Beginnt im Südsudan der nächste Völkermord in Afrika?
Von Lawrence K. Freeman
Der erneute Konflikt im Südsudan ist Folge einer Politik, die
anstelle der Entwicklung der physischen Wirtschaft zum Wohl der Bevölkerung
bloß auf die Vermarktung der Ressourcen des Landes an ausländische Investoren
abzielte.
Während sich US-Präsident Barack Obama wochenlang in der Sonne, in den
Wellen und auf dem Sand von Hawaii vergnügt, zerbricht der Südsudan, eine
Nation, die er und sein Vorgänger George W. Bush gerade erst geschaffen haben.
Berichten zufolge sind 120.000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht,
und mehr als 1000 Menschen kamen ums Leben, seit am 15. Dezember die Kämpfe
zwischen dem Rebellenbündnis um den früheren Vizepräsidenten Riek Machar und
der Armee unter Präsident Salva Kiir ausbrachen.
Aber noch schlimmer als der Tod und die Zerstörung in dieser schwachen,
erst zweieinhalb Jahre alten Nation ist die Gefahr, daß sich ein Bürgerkrieg
in dem Land auch über die Grenzen des Südsudan hinaus verheerend auswirken
könnte. Der Südsudan grenzt an die Republik Kongo, die Zentralafrikanische
Republik, Uganda, Äthiopien und Kenia, und natürlich auch an seinen nördlichen
Nachbarn Sudan. Angesichts der schrecklichen Bedingungen, unter denen die
Menschen in vielen dieser Länder leben müssen, und der Unsicherheit der
Nahrungsmittelversorgung, die das Leben von mehr als 10 Millionen Menschen in
der Sahelzone bedroht, könnte diese jüngste, absehbare und geradezu
„vorprogrammierte“ Eruption im Südsudan einen neuen Völkermord in einem bisher
nicht gekannten Ausmaß auslösen.
Es ist das erklärte Ziel des britischen Königshauses und die Absicht des
oligarchischen, globalisierten Finanzsystems, die Weltbevölkerung um mehrere
Milliarden Menschen zu reduzieren, mit mörderischen Bedingungen, wie sie der
europäischen Bevölkerung unter dem Diktat der „EU-Troika“ (EU-Kommission,
Weltwährungsfonds und Europäische Zentralbank) aufgezwungen wurden. Die
„schwarze“ Bevölkerung Afrikas ist schon seit langem - seit dem 19.
Jahrhundert - eines der größten Opfer dieser Entvölkerungspolitik.
Afrikanische Staatsführer kämpfen gegen die Gewalt
Weil ihnen klar ist, wie dringend man verhindern muß, daß die Lage im
Südsudan noch weiter außer Kontrolle gerät, weil dies weitere Explosionen in
der Region nach sich ziehen könnte, trafen Äthiopiens Premierminister
Hailemariam Desalegn und Kenias Präsident Uhuru Kenyatta am 26. Dezember mit
Präsident Kiir zusammen, um über eine Einstellung der Kämpfe zwischen den
streitenden militärischen Kräften zu sprechen. Unmittelbar nach ihrem Besuch
fand in Nairobi/Kenia eine Notkonferenz der acht in der „Intergovernmental
Authority on Development“ (IGAD) zusammengeschlossenen ostafrikanischen
Staaten statt, um den Druck auf die Konfliktparteien, die Kämpfe einzustellen,
zu verstärken.
Weder Präsident Kiir noch Riek Machar nahmen persönlich an dem Treffen
teil, Präsident Kiir schickte jedoch einen Vertreter. Präsident Kenyatta
erklärte bei diesem Treffen, es gebe „nur eine kleines Zeitfenster, den
Frieden zu sichern“.
