"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Den Krieg beenden durch den Aufbau des Wirtschaftsgürtels der Seidenstraße

- Teil 2 -

Von Dean Andromidas und Hussein Askary

Aktuelle Medienberichte aus Afrika beschäftigen sich vor allem mit dem Ausbruch der Ebola-Seuche in Westafrika und den schrecklichen Verbrechen der salafistischen Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria - beides wahre Tragödien und Resultate der kriminellen Politik, Afrika bewußt unterentwickelt zu halten. Aber gleichzeitig kommt aus Ostafrika ein Funken der Hoffnung, daß die verheerende Wirtschaftspolitik der letzten vier Jahrzehnte auf dem Kontinent rückgängig gemacht werden kann. Die kürzlich wieder angepackten ägyptischen Entwicklungsprogramme - wie der Neue Suezkanal, über den wir im ersten Teil dieser Serie berichteten (siehe Neue Solidarität 37/2014), und das im folgende beschriebene Toschka-Projekt - können in Verbindung mit dem Aufbau einer neuen Weltwirtschaftsordnung durch die Neue Entwicklungsbank der BRICS-Gruppe eine allgemeine Bewegung in ganz Afrika auslösen, entscheidende Infrastrukturprojekte zu beginnen oder wieder aufzugreifen und fertigzustellen

Dies betrifft zum Teil Projekte, die durch die anglo-amerikanischen geopolitischen Machenschaften direkt sabotiert wurden, wie der Jonglei-Kanal im Südsudan, andere, die durch die amerikanisch-europäische Finanzkriegführung verzögert wurden, wie die Staudammprojekte in Äthiopien, und solche, die nie begonnen wurden, wie das Transaqua-Projekt zur Wiederauffüllung des austrocknenden Tschadsees und der Bau des Grand Inga-Wasserkraftwerks am Kongo.

Die EU hat dafür gesorgt, daß kein Geld in das Transaqua-Projekt investiert wurde, und die britischen und amerikanischen Regierungen zogen den Tschad jahrelang in einen Stellvertreterkrieg gegen den Sudan in der Region Darfur hinein. Der Völkermord in Ruanda und Burundi, der auch den Kongo erfaßte, verhinderte die Entwicklung der Wasservorkommen in der Region der Großen Seen und des Kongobeckens. Hunderte ähnliche Wasser-, Elektrizitäts- und Verkehrsprojekte liegen seit den 1960er und 70er Jahren fertig geplant in der Schublade und müssen nur aufgegriffen und umgesetzt werden, damit Afrika seine langersehnte wirtschaftliche Wiedergeburt erleben kann.

Der richtige Moment, Afrika diese überfällige Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist jetzt offensichtlich gekommen.

Ägypten erobert seine Wüste

Nur wenige Wochen nach der Ankündigung des Suezkanal-Projekts durch den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi erklärte Premierminister Ibrahim Mahlab am 30. August, daß auch das Toschka-Projekt als nationales Entwicklungsprojekt wieder aufgenommen wird. 17 Jahre nach seinem Baubeginn unter dem damaligen Präsidenten Hosni Mubarak und mehrere Jahre nach der faktischen Baueinstellung durch andere Regierungen kann nun auch dieses Projekt zur Rückgewinnung der Wüste - das größte seiner Art weltweit - verwirklicht werden.

Das Projekt sieht vor, Wasser aus dem Nassersee (dem Stausee am Assuandamm) in die Westliche Wüste umleiten, um dort bis zu 1 Million Feddan, das sind 400.000 Hektar Land, zu bewässern und neue Städte und agroindustrielle Zentren zu bauen. Die Schlüsselkomponente des Projekts, nämlich die Hauptpumpstation - die größte der Welt - wurde schon 2005 installiert, und es wurde ein 50 km langer Kanal gebaut. Bis zur Einstellung des Projektes 2008 waren bereits 1 Mrd. $ in den Bau investiert worden.

