Die sich verändernde Weltordnung
und die globale Sicherheit
Prof. Dmitrij Trenin ist Akademischer Direktor des Instituts für militärische Weltwirtschaft und Strategie an der Higher School of Economics der Moskauer Universität.
Es ist zum Gemeinplatz geworden, auf den Wandel der Weltordnung hinzuweisen.
Viele Menschen feiern den Wandel als eine Art Befreiung. Doch nur wenige
erwähnen, daß solche Veränderungen historisch gesehen Perioden gewaltsamer
Rivalität unter oder zwischen den Hauptakteuren gewesen sind, mit anderen
Worten: Perioden des Krieges. In den 2020er Jahren sind wir in eine weitere
solche Periode eingetreten.
Dabei handelt es sich nicht um das, was viele einen Dritten Weltkrieg nennen
– einen Konflikt nach dem Vorbild des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Er ähnelt
eher dem Dreißigjährigen Krieg in Europa im 17. Jahrhundert, d.h. es handelt
sich um eine Reihe von Konflikten zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren, die
irgendwie auf einer hohen Ebene des geopolitischen Wettbewerbs miteinander
verbunden sind. Wenn man sich heute die Welt anschaut, kann man feststellen, daß
die Konflikte in Osteuropa, im Nahen Osten und in Ostasien durch die
Hauptakteure miteinander zusammenhängen: die Vereinigten Staaten und ihre
Verbündeten, sowie Rußland und China.
Man kann auch zu dem Schluß kommen, daß all diese Konflikte durch das
zentrale Thema miteinander verbunden sind: die Ablösung der beispiellosen
globalen Hegemonie eines Landes, der Vereinigten Staaten von Amerika, durch eine
Art multipolare Ordnung, in der sich mehrere Machtzentren als autonome Einheiten
behaupten, die unterschiedliche Zivilisationen, Wertesysteme und
Weltanschauungen vertreten. Der Stellvertreterkrieg zwischen Amerika plus
Verbündeten und Rußland, und die wachsende Konfrontation zwischen Amerika plus
anderen Verbündeten und China passen in dieses Muster.
Die Konflikte können sowohl die Form von konventionellen Kriegen als auch von
hybriden Kriegen annehmen: technologische, Handels-, Finanz-, Informations-,
psychologische Kriege, usw. Sie werden mit Atomwaffen ausgefochten, die bisher
im Hintergrund standen, aber die nuklearen Gefahren sind bereits auf ein Niveau
gestiegen, das es seit der Kubakrise 1962 nicht mehr gab. Der Ausgang der
Auseinandersetzungen ist völlig offen, ebenso wie das Schicksal der Menschheit:
die kommende multipolare Welt ist auch eine nukleare multipolare
Welt.
In diesem Zusammenhang hat die globale Sicherheit, die noch vor wenigen
Jahren ein beliebter Begriff war, ihre Bedeutung verloren. Die globale Welt des
frühen 21. Jahrhunderts gibt es nicht mehr; die reale Welt ist zwar vernetzter
denn je (Kriege sind ein äußerst intimes Geschäft zwischen Staaten), aber auch
fragmentiert. Die nationale Sicherheit hat in allen Bereichen an Bedeutung
gewonnen, aber die regionale Sicherheit hat in den meisten Fällen – außer
innerhalb von Gruppierungen wie der Europäischen Union, ASEAN oder dem
russisch-chinesischen Teil Eurasiens – jede Bedeutung verloren.
Auch wenn wir nicht mehr von globaler/regionaler Sicherheit sprechen können,
so sprechen wir doch von strategischer Stabilität auf verschiedenen Ebenen:
bilateral, regional und sogar planetarisch. Stabilität beruht nicht auf
Friedensidealen oder guten Absichten; sie kann nur auf einer zuverlässigen
Abschreckung beruhen. Letztlich muß die Abschreckung nuklear sein, aber um
wirksam zu sein, muß sie die Atommächte dazu bringen, von jedem
Krieg zwischen ihnen und untereinander abzusehen – ob nuklear oder
konventionell, ob als Stellvertreter oder direkt.
Eine solche Art von militärischer Stabilität innerhalb der globalen
Instabilität kann der einzige Weg zur Rettung in der ersten Hälfte des 21.
Jahrhunderts sein.
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