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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Wie sollte der Süden reagieren?

Von Dr. Naledi Pandor

Dr. Naledi Pandor ist ehemalige Ministerin für Internationale Beziehungen und Zusammenarbeit der Republik Südafrika. In der Konferenz zum 40jährigen Bestehen des Schiller-Instituts am 8. Dezember sagte sie folgendes.

Die Welt erlebt heute ein tiefgreifendes und beunruhigendes Maß an toxischer Politik, die von aggressiven Eigeninteressen und der Vernachlässigung des Wertes globaler Zusammenarbeit geprägt ist. Multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen haben es versäumt, entschlossen zu reagieren, und ihr mächtigstes Organ, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wird durch die Konkurrenz der Großmächte und den ungleichen Gebrauch des Vetorechts in Geiselhaft gehalten.

Viele Kommentatoren beschreiben die letzten fünf Jahre als ein verlorenes, toxisches geopolitisches Umfeld, das die internationalen Beziehungen auf eine harte Probe stellt und die seit langem bestehenden Bindungen, die dazu beigetragen haben, einen Weltkrieg für mehr als fünf Jahrzehnte zu vermeiden, ausfransen läßt.

Einige Analysten betrachten diesen Zeitraum auch als Wendepunkt. Eine Zeit, die Raum für ein neues Kollektiv fortschrittlicher Ideen bietet, die darauf abzielen, Menschen und nicht Interessen an die erste Stelle zu setzen.

Es besteht die Hoffnung, daß der Süden sich stärker einbringen wird. Der Begriff „Süden“ ist umstritten, da es in der Welt keine kohärente, zusammenhängende Gruppierung von Nationen mit einer gemeinsamen Hegemonie gibt, wie sie bei den Nationen des Nordens besteht. Es gibt jedoch vielversprechende Anzeichen für die Entstehung neuer Formationen und politischer Perspektiven.

So hat sich beispielsweise Südafrika durch seine Anrufung des Internationalen Gerichtshofs im Bemühen um ein Ende des andauernden Krieges gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten positiv für das Völkerrecht und das UN-System eingesetzt. Südafrika hat die Menschenrechte und die Sorge um diejenigen, die Leid erfahren, in den Vordergrund seiner außenpolitischen Maßnahmen gestellt. Dies erinnert an den ehemaligen Präsidenten Nelson Mandela, der bei mehreren Friedensinitiativen auf dem afrikanischen Kontinent eine Schlüsselrolle spielte.

Eine zweite positive Entwicklung ist die Weiterentwicklung des BRICS-Forums zu einem erweiterten Gremium, das einen integrativeren Ansatz in der globalen Politik und internationalen Partnerschaften anstrebt. BRICS hat sich als positives Forum erwiesen, da es versucht, neue Ideen zu Schlüsselthemen wie Innovation, Handel, internationale Finanzierung und Entwicklung des Südens zu diskutieren. Die Gründung der BRICS New Development Bank und ihr früher Erfolg geben weitere Hoffnung für die Schaffung neuer Institutionen und neuer Praktiken.

Die Reform der Vereinten Nationen und die Demokratisierung des Sicherheitsrats sind weitere positive Möglichkeiten, die Welt neu zu gestalten. Die Vollversammlung hat sich im vergangenen September dazu verpflichtet, den Reformprozeß voranzutreiben und den Sicherheitsrat effektiver, effizienter und demokratischer zu gestalten.

Schließlich besteht die Aufgabe der nächsten fünf Jahrzehnte sicherlich darin, praktikable Strategien für den grundlegenden Wandel Afrikas zu entwickeln. Afrika muß sich den schwierigen Herausforderungen von Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit stellen. Afrika hat eine große ungeduldige Jugend, die darauf brennt, ein wohlhabendes, demokratisches und starkes Afrika zu erreichen. Die Weltgemeinschaft sollte eng mit der Afrikanischen Union zusammenarbeiten, um die Umsetzung der Afrika-Agenda 2063 voranzutreiben. Dies ist der Plan für die Entwicklung Afrikas, und wir im Süden müssen Unterstützung und Kapazitäten für seine Umsetzung bereitstellen.

Der Süden muß die Quelle des Fortschritts, des Friedens und der Sicherheit sein. Die Länder des Südens müssen die Demokratie, die Menschenrechte und das Völkerrecht als Schlüsselgaranten zur Beendigung der Giftigkeit des Machtwettbewerbs annehmen, der die menschlichen Beziehungen untergraben hat.

