Tony Blairs Dreißigjähriger Krieg in Afrika
Von Lawrence K. Freeman
In Nordafrika werden derzeit die Weichen für einen
langandauernden Guerillakrieg gestellt. Der einzige Ausweg ist wirtschaftliche
Entwicklung.
Das Interview der BBC mit Tony Blair vom 3. Februar sollte endlich
all jenen die Augen öffnen, die geglaubt haben, die Militärintervention des
französischen Präsidenten Hollande in Mali verfolge das Ziel, die territoriale
Integrität dieser armen afrikanischen Nation wiederherzustellen. Als
Repräsentant der britisch-imperialen Fraktion ließ der ehemalige
Premierminister keinen Zweifel daran, daß er die am 11. Januar begonnenen
Bombenangriffe Frankreichs als Eröffnungssalve eines jahrzehntelangen
militärischen Feldzugs in Nordafrika betrachtet, der das Potential hat, unter
dem Deckmantel des Krieges gegen den Terrorismus einen neuen „dreißigjährigen
Krieg“ zu entzünden.
Als Blair bezüglich Mali gefragt wurde, wie lange man „da drin stecken“
werde, antwortete er: „Wir sprechen mit Sicherheit von einer Generation.“ Blair
fügte dann hinzu, man müsse den Kampf gegen den „militanten Islam“ mit dem
„Kampf des Westens, über eine lange Zeitperiode, gegen den revolutionären
Kommunismus“ vergleichen. Blair gab zu, daß die Terroristen zurückkehren
würden, sobald die westlichen Streitkräfte abgezogen werden, und daß
Aufständische, die aus einem Land vertrieben werden, sich in das nächste
zurückziehen, sodaß die gesamte Region, die er als „die nördlichen Teile
Schwarzafrikas“ bezeichnete, zum Schlachtfeld werden würde. Was Blair
bequemerweise nicht ansprach, war Großbritanniens Sonderbeziehung mit
Saudi-Arabien und deren Rolle bei der Verbreitung der salafistischen und
wahabitischen Bewegungen im Hintergrund der dschihadistischen Fundamentalisten
und der Al-Kaida.
Während der Münchener Sicherheitskonferenz vom 1.-3. Februar blies der
NATO-Sekretär General Anders Fogh Rasmussen in das gleiche Horn von permanentem
Krieg und permanenter Zerstörung, als er erklärte, die NATO hätte „überall und
zu jeder Zeit“ das Recht, ihre Streitkräfte weltweit einzusetzen „wenn man zu
dem Schluß kommt, daß die Sicherheit der Alliierten bedroht ist“. Er fügte dann
hinzu: „Wenn ich unsere Welt betrachte, sehe ich einen Spannungsbogen der Krise
von der Sahelzone bis nach Zentralasien.“
Somit sollte für alle - alle, die den Mut haben der Wahrheit ins Auge zu
schauen - klar sein, daß der Sturz und die Ermordung Muammar Gaddafis, was eine
entscheidende Rolle für die militärischen Übernahme von Nord-Mali spielte,
jetzt zur Expansion einer neuen imperialen Politik gegen Afrika geführt haben:
Krieg und Regimewechsel. Die Folgen hiervon werden sich in ganz Nordafrika
zeigen und möglicherweise auf andere Teile des Kontinents ausbreiten.
Asymmetrische Kriegsführung wird Afrika zerstören
Nachdem Frankreich seine Absicht angekündigt hat, im März den Rückzug seiner
4000 Soldaten einzuleiten, um Verluste zu vermeiden, beginnt jetzt die
gefährliche Phase dieses Krieges. Aufstände und Gegenaufstände werden das
Terrain beherrschen, da nun die ethnischen, religiösen und rassischen
Leidenschaften aufgeheizt sind und die Länder praktisch unregierbar machen. Die
Opfer werden vor allem Afrikaner sein, nicht Europäer oder Amerikaner. Es kam
bereits zu Selbstmord-Bombenanschlägen, gefolgt vom Einsatz selbstgebauter
Sprengkörper (IEDs).