Mahlab sagte bei einer Besichtigungsreise in der Toschka-Region, die Regierung werde eine gründliche Studie durchführen, um das Projekt, das auch den Bau eines großen Straßen- und Infrastrukturnetzes vorsieht, zu aktualisieren. Ein so großes Projekt dürfe man nicht vernachlässigen, sagte der Premierminister. Toschka könne sich damit in ein modernes städtisches Gebiet entwickeln und es könne dazu beitragen, die gesamte Region wiederzubeleben.

Karte: Dr. Farouk El-Baz

Abb. 1: Der von Dr. Farouk El-Baz vorgeschlagene Nord-Süd-Entwicklungskorridor


Karte: Wikimedia Commons

Abb. 2: Bevölkerungsdichte Ägyptens (Einwohner pro Quadratkilometer)


Bild: NASA/Landsat

Abb. 3: Diese Satellitenaufnahme der NASA zeigt den Nassersee (im unteren Teil des Bildes), den 50 km langen Sheikh-Zayed-Kanal und die bereits entstandenen Toschka-Seen. Die eigentlich geplante Erschließung und Urbarmachung großer Landflächen der Wüste für die landwirtschaftliche Nutzung blieb bisher jedoch aus.

Das Toschka-Projekt und das Neue Tal

Das Toschka-Projekt ist der Eckstein des Großprojekts Neues Tal, das den Ausbau und die Vernetzung einer Kette von Oasen über eine langgestreckte Region umfaßt: von der Oase Ost-Oweinat mitten in der südwestlichen Wüste, nahe der Grenze zum Sudan und Libyen, nach Nordosten bis Toschka und von dort weiter nach Norden über die Oasen Al-Dachla, Al-Charja und Farafra in der Provinz des Neuen Tals, sowie weiter nach Nordwesten über die Oase Bahriya bis zur Oase Siwa im Nordwesten des Landes. Diese Kette von Oasen zieht sich entlang des Projektes des „Nord-Süd-Entwicklungs-korridors“, den der ägyptisch-amerikanische Wissenschaftler und frühere NASA-Ingenieur Dr. Farouk El-Baz entworfen hat (Abbildung 1).1

Diese Oasen haben etwas wichtiges gemeinsam: Sie liegen allesamt über der größten Grundwasserschicht der Welt, dem Nubischen Grundwassersystem (auch Nubischer Sandstein-Aquifer genannt). Das gewaltige Vorkommen erstreckt sich unter dem Tschad, Libyen, Ägypten und dem Sudan und enthält enorme Wassermengen, die viele Jahrzehnte lang genutzt werden könnten. Nach Einschätzung einiger Wissenschaftler, wie El-Baz und Dr. Robert Bisson, der ein Modell zur Beurteilung von Grundwasser-vorkommen (das Megawassershed Model) entwickelt hat, handelt es sich dabei nicht um fossile Vorkommen, die per Definition begrenzt sind, sondern die Lager werden aus Niederschlägen über Gebirgszügen in der afrikanischen Wüste regelmäßig aufgefüllt.

Darüber hinaus ist die Region reich an Mineralien und Metallerzen wie z.B. Phosphat, Eisen und Kobalt, die zur Grundlage industrieller Aktivitäten zusätzlich zur Landwirtschaft werden könnten.

Der von El-Baz vorgeschlagene Entwicklungskorridor umfaßt

    1. eine Autobahn nach höchstem internationalen Standard von 1200 km Länge, vom Westen Alexandrias bis zur Südgrenze Ägyptens;

    2. zwölf Ost-West-Abzweigungen mit einer Gesamtlänge von etwa 800 km, die diese Autobahn mit den Bevölkerungszentren entlang der Strecke verbinden;

    3. eine Eisenbahn parallel zu der Autobahn für schnellen Transport;

    4. eine Wasserpipeline vom Toschka-Kanal zur Versorgung mit Trinkwasser;

    5. eine Leitung für die Stromversorgung schon in den ersten Entwicklungsphasen.

