"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Beginnt im Südsudan der nächste Völkermord in Afrika?

Von Lawrence K. Freeman

Der erneute Konflikt im Südsudan ist Folge einer Politik, die anstelle der Entwicklung der physischen Wirtschaft zum Wohl der Bevölkerung bloß auf die Vermarktung der Ressourcen des Landes an ausländische Investoren abzielte.

Während sich US-Präsident Barack Obama wochenlang in der Sonne, in den Wellen und auf dem Sand von Hawaii vergnügt, zerbricht der Südsudan, eine Nation, die er und sein Vorgänger George W. Bush gerade erst geschaffen haben. Berichten zufolge sind 120.000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht, und mehr als 1000 Menschen kamen ums Leben, seit am 15. Dezember die Kämpfe zwischen dem Rebellenbündnis um den früheren Vizepräsidenten Riek Machar und der Armee unter Präsident Salva Kiir ausbrachen.

Aber noch schlimmer als der Tod und die Zerstörung in dieser schwachen, erst zweieinhalb Jahre alten Nation ist die Gefahr, daß sich ein Bürgerkrieg in dem Land auch über die Grenzen des Südsudan hinaus verheerend auswirken könnte. Der Südsudan grenzt an die Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik, Uganda, Äthiopien und Kenia, und natürlich auch an seinen nördlichen Nachbarn Sudan. Angesichts der schrecklichen Bedingungen, unter denen die Menschen in vielen dieser Länder leben müssen, und der Unsicherheit der Nahrungsmittelversorgung, die das Leben von mehr als 10 Millionen Menschen in der Sahelzone bedroht, könnte diese jüngste, absehbare und geradezu „vorprogrammierte“ Eruption im Südsudan einen neuen Völkermord in einem bisher nicht gekannten Ausmaß auslösen.

Es ist das erklärte Ziel des britischen Königshauses und die Absicht des oligarchischen, globalisierten Finanzsystems, die Weltbevölkerung um mehrere Milliarden Menschen zu reduzieren, mit mörderischen Bedingungen, wie sie der europäischen Bevölkerung unter dem Diktat der „EU-Troika“ (EU-Kommission, Weltwährungsfonds und Europäische Zentralbank) aufgezwungen wurden. Die „schwarze“ Bevölkerung Afrikas ist schon seit langem - seit dem 19. Jahrhundert - eines der größten Opfer dieser Entvölkerungspolitik.

Afrikanische Staatsführer kämpfen gegen die Gewalt

Weil ihnen klar ist, wie dringend man verhindern muß, daß die Lage im Südsudan noch weiter außer Kontrolle gerät, weil dies weitere Explosionen in der Region nach sich ziehen könnte, trafen Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn und Kenias Präsident Uhuru Kenyatta am 26. Dezember mit Präsident Kiir zusammen, um über eine Einstellung der Kämpfe zwischen den streitenden militärischen Kräften zu sprechen. Unmittelbar nach ihrem Besuch fand in Nairobi/Kenia eine Notkonferenz der acht in der „Intergovernmental Authority on Development“ (IGAD) zusammengeschlossenen ostafrikanischen Staaten statt, um den Druck auf die Konfliktparteien, die Kämpfe einzustellen, zu verstärken.

Weder Präsident Kiir noch Riek Machar nahmen persönlich an dem Treffen teil, Präsident Kiir schickte jedoch einen Vertreter. Präsident Kenyatta erklärte bei diesem Treffen, es gebe „nur eine kleines Zeitfenster, den Frieden zu sichern“.

Presseberichten zufolge hat sich die Regierung des Südsudan bei dem Treffen bereit erklärt, die Kämpfe einzustellen. Riek Machar weigert sich bisher, dies zu tun, und sagte gegenüber BBC News, er warte darauf, „daß die Kontrollmechanismen eingerichtet sind“. Er verlangt die Freilassung von elf früheren Regierungsbeamten, die derzeit inhaftiert sind, weil sie einen Staatsstreich vorbereitet haben sollen. Die Regierung ließ daraufhin zwei der elf Verhafteten frei.

Die Vereinten Nationen haben eine Verdoppelung der im Südsudan eingesetzten UN-Friedenstruppe auf 12.500 Mann sowie ein zusätzliches Kontingent internationaler Polizeikräfte bewilligt und die USA halten 150 Marineinfanteristen in Bereitschaft, die im Land eingesetzt werden sollen, falls dies notwendig ist, um amerikanische Bürger zu evakuieren und die US-Botschaft zu schützen.

Wer ist verantwortlich?

