Vom Nachrichtenoffizier zum Friedensaktivisten
Von Elizabeth Murray
Elizabeth Murray war stellvertretende nationale
Geheimdienstbeauftragte der CIA für den Nahen Osten. Den folgenden Vortrag hielt
sie am 12. Juli in der Berliner Konferenz des Schiller-Instituts. (Übersetzung
aus dem Englischen.)
Wie bereits in der Einführung erwähnt, war ich 27 Jahre lang für die Central
Intelligence Agency tätig, jedoch hauptsächlich im Bereich der öffentlichen
Quellen. Ray McGovern und ich sind gemeinsam hierhergekommen; er ist mein
Kollege. Er ist zehn Jahre vor mir in den Ruhestand getreten. Als ich in den
Ruhestand ging, lud er mich ein, mich der Organisation „Veteran Intelligence
Professionals for Sanity” anzuschließen, einem Zusammenschluß ehemaliger
Geheimdienstmitarbeiter, die die aktuelle Regierung der Vereinigten Staaten in
Fragen der Politikberatung unterstützen. Als Teil der Sam Adams Associates,
einer Partnerorganisation, verleihen wir jedes Jahr einen Preis an
Whistleblower. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderem Edward
Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning. Ich bin sehr stolz darauf, Teil
dieser Gruppe zu sein.
Ich möchte nicht zu viel über meine Karriere beim Geheimdienst sprechen. Ich
denke, Sie interessieren sich vielleicht mehr für meine Tätigkeit als
Aktivistin. Aber ich möchte Ihnen eine Anekdote aus meiner Zeit bei der CIA
erzählen, die mich wirklich motiviert hat, mich nach meiner Pensionierung sofort
als Friedensaktivistin zu engagieren.
Im Jahr 2010, nur wenige Monate vor meiner Pensionierung, wurde ich zu einer
sehr renommierten Think-Tank-Konferenz in Washington, D.C., eingeladen. Das
Thema der Konferenz waren Probleme im Nahen Osten, insbesondere die Operation
„Cast Lead” von 2008/2009, bei der Israel in Gaza etwa 1.400 unschuldige
Zivilisten tötete. Vorne auf dem Podium saßen die Diskussionsteilnehmer, ich war
im Publikum, und als die Zahl genannt wurde – 1.400 getötete Zivilisten –,
lächelte einer der renommierten Podiumsteilnehmer, der wahrscheinlich einer der
angesehensten Nahost-Experten war, auf eine sehr seltsame, selbstgefällige Art
und sagte: „Wissen Sie, es ist sehr bedauerlich, aber manchmal muß man eben
den Rasen mähen.“
Ihre Reaktion auf diese Anekdote zeigt mir, daß Sie alle ein menschliches
Herz haben, aber die Reaktion des Publikums an diesem Tag war Gelächter. Es gab
ein leises Lachen im Raum; die Leute lächelten über die Vorstellung, daß Israel
alle paar Jahre in den Gazastreifen oder einen anderen Teil der besetzten
Gebiete einmarschieren und die jüngste Generation junger Menschen niedermähen
kann, um sicherzustellen, daß nicht zu viele Militante unter der Besatzung
aufwachsen, was, wie Sie sich vorstellen können, eine unerträgliche Situation
ist.
Ich war an diesem Tag im Publikum und erinnere mich, daß ich mich umschaute
und sah, daß sich niemand erhob, um dagegen zu protestieren. Ich fragte mich an
diesem Tag wirklich: „Was mache ich hier? Ich gehöre nicht hierher.“
Ich hatte das Privileg, in den 1980er Jahren mehrere Jahre im Nahen Osten zu
leben. Ich besuchte Ostjerusalem, das Westjordanland und den Gazastreifen und
hatte die Gelegenheit, mit eigenen Augen zu sehen, was wirklich vor sich ging.
Mir wurde klar, daß es ganz anders war, als es uns in den amerikanischen Medien
dargestellt wurde. Aber es gab mehrere ähnliche Vorfälle während meiner gesamten
Karriere, so daß ich, sobald ich in den Ruhestand gehen konnte, um mich um meine
Mutter zu kümmern, dies auch sofort tat. Ich schloß mich sofort der
Friedensbewegung an, insbesondere der Bewegung gegen Atomwaffen.
Heute bin ich Vorstandsmitglied des Ground Zero Center for Nonviolent Action
im Bundesstaat Washington. Wir haben dort ein 1,4 Hektar großes Grundstück,
dessen Grenze an die Kitsap-Bangor-Marinebasis grenzt, auf der acht
Trident-Atom-U-Boote stationiert sind, von denen jedes die Sprengkraft von drei
Hiroshima- und Nagasaki-Bomben hat. Jedes Jahr führt unser Zentrum drei
verschiedene Aktionen durch, eine davon am Martin-Luther-King-Tag. Bei diesen
Aktionen gehen wir meist zur Marinebasis, um gegen Atomwaffen zu protestieren.