Das Toschka-Projekt würde in Kombination mit den anderen vorgeschlagenen Projekten blühende neue Siedlungsgebiete für 16-20 Millionen Menschen erschließen und Millionen Arbeitsplätze für das große Heer heute arbeitsloser junger Ägypter schaffen. Ägypten wäre befreit von der Beschränkung auf das Tal und Delta des Nils, wo 87 Millionen Menschen auf nur 5,3% der Landfläche Ägyptens leben, während riesige Gebiete unbewohnt sind (Abbildung 2). Dies machte Ägypten seit Ende der 1970er Jahre zunehmend anfällig für die bevölkerungsfeindliche malthusianische Politik der Amerikaner und Europäer.2

Toschka

Präsident Al-Sisis Entschlossenheit, Ägypten wissenschaftlich und wirtschaftlich zu entwickeln, kommt auch darin zum Ausdruck, daß er am 7. August durch ein Dekret einen speziellen Beirat von Wissenschaftlern und Fachleuten für große Entwicklungsprojekte einrichtete. Wie sein Sprecher Ihab Badawy in einer Presseerklärung mitteilte, ist der Beirat dem Präsidenten persönlich unterstellt. Zu seinen Mitgliedern gehören der Chemie-Nobelpreisträger Ahmed Zewail, der frühere NASA-Wissenschaftler und Leiter des Zentrums für Fernerkundung der Universität Boston Farouk El-Baz und eine Reihe weiterer prominenter und international gefeierter ägyptischer Wissenschaftler. Während eines Treffens mit den Wissenschaftlern im Ithadeya-Palast am 6. September sagte Al-Sisi, der Beirat werde die Qualität des Bildungswesens verbessern und es an den Bedarf des Arbeitsmarktes anpassen und außerdem Fragen der Geistlichkeit und der Medien beantworten.

Ein großer Teil des 1997 begonnenen Toschka-Projektes wurde im ersten Jahrzehnt fertiggestellt, darunter die Pumpstation und der erste Abschnitt des Sheikh-Zayed-Kanals , von dem bisher 50 km fertiggestellt sind (Abbildung 3). Der Kanal ist nach Scheich Zayed von den Vereinigten Arabischen Emiraten benannt, der 60 Mio.$ für das Projekt spendete. Der Hauptkanal hat den doppelten Querschnitt des Main-Donau-Kanals, er ist vollkommen mit Spezialzement ausgekleidet und abgedichtet, und er dient dazu, Wasser von der Pumpstation am Nassersee zu den vier Zweigkanälen zu bringen, um das neuerschlossene Land zu bewässern. Vier Zweigkanäle wurden bisher noch nicht gebaut, davon werden zwei vom Nassersee 120 km bzw. 100 km nach Westen und Südwesten führen, die beiden anderen jeweils 120 km nach Norden und Nordosten. Beiderseits dieser Kanäle sollte neues Land erschlossen und für die landwirtschaftliche Nutzung vorbereitet werden. Dazu wurde ein umfangreiches Straßennetz geschaffen, um Maschinen, Baumaterial und Menschen in die Region zu transportieren.

Was falsch lief

Der Rest des Projektes wurde bis jetzt aufgehalten, weil Präsident Mubarak sich der Vorgabe von Weltwährungsfonds und Weltbank unterwarf, Ägyptens Landwirtschaft auf Nahrungsmittelexporte umzustellen, damit das Land seine Schulden zahlen konnte. Dazu überließ er den Großteil der nutzbaren Landfläche arabischen Fürsten und Unternehmern, die aber seit Jahren kaum etwas mit diesem Land angefangen haben.

