"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Tony Blairs Dreißigjähriger Krieg in Afrika

Von Lawrence K. Freeman

In Nordafrika werden derzeit die Weichen für einen langandauernden Guerillakrieg gestellt. Der einzige Ausweg ist wirtschaftliche Entwicklung.

Das Interview der BBC mit Tony Blair vom 3. Februar sollte endlich all jenen die Augen öffnen, die geglaubt haben, die Militärintervention des französischen Präsidenten Hollande in Mali verfolge das Ziel, die territoriale Integrität dieser armen afrikanischen Nation wiederherzustellen. Als Repräsentant der britisch-imperialen Fraktion ließ der ehemalige Premierminister keinen Zweifel daran, daß er die am 11. Januar begonnenen Bombenangriffe Frankreichs als Eröffnungssalve eines jahrzehntelangen militärischen Feldzugs in Nordafrika betrachtet, der das Potential hat, unter dem Deckmantel des Krieges gegen den Terrorismus einen neuen „dreißigjährigen Krieg“ zu entzünden.

Als Blair bezüglich Mali gefragt wurde, wie lange man „da drin stecken“ werde, antwortete er: „Wir sprechen mit Sicherheit von einer Generation.“ Blair fügte dann hinzu, man müsse den Kampf gegen den „militanten Islam“ mit dem „Kampf des Westens, über eine lange Zeitperiode, gegen den revolutionären Kommunismus“ vergleichen. Blair gab zu, daß die Terroristen zurückkehren würden, sobald die westlichen Streitkräfte abgezogen werden, und daß Aufständische, die aus einem Land vertrieben werden, sich in das nächste zurückziehen, sodaß die gesamte Region, die er als „die nördlichen Teile Schwarzafrikas“ bezeichnete, zum Schlachtfeld werden würde. Was Blair bequemerweise nicht ansprach, war Großbritanniens Sonderbeziehung mit Saudi-Arabien und deren Rolle bei der Verbreitung der salafistischen und wahabitischen Bewegungen im Hintergrund der dschihadistischen Fundamentalisten und der Al-Kaida.

Während der Münchener Sicherheitskonferenz vom 1.-3. Februar blies der NATO-Sekretär General Anders Fogh Rasmussen in das gleiche Horn von permanentem Krieg und permanenter Zerstörung, als er erklärte, die NATO hätte „überall und zu jeder Zeit“ das Recht, ihre Streitkräfte weltweit einzusetzen „wenn man zu dem Schluß kommt, daß die Sicherheit der Alliierten bedroht ist“. Er fügte dann hinzu: „Wenn ich unsere Welt betrachte, sehe ich einen Spannungsbogen der Krise von der Sahelzone bis nach Zentralasien.“

Somit sollte für alle - alle, die den Mut haben der Wahrheit ins Auge zu schauen - klar sein, daß der Sturz und die Ermordung Muammar Gaddafis, was eine entscheidende Rolle für die militärischen Übernahme von Nord-Mali spielte, jetzt zur Expansion einer neuen imperialen Politik gegen Afrika geführt haben: Krieg und Regimewechsel. Die Folgen hiervon werden sich in ganz Nordafrika zeigen und möglicherweise auf andere Teile des Kontinents ausbreiten.

Asymmetrische Kriegsführung wird Afrika zerstören

Nachdem Frankreich seine Absicht angekündigt hat, im März den Rückzug seiner 4000 Soldaten einzuleiten, um Verluste zu vermeiden, beginnt jetzt die gefährliche Phase dieses Krieges. Aufstände und Gegenaufstände werden das Terrain beherrschen, da nun die ethnischen, religiösen und rassischen Leidenschaften aufgeheizt sind und die Länder praktisch unregierbar machen. Die Opfer werden vor allem Afrikaner sein, nicht Europäer oder Amerikaner. Es kam bereits zu Selbstmord-Bombenanschlägen, gefolgt vom Einsatz selbstgebauter Sprengkörper (IEDs).