Es ist unklar, welche Vorgänge beim Tiger-Batallion - der Republikanischen Garde Präsident Salva Kiirs - die Kämpfe ausgelöst haben, aber innerhalb weniger Stunden hatten sich die Kämpfe auf die Hälfte der zehn Bundesstaaten des Landes ausgebreitet. Es gibt widersprüchliche Berichte darüber, was eigentlich geschehen ist - ob es ein Putschversuch war, eine Meuterei oder eine Säuberung. In jedem Falle ist hervorzuheben, daß diese Kämpfe nicht durch ethnische Konflikte ausgelöst wurden; vielmehr sind die Lebensbedingungen der Menschen so verzweifelt, daß die bereit sind, ihre Mitbürger anzugreifen und umzubringen, um sich Wasser, Nahrungsmittel und Land zu verschaffen, und diese Gewalt entlädt sich dann entlang der ethnischen Grenzen.

Regierungen wie die des Südsudan werden oft aus Koalitionen rivalisierender Gruppen gebildet, die sich alle wenigstens ein „Stück vom Kuchen“ der Macht und der wirtschaftlichen Güter sichern wollen. Die eigentliche Ursache für den Ausbruch der schrecklichen interethnischen Gewalt zwischen den Stämmen der Dinka und der Nuer ist, daß der Südsudan zuwenig Fortschritte auf dem Weg zu einer geeinten souveränen Nation macht, um die Ernährung und Versorgung seiner Bürger sicherstellen zu können. Dies ist das Resultat der hinterhältigen Motive des Westens bei der Schaffung des Südsudan sowie der fehlenden nationalen Identität nach der jahrzehntelangen Kolonialherrschaft der Briten, die den Südsudan politisch, kulturell und wirtschaftlich rückständig hielt.

In dem Versuch, die Regierung des sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir in Khartum zu stürzen, betrieben die Regimewechsel-Fanatiker des Westens (unter denen sich die USA stärker hervortaten als die schlaueren Briten) seit den achtziger Jahren die Zerschlagung des Sudan, in der Absicht, den Südsudan als Werkzeug für ihre Kampagne gegen den Sudan zu nutzen. Diese Kabale gegen Khartum, zu der auch die derzeitige Nationale Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten Susan Rice gehört, hoffte, daß der Verlust des großen südlichen Teils des Sudan, wo große Ölvorkommen liegen, dazu beitragen würde, eine Revolte in Khartum in Gang zu bringen - ohne irgendwelche Rücksicht auf die Zukunft der Menschen im Südsudan. Ich habe in Kommentaren und Reden wiederholt darauf hingewiesen, daß gar keine ehrliche Absicht besteht, die Lebensbedingungen im „rückständigen“ Süden wirklich zu verbessern, und gewarnt, daß es ohne eine wirkliche Entwicklungspolitik für diese neue Nation zu Aufständen gegen die Regierung in Juba kommen könnte, mit all den Konsequenzen, die wir heute sehen können.1

Nachdem der Südsudan unabhängig geworden war, wäre es die Hauptaufgabe der Regierung und ihrer Verbündeten gewesen, den Aufbau der so schmerzlich vermißten Infrastruktur mit aller Kraft voranzutreiben. Das hätte den Südsudan auf einen Weg gebracht, seine 23 Mio. Hektar erstklassigen Ackerlandes zu erschließen, um seine Bevölkerung ernähren zu können und der Brotkorb Afrikas zu werden. Stattdessen ließ die Regierung zu, daß Horden von Finanzheuschrecken das wertvolle Land und die Ressourcen des Landes an sich rissen, deren Hauptinteresse ihr „Geld“ war, und nicht die Entwicklung der physischen Wirtschaft zum Wohl der Menschen.

Von außen manipuliert durch falsche Freunde wie Ted Dagne, Roger Winter, John Prendergast und andere, traf Juba Entscheidungen, die sich für das Land katastrophal auswirkten - wie beispielsweise die zeitweilige Stillegung der Ölproduktion 2012-13, wodurch das Land gezwungen war, Milliardenschulden aufzunehmen, um die verlorenen Einnahmen aus dem Öl auszugleichen, während sie gleichzeitig den ohnehin armen Bürgern harte Sparmaßnahmen aufzwang.

Streit innerhalb der SPLM

Seit Frühjahr 2013 wurden die Vorwürfe von Korruption und Mißmanagement innerhalb der regierenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) lauter, und es kam zum Bruch zwischen ihrem Vorsitzenden Präsident Salva Kiir und seinem Stellvertreter Riek Machar. Das führte dazu, daß Präsident Kiir Ende Juli das gesamte Kabinett, darunter auch Vizepräsident Machar, entließ. Gleichzeitig suspendierte Kiir auch den SPLM-Generalsekretär, Pagan Amum, wegen des Vorwurfs der Unbotsamkeit. Amum, der als Chefunterhändler ein führender Vertreter einer „harten Linie“ gegenüber dem Sudan gewesen war, gehörte zu den prominenten SPLM-Mitgliedern, die 2012 die Stillegung der Ölproduktion des Landes betrieben hatten, die das Land ruinierte. Viele der von Präsident Kiir entlassenen Funktionäre waren seit Jahrzehnten am Kampf der SPLM beteiligt gewesen.

