Ein „30jähriger Krieg“ in Afrika und Nahost?
Der Versuch, durch Unterstützung islamistischer
Extremistengruppen Regimewechsel zu bewirken, hat den Nahen Osten und Afrika
ins Chaos gestürzt.
Die Massengeiselnahme in Algerien ist der jüngste Hinweis, daß der
britisch-saudische Plan für einen neuen 30jährigen Krieg mit endlosen
Religions-, Konfessions- und Stammeskonflikten in Afrika, am östlichen
Mittelmeer und am Persischen Golf immer weiter voranschreitet. Wie Prinz
Philip und andere aus der britischen Elite offen gesagt haben, ist das Ziel
dieser Politik eine massive Entvölkerung der Welt. Es bleibt zu hoffen,
daß die Geiselnahme in Algerien und der Konflikt allgemein kühlere Köpfe zu
der Erkenntnis bringt, daß diese Politik dringend geändert werden muß.
Letzte Woche begann die französische Regierung mit einer militärischen
Intervention in Mali, nachdem die Machtübernahme von Rebellen aus dem Umfeld
von Al-Kaida in dem Land drohte. Die Franzosen erhalten dabei Unterstützung
von Großbritannien, den USA und anderen Ländern, und laut unbestätigten
Berichten will auch Rußland Transportflugzeuge bereitstellen. Zuvor hatte der
UN-Sicherheitsrat in einer Resolution zugestimmt, daß eine afrikanische
Eingreiftruppe Malis Regierung gegen einen Großangriff von Al-Kaida im
Islamischen Maghreb (AKIM) und die Separatisten, die Landesteile im Norden
erobert haben, unterstützt.
Bei der Eskalation der Destabilisierung Malis sind zwei Entwicklungen
entscheidend: der anglo-französisch-amerikanische Krieg gegen Libyen mit der
Ermordung von Staatschef Gaddafi sowie der Putsch in der Hauptstadt Bamako im
März 2012. Im Rahmen des Krieges gegen Libyen hatte die westliche Koalition
Tuareg aus der libyschen Armee mit Geld dazu verleitet, zu desertieren. Damit
kam es zur ersten Verstärkungswelle für die Rebellen im Norden Malis. Als dann
Gaddafi gestürzt wurde, erhielten diese Kräfte Zugang zu den libyschen
Waffenarsenalen.
Zwei Jahre zu spät räumte sogar die New York Times am 20. Januar
ein: „Gaddafi hatte Recht“, nämlich: „Als der Aufstand sich ihm bedrohlich
näherte, warnte der libysche Diktator Oberst Muammar Gaddafi, wenn er stürze,
dann würde ganz Nordafrika von Chaos und heiligem Krieg erfaßt. Bin Ladens
Leute würden kommen und zu Land und zu Wasser Lösegeld nehmen, sagte er
Reportern. Wir fielen zurück in die Rotbart-Zeit der Piraten, der Osmanen, die
von Schiffen Lösegeld erpressen.“
Das Ziel: Destabilisierung
Unabhängig davon, ob die französische Militärintervention mehr nützt oder
mehr schadet, machen der Konflikt in Mali und der seit längerem vorbereitete
Angriff von AKIM auf das Erdgasfeld eines von BP geleiteten Konsortiums in
Algerien sehr deutlich, daß ganz Nordafrika ein barbarischer Krieg bevorsteht,
der ein oder mehrere Jahrzehnte ständiges Blutvergießen und Massensterben
bringen kann, wenn er nicht umgehend beendet wird. Die jüngsten Entwicklungen
in Afrika sind ganz auf der Linie des britischen Plans, überall in der
islamischen Welt eine ständige blutige Konfrontation zwischen Sunniten und
Schiiten zu schüren. Der Konflikt in Syrien, der in sein drittes Jahr geht,
ist inzwischen ein bösartiger Religionskrieg sunnitischer Dschihadisten gegen
Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten. Saudi-Arabien bleibt der
wichtigste Geld- und Waffenlieferant für die Dschihadisten.