Wie unsicher - um nicht zu sagen: vorübergehend - die militärischen Erfolge
der Franzosen sind, zeigte sich am 10. Februar in der Stadt Gao im Norden
Malis, wo Aufständische französische und malische Truppen angriffen, nachdem
zuvor zwei Selbstmordanschläge unternommen worden waren. Vor diesen Kämpfen
hatte Frankreich behauptet, es habe die Rebellen durch seine Bombenangriffe aus
dieser 86.000 Einwohner zählenden Stadt vertrieben. Reporter der New York
Times berichteten über die Kämpfe in Gao und schrieben das Offensichtliche,
daß nämlich „die schnelle französische Kampagne gegen den örtlichen
Al-Kaida-Ableger und seine Verbündeten nicht vorüber, sondern in eine neue
Phase des Guerillakrieges eingetreten ist“.
Die Franzosen werden versuchen, den größten Teil ihrer Truppen abzuziehen
und zu behaupten, daß sie, zusammen mit den Briten und den USA, den Kampf durch
den Einsatz von Spezialkräften und weitere Bombardements aus der Luft
fortsetzen - nicht zuletzt, um die Uranminen in Arlit im benachbarten Niger zu
schützen. Es ist klar, daß das Truppenabkommen zwischen den USA und Niger und
die Suche nach weiteren Stützpunkten für Drohneneinsätze in anderen
afrikanischen Staaten auf eine weitere Intensivierung des Drohnenkrieges
hindeutet, wie bei Präsident Obamas Begeisterung für diese Einsätze nicht
anders zu erwarten ist.
Es wird erwartet, daß afrikanische Truppen schon bald die weit schwierigere
Aufgabe übernehmen werden, die Truppen der Dschihadi-Kämpfer zu zerschlagen.
Westafrikanische Staaten, Mali und benachbarte Länder wollen dazu eine Truppe
von 8000 Mann aufstellen. Aber selbst einen Monat nach dem Beginn des
französischen Militäreinsatzes kam nur ein sehr kleiner Teil dieser Truppe auch
tatsächlich zum Einsatz. Die meisten dieser Soldaten sind schlecht ausgerüstet
und auch nur schlecht ausgebildet für einen solchen Feldzug, und werden sehr
von Unterstützung aus der Luft abhängig sein. Sie sind sicher auch nicht fähig,
auf die neue Phase des Guerillakrieges zu reagieren. Sie und die afrikanische
Zivilbevölkerung werden die eigentlichen Opfer von Tony Blairs
generationenlangem Krieg sein.
Während sich die Aufständischen nach Norden zurückgezogen haben, um in den
unwirtlichen Ifoghas-Bergen an der Grenze zwischen Mali und Algerien
Unterschlupf zu suchen, ist das Schlachtfeld übersät mit modernsten Waffen, die
nach der Ermordung Gaddafis aus Libyen kamen. Man sieht die Folgen des
gesetzlosen Zustands der Unregierbarkeit im heutigen Libyen, der durch
Präsident Obamas Umsetzung von Tony Blairs Regimewechselpolitik im Bündnis mit
eben jenen Al-Kaida-Gruppen, die man jetzt in Mali bekämpft, geschaffen wurde.
Und dieser Zustand breitet sich nun in ganz Nordafrika aus.
In der vergangenen Woche bat Frankreich den UN-Sicherheitsrat, die Führung
der zur Zeit von den Afrikanern geleiteten Militärmission Mali-AFISMA zu
übernehmen und diese in eine „Blauhelm“-Friedensmission umzuwandeln, um die
Finanzierung für diese Mission sicherzustellen, das sich sicherlich zu einem
viele Milliarden Dollar teuren Unternehmen auswachsen wird. Sie wird jedoch den
von innen und außen geführten „Kleinkrieg“ in den Saharaländern nicht beenden,
sondern die Lage eher verschlechtern.