Der neue Kurs von Präsident Al-Sisi bedeutet einen dramatischen Bruch mit dieser Politik Mubaraks, der die Aufbaupolitik aus der Ära von Präsident Gamal Abdel Nasser (1956-1970) rückgängig gemacht hatte. So wurde beispielsweise Nassers Landreform, die den Bauern eigenes Land gab, unter Mubarak aufgehoben. In anderen Teilen Ägyptens schufen korrupte Politiker und Unternehmer große Landgüter für exportierbare Nahrungsmittel. Von 1996 bis 2011 schossen die Exporte von 350 Mio.$ auf 4 Mrd.$ in die Höhe. Die Folge war, daß Ägypten bei weitem nicht genug für den Eigenbedarf erzeugte und deshalb der größte Nahrungsmittelimporteur der Welt wurde. So wuchsen die Importe im selben Zeitraum von 3 Mrd.$ auf 12 Mrd.$. Ein großer Teil des staatlichen Haushaltsdefizits beruht darauf, daß die eingeführten Nahrungsmittel subventioniert werden müssen, um sie für die armen Bevölkerungsschichten erschwinglich zu machen.

Der Löwenanteil des Toschka-Landes ging an Saudis und reiche arabische Scheichs. Die Firma KADCO des saudischen Unternehmers El-Waleed bin Talal bin Abdul-Aziz, Mitglied des Königshauses und Leiter der riesigen Kingdom Holding Company, ist einer von drei Konzernen, die jeweils 100.000 Feddan (40.000 ha) Land zugewiesen bekamen, um es zu erschließen. Im April 2011 entzogen die ägyptischen Behörden KADCO 75.000 Feddan wieder, weil der Konzern nur 17.000 Feddan erschlossen und ganze 3000 Feddan tatsächlich bepflanzt hatte.

Die Regierung Al-Sisi will nun den Investoren eine Frist von drei Jahren setzen, um die ihnen zugewiesenen Landflächen in Toschka der landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen, und sie verpflichten, konkrete Zeitpläne für die Erschließung und Bepflanzung vorzulegen. Kabinettssprecher Hossam Al-Kawish erklärte im August vor Journalisten, die Regierung werde dazu einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen. „Der Premierminister hat den Landwirtschaftsminister beauftragt, ein Dokument zu erstellen, das die Entwicklungsgesellschaften verpflichtet, die erforderlichen Arbeiten innerhalb von drei Jahren abzuschließen. Wenn nicht, wird ihnen das Land entzogen und es werden dann Gespräche mit den Landbesitzern in Toschka geführt.“

Das Landwirtschaftsministerium hat nun einen Plan, 50% des Landes an junge Hochschulabsolventen zu verteilen, die jeweils fünf Feddan Land erhalten sollen. Die Stiftung „Lang lebe Ägypten“, die im Juli von Präsident Al-Sisi gegründet wurde, soll diese Landzuteilung an die Jugend finanzieren. Das Projekt zielt nach der gegenwärtigen Planung darauf ab, in einer ersten Phase 108.000 Feddan (43.000 ha) zu erschließen. Das soll letztendlich bis auf 1 Mio. Feddan (400.000 ha) ausgeweitet werden, um die Selbstversorgung des Landes mit Nahrungsmitteln zu erreichen. Bis 2014 wurden nur 55.000 Feddan (22.000 ha) kultiviert. Die erste Phase soll innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein.

Bewässerungsminister Hossam Moghazy sagte: „Bei diesem Projekt geht es nicht um Bewässerung und Landwirtschaft, sondern es ist ein Entwicklungsprojekt, um aus dem engen Tal in die weite Wüste hinauszukommen, die etwa 60% Ägyptens bedeckt.“ Der frühere Minister für Bewässerung und Wasservorkommen Mahmoud Abu Zeid, der das Projekt 1997 mit initiiert hatte, nannte die Fortsetzung des Toschka-Projekts „einen großen Schritt, denn wir haben schon sehr viel Geld für die landwirtschaftliche Infrastruktur ausgegeben. Die Ausweitung der Landwirtschaft ist der wichtigste Teil des Projekts, und sie wird seit einiger Zeit aufgehalten, obwohl die Infrastruktur dafür wie der Sheikh-Zayed-Kanal bereits vorbereitet ist.“

Der Experte Abbas Sharaky, Professor für Geologie und Wasservorkommen an der Kairoer Universität, erklärte im Fernsehsender Al-Nahar, für die Ausweitung der Landwirtschaft in Toschka brauche man anstelle der traditionellen Bewässerungsmethode des Überflutens, die große Wassermengen verbraucht, moderne Methoden wie Drehsprinkleranlagen und Tröpfchenbewässerung.