Letzte Woche berichtete die der Hisbollah nahestehende libanesische Zeitung
Al-Manar, der saudische Geheimdienstchef Prinz Bandar Bin Sultan
versorge die Al-Nusra-Front, einen Ableger von Al-Kaida im Irak (AKI), mit
Geld und Waffen, um in Syrien Präsident Assad zu stürzen und rivalisierende
Oppositionelle in der Freien Syrischen Armee auszuschalten. Al-Nusra besteht
aus syrischen, jordanischen und irakischen Neosalafisten, die gegen die
US-Besatzung im Irak kämpften und Anfang 2011 nach Syrien gingen, als dort der
Aufstand gegen die Regierung Assad begann. Obwohl das US-Außenministerium
Al-Nusra auf seine Liste internationaler Terrororganisationen gesetzt hat,
steht die große Mehrheit der syrischen Rebellengruppen weiter zu ihr - aus dem
einfachen Grund, daß Al-Nusra die am besten bewaffnete, finanzierte und
effektivste Kampftruppe gegen die syrische Armee ist.
Da die militärische Lage in Syrien weiterhin ein Patt bleibt, mußten
amerikanische und europäische Analysten schließlich doch zugeben, daß der
Vorstoß von NATO, Saudis und Katar zum Sturz Assads den Boden für einen sich
ausweitenden Machtkampf aller gegen alle bereitet hat, der bald die
Nachbarländer Libanon, Jordanien, Türkei und Irak erfassen wird. Aber London
geht es hier gar nicht darum, wer gewinnt oder verliert, sondern ob dieser
konfessionelle Konflikt zur „Lösung des Problems der Überbevölkerung“
beiträgt, also wieviel Menschen dabei sterben oder heimatlos werden.
Gefahr der Ausweitung
Doch so schlimm das schon ist, die noch größere Gefahr ist die, daß die
regionalen Konflikte im Nahen Osten und Afrika sich zu einer militärischen
Machtprobe zwischen den Supermächten USA auf der einen und Rußland/China auf
der anderen Seite ausweiten. Die Russen veranstalteten letzte Woche im
östlichen Mittelmeer das größte Seemanöver seit dem Kalten Krieg und die
russische Führung sieht in der im Aufbau befindlichen Raketenabwehr der USA
bzw. NATO immer noch einen Casus belli.
Präsident Obama schickte seinen Nationalen Sicherheitsberater Tom Donilon
mit einem persönlichen Brief an Präsident Putin nach Moskau. Was immer in dem
Schreiben steht, wird Putin vermutlich nicht zufriedenstellen, denn es ist
klar, daß die im Aufbau befindliche Raketenabwehr des Westens an den Grenzen
Rußlands und Chinas sich keineswegs in erster Linie gegen den Iran oder
Syrien, sondern gegen die konkurrierenden Großmächte richtet.
Ein früherer hochrangiger US-Diplomat, der kürzlich in Moskau eine
Vortragsreihe gehalten hat, berichtete in einem Hintergrundgespräch
beunruhigt, Rußlands Verhältnis zu China, der Türkei und Deutschland sei
besser denn je, das zu den USA jedoch auf einem Tiefpunkt. Scheinheilige
persönliche Gesten Obamas änderten nichts an der Tatsache, daß die Supermächte
sich auf eine direkte Konfrontation zubewegen, und der Nahe Osten und Afrika
seien nur der Kampfplatz, von dem der dritte Weltkrieg ausgehen könnte.
In der russischen Führung weiß man nur zu gut, wie anfällig die
gegenwärtige Weltlage ist. Während Moskau offenbar das französische Vorgehen
in Mali unterstützt, arbeitet es auch zusammen mit dem Sondergesandten der UNO
und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, und sogar mit dem
US-Vizeaußenminister William Burns daran, die Rahmenbedingungen für eine
diplomatische Lösung in Syrien zu schaffen. Aber mächtige Teile der saudischen
Monarchie bleiben fest entschlossen, eine positive Regelung für Syrien und
dessen Verbündeten Iran zu verhindern.