Wie unsicher - um nicht zu sagen: vorübergehend - die militärischen Erfolge der Franzosen sind, zeigte sich am 10. Februar in der Stadt Gao im Norden Malis, wo Aufständische französische und malische Truppen angriffen, nachdem zuvor zwei Selbstmordanschläge unternommen worden waren. Vor diesen Kämpfen hatte Frankreich behauptet, es habe die Rebellen durch seine Bombenangriffe aus dieser 86.000 Einwohner zählenden Stadt vertrieben. Reporter der New York Times berichteten über die Kämpfe in Gao und schrieben das Offensichtliche, daß nämlich „die schnelle französische Kampagne gegen den örtlichen Al-Kaida-Ableger und seine Verbündeten nicht vorüber, sondern in eine neue Phase des Guerillakrieges eingetreten ist“.

Die Franzosen werden versuchen, den größten Teil ihrer Truppen abzuziehen und zu behaupten, daß sie, zusammen mit den Briten und den USA, den Kampf durch den Einsatz von Spezialkräften und weitere Bombardements aus der Luft fortsetzen - nicht zuletzt, um die Uranminen in Arlit im benachbarten Niger zu schützen. Es ist klar, daß das Truppenabkommen zwischen den USA und Niger und die Suche nach weiteren Stützpunkten für Drohneneinsätze in anderen afrikanischen Staaten auf eine weitere Intensivierung des Drohnenkrieges hindeutet, wie bei Präsident Obamas Begeisterung für diese Einsätze nicht anders zu erwarten ist.

Es wird erwartet, daß afrikanische Truppen schon bald die weit schwierigere Aufgabe übernehmen werden, die Truppen der Dschihadi-Kämpfer zu zerschlagen. Westafrikanische Staaten, Mali und benachbarte Länder wollen dazu eine Truppe von 8000 Mann aufstellen. Aber selbst einen Monat nach dem Beginn des französischen Militäreinsatzes kam nur ein sehr kleiner Teil dieser Truppe auch tatsächlich zum Einsatz. Die meisten dieser Soldaten sind schlecht ausgerüstet und auch nur schlecht ausgebildet für einen solchen Feldzug, und werden sehr von Unterstützung aus der Luft abhängig sein. Sie sind sicher auch nicht fähig, auf die neue Phase des Guerillakrieges zu reagieren. Sie und die afrikanische Zivilbevölkerung werden die eigentlichen Opfer von Tony Blairs generationenlangem Krieg sein.

Während sich die Aufständischen nach Norden zurückgezogen haben, um in den unwirtlichen Ifoghas-Bergen an der Grenze zwischen Mali und Algerien Unterschlupf zu suchen, ist das Schlachtfeld übersät mit modernsten Waffen, die nach der Ermordung Gaddafis aus Libyen kamen. Man sieht die Folgen des gesetzlosen Zustands der Unregierbarkeit im heutigen Libyen, der durch Präsident Obamas Umsetzung von Tony Blairs Regimewechselpolitik im Bündnis mit eben jenen Al-Kaida-Gruppen, die man jetzt in Mali bekämpft, geschaffen wurde. Und dieser Zustand breitet sich nun in ganz Nordafrika aus.

In der vergangenen Woche bat Frankreich den UN-Sicherheitsrat, die Führung der zur Zeit von den Afrikanern geleiteten Militärmission Mali-AFISMA zu übernehmen und diese in eine „Blauhelm“-Friedensmission umzuwandeln, um die Finanzierung für diese Mission sicherzustellen, das sich sicherlich zu einem viele Milliarden Dollar teuren Unternehmen auswachsen wird. Sie wird jedoch den von innen und außen geführten „Kleinkrieg“ in den Saharaländern nicht beenden, sondern die Lage eher verschlechtern.