Der Wirtschafts- und Landwirtschaftsexperte Sherif Fayad sagte, in der Vergangenheit habe man sich nicht bemüht, Unterstützung in der Bevölkerung für das Projekt zu gewinnen, und deshalb habe es auch keine „gesellschaftliche Akzeptanz“ dafür gegeben. Die politischen Parteien und die bürgerliche Gesellschaft hätten das Toschka-Projekt nicht unterstützt und gefördert, was dazu beigetragen habe, daß das Interesse der Allgemeinheit wieder eingeschlafen sei. „Das Land wurde unter Großinvestoren aufgeteilt, die es mit der Ausweitung der Urbarmachung nicht ernst meinten. Außerdem bauten sie Feldfrüchte mit geringen Erträgen an, die zuviel Wasser benötigten.“

Aber nun gibt es sichtliche Bemühungen, Unterstützung für das Projekt zu gewinnen. Wie die ägyptische Zeitung Youm 7 berichtete, produzierte der beliebte Fernsehmoderator Moataz Abdel Fattah eine Sendung über das Projekt, als er im August Toschka besuchte. In der Sendung wurden Menschen vor Ort interviewt, die daran erinnerten, daß tatsächlich lebensfähige Ortschaften mit den entsprechenden Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäusern aufgebaut werden müssen.

„Wenn man eine Wohnsiedlung baut, wird es Siedler, die Arbeit suchen, dazu anregen, hierher zu kommen, wenn sie alle Dienstleistungen finden, die sie brauchen, wie Schulen, Häuser, Krankenhäuser und anderes“, erklärte einer der Ansässigen, ein Herr Fayed. Um in Toschka wirkliche Gemeinden aufzubauen und Siedler zu gewinnen, sollte der Staat Infrastruktur bereitstellen wie „Wasser, Stromversorgung, Straßen, Flughäfen und Kanalisation“, sagte Fayed. „Der Staat sollte an das wiederbelebte Projekt mit einer neuen wirtschaftlichen Einstellung und Vision herangehen, um die hier in Toschka vorhandenen Ressourcen am besten zu nutzen.“ Fayed fuhr fort: „Beim landwirtschaftlichen Aspekt des Projektes sollte man auf den Anbau ertragreicher Feldfrüchte setzen, die nicht viel Wasser verbrauchen“, etwa Palmen, Datteln und Trauben. Der Staat müsse dazu entsprechende Gesetze einführen und Banken und Kreditgenossenschaften bilden, die den jungen Leuten bei der Anschaffung von Geräten, Düngemitteln und Schädlingsbekämpfungsmitteln helfen.

Landwirtschaftsminister Adel Al-Beltagy kündigte am 24. August an, die Regierung strebe bis Ende 2017 bei Weizen einen Selbstversorgungsgrad von 75% an. Dazu setze man auf verschiedene erprobte Methoden zur Steigerung der Produktion und zur Reduzierung der Verluste.

Der Plan seines Ministeriums sei es, hochwertige Kleesorten (ein wichtiges Viehfutter) zu erzeugen, um die Produktion insgesamt zu erhöhen und die für den Klee notwendige Fläche zu reduzieren, damit mehr Fläche für Weizenanbau frei wird.

Versorgungsminister Chalid Hanafy reiste im August in die USA, um Verträge über drei Projekte für eine Verbesserung der Getreidelagerung und -verteilung abzuschließen, wie die Zeitung Al-Ahram berichtete. Eines davon ist ein 182-Mio.$-Auftrag zur Modernisierung der 164 ägyptischen Getreidesilos durch die Einführung moderner Lagertechniken, die Verluste verringern. Das zweite ist ein Auftrag im Wert von 1,1 Mrd. Ägyptischen Pfund (LE, 154 Mio. $) zum Bau von zehn Fabriken für Obst- und Gemüsekonserven. Hanafy sagte, das Projekt werde die Kosten für die Konserven um 40% senken und die Versorgung der Bevölkerung mit Obst und Gemüse verbessern.