Im Vorfeld einer neuen Gesprächsrunde der iranischen Regierung mit der
5+1-Gruppe (USA, Rußland, China, Frankreich, England, Deutschland)
veröffentlichte David Albright von der auf „Atomwaffengefahr“ spezialisierten
privaten Denkfabrik ISIS letzte Woche eine verlogene und provokative Studie,
in der behauptet wird, der Iran stehe gefährlich nahe vor der Fähigkeit, eine
Atombombe zu bauen. Dazu werden Dokumente der UNO und der Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEA) herangezogen, aber in einer Weise interpretiert, die
nichts mehr mit der Wahrheit zu tun hat. Die anglo-amerikanische Fraktion
hinter Albright will sicherstellen, daß die Gespräche mit dem Iran
zusammenbrechen und in diesem Jahr ein Krieg für einen „Regimewechsel“
stattfindet.
In der vergangenen Woche hielt sich eine IAEA-Delegation in Teheran auf und
verhandelte erneut mit der iranischen Regierung über eine gemeinsame
Absichtserklärung, die der IAEA gründlichere Inspektionen iranischer
kerntechnischer Anlagen, Gespräche mit deren Forschern und Zugang zu
Unterlagen über frühere iranische Kernwaffenforschung am Zentrum Parchin
ermöglicht.
Destabilisierung Pakistans
Während die Lage in Nordafrika und dem Nahen Osten sich immer bedrohlicher
einem Regionalkrieg nähert, in den die USA, Rußland und China hineingezogen
werden, verschärft sich gleichzeitig auch die Lage in Südasien. Der
pakistanisch-indische Grenzkonflikt in Kaschmir flammt wieder auf, und in
Pakistan läuft eine brutale Offensive fundamentalistischer Sunniten gegen
Schiiten. Allein bei Anschlägen in Quetta in der Provinz Belutschistan, die an
Afghanistan und den Iran grenzt, starben fast hundert schiitische
Gläubige.
Als Reaktion darauf löste Staatspräsident Asif Ali Zardari die Regierung
Belutschistans auf, entließ den Präsidenten der Region und dessen Kabinett und
unterstellte die Provinz seiner eigenen Aufsicht. Die belutschische Gruppe
Dschundallah organisiert seit zwei Jahren in der benachbarten iranischen
Grenzregion Morde und Sabotageakte gegen die iranischen Revolutionsgarden.
Nach dem Besuch des afghanischen Präsidenten Karsai in Washington und
seinem Treffen mit Präsident Obama Mitte des Monats laufen in Afghanistan
letzte Vorbereitungen für Gespräche der USA mit den Taliban über eine
Machtverteilung nach dem US-Abzug bis Ende 2014. Nach seinem Treffen mit
Karsai hatte Obama angekündigt, den Zeitplan für die Übergabe von
Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Polizei- und Militärkräfte zu
straffen. Er sagte auch, Karsai habe den erneuten Verhandlungen der USA mit
den Taliban zugestimmt.
Eine Voraussetzung für ernsthafte Bemühungen um eine Stabilisierung der
Region nach dem Rückzug von USA und NATO wäre eine Regionalkonferenz mit
China, Rußland, Pakistan, Indien, Iran, den zentralasiatischen Republiken und
den USA, um gemeinsame regionale Ziele zu definieren und Pläne für
wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit zu entwickeln.
Die scheidende US-Außenministerin Hillary Clinton hat sich zwar öffentlich
für ein solches Vorgehen ausgesprochen, aber Präsident Obama zeigt bisher
keinerlei Interesse an einem kollektiven Rahmen für Wirtschaft und Sicherheit
in der Region. Damit bleibt Südasien genauso wie der Nahe Osten und Afrika
mitten in der Gefahrenzone permanenten Krieges.
Jeffrey Steinberg