwarten können‘“ – mit einem deutlichen Augenzwinkern. Lawrow
weiter: „Nun, ich weiß nichts von großen Überraschungen. Sie als Pressevertreter
sind mit diplomatischen Verhandlungen vertraut und wissen, daß es nicht einfach
ist, diese Dinge in der Gegenwart zu besprechen. Ich kann also nur sagen: Ja,
wir haben über die Ukraine gesprochen.“
Nun, ist das nicht Raum für Hoffnung? Wir müssen Trump in Dr. Jekyll und Mr.
Hyde unterteilen. Und es erweist allen einen Bärendienst, wenn Sie ein solches
Trump-Störungs-Syndrom haben, daß Sie nicht sehen können, daß er den Krieg in
der Ukraine beenden will – und Putin auch. Hallo, das ist eine große
Sache!
Ich verabscheue jeden, der Völkermord ermöglicht; jeden, der ein anderes Land
angreift, wie Trump es kürzlich in einem Angriffskrieg gegen den Iran getan hat.
Meine Kollegin Elizabeth Murray wird mehr über Gaza sprechen; ich kann nicht
über Gaza sprechen, ohne sehr wütend zu werden, und es hilft dabei nicht, aus
Irland zu kommen.
Ich möchte also versuchen, das herauszuarbeiten, was wir als möglichen
Fortschritt betrachten können. Und ich glaube, daß Putin genau dasselbe tut. Ich
glaube, er sagt: „Hören Sie, wir haben keine Optionen für einen neuen
Präsidenten. Wir haben noch drei Jahre mit diesem Mann. Er sagt, er wolle mit
uns reden. Wir reden, und das ist eine große Sache. Nicht nur wir beide auf
Gipfelebene, sondern auch unsere Außenminister und andere.“
Mein Gott! Warum ist das so ungewöhnlich? Weil es vier Jahre lang nicht
passiert ist, um Himmels willen, fast vier Jahre lang! Das ist die gute
Nachricht.
Das globale Kräfteverhältnis hat sich geändert
Und was ist mit den anderen Nachrichten? Die andere Nachricht hat mit dem zu
tun, was die alten Sowjets – einige von Ihnen werden sich erinnern, die Haare
von meiner Farbe haben – das weltweite Kräfteverhältnis nannten.
Nun, das weltweite Kräfteverhältnis hat sich geändert. Falls Sie es nicht
bemerkt haben, die USA waren früher die einzige Supermacht; jetzt gibt es zwei
andere Supermächte, und wissen Sie was? Jetzt steht es zwei zu eins. Wir wissen,
daß die Chinesen besonders vorsichtig sind, wenn sie sagen: „Ja, wir haben
dieses strategische Abkommen mit Rußland, aber es richtet sich gegen niemanden;
es ist kein Militärbündnis.“ Und natürlich sagen die Russen dasselbe. Aber meine
Güte, wenn Sie einen gemeinsamen Feind haben, wenn Sie eine gemeinsame Großmacht
haben, die Sie beide bedroht – ich meine, hallo, man muß kein Analytiker sein,
um herauszufinden, was man da betonen sollte.
Was ich also sagen will, ist Folgendes: Gestern haben wir mit einer Gruppe
gesprochen, der auch ein chinesischer General angehörte. Ich erwähnte all dies
und sagte: „Es sind zwei gegen einen, nicht wahr?“ Und er sagte: „Oh, nein,
nein.“ Dann sprach ich diesen Punkt an, den ich im Magazin Executive
Intelligence Review gelesen hatte – kennen Sie dieses Magazin? Hier ist ein
Kollege namens Jason Ross, den ich kenne, und wenn ich das morgens lese, bin ich
normalerweise ziemlich gut informiert. Er sagte: Sehen Sie, die Chinesen sagen,
„daß wir die nächsten sein werden. Haben wir Angst vor einer russischen
Niederlage in der Ukraine? Natürlich tun wir das; wir glauben nicht, daß es dazu
kommen wird, aber warum unterstützen wir Rußland rhetorisch oder mit allen
möglichen wirtschaftlichen Hilfen? Weil wir wissen, daß wir die Nächsten sein
werden.“ Wenn Sie wissen, daß Sie die Nächsten sein werden, dann stehen besser
zwei gegen einen, trotz aller Rhetorik. Wir reden über Westfalen und alles
andere, aber die Chinesen haben ihre Herangehensweise an die reale Welt geändert
und betonen Kerninteressen, nicht Rhetorik.
Das Noah-Prinzip
Jetzt möchte ich schnell zum Ende kommen, denn ich habe nur zehn Minuten
Zeit. Ich möchte nur noch etwas erwähnen, das mir sehr am Herzen liegt. Dies war
bisher ein sehr informatives Symposium, und ich kann mir vorstellen, daß es noch
informativer werden wird. Es wurde viel Regen vorhergesagt, der heute morgen
auch schon draußen gefallen ist, und ich werde mich auf ein besonderes Prinzip
berufen. Es nennt sich das Noah-Prinzip und lautet wie folgt – passen Sie auf,
es kommt im Abschlußtest vor! Wenn Sie es also aufschreiben wollen, nehmen Sie
einen Stift zur Hand. Hier ist es, das Noah-Prinzip: Keinen Preis mehr für
die Vorhersage von Regen – Preise nur noch für den Bau von Archen!