Vielen Dank.

* * *

Wir brauchen reife, rationale Staatsführungen

Im Anschluß an Dr. Pandors Ausführungen folgte eine kurze Diskussionsrunde zwischen Dr. Pandor, Helga Zepp-LaRouche und Jacques Cheminade.

Helga Zepp-LaRouche: Ihre Exzellenz Frau Dr. Pandor, ich möchte meine tiefste Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie uns die Ehre erweisen, an unserer Konferenz teilzunehmen, denn wir haben ihre Arbeit verfolgt und festgestellt, daß die südafrikanische Regierung die moralische Führung für die Welt übernommen hat, die der Westen gegenwärtig offenbar aufgegeben hat.

Sie haben in Ihren Ausführungen die Antwort auf meine Frage eigentlich schon gegeben, aber ich möchte sie doch noch einmal wiederholen. Gestern haben wir die strategische Situation erörtert, die mehrere Redner wie Scott Ritter, ich selbst und andere als die „gefährlichste Periode der Geschichte“ bezeichnet haben – sogar noch gefährlicher als die Kubakrise, weil wir anscheinend wie ein Zug ohne Haltesignal auf eine nukleare Katastrophe zurasen.

Das wurde noch unterstrichen durch eine Bemerkung von US-Konteradmiral Thomas Buchanan auf der CSIS-Sitzung am 20. November. Er erklärte, es sei legitim, Atomwaffen einzusetzen, um die Hegemonie der USA aufrechtzuerhalten. Allerdings sollten sie eine gewisse Menge davon zurückbehalten, um zukünftige Gegner abwehren zu können. Das impliziert die lächerliche Vorstellung, man könnte einen regionalen oder begrenzten Atomkrieg gewinnen und danach weitermachen, was natürlich nicht der Fall ist. Denn wie Ted Postol und andere überzeugend belegt haben, ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Atomkrieg alles Leben auf dem Planeten auslöscht, sehr hoch, wenn nicht sogar sicher.

Die Frage ist also, was können wir tun, um von diesem unglaublich gefährlichen Weg wegzukommen? Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, und wenn man sich die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China, der NATO und Rußland ansieht, erscheint es fast hoffnungslos. Der US-Außenstaatssekretär Kurt Campbell erklärte kürzlich, China stelle die größte Bedrohung in der Geschichte der Vereinigten Staaten dar. In Deutschland spricht beispielsweise Verteidigungsminister Pistorius davon, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen. Europa befindet sich in einem Prozeß der Militarisierung.

Ich denke, die einzige Hoffnung, eine Katastrophe zu vermeiden, die das Ende der menschlichen Spezies bedeuten würde, besteht darin, die westlichen Nationen davon zu überzeugen, die Konfrontation mit dem Globalen Süden zu beenden. Der Globale Süden macht laut Statistiken aus Cambridge bereits 85% der menschlichen Bevölkerung aus, bei weitem die Mehrheit der Welt. Die Frage ist, was wir tun können, um die Europäer und möglichst sogar die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, mit den BRICS-Staaten zusammenzuarbeiten – zum Beispiel bei der Entwicklung Afrikas, bei der Entwicklung Lateinamerikas und Asiens, um sie zu industrialisieren und der südlichen Hemisphäre zu helfen, die Überreste des Kolonialismus endlich zu überwinden. Das wäre auch im Interesse des Westens, weil es der einzige humane Weg wäre, die Migrationskrise zu lösen.

Daher wollte ich Sie fragen, ob wir nicht in einen Dialog treten können, um das auf die Tagesordnung zu setzen? Um von der Konfrontation zur Zusammenarbeit zu gelangen, und zwar auf eine so strategische Weise, daß dieses Problem wirklich gelöst wird? Das wäre meine Frage an Sie.

Dr. Pandor: Vielen Dank; das ist eine sehr komplexe Frage. Meine erste Antwort wäre, daß wir reife, rationale Führungspersön­lichkeiten brauchen – Wissenschaftler, wie Herr Cheminade sie erwähnt hat. Wer nicht über dieses Maß an Logik und rationalem Denken verfügt, greift auf die Unlogik zurück, die er nach Belieben durchsetzen kann. Und ich denke, das ist ein ganz falscher Ansatz. Er schließt große Teile der Welt davon aus, an der positiven Weiterentwicklung der Welt in eine Zukunft teilzunehmen, in der wir alle wohlhabend sind, in der wir alle das Gefühl haben, daß die Welt uns ernst nimmt und unsere Bedürfnisse und Fähigkeiten tatsächlich anerkennt.