Wir sind auch am Muttertag und am Jahrestag der Bombenabwürfe auf Hiroshima und
Nagasaki dort.
Ich möchte noch erwähnen, daß Ray und ich einige Tage vor unserer Ankunft in
Berlin in Koblenz haltgemacht haben, um einen Pfarrer zu besuchen, dessen Name
Rolf Stahl ist. Wir haben Pfarrer Stahl besucht, weil eine amerikanische
Kollegin von mir, die ebenfalls gegen Atomwaffen engagiert ist – Sie kennen
vielleicht ihren Namen, Susan Crane – Teil einer internationalen Gruppe war, die
vor einigen Jahren in Büchel protestiert hat.
Susan ist auf den Stützpunkt Büchel gegangen, wo, wie Sie wissen,
amerikanische Atomwaffen gelagert werden. Sie und ihre Kollegen haben Brote auf
Raketen und Flugzeuge gelegt, die Atomwaffen abwerfen würden. Mit anderen
Worten: Brot statt Bomben. Sie verbrachte deswegen siebeneinhalb Monate in einem
deutschen Gefängnis und wurde erst Anfang dieses Jahres entlassen. Sie ist 81
Jahre alt, so daß die Gefängnisverwaltung sich Sorgen um sie machte, da man nur
entlassen wird, um zu arbeiten, wenn man unter 65 ist.
Da war sie nun, ganz allein, ohne etwas verbrochen zu haben. Man entließ sie
schließlich, damit sie bei Pfarrer Rolf Stahl arbeiten konnte. Sie arbeitete im
Garten und so weiter. Aber sie arbeitete nicht nur, sie klärte auch alle in der
Gemeinde über Atomwaffen auf und darüber, warum es wichtig ist, sich dagegen zu
wehren. Als Ray und ich zu Besuch kamen, kannten alle Susan Crane und hatten
höchste Achtung vor dieser Frau.
Ich erzähle diese Anekdote nur, weil sie ein Beispiel dafür ist, was eine
einzelne Person bewirken kann. Sie befand sich in einer schwierigen Situation,
sie war im Gefängnis, aber sie machte das Beste daraus. Sie klärte alle auf und
inspirierte die Menschen. Das ist einfach etwas Wunderbares, das mit Menschen
passiert ist, die sich internationalen Gruppen angeschlossen haben und in der
Lage sind, ihre Botschaft zu verbreiten.
Ich möchte auch erwähnen, daß viele unserer Mitglieder im Ground Zero Center,
wo ich ehrenamtlich tätig bin, ehemalige Mitarbeiter der Basis sind. Einer
unserer Mitglieder ist der ehemalige Kapitän eines Atom-U-Boots.
Es gibt also ein Potential für Veränderungen. Wir versuchen, diejenigen
anzusprechen, die vielleicht zunächst nicht unserer Meinung sind, sprechen ruhig
und gelassen mit ihnen, säen einfach Samen und warten ab, was passiert. Wir
verteilen auch Flugblätter auf der Basis; eines unserer Mitglieder hat ihren
Mann auf diese Weise kennengelernt. Er war Mitarbeiter der Basis. Aber wir haben
ein respektvolles Verhältnis zur Basis, wir sind seit über 45 Jahren dort. Sie
wissen, daß wir hier bleiben werden, wir werden nicht weggehen. Ich bin einfach
sehr stolz, ein Teil davon zu sein.
Ich möchte noch eine persönliche Anmerkung machen. Ich muß am 2. September
vor einem Gericht in Tucson, Arizona, erscheinen. Ich wurde wegen
Hausfriedensbruchs angeklagt. Ich war eine von mehreren Aktivisten, die das
Raytheon-Gelände in Tucson, Arizona, betreten haben, wo derzeit Atomwaffen sowie
konventionelle Waffen hergestellt werden, die in Gaza und anderen Orten
eingesetzt werden, die von den Vereinigten Staaten bombardiert werden.
Raytheon beschäftigt 15.000 Menschen in der Region Tucson und ist leider der
größte Arbeitgeber. Also bin ich auf das Raytheon-Gelände gegangen. Der
Sicherheitsdienst versuchte, uns zum Verlassen des Geländes zu bewegen, aber wir
blieben einfach stehen. Der Grund dafür war, daß es Aschermittwoch war und wir
ein Schild trugen, auf dem stand: „Raytheon-Atomwaffen werden uns alle zu Asche
verwandeln.“ Als sie uns festnahmen, nahmen sie uns das Schild nicht weg, also
hielten wir es weiter hoch. Sie legten uns auch keine Handschellen an; sie
behandelten uns mit ziemlich viel Respekt.
Wir sahen Mitarbeiter, die auf das Raytheon-Gelände gingen und die blinkenden
Polizeilichter sahen. Die meisten von ihnen zeigten uns den Daumen nach oben und
winkten. Unterschätzen Sie also niemals Ihre Kraft, Menschen zu verändern. Man
weiß nie, wen man mit seinen Handlungen erreichen kann. Vielen Dank.
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