Presseberichten zufolge hat sich die Regierung des Südsudan bei dem Treffen
bereit erklärt, die Kämpfe einzustellen. Riek Machar weigert sich bisher, dies
zu tun, und sagte gegenüber BBC News, er warte darauf, „daß die
Kontrollmechanismen eingerichtet sind“. Er verlangt die Freilassung von elf
früheren Regierungsbeamten, die derzeit inhaftiert sind, weil sie einen
Staatsstreich vorbereitet haben sollen. Die Regierung ließ daraufhin zwei der
elf Verhafteten frei.
Die Vereinten Nationen haben eine Verdoppelung der im Südsudan eingesetzten
UN-Friedenstruppe auf 12.500 Mann sowie ein zusätzliches Kontingent
internationaler Polizeikräfte bewilligt und die USA halten 150
Marineinfanteristen in Bereitschaft, die im Land eingesetzt werden sollen,
falls dies notwendig ist, um amerikanische Bürger zu evakuieren und die
US-Botschaft zu schützen.
Wer ist verantwortlich?
Es ist unklar, welche Vorgänge beim Tiger-Batallion - der Republikanischen
Garde Präsident Salva Kiirs - die Kämpfe ausgelöst haben, aber innerhalb
weniger Stunden hatten sich die Kämpfe auf die Hälfte der zehn Bundesstaaten
des Landes ausgebreitet. Es gibt widersprüchliche Berichte darüber, was
eigentlich geschehen ist - ob es ein Putschversuch war, eine Meuterei oder
eine Säuberung. In jedem Falle ist hervorzuheben, daß diese Kämpfe nicht durch
ethnische Konflikte ausgelöst wurden; vielmehr sind die Lebensbedingungen der
Menschen so verzweifelt, daß die bereit sind, ihre Mitbürger anzugreifen und
umzubringen, um sich Wasser, Nahrungsmittel und Land zu verschaffen, und diese
Gewalt entlädt sich dann entlang der ethnischen Grenzen.
Regierungen wie die des Südsudan werden oft aus Koalitionen rivalisierender
Gruppen gebildet, die sich alle wenigstens ein „Stück vom Kuchen“ der Macht
und der wirtschaftlichen Güter sichern wollen. Die eigentliche Ursache für den
Ausbruch der schrecklichen interethnischen Gewalt zwischen den Stämmen der
Dinka und der Nuer ist, daß der Südsudan zuwenig Fortschritte auf dem Weg zu
einer geeinten souveränen Nation macht, um die Ernährung und Versorgung seiner
Bürger sicherstellen zu können. Dies ist das Resultat der hinterhältigen
Motive des Westens bei der Schaffung des Südsudan sowie der fehlenden
nationalen Identität nach der jahrzehntelangen Kolonialherrschaft der Briten,
die den Südsudan politisch, kulturell und wirtschaftlich rückständig
hielt.
In dem Versuch, die Regierung des sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir
in Khartum zu stürzen, betrieben die Regimewechsel-Fanatiker des Westens
(unter denen sich die USA stärker hervortaten als die schlaueren Briten) seit
den achtziger Jahren die Zerschlagung des Sudan, in der Absicht, den Südsudan
als Werkzeug für ihre Kampagne gegen den Sudan zu nutzen. Diese Kabale gegen
Khartum, zu der auch die derzeitige Nationale Sicherheitsberaterin des
US-Präsidenten Susan Rice gehört, hoffte, daß der Verlust des großen südlichen
Teils des Sudan, wo große Ölvorkommen liegen, dazu beitragen würde, eine
Revolte in Khartum in Gang zu bringen - ohne irgendwelche Rücksicht auf die
Zukunft der Menschen im Südsudan. Ich habe in Kommentaren und Reden wiederholt
darauf hingewiesen, daß gar keine ehrliche Absicht besteht, die
Lebensbedingungen im „rückständigen“ Süden wirklich zu verbessern, und
gewarnt, daß es ohne eine wirkliche Entwicklungspolitik für diese neue Nation
zu Aufständen gegen die Regierung in Juba kommen könnte, mit all den
Konsequenzen, die wir heute sehen können.1
Nachdem der Südsudan unabhängig geworden war, wäre es die Hauptaufgabe der
Regierung und ihrer Verbündeten gewesen, den Aufbau der so schmerzlich
vermißten Infrastruktur mit aller Kraft voranzutreiben. Das hätte den Südsudan
auf einen Weg gebracht, seine 23 Mio. Hektar erstklassigen Ackerlandes zu
erschließen, um seine Bevölkerung ernähren zu können und der Brotkorb Afrikas
zu werden. Stattdessen ließ die Regierung zu, daß Horden von
Finanzheuschrecken das wertvolle Land und die Ressourcen des Landes an sich
rissen, deren Hauptinteresse ihr „Geld“ war, und nicht die Entwicklung der
physischen Wirtschaft zum Wohl der Menschen.