Was wir also brauchen, sind reife Führungspersönlichkeiten, die eine sehr komplexe Diskussion darüber führen können, wie die mächtigsten Volkswirtschaften – die Vereinigten Staaten von Amerika, China und in gewissem Maße auch Europa – in einer positiven Beziehung zueinander stehen. Und ich bin sicher, daß sie mit einer angemessenen Diskussion und der Offenheit, zu einem positiven Ergebnis zu gelangen, in der Lage wären, die aktuellen Spannungen untereinander zu lösen.

Ich denke, die Idee, sich auf einen Krieg vorzubereiten, ist ein sehr schlechtes Beispiel für Führungsqualitäten. Statt dessen sollten wir uns darauf vorbereiten, unsere angeborenen Fähigkeiten zu nutzen, um die Welt voranzubringen. Wir sind an einem Punkt, wo viele Länder über sehr besorgniserregende tödliche Waffen verfügen.

Ich komme aus Südafrika, einem Land, das sich bereit erklärt hat, die Atomwaffen, die in der Zeit der Apartheid entwickelt wurden, zu verschrotten. Eine der ersten Entscheidungen der neuen Regierung unter der Führung von Nelson Mandela war, daß wir den Besitz von Atomwaffen ablehnen. Daß wir zwar über nuklearwissenschaftliche Fähigkeiten verfügen, diese aber friedlichen Zwecken dienen und nicht dazu verwendet werden sollten, Südafrika gegen ein Land in Afrika oder einem anderen Teil der Welt zu bewaffnen.

Ich glaube also, daß wir neue Denkansätze brauchen. Wir brauchen eine Zivilgesellschaft und insbesondere intellektuelle Organisationen, die sichtbarer und lauter alternative Perspektiven dazu präsentieren, wie wir die Welt sehen sollten, und die ausgehend von der Forschung klare Beispiele dafür aufzeigen, was wir erwarten können, wenn wir den Weg einer negativen Konfrontation zwischen den Mächtigsten der Welt einschlagen. Das würde uns allen schaden.

Wenn die Großmächte es schaffen, eine Annäherung zu erreichen, wird das eine verstärkte Entwicklung ermöglichen, ganz besonders in den ärmsten Ländern des Südens. Es wird die Welt auf einen ganz neuen Kurs bringen und eine Chance für echte Veränderungen und Unabhängigkeit bieten, wie wir sie seit dem Beginn der Beendigung des Imperialismus und Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent nicht mehr hatten.

Das Umfeld ist zwar vergiftet, es bietet aber auch eine neue Chance, sich auf eine ganz andere Art und Weise durch internationale Beziehungen für den Aufbau neuer Partnerschaften zwischen allen verschiedenen Regionen der Welt zu engagieren. Aber es sind die Mächtigsten, die die Entscheidung treffen müssen, etwas Positives zu tun. Andernfalls werden sie eine Reaktion auslösen, die zur Zerstörung der Welt und zu einer zunehmenden Instabilität der Welt führen wird, so wie wir es heute von Woche zu Woche in verschiedenen Teilen der Welt erleben.

Die Rolle der Diaspora des Globalen Südens

Jacques Cheminade: Exzellenz, ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die sowohl das betrifft, wofür wir kämpfen, als auch das, was Helga und Sie gesagt haben. Glauben Sie nicht, daß die Mobilisierung der Diaspora des Globalen Südens in den Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten eine sehr gute Möglichkeit sein kann, unsere eigenen Nationen mit Hilfe dieser Menschen zu informieren, die, wie wir sie in den Straßen von Paris und in anderen Ländern antreffen, in politischer Hinsicht fortgeschrittener sind und besser wissen, was in der Welt geschieht – weiter fortgeschritten sind als unsere eigenen Leute? Meinen Sie nicht, daß wir mit der Mobilisierung durch die Diaspora gemeinsam etwas organisieren können?

Dr. Pandor: Ich halte das auf jeden Fall für eine Möglichkeit. (Kurze Videounterbrechung) Um durch das Schiller-Institut Entspannung zu erreichen, müssen wir als Menschheit die Idee annehmen, daß wir enger zusammenarbeiten sollten. Dazu muß man auch die Vielfalt akzeptieren, und das ist etwas, was das demokratische Südafrika getan hat.