Mit anderen Worten: Wir können so viel Wissen haben, wie wir wollen, wir
können genau wissen, was wir tun sollten. Aber wenn wir es nicht tun, werden wir
dem Ernst der Lage nicht gerecht.
Als ich jetzt zum ersten Mal seit vielleicht sieben oder acht Jahren wieder
durch Deutschland reiste, war ich von vielen Dingen ziemlich beeindruckt. Ich
möchte auf eine Sache zurückkommen, die ich vergessen hatte zu erwähnen, weil
sie mit allem übereinstimmt, was hier gesagt wurde. Damals, 1990, als James
Baker, unser Außenminister, ein sehr kluger texanischer Anwalt, Gorbatschow und
Schewardnadse einen Deal verkaufte, sagte er: „Schauen Sie, ich würde wirklich
gerne ein wiedervereinigtes Deutschland sehen.“
Ich weiß nicht, ob hier Russen anwesend sind, aber ich frage mich, wie
Gorbatschow und Schewardnadse darauf reagiert haben. Was ist die Gegenleistung
für dieses Pro; was ist das Pro für die Gegenleistung? „Oh, wir versprechen, die
NATO nicht einen Zentimeter nach Osten zu verschieben!“
Ich erwähne das deshalb, weil ich eine persönliche Erfahrung damit gemacht
habe. Ich war vor etwa 12 Jahren in Moskau und habe einen von Gorbatschows
wichtigsten Assistenten getroffen. Sein Name ist Kuwaldin; er war in der
Delegation und hat mit Baker und allen anderen gesprochen. Und sein Bild ist
leicht verfügbar. Ich sagte: „Herr Kuwaldin, sagen Sie mir, warum haben Sie
dieses Versprechen nicht schriftlich bekommen?“
Er sah mich an und sagte: „Hören Sie, ich gebe Ihnen die beiden Antworten.
Deutschland hatte noch nicht endgültig zugestimmt“ – sie haben am nächsten Tag
zugestimmt. „Aber auch der Warschauer Pakt existierte noch. Aber wirklich, Mr.
McGovern, so war es wirklich“, und er sah mir direkt in die Augen. „Wir haben
Ihnen vertraut.“ Wow!
Nun, es gibt hier eine schlechte und eine gute Nachricht. Es gibt viele
Gründe für all den Verrat, und ich werde es als Verrat bezeichnen. Minsk wurde
erwähnt, James Baker wurde erwähnt, Istanbul wurde erwähnt. Und trotz alledem –
und das ist die eigentliche analytische Schlußfolgerung, die ich ziehen würde –
sagt Putin immer noch: „Sehen Sie, ich war naiv.“ Putin sagte: „Ich war naiv,
als ich diesen Leuten vertraute. Aber jetzt, wo Biden weg ist, denke ich, daß
ich Trump vertrauen kann. Ich glaube, daß es ihm ernst damit ist, Frieden in der
Ukraine zu schaffen.“
Zum Abschluß dieses kleinen Vortrags schlage ich vor, daß wir uns bewußt sind
und uns bewußt machen, daß Trump vielleicht viele verrückte Dinge tut, aber wir
sollten wie Lawrow reagieren und ein wenig Spaß machen. „Oh, das wird ganz groß,
das wird riesig“, was auch immer sie sagen, „Warten Sie nur, es wird
großartig“.
Gehen Sie also etwas sanfter an die Sache heran und machen Sie den Menschen
klar, daß es in der Ukraine Möglichkeiten gibt, und die müssen wir fördern.
Was den Nahen Osten betrifft, so müssen wir einfach unserem moralischen
Gewissen folgen, und diejenigen, die noch ein Gewissen haben, müssen sich mit
aller Kraft dagegen wehren. Wie können wir das tun? Warum tun wir das? Wir tun
es, weil es nur uns gibt
Eine Geschichte, die ich von meinen Reisen durch Deutschland dieses Mal
anführen wollte, ist ganz einfach: Nach dem Krieg gab es in der Nähe von Hamburg
eine kleine Pfarrgemeinde. Die Kirche und alles andere war zerstört. Die
Menschen arbeiteten drei Jahre lang, um die Kirche und das Kruzifix wieder
aufzubauen. Und schließlich, am Samstag vor der großen Eröffnung, sagte das
Oberhaupt der Gemeinde: „Es tut mir leid, wir haben den Korpus für das Kruzifix
gefunden, aber wir können die Hände nicht finden. Sie müssen wirklich zerstört
worden sein.“ Der Pfarrer sagte: „Kein Problem. Wir machen weiter, wir fangen
morgen an, wir weihen die Kirche ein.“ Und als sie in die Kirche sahen – viele
von Ihnen haben das vielleicht schon gehört – sahen sie auf das Kruzifix mit dem
Korpus ohne die Hände. Darunter stand dies: „Ich habe keine Hände, außer
deinen.“ Das genügt.
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