Baut Nahrungsmittel an - und nicht Drogen
Die eigentliche Ursache der Krise in Mali und der Ausbreitung
dschihadistischer Elemente in der Region wurde bisher kaum erkannt und deshalb
auch nicht bekämpft. Das Scheitern des Antiterror-Programms der USA, die dafür
seit 2005 mehr als 1 Mrd. Dollar ausgegeben haben, ist nur ein offensichtliches
Beispiel für das völlige Fehlen eines langfristigen Ansatzes, der darauf
abzielen sollte, den afrikanischen Nationen und ihren Menschen eine bessere
Zukunft zu sichern. Malis Instabilität spiegelt sich überall auf dem Kontinent,
und viele Nationen stehen am Rande einer Krise, die noch weit schlimmere
Konsequenzen haben könnten als das, was wir derzeit in Mali sehen.
Die Hauptursache dafür, daß die Regierungen in Afrika so schwach sind, wie
es sich im Falle Malis zeigt, ist der Mangel an wirtschaftlicher Entwicklung.
Das Maß des Fortschritts ist nicht, wieviele Rohstoffe ausgeführt werden oder
wieviel schnellen Profit man machen kann, und auch nicht, wieviel elektronische
Geräte verwendet werden, sondern vielmehr die Fähigkeit einer Nation, die
Produktivkräfte der eigenen Bevölkerung zu vergrößern, um eine steigende Menge
realer Güter zu produzieren, die den Lebensstandard der gegenwärtigen
Gesellschaft verbessern und Bedingungen schaffen, unter denen qualitative
Verbesserungen für die zukünftigen Generationen möglich werden. Daß keine
Kredite für Investitionen in Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden, die
für diesen Zweck unverzichtbar sind, ist das größte Verbrechen des Westens an
Afrika - und noch dazu eine Riesendummheit. Das Fehlen einer
wachstumsfördernden Politik verurteilt die Afrikaner zum Tod und schafft einen
fruchtbaren Boden für die Zunahme der Aufstände.
Stattdessen wurden Nord- und Westafrika in Durchgangsländer für den
Transport von Rauschgiften nach Europa und alle möglichen anderen Formen der
Kriminalität verwandelt. Einem Bericht des UN-Büros für die Bekämpfung von
Drogenhandel und Verbrechen von 2009 zufolge „passieren jedes Jahr 60 Tonnen
Rauschgift, vor allem Kokain, die Wüste“, was sowohl den Dschihadisten als auch
den Regierungen eine hochwillkommene Einkommensquelle bietet. Ein Experte des
Afrikanischen Zentrums für Strategische Studien sagte Anfang Februar, in
Nordafrika entstünden Kokain-Labors, was darauf hindeutet, daß Rauschgifte
inzwischen nicht bloß die Region passieren, sondern auch vor Ort angebaut
werden. Rußlands Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtet, daß jemand,
der sich in Mali den Umstürzlern anschließt, 900 $ im Monat verdient, während
der Durchschnittslohn in dem verarmten Land gerade einmal bei 1100 $ - im Jahr
- liegt.
Colin Freeman schrieb im Londoner Telegraph, das Kokain aus
Südamerika „wird nach Guinea-Bissau geflogen, und dann Tausende von Meilen
durch die Sahara nach Algerien, Marokko und Libyen gefahren“. Die DEA habe
„eine direkte Verbindung zwischen den Terrororganisationen und dem
internationalen Drogenhandel nachgewiesen“. Er berichtete auch, daß die Stadt
Gao, wo derzeit schwere Kämpfe stattfinden, „schon seit langem einer der
wichtigsten Durchgangsorte für Drogen ist“.
Angesichts dieser Bedingungen ist allen qualifizierten Experten klar, daß es
kein militärisches Mittel gibt, um wirksam mit der Krise in der Sahel-Region
und der Sahara umzugehen, was noch unterstrichen wird durch die Tatsache, daß
nach UN-Angaben 10-15 Millionen Menschen in der Region unter einem Mangel an
Nahrung leiden.
Schon vor mehr als zehn Jahren, als ich amerikanische Landwirte politisch
mobilisierte, prägte ich den Slogan: „Baut Nahrungsmittel an, keine Drogen“.
Genau das gilt heute leider auch für Afrika. Ohne einen Paradigmenwechsel, weg
von Krieg und wirtschaftlichem Kollaps und hin zu einem Frieden durch
wirtschaftliche Entwicklung, ist Afrika, ebenso wie die übrige Welt, auf dem
Weg in eine Katastrophe - und zwar schon in allernächster Zukunft.