Das dritte Vorhaben mit einem Umfang von rund 700 Mio. LE (100 Mio. $) ist eine Spezialfabrik, die Lagertechnik und moderne Logistikanlagen für den lokalen Markt und für den Export in afrikanische und arabische Länder produzieren soll. Arabische Unternehmen werden in den kommenden 18 Monaten 15 Getreidesilos in elf Provinzen mit einem Gesamtwert von 300 Mio. $ errichten, finanziert aus einem Zuschuß der Vereinigten Arabischen Emirate für den Bau von insgesamt 25 Getreidesilos mit einer Gesamtkapazität von 1,5 Mio. t.

Weizen und andere Grundnahrungsmittel sind eine Frage des unmittelbaren Sicherheitsinteresses der Nation, aber auf Dauer sollte Ägypten es vermeiden, sich von Monokulturen abhängig zu machen. Wenn man in den neuerschlossenen Gebieten verschiedene Arten von Bäumen, Feldfrüchten und anderen Pflanzen anbaut, trägt das dazu bei, die Böden zu stabilisieren und zu verbessern, das örtliche Klima wird milder und der Wasserverbrauch sinkt. Ägypten sollte nicht denselben Fehler machen wie Saudi-Arabien in den 80er Jahren, als das Königreich versuchte, Selbstversorgung bei Weizen und anderen Getreidearten zu erreichen, indem es auf Monokulturen in großen Gebieten der Arabischen Wüste setzte. Die Böden wurden mit der Zeit ausgelaugt und ihr Salzgehalt stieg an, und nachdem man 300 Mrd. Kubikmeter Grundwasser verbraucht hatte (das entspricht dem Sechsfachen der jährlichen Wasserführung des Nils), mußte das Projekt aufgegeben werden, so daß nun wieder Wüste ist, wo zuvor Weizen wuchs.

Herausforderungen und Chancen

Hier noch eine Zusammenfassung wichtiger Herausforderungen Ägyptens für die nächsten Jahre:

Finanzierung: Eine große Frage ist, wie Ägypten die großen nationalen Entwicklungsprogramme finanzieren wird, denn die westlichen Finanzinstitute und Regierungen sind bei der Kreditvergabe mit dem Land schon immer grausam umgesprungen. Für den Bau des Neuen Suezkanals ruft die Regierung die Bevölkerung auf, das Projekt aus eigenen Mitteln durch den Kauf von Schuldscheinen zu finanzieren, die nur Ägypter erwerben dürfen. Das ist ein recht vernünftiger Ansatz. Aber bei der Finanzierung weiterer Entwicklungsprojekte würde diese Methode schon bald an ihre Grenzen stoßen, wenn jedes dieser Projekte als eigene Unternehmung behandelt würde. Deshalb braucht Ägypten eine Hamiltonische Kreditschöpfung zur Schöpfung nationalen Kredits.3 Die Neue Entwicklungsbank der BRICS-Nationen kann diesen Kreditmechanismus unterstützen.

Elektrizität: Ein so umfangreiches Programm zur agroindustriellen Entwicklung erfordert enorme Mengen an Strom und Wasser. Was die Stromerzeugung angeht, verfügt Ägypten über begrenzte Öl- und Gasvorkommen, die es noch erschließen und nutzen kann, aber das reicht bei weitem nicht. Ohne eine Erneuerung des Kernkraftprogramms, das auf dem Papier schon seit den 1960er Jahren besteht, aber niemals realisiert wurde, hat Ägypten keine Chance auf eine wirkliche Entwicklung, ganz zu schweigen von einem so massiven Aufbauprogramm, wie es hier beschrieben wurde.