Die Anerkennung von Einheit und Vielfalt ist ein zentraler Bestandteil der Verfassung Südafrikas. Denn wir haben erkannt, daß Rassismus, Vorurteile und Haß gegenüber anderen aufgrund von Orientierung, Kultur oder Religion für eine Gesellschaft im Kern negativ sind. Um eine Nation aufzubauen, die zusammenarbeiten kann, mußten wir den Gedanken der Einheit in der Vielfalt annehmen.

Ich denke, wir sollten enger mit der Diaspora zusammenarbeiten, damit sich diejenigen, die in unseren Ländern fremd sind, willkommen fühlen, und ihr Fachwissen und Verständnis über die Welt, aus der sie kommen, nutzen. Aber auch, damit sie zur Entwicklung in ihren Ländern beitragen, zum Beispiel durch die Entwicklung von Modellen etwa für Südafrika. Denn viele unserer ausgebildeten medizinischen Fachkräfte arbeiten in Kanada, Australien und Großbritannien. Es gibt keine vertragliche Möglichkeit, daß sie einen Teil ihrer Zeit in unserem Land – Südafrika oder einem anderen Teil Afrikas – arbeiten könnten. Die Länder des Nordens haben Afrika damit wesentlicher Fähigkeiten beraubt. Man hat sich nicht für die Entwicklung einer integrativeren Regelung eingesetzt, die einen Austausch dieser Fähigkeiten gewährleisten würde.

Wir brauchen daher wirklich ein neues Ethos, einen neuen Ansatz für die Entwicklung, einen neuen Ansatz für die internationalen Beziehungen, einen neuen Ansatz für die Interaktion und Zusammenarbeit zwischen uns als Weltbürgern. Wir müssen auch den Gedanken annehmen, daß wir alle aufeinander angewiesen sind. Wo auch immer ich herkomme, welcher Rasse ich auch angehöre, welches Geschlecht ich auch habe, wenn wir zusammenarbeiten, kann es zum Wohle aller sein. Isolation oder Ausgrenzung helfen uns nicht, eine bessere Welt zu schaffen.

Zepp-LaRouche: Ich denke, Dr. Pandor, Sie haben uns viel Stoff zum Nachdenken und Weiterverfolgen gegeben. Ich freue mich darauf, diese Art der Zusammenarbeit zu stärken. Ich würde nur die Rolle des Globalen Südens noch ein wenig mehr betonen. Denn in Bandung, bei der ersten Konferenz von Afrika und Asien, bei der sich Chou Enlai, Nehru und Sukarno auf die Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz einigten, stellten sie auch fest, daß der Süden im Falle eines Atomkriegs genauso betroffen wäre wie der Norden. Es mag ein paar Wochen später sein, aber irgendwann würden auch sie sterben.

Ich denke, diese Tatsache gibt dem Globalen Süden in diesem Moment die moralische Integrität und das Recht, sich stärker zu Wort zu melden. Denn ich denke, ihre Stimme ist viel vernünftiger als das, was wir im Westen in der letzten Zeit erlebt haben, der meiner Meinung nach eine gewaltige kulturelle Krise durchmacht.

Daher möchte ich Sie und andere Persönlichkeiten aus dem Globalen Süden ermutigen, sich noch stärker für die Lösung dieser Situation einzusetzen. Das ist meine Meinung.

Dr. Pandor: Vielen Dank, Helga. Was ich abschließend noch sagen möchte: Ich möchte alle Menschen im Norden daran erinnern, daß sie einen unglaublichen Beitrag dazu geleistet haben, daß wir in Südafrika unsere Freiheit erlangt haben. Denn sie alle waren sich einig, Teil der internationalen Solidaritätskampagne gegen die Apartheid zu sein. Es war der internationale Druck, der zusammen mit unserem eigenen nationalen Kampf entscheidend für unsere Freiheit war.

Ich denke, wir müssen die internationale Solidarität für alle Menschen wiederbeleben, die heute unter Leid und Unterdrückung leiden. Die Welt hat im Fall der Apartheid gezeigt, daß wir zusammenarbeiten können; daß die Vereinten Nationen zusammengeführt werden können, daß sie einen Ausschuß gegen die Apartheid einrichten können, der dafür sorgt, daß der Name Nelson Mandela am Leben erhalten wird; daß die Apartheid zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt wird.

Ich denke, wir sollten der Welt jetzt sagen: „Wenn wir gemeinsam an positiven Zielen arbeiten, können wir viel erreichen und sogar Übel besiegen wie die Apartheid.“