Am Abgrund der alten Welt
von Naledi Pandor
Ihre Exzellenz Naledi Pandor hatte mehrere Kabinettsposten in der
Republik Südafrika inne, unter anderem in den Bereichen Bildung sowie
Wissenschaft und Technologie. Zuletzt war sie von 2019 bis 2024 Ministerin für
internationale Beziehungen und Zusammenarbeit. Am 24. Mai sprach Dr. Pandor auf
der ersten Podiumsdiskussion der Schiller-Institut-Konferenz „Eine schöne Vision
für die Menschheit in Zeiten großer Turbulenzen!“ Es folgt ihre Eröffnungsrede
sowie ihre Antwort auf eine Frage aus der Diskussionsrunde. Der Text wurde aus
dem Englischen übersetzt, Zwischentitel wurden hinzugefügt.
Wir leben in einem sehr schwierigen, vergifteten geopolitischen Umfeld.
Besonders besorgniserregend ist, daß sich dies negativ auf alle Bereiche des
menschlichen Fortschritts auswirkt, den wir seit den Anfängen der
Industrialisierung erreicht haben: von der positiven Migration über den Schutz
der Menschenrechte, die akademische Freiheit und das Recht auf freie
Meinungsäußerung bis hin zum Schutz vor Ungleichheit und der Achtung und
Einhaltung der Verfassung. All diese Elemente fortschrittlicher Entwicklung sind
heute bedroht. Zu diesem globalen Niedergang gehören auch ein deutlicher Anstieg
des Rechtspopulismus, chauvinistischer Nationalismus und die wachsende
Überzeugung, daß man nicht für seinen Nächsten verantwortlich ist – ich bin sein
Feind oder sogar schlimmeres, ich bin sein Boss. Diese Umkehrungen bedrohen
unsere vier Jahrzehnte weitgehend friedlicher Koexistenz und erfordern, daß alle
fortschrittlichen Organisationen gemeinsam an einer gut durchdachten Strategie
arbeiten, um die Multipolarität wiederherzustellen und den Fokus auf unsere
wirklichen globalen Herausforderungen zu richten. Dazu gehören Armut,
Unterentwicklung, Unterdrückung, Unsicherheit, Klimawandel und das zunehmende
Wettrüsten, das den Weltfrieden bedroht.
Die Bemühungen um die Schaffung multilateraler Organisationen, die positive
Werte und Prinzipien fördern, müssen intensiviert werden, da wir noch kein
wirksames Gegengewicht zu dem einflussreichen, dominanten Weltbild der
Vereinigten Staaten von Amerika gefunden haben, wonach Macht Recht ist und nur
Macht zählt.
Die jüngste Herausbildung der BRICS-Staaten, der wachsende wirtschaftliche
Fortschritt der Mitgliedstaaten des Verbandes Südostasiatischer Nationen
(ASEAN), die Rolle der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) und der
Afrikanischen Union (AU) müssen genutzt und auf die Ausarbeitung eines Plans und
einer Strategie ausgerichtet werden, die Multilateralismus und Entwicklung als
zentrale globale Ziele bekräftigen. Und diese müssen sich offen für die Freiheit
Palästinas, die Sicherheit Israels, den Frieden in der Ukraine, den Frieden in
Rußland und die Entwicklung Afrikas einsetzen – und für Bemühungen, die den
böswilligen Aktivitäten von außen, die wir in den rohstoffreichen Ländern
Afrikas beobachten, ein Ende setzen.
Die Notwendigkeit einer neuen Weltordnung
Ich rufe zu dieser gemeinsamen Zusammenarbeit auf, weil mir bewusst ist, daß
weltweit viele Anstrengungen unternommen werden, um den negativen Entwicklungen,
die Teil des toxischen globalen Umfelds sind, entgegenzuwirken. Aufgrund der
Zersplitterung dieser Bemühungen sowie des Widerstands dagegen erzielen wir
jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse. Es ist tragisch, daß wir über 18 Monate
lang das Abschlachten der palästinensischen Bevölkerung zugelassen haben, daß
heute Tausende Menschen hungern und daß in wenigen Jahren möglicherweise einige
unserer Organisationen damit beschäftigt sein werden, die Skelette der
Palästinenser wegzuräumen, die wegen unserer Unfähigkeit, geschlossen und
entschlossen zu handeln, verhungert sind.