Präsident Al-Sisis Regierung hat bereits erklärt, daß sie das erste Kernkraftwerk des Landes in Al-Dabaa an der Mittelmeerküste bauen will. Angesichts der allgemein negativen Haltung der USA und Westeuropas zu Kernenergie und Technologie überhaupt sind die wahrscheinlichsten Kandidaten für die Zusammenarbeit mit Ägypten hierbei Rußland, China und Südkorea. Ägypten braucht Kernkraftwerke an den Küsten des Mittelmeers und des Roten Meers, um Strom für die geplanten Industrien und Städte zu erzeugen. Zusätzlich können die Küstengebiete sich selbst mit Trinkwasser versorgen, indem sie die Prozeßwärme der Kernreaktoren für die Meerwasserentsalzung nutzen.

Eine weitere, kurzfristiger verfügbare Energiequelle besteht durch das Angebot Äthiopiens an Ägypten, Strom aus dem im Bau befindlichen Grand-Renaissance-Stauwerk am Blauen Nil zu kaufen oder sich sogar an dem Projekt zu beteiligen. Die letzten ägyptischen Regierungen hatten sich immer geweigert, mit Äthiopien zusammenzuarbeiten, weil sie in dem Dammprojekt eine Gefährdung der Wasserversorgung Ägyptens sahen.

Wasser: Ägypten ist in Bezug auf seine Wasserversorgung fast vollkommen abhängig vom Nil, der sieben afrikanische Länder durchfließt, von denen jedes eigene Bedürfnisse und Wünsche für die Entwicklung hat. Nach dem Abkommen über die Nutzung des Nilwassers von 1959 zwischen Ägypten und dem Sudan teilten beide Länder sich das Recht, das Wasser des Nils zu nutzen - der Sudan 18,5 Mrd. m3, Ägypten 55,5 Mrd. m3. Das ist nun zu einem Streitpunkt geworden, weil die anderen, südlich stromaufwärts gelegenen Anliegerstaaten ein neues Abkommen schließen wollen, das ihnen mehr Rechte am Nilwasser zubilligt.

1999 gründeten alle Anrainerstaaten gemeinsam die Nilbeckeninitiative (NBI), die einen partnerschaftlichen Mechanismus schaffen soll, um den Fluß gemeinsam zu bewirtschaften, den sozialen und wirtschaftlichen Nutzen zu teilen und Frieden und Sicherheit in der Region zu fördern. Aber weil eine gemeinsame Entwicklungsvision fehlte und weil anhand der unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Länder Konflikte künstlich geschürt oder sogar durch geopolitische und finanzielle Kriegführung von außen aufgeheizt wurden, kam es zu keiner Einigung. So schlossen die stromaufwärts gelegenen Staaten 2010 ein eigenes Abkommen, weshalb Ägypten und der Sudan nun um weniger Nilwasser konkurrieren müssen.

Aber die Erneuerung der Entwicklungsprogramme in Ägypten kann zum Modell für die übrigen Staaten des Nilbeckens und Ostafrikas werden, wovon auch Ägypten wiederum in Bezug auf Wasserversorgung, Stromversorgung und Handel profitieren würde. Dies wird das Thema des nächsten Teils dieser Serie sein.


Anmerkungen

1. Eine Darstellung des von Dr. Farouk El-Baz vorgeschlagenen Entwicklungskorridors finden Sie in dem Video „Unsere Hoffnung für Nordafrika: Die blaue Revolution“, http://www.bueso.de/node/9711. Der Text dieses Videos wurde in Neue Solidarität 13/2011 veröffentlicht (http://www.solidaritaet.com/neuesol/2011abo/13/nordafrika.htm)

2. Siehe Hussein Askary, „Ägypten: Die Lüge von der ,Überbevölkerung’“, Neue Solidarität 8/2011.

3. Eine Sammlung einschlägiger Aufsätze zu diesem Thema finden Sie im Internetangebot der Neuen Solidarität unter der Rubrik „Kernthema: produktive Kreditschöpfung“ (http://www.solidaritaet.com/neuesol/kredit.htm).