Von außen manipuliert durch falsche Freunde wie Ted Dagne, Roger Winter,
John Prendergast und andere, traf Juba Entscheidungen, die sich für das Land
katastrophal auswirkten - wie beispielsweise die zeitweilige Stillegung der
Ölproduktion 2012-13, wodurch das Land gezwungen war, Milliardenschulden
aufzunehmen, um die verlorenen Einnahmen aus dem Öl auszugleichen, während sie
gleichzeitig den ohnehin armen Bürgern harte Sparmaßnahmen aufzwang.
Streit innerhalb der SPLM
Seit Frühjahr 2013 wurden die Vorwürfe von Korruption und Mißmanagement
innerhalb der regierenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) lauter,
und es kam zum Bruch zwischen ihrem Vorsitzenden Präsident Salva Kiir und
seinem Stellvertreter Riek Machar. Das führte dazu, daß Präsident Kiir Ende
Juli das gesamte Kabinett, darunter auch Vizepräsident Machar, entließ.
Gleichzeitig suspendierte Kiir auch den SPLM-Generalsekretär, Pagan Amum,
wegen des Vorwurfs der Unbotsamkeit. Amum, der als Chefunterhändler ein
führender Vertreter einer „harten Linie“ gegenüber dem Sudan gewesen war,
gehörte zu den prominenten SPLM-Mitgliedern, die 2012 die Stillegung der
Ölproduktion des Landes betrieben hatten, die das Land ruinierte. Viele der
von Präsident Kiir entlassenen Funktionäre waren seit Jahrzehnten am Kampf der
SPLM beteiligt gewesen.
Beim Treffen des nationalen Führungsrates der SPLM am 14.-15. Dezember
brach dann der Konflikt offen aus, als sich Riek Machars Delegation am zweiten
Tag weigerte, am Treffen weiter teilzunehmen, obwohl er immer noch der Erste
stellv. Vorsitzende der Partei war, und Amum aus der Partei ausgestoßen
wurde.
Nach Aussage gutinformierter Afrikaner, die mit der komplizierten
Krisenlage im Südsudan vertraut sind, wurde Präsident Kiir zwar geschwächt,
ist aber nach wie vor die einzige Führungspersönlichkeit, die das Land einen
könnte. Präsident Kiirs Arbeitsbeziehung zu Sudans Präsident Baschir ist
anerkanntermaßen wichtig - für beide Länder und für die gesamte Region. Wenn
man erreichen will, daß die beiden Staaten auf Dauer in Frieden leben können,
dann wird dies davon abhängen, daß der Dialog zwischen den beiden Präsidenten
fortgesetzt wird. Das verstehen alle wahren Freunde und Verbündeten der beiden
Länder. Eine weitere Schwächung oder gar Absetzung Präsident Kiirs würde die
Beziehungen zu Khartum schädigen und die Zukunft des Sudan und des Südsudan
gefährden.