Ich bin überzeugt, daß die Wahrscheinlichkeit einer neuen Weltordnung davon
abhängt, ob wir als UN-Mitgliedstaaten offen anerkennen, daß die Welt heute vor
dem Abgrund steht. Entschlossenes und robustes Handeln ist erforderlich, um die
Vernunft wiederherzustellen und Raum für Maßnahmen zu schaffen, die zu einer
sichereren Welt beitragen. Angesichts der bedeutenden Rolle, die die Welt den
Vereinigten Staaten von Amerika als globale Führung zugeschrieben hat, erscheint
dieses Handeln für eine neue Weltordnung zunehmend unmöglich. In gewisser Weise
ist es der König, den wir gekrönt haben, der das Problem verursacht, mit dem wir
heute konfrontiert sind. Wir müssen handeln, um das zu ändern.
Veranstaltungen wie diese und viele andere Konferenzen sollten sich
entschlossen darauf konzentrieren, den Wert positiver globaler Prinzipien wie
Integrität, Zusammenarbeit, Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit und Inklusion
herauszustellen. Die Bürger müssen auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden, daß
sie ihre individuellen bürgerlichen Freiheiten verlieren und daß Institutionen,
die die Demokratie fördern und unterstützen, wie unsere Justiz und unsere
Gesetzgebung, zerstört werden. Sie werden durch das Agieren, das wir bei den
heutigen Staatsführungen sehen, handlungsunfähig gemacht.
Initiativen, die vom Schiller-Institut gefördert wurden, wie die Entwicklung
des Oasenplans, oder die Agenda 2063 der Afrikanischen Union und natürlich der
jüngste offene Brief des Schiller-Instituts und vieler anderer an Seine Eminenz
Papst Leo XIV. bilden wichtige Grundlagen für eine werte- und
prinzipienorientierte globale Initiative. Ich hoffe, daß das Institut in
Zusammenarbeit mit vielen anderen Organen der bürgerlichen Freiheit weiterhin
darauf hinwirken wird, Initiativen wie diese stärker in den Blickpunkt der
Öffentlichkeit zu rücken, und eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung
der Multipolarität und einer neuen politischen Logik einer fürsorglichen,
rationalen globalen Führung spielen wird.
Wir brauchen einen „Erwachsenen im Raum”
Wie bereits gesagt, wir brauchen heute einen Erwachsenen im Raum, und diese
Eigenschaft fehlt uns schmerzlich. Vielleicht müssen wir uns der wachsenden
Bedeutung der BRICS-Staaten und der Rolle zuwenden, die sie spielen können,
indem sie sich stärker auf wichtige globale Spannungen und auf die Chancen
konzentrieren, die die wachsende Zahl der BRICS-Mitglieder bieten könnte, um die
Rolle der Vereinten Nationen als wichtigste multilaterale Organisation zu
fördern und um sicherzustellen, daß wir an den wichtigen Reformen arbeiten, die
für eine effizientere, effektivere und wirkungsvollere UN und einen
Sicherheitsrat erforderlich sind, der seine Rolle bei der Gewährleistung von
Frieden und Sicherheit in der Welt wahrnehmen kann.
Wir sollten fordern, daß insbesondere Organisationen des Südens sowie der
breiteren Bewegung der blockfreien Staaten zu einer mächtigen neuen Institution
für fortschrittliche Ideale, nachhaltige Entwicklung, Frieden und Sicherheit
zusammenkommen. Es hat keinen Sinn, die Bevölkerungszahlen der BRICS-Staaten
oder ihre gemeinsame BIP-Stärke herauszustellen. Was wir brauchen, ist eine
politische BRICS, die beginnt, eine Rolle bei der wirksamen Veränderung der
Weltordnung zu spielen und dafür zu sorgen, daß wir uns auf die Menschheit
konzentrieren und die wichtigsten Herausforderungen angehen, denen die
Menschheit heute gegenübersteht.