Baut Nahrungsmittel an - und nicht Drogen

Die eigentliche Ursache der Krise in Mali und der Ausbreitung dschihadistischer Elemente in der Region wurde bisher kaum erkannt und deshalb auch nicht bekämpft. Das Scheitern des Antiterror-Programms der USA, die dafür seit 2005 mehr als 1 Mrd. Dollar ausgegeben haben, ist nur ein offensichtliches Beispiel für das völlige Fehlen eines langfristigen Ansatzes, der darauf abzielen sollte, den afrikanischen Nationen und ihren Menschen eine bessere Zukunft zu sichern. Malis Instabilität spiegelt sich überall auf dem Kontinent, und viele Nationen stehen am Rande einer Krise, die noch weit schlimmere Konsequenzen haben könnten als das, was wir derzeit in Mali sehen.

Die Hauptursache dafür, daß die Regierungen in Afrika so schwach sind, wie es sich im Falle Malis zeigt, ist der Mangel an wirtschaftlicher Entwicklung. Das Maß des Fortschritts ist nicht, wieviele Rohstoffe ausgeführt werden oder wieviel schnellen Profit man machen kann, und auch nicht, wieviel elektronische Geräte verwendet werden, sondern vielmehr die Fähigkeit einer Nation, die Produktivkräfte der eigenen Bevölkerung zu vergrößern, um eine steigende Menge realer Güter zu produzieren, die den Lebensstandard der gegenwärtigen Gesellschaft verbessern und Bedingungen schaffen, unter denen qualitative Verbesserungen für die zukünftigen Generationen möglich werden. Daß keine Kredite für Investitionen in Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden, die für diesen Zweck unverzichtbar sind, ist das größte Verbrechen des Westens an Afrika - und noch dazu eine Riesendummheit. Das Fehlen einer wachstumsfördernden Politik verurteilt die Afrikaner zum Tod und schafft einen fruchtbaren Boden für die Zunahme der Aufstände.

Stattdessen wurden Nord- und Westafrika in Durchgangsländer für den Transport von Rauschgiften nach Europa und alle möglichen anderen Formen der Kriminalität verwandelt. Einem Bericht des UN-Büros für die Bekämpfung von Drogenhandel und Verbrechen von 2009 zufolge „passieren jedes Jahr 60 Tonnen Rauschgift, vor allem Kokain, die Wüste“, was sowohl den Dschihadisten als auch den Regierungen eine hochwillkommene Einkommensquelle bietet. Ein Experte des Afrikanischen Zentrums für Strategische Studien sagte Anfang Februar, in Nordafrika entstünden Kokain-Labors, was darauf hindeutet, daß Rauschgifte inzwischen nicht bloß die Region passieren, sondern auch vor Ort angebaut werden. Rußlands Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtet, daß jemand, der sich in Mali den Umstürzlern anschließt, 900 $ im Monat verdient, während der Durchschnittslohn in dem verarmten Land gerade einmal bei 1100 $ - im Jahr - liegt.

Colin Freeman schrieb im Londoner Telegraph, das Kokain aus Südamerika „wird nach Guinea-Bissau geflogen, und dann Tausende von Meilen durch die Sahara nach Algerien, Marokko und Libyen gefahren“. Die DEA habe „eine direkte Verbindung zwischen den Terrororganisationen und dem internationalen Drogenhandel nachgewiesen“. Er berichtete auch, daß die Stadt Gao, wo derzeit schwere Kämpfe stattfinden, „schon seit langem einer der wichtigsten Durchgangsorte für Drogen ist“.

Angesichts dieser Bedingungen ist allen qualifizierten Experten klar, daß es kein militärisches Mittel gibt, um wirksam mit der Krise in der Sahel-Region und der Sahara umzugehen, was noch unterstrichen wird durch die Tatsache, daß nach UN-Angaben 10-15 Millionen Menschen in der Region unter einem Mangel an Nahrung leiden.

Schon vor mehr als zehn Jahren, als ich amerikanische Landwirte politisch mobilisierte, prägte ich den Slogan: „Baut Nahrungsmittel an, keine Drogen“. Genau das gilt heute leider auch für Afrika. Ohne einen Paradigmenwechsel, weg von Krieg und wirtschaftlichem Kollaps und hin zu einem Frieden durch wirtschaftliche Entwicklung, ist Afrika, ebenso wie die übrige Welt, auf dem Weg in eine Katastrophe - und zwar schon in allernächster Zukunft.