Bild: NordNordWest/Wikipedia/cc-by-sa 3.0
Quelle:
commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_S%C3%BCdsudan_Bundesstaaten.png

Karte des Südsudan mit den Grenzen der Bundesstaaten
Auch der Sudan leidet unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und
ein Teil seines Staatshaushalts speist sich aus den Gebühren für die
Durchleitung des Öls aus dem landeingeschlossenen Südsudan zum Hafen Port
Sudan. Deshalb ist es für beide Staaten wesentlich, daß der Südsudan die
Kontrolle über die beiden wichtigsten ölproduzierenden Bundesstaaten Upper
Nile und Unity behält. Pressemeldungen Ende Dezember deuteten darauf hin, daß
die Regierung dabei ist, Machars Verbündeten die Kontrolle über die
Hauptstädte der Provinzen Upper Nile (Malakal) und Unity (Bentiu) abzunehmen,
nachdem sie zuvor bereits die Herrschaft über die Hauptstadt der Provinz
Jonglei (Bor) zurückgewonnen hatte. Aber die Lage ist unklar und in diesen
Städten wird weiter gekämpft.
Entwicklung ist der einzige Weg zum Frieden
Im Südsudan gibt es zahlreiche Milizen mit Tausenden entwurzelten und
nihilistischen jungen Menschen, die bereit sind, ihr Leben in Kämpfen aufs
Spiel zu setzen. Die unmittelbare Gefahr, daß die Gewalt weitergeht und sich
auf das Horn von Afrika und das übrige Afrika ausweitet, muß jeden
erschrecken, dem Afrika am Herzen liegt. Beim IGAD-Treffen erklärte Äthiopiens
Außenminister Tedros Adhanom: „Wenn die Feindseligkeiten nicht innerhalb von
vier Tagen nach diesem Kommuniqué aufhören, wird der Gipfel darüber beraten,
weitere Maßnahmen zu ergreifen.“
Wichtig ist auch, daß China, das viel Geld in die Ölförderung im Südsudan
investiert hat, aktiv „auf verschiedenen Wegen an Verhandlungen mit beiden
Parteien beteiligt ist“, wie Chinas Sondergesandter für afrikanische
Angelegenheiten, Zhong Jianhua, betonte.
Es besteht zwar Hoffnung, daß die Kämpfe eingestellt werden, aber es ist
keineswegs sicher, wann dies geschehen wird. Aber es reicht auch keineswegs
aus, bloß den Kämpfen ein Ende zu setzen. Es müssen jetzt intensive Gespräche
zwischen dem Südsudan und seinen Freunden und Partnern geführt werden, um eine
wirtschaftliche Entwicklungsstrategie auszuarbeiten, die der Gewalt den
Nährboden entzieht und die schrecklichen Lebensbedingungen der Menschen im
Südsudan verbessert. Diese Gespräche müssen über die bisherige Ausrichtung
hinausgehen, die bloß darauf zielte, wie man ausländische Investitionen ins
Land holen und das Öl des Landes am besten auf dem „freien Markt“ veräußern
kann. Man braucht ein neues Paradigma, wonach Staatskredit für den Bau von
Infrastruktur verwendet wird, und man sich darauf konzentriert, das enorme
Potentials des Landes zur Nahrungsmittelerzeugung zu
verwirklichen.2 Nach der Staatsgründung hätte von Anfang ein
schnelles Wachstum der Realwirtschaft, das die Lebensbedingungen der
Bevölkerung verbessert und sie aus ihrer bitteren Armut herausholt, im
Mittelpunkt der Regierungspolitik stehen müssen. Heute sehen wir die Folgen
des Versäumnisses. Sollen wir noch länger warten?
Anmerkungen
1. Lawrence K. Freeman, „Britisches Empire will Sudan in einen Bürgerkrieg
stürzen“, Neue Solidarität 39/2010.
2. Lawrence K. Freeman,, „Der Südsudan muß Nahrungsmittelexporteur werden“,
Neue Solidarität 2/2012.