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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die sich verändernde Weltordnung
und die globale Sicherheit

Prof. Dmitrij Trenin ist Akademischer Direktor des Instituts für militärische Weltwirtschaft und Strategie an der Higher School of Economics der Moskauer Universität.

Es ist zum Gemeinplatz geworden, auf den Wandel der Weltordnung hinzuweisen. Viele Menschen feiern den Wandel als eine Art Befreiung. Doch nur wenige erwähnen, daß solche Veränderungen historisch gesehen Perioden gewaltsamer Rivalität unter oder zwischen den Hauptakteuren gewesen sind, mit anderen Worten: Perioden des Krieges. In den 2020er Jahren sind wir in eine weitere solche Periode eingetreten.

Dabei handelt es sich nicht um das, was viele einen Dritten Weltkrieg nennen – einen Konflikt nach dem Vorbild des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Er ähnelt eher dem Dreißigjährigen Krieg in Europa im 17. Jahrhundert, d.h. es handelt sich um eine Reihe von Konflikten zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren, die irgendwie auf einer hohen Ebene des geopolitischen Wettbewerbs miteinander verbunden sind. Wenn man sich heute die Welt anschaut, kann man feststellen, daß die Konflikte in Osteuropa, im Nahen Osten und in Ostasien durch die Hauptakteure miteinander zusammenhängen: die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, sowie Rußland und China.

Man kann auch zu dem Schluß kommen, daß all diese Konflikte durch das zentrale Thema miteinander verbunden sind: die Ablösung der beispiellosen globalen Hegemonie eines Landes, der Vereinigten Staaten von Amerika, durch eine Art multipolare Ordnung, in der sich mehrere Machtzentren als autonome Einheiten behaupten, die unterschiedliche Zivilisationen, Wertesysteme und Weltanschauungen vertreten. Der Stellvertreterkrieg zwischen Amerika plus Verbündeten und Rußland, und die wachsende Konfrontation zwischen Amerika plus anderen Verbündeten und China passen in dieses Muster.

Die Konflikte können sowohl die Form von konventionellen Kriegen als auch von hybriden Kriegen annehmen: technologische, Handels-, Finanz-, Informations-, psychologische Kriege, usw. Sie werden mit Atomwaffen ausgefochten, die bisher im Hintergrund standen, aber die nuklearen Gefahren sind bereits auf ein Niveau gestiegen, das es seit der Kubakrise 1962 nicht mehr gab. Der Ausgang der Auseinandersetzungen ist völlig offen, ebenso wie das Schicksal der Menschheit: die kommende multipolare Welt ist auch eine nukleare multipolare Welt.

In diesem Zusammenhang hat die globale Sicherheit, die noch vor wenigen Jahren ein beliebter Begriff war, ihre Bedeutung verloren. Die globale Welt des frühen 21. Jahrhunderts gibt es nicht mehr; die reale Welt ist zwar vernetzter denn je (Kriege sind ein äußerst intimes Geschäft zwischen Staaten), aber auch fragmentiert. Die nationale Sicherheit hat in allen Bereichen an Bedeutung gewonnen, aber die regionale Sicherheit hat in den meisten Fällen – außer innerhalb von Gruppierungen wie der Europäischen Union, ASEAN oder dem russisch-chinesischen Teil Eurasiens – jede Bedeutung verloren.

Auch wenn wir nicht mehr von globaler/regionaler Sicherheit sprechen können, so sprechen wir doch von strategischer Stabilität auf verschiedenen Ebenen: bilateral, regional und sogar planetarisch. Stabilität beruht nicht auf Friedensidealen oder guten Absichten; sie kann nur auf einer zuverlässigen Abschreckung beruhen. Letztlich muß die Abschreckung nuklear sein, aber um wirksam zu sein, muß sie die Atommächte dazu bringen, von jedem Krieg zwischen ihnen und untereinander abzusehen – ob nuklear oder konventionell, ob als Stellvertreter oder direkt.

Eine solche Art von militärischer Stabilität innerhalb der globalen Instabilität kann der einzige Weg zur Rettung in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts sein.