Beim Treffen des nationalen Führungsrates der SPLM am 14.-15. Dezember brach dann der Konflikt offen aus, als sich Riek Machars Delegation am zweiten Tag weigerte, am Treffen weiter teilzunehmen, obwohl er immer noch der Erste stellv. Vorsitzende der Partei war, und Amum aus der Partei ausgestoßen wurde.

Nach Aussage gutinformierter Afrikaner, die mit der komplizierten Krisenlage im Südsudan vertraut sind, wurde Präsident Kiir zwar geschwächt, ist aber nach wie vor die einzige Führungspersönlichkeit, die das Land einen könnte. Präsident Kiirs Arbeitsbeziehung zu Sudans Präsident Baschir ist anerkanntermaßen wichtig - für beide Länder und für die gesamte Region. Wenn man erreichen will, daß die beiden Staaten auf Dauer in Frieden leben können, dann wird dies davon abhängen, daß der Dialog zwischen den beiden Präsidenten fortgesetzt wird. Das verstehen alle wahren Freunde und Verbündeten der beiden Länder. Eine weitere Schwächung oder gar Absetzung Präsident Kiirs würde die Beziehungen zu Khartum schädigen und die Zukunft des Sudan und des Südsudan gefährden.

Bild: NordNordWest/Wikipedia/cc-by-sa 3.0
Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_S%C3%BCdsudan_Bundesstaaten.png
Karte des Südsudan mit den Grenzen der Bundesstaaten

Auch der Sudan leidet unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und ein Teil seines Staatshaushalts speist sich aus den Gebühren für die Durchleitung des Öls aus dem landeingeschlossenen Südsudan zum Hafen Port Sudan. Deshalb ist es für beide Staaten wesentlich, daß der Südsudan die Kontrolle über die beiden wichtigsten ölproduzierenden Bundesstaaten Upper Nile und Unity behält. Pressemeldungen Ende Dezember deuteten darauf hin, daß die Regierung dabei ist, Machars Verbündeten die Kontrolle über die Hauptstädte der Provinzen Upper Nile (Malakal) und Unity (Bentiu) abzunehmen, nachdem sie zuvor bereits die Herrschaft über die Hauptstadt der Provinz Jonglei (Bor) zurückgewonnen hatte. Aber die Lage ist unklar und in diesen Städten wird weiter gekämpft.

Entwicklung ist der einzige Weg zum Frieden

Im Südsudan gibt es zahlreiche Milizen mit Tausenden entwurzelten und nihilistischen jungen Menschen, die bereit sind, ihr Leben in Kämpfen aufs Spiel zu setzen. Die unmittelbare Gefahr, daß die Gewalt weitergeht und sich auf das Horn von Afrika und das übrige Afrika ausweitet, muß jeden erschrecken, dem Afrika am Herzen liegt. Beim IGAD-Treffen erklärte Äthiopiens Außenminister Tedros Adhanom: „Wenn die Feindseligkeiten nicht innerhalb von vier Tagen nach diesem Kommuniqué aufhören, wird der Gipfel darüber beraten, weitere Maßnahmen zu ergreifen.“

Wichtig ist auch, daß China, das viel Geld in die Ölförderung im Südsudan investiert hat, aktiv „auf verschiedenen Wegen an Verhandlungen mit beiden Parteien beteiligt ist“, wie Chinas Sondergesandter für afrikanische Angelegenheiten, Zhong Jianhua, betonte.

Es besteht zwar Hoffnung, daß die Kämpfe eingestellt werden, aber es ist keineswegs sicher, wann dies geschehen wird. Aber es reicht auch keineswegs aus, bloß den Kämpfen ein Ende zu setzen. Es müssen jetzt intensive Gespräche zwischen dem Südsudan und seinen Freunden und Partnern geführt werden, um eine wirtschaftliche Entwicklungsstrategie auszuarbeiten, die der Gewalt den Nährboden entzieht und die schrecklichen Lebensbedingungen der Menschen im Südsudan verbessert. Diese Gespräche müssen über die bisherige Ausrichtung hinausgehen, die bloß darauf zielte, wie man ausländische Investitionen ins Land holen und das Öl des Landes am besten auf dem „freien Markt“ veräußern kann. Man braucht ein neues Paradigma, wonach Staatskredit für den Bau von Infrastruktur verwendet wird, und man sich darauf konzentriert, das enorme Potentials des Landes zur Nahrungsmittelerzeugung zu verwirklichen.2 Nach der Staatsgründung hätte von Anfang ein schnelles Wachstum der Realwirtschaft, das die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessert und sie aus ihrer bitteren Armut herausholt, im Mittelpunkt der Regierungspolitik stehen müssen. Heute sehen wir die Folgen des Versäumnisses. Sollen wir noch länger warten?


Anmerkungen

1. Lawrence K. Freeman, „Britisches Empire will Sudan in einen Bürgerkrieg stürzen“, Neue Solidarität 39/2010.

2. Lawrence K. Freeman,, „Der Südsudan muß Nahrungsmittelexporteur werden“, Neue Solidarität 2/2012.