Wir brauchen Weltpolitiker, die sich engagieren. Wir brauchen Weltpolitiker,
die es ernst meinen, wenn sie Ressourcen für die Bekämpfung des Klimawandels
bereitstellen. Wir brauchen Weltpolitiker, die es ernst meinen, wenn sie Ziele
für eine nachhaltige Entwicklung formulieren – Politiker, die dafür sorgen, daß
diese Verpflichtungen auch finanziell abgesichert sind. Politiker, die nicht nur
davon reden, die Verbreitung von Atomwaffen zu beenden, sondern sich auch aktiv
dafür einsetzen. Wir brauchen Regierungen, die sicherstellen, daß kein
Wettrüsten in Gang gesetzt wird wie jetzt, sondern die Verbreitung von Waffen in
der ganzen Welt beenden. Wir brauchen Regierungen, die dafür sorgen, daß keine
Waffen in afrikanische Länder gelangen und dort Bürgerkriege, ethnische
Konflikte, Extremismus, Gefahren für Frauen und Rückschritte bei der
Gleichstellung der Geschlechter auslösen. Eines der offensichtlichen Merkmale
der aktuellen geopolitischen Lage ist die ernsthafte Gefahr, daß die
Errungenschaften, die Frauen in Bezug auf Gleichstellung und Empowerment erzielt
haben, wieder zunichte gemacht werden. Wir sehen heute, daß die besonders
virulenten negativen Stimmen in erster Linie von Männern kommen und daß ihre
Botschaft chauvinistisch und patriarchalisch ist. Daher ist es wichtig, daß
Frauenorganisationen eine Schlüsselrolle bei der Umkehrung dieses Trends
spielen. Wir sind sehr ermutigt, daß junge Menschen versuchen, aufzustehen, und
beginnen, ihre Stimme zu erheben, um die derzeitige Unipolarität und
vorherrschende Weltordnung abzulehnen, die uns beherrschen will, anstatt
Zusammenarbeit und Entwicklung zu festigen.
Wir sind also überzeugt, daß unsere strategischen Herausforderungen mit
Entwicklung, Weltfrieden und einer nachhaltigen Welt zusammenhängen. Wir denken,
daß wir durch das Schiller-Institut und mehrere andere progressive Initiativen
einen Marsch hin zu einer neuen Weltordnung beginnen könnten, die dazu beiträgt,
den Wert positiver Prinzipien für das Gute – den Wert der Interessen der
Menschheit - zu stärken, anstatt als treibende Kraft wütender Individuen zu
wirken, die kein positives Ergebnis für die Welt anstreben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Erfolg für die
Konferenz. Vielen Dank.
Die Rolle der Jugend
Moderator: Wir haben die Frage einer Gruppe junger Fachleute aus
Äquatorialguinea in Afrika bekommen: „Die Welt bewegt sich aufgrund
verschiedener Konflikte auf eine globale Instabilität zu und sieht sich mit der
Angst vor einem möglichen Krieg unvorhersehbaren Ausmaßes konfrontiert. Welche
Rolle könnte die Jugend der Welt für das Bewußtsein einer Kultur des globalen
friedlichen Zusammenlebens spielen?“ Das ist der erste Teil der Frage, der
zweite Teil lautet: „Die Weltwirtschaft ist ebenfalls in einer kritischen Lage,
in der die westlichen Mächte Afrika nur als einen Ort betrachten, der
ausgebeutet wird und zum Konsum verdammt ist. Wie könnte diese Situation
umgekehrt werden, damit die berühmte Win-Win-Philosophie Realität wird?“
Pandor: Vielen Dank an die jungen Menschen für die erste Frage. Ich
halte sie für sehr wichtig und möchte Ihnen sagen, daß sich die Welt derzeit in
einer Phase globaler Instabilität befindet. Meiner Meinung nach kommt jungen
Menschen eine äußerst wichtige Rolle dabei zu, eine neue Kultur in der Welt zu
schaffen – eine Kultur, die auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung ausgerichtet
ist. Junge Menschen haben einen sehr engen Bezug zur Technologie, sie nutzen
soziale Medien intensiv. Ich denke, daß die Art und Weise, wie sie soziale
Medien und Jugendorganisationen nutzen, viel gezielter auf die Probleme
ausgerichtet sein muss, über die wir in diesem globalen Forum diskutieren.
Ich denke daher, daß junge Menschen zu Aktivisten für Veränderungen werden
sollten, daß sie mehr über die Welt lernen sollten und daß sie sich für die
positiven Werte Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und uneingeschränkte
Wahrnehmung der Menschenrechte einsetzen sollten. Wenn sie sich den
Herausforderungen der Welt in diesen Bereichen stellen, haben wir meiner Meinung
nach das Potential, eine ganz andere Welt zu schaffen. In den meisten unserer
Länder gibt es Jugendorganisationen. Wir müssen die Einrichtung eines globalen
Jugendforums, in dem junge Menschen gemeinsam an positiven Zielen arbeiten,
wirklich fördern.
Was Afrika und die Veränderung seiner wirtschaftlichen Entwicklung angeht,
müssen wir uns unter anderem mit der Korruption in der Politik, im öffentlichen
Sektor und in der Privatwirtschaft befassen. Ich denke, Präsident Biden hat mit
der von ihm unterzeichneten Verordnung, die amerikanischen Unternehmen die
Vergabe von Aufträgen durch Bestechung und andere negative Mittel untersagt,
einen großen Beitrag dazu geleistet. Daß dieses Gesetz nun wieder aufgehoben
wurde, halte ich für einen sehr ernsten Rückschritt, denn es sollte dafür
sorgen, daß Führungskräfte in der Privatwirtschaft viel stärker für die
Notwendigkeit sensibilisiert werden, Bestechung und Korruption zu vermeiden und
keine Aufträge durch solche negativen kriminellen Handlungen zu sichern.
Wir in Afrika müssen sicherstellen, daß wir die Korruption direkt bekämpfen,
denn sie ist ein Krebsgeschwür in vielen unserer Gesellschaften. Darüber hinaus
müssen wir aber auch die Kontrolle über unsere Ressourcen ausüben und uns
ernsthaft um die Wertschöpfung aus unseren Bodenschätzen bemühen, anstatt sie
nur als Mittel zur Erzielung wirtschaftlicher Vorteile, zur Gewinnung von
Rohstoffen und zum Export für die Wertschöpfung in anderen Ländern zu nutzen.
Daher muß der Veredelung mehr Aufmerksamkeit schenken werden, insbesondere einem
neuen Ansatz in Bezug auf kritische Mineralien, die noch nicht Gegenstand einer
Vielzahl alter Verträge über bestehende alte Mineralien auf dem Kontinent sind.
Wir müssen anders handeln und unsere jungen Menschen zu neuen Bergbauingenieuren
und -technikern ausbilden, die Ausrüstung für den Bergbau und den Bergbausektor
entwickeln. Wir müssen uns aktiv um die Aufbereitung kümmern. Dies könnte eine
sehr wichtige industrielle und verarbeitende Basis auf dem afrikanischen
Kontinent schaffen. Wir müssen den Mineralreichtum als Ressource für unsere
Länder und für den Kontinent betrachten.
Und schließlich muß Afrika lernen, mit Afrika Handel zu treiben. Der
innerafrikanische Handel ist viel zu gering. Der Großteil der in Afrika
produzierten Waren wird ins Ausland exportiert. Der Handel untereinander ist so
gering, daß er einer der negativsten Faktoren für unser unzureichendes
Wirtschaftswachstum ist. Die vollständige Umsetzung der afrikanischen
Freihandelszone ist daher ein wichtiger Schritt zur Stärkung des
innerafrikanischen Handels, zur Steigerung der Produktivität in der Fertigung
auf dem Kontinent und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in
Afrika. Vielen Dank.
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