"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

„Jahrhundertabkommen“ mit China ermöglicht Afrikas Einigung

Von Douglas DeGroot

Durch ein Abkommen mit der Afrikanischen Union unterstützt China den Ausbau der afrikanischen Infrastruktur nicht nur in einzelnen Ländern, sondern erstmals für den gesamten Kontinent.

Am 27. Januar unterzeichneten Vertreter Chinas und der Afrikanischen Union (AU) am Sitz der AU in Addis Abeba eine bahnbrechende Absichtserklärung: Sie planen ein ganz Afrika umfassendes Abkommen zur Modernisierung und massiven Ausweitung der Verkehrsverbindungen, u.a. moderne Eisenbahnen, Straßen und Flugverbindungen, sowie andere Infrastruktur, die für die Industrialisierung Afrikas notwendig ist. Diese Erklärung markiert eine wichtige und erfreuliche Wende in der chinesischen Politik gegenüber Afrika, die sich seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im März 2013 angebahnt hat.

China pflegt zwar schon eine ausgedehnte bilaterale Zusammenarbeit mit vielen afrikanischen Staaten, meist gegen Lieferung afrikanischer Rohstoffe, aber jetzt will es dabei helfen, systematisch den ganzen Kontinent wirtschaftlich zu entwickeln - auch Länder, die keine Rohstoffe haben, die China brauchen kann. Dabei ist es bedeutsam, daß die Vereinbarung mit der AU geschlossen wurde, der Nachfolgeorganisation der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), die am 25. Mai 1963 von Kwame Nkrumah gegründet wurde. China hat das neue AU-Gebäude in Äthiopien, das 2012 eröffnet wurde, als Geschenk an Afrika gebaut.

Die Absichtserklärung unterzeichneten die Vorsitzende der AU-Kommission, Nkosazana Dlamini-Zuma, und der chinesische Sondergesandte und Vizeaußenminister, Zhang Ming, unmittelbar vor dem 29. Treffen der ständigen Vertreter der AU-Mitgliedstaaten am 29. Januar.

Dlamini-Zuma sprach vom „umfassendsten Projekt, das die AU jemals mit einem Partner unterzeichnet hat“. China und Afrika seien durch eine lange historische und wachsende Beziehung miteinander verbunden. „Dies wird das erste kontinentale Projekt, das Afrika und China in allen diesen Bereichen unternehmen... Die Beziehung, insbesondere die Zusammenarbeit, erreicht eine neue Höhe, eine neue Ebene und eine neue Dimension.“

Zhang bekräftigte nach der feierlichen Unterzeichnung: „Dies ist ein großes und sehr ehrgeiziges Projekt, aber es ist auch ein machbares Projekt.“ Die Vereinbarung sei ein „Jahrhundertdokument“. Er fuhr fort: „Das Luftfahrt-Abkommen markiert einen neuen Bereich für die Zusammenarbeit zwischen der AU und China... Afrika ist ein riesiger Kontinent, wo es möglich sein muß, zu reisen, ohne in Paris oder London umzusteigen.“

Die abschließenden Verhandlungen über die Absichtserklärung fielen schon in die neue Ära des weltweiten Entwicklungsparadigmas, die die BRICS-Staaten Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika im vergangen Jahr eingeläutet haben. China ist die mächtigste Kraft für Entwicklung innerhalb der BRICS-Gruppe, und mit der Gründung der Neuen Entwicklungsbank beim BRICS-Gipfeltreffen in Brasilien im vergangenen Sommer ist China, das beim Aufbau der Infrastruktur in bilateraler Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern schon sehr viel geleistet hat, nunmehr in einer idealen Position für den großen Sprung zur Entwicklung im kontinentalen Maßstab. Somit bedeutet die neue Vereinbarung, daß Afrika sich nicht allein auf China, sondern allgemein auf die Alternativen im neuen Paradigma des BRICS-Systems stützt.

Ironischerweise hielt sich an dem Tag, als das Abkommen unterzeichnet wurde, auch die IWF-Direktorin Christine Lagarde in Afrika auf. Sie versuchte in der ruandischen Hauptstadt Kigali Angst zu schüren, daß die afrikanischen Länder unter der „wirtschaftlichen Abschwächung“ in China und einer bevorstehenden Zinsanhebung in den Vereinigten Staaten leiden müßten. Aber weil nach dem Absturz des transatlantischen Finanzsystems 2007-08 der Bankrott des IWF offensichtlich geworden ist, hat die alte Ordnung, die der IWF vertritt, keine Druckmittel mehr gegenüber dem neuen Paradigma der BRICS.

Kontinentale Entwicklung

Das Abkommen ergänze die „Agenda 2063“ der AU für die kontinentale Integration Afrikas, berichtete Xinhuanet. Die Vereinbarung bedeutet, daß die AU und China Projekte auf dem ganzen Kontinent koordinieren werden, an denen sich verschiedene afrikanische und asiatische Partner beteiligen können.

Mit dem Plan der AU und Chinas, moderne Verkehrsverbindungen über den ganzen Kontinent zu schaffen, wird Nkrumahs großes Ziel, ein geeintes Afrika zu schaffen, endlich wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Afrikaner sagen zu dem Mangel an Entwicklung seit der Unabhängigkeit, die für die meisten afrikanischen Staaten bis Anfang der 1960er Jahre zurückreicht, ohne die Hindernisse, die Afrika bei der Entwicklung in den Weg gelegt wurden, hätte es heute mindestens ein vergleichbares Entwicklungsniveau erreicht wie Malaysia.

Die Aufgabe ist gewaltig, wenn man die Größe des Kontinents bedenkt. Der Kontinent ist größer als die USA, China, Indien, Japan und Europa zusammen. Die Schaffung von Infrastrukturverbindungen zwischen den Nationen des Kontinents ist eine wesentliche Voraussetzung für seine Entwicklung.

Angesichts dieser enormen Herausforderung muß die Finanzierung auf eine breitere Basis gestellt werden. Chinas Premier Li Keqiang hat im vergangenen Jahr die Schaffung eines multilateralen „Fonds Afrika wächst zusammen“ (Africa Growing Together Fund, AGTF) im Umfang von 2 Mrd.$ angekündigt, der Projekte nichtchinesischer Unternehmen finanzieren soll.

Für die Beteiligung Dlamini-Zumas beim Zustandekommen der Vereinbarung ist zusätzlich von Bedeutung, daß sie aus dem BRICS-Land Südafrika kommt, wo sie früher Außenministerin war. Das Abkommen beruht auf ihren Gesprächen mit Premier Li während dessen Besuchs am AU-Sitz im Mai 2014. Li legte besonderes Gewicht auf den Ausbau der transnationalen Verkehrs- und Fluginfrastruktur. Er sprach von dem Traum, alle afrikanischen Hauptstädte durch Hochgeschwindigkeitsbahnen miteinander zu verbinden. Sein Besuch bei der AU war die erste Station einer Reise durch vier afrikanische Nationen (siehe Neue Solidarität 21/2014).

Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, sagte am Tag nach der Unterzeichung vor der Presse in Beijing, die Absichtserklärung „zeigt, daß China das Konzept von Präsident Xi Jinping und Premier Li Keqiang für die Kooperation mit Afrika in die Realität umsetzen will, indem es Eisenbahnen, Straßen und regionale Luftfahrtnetze aufbaut... Es ist auch unsere feste Zusage, die Verbindungen und die Integration des Kontinents zu verbessern, den Engpaß seiner Entwicklung zu beseitigen und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen.“

China habe bereits 1046 Projekte in Afrika abgeschlossen und 2233 km Eisenbahnen und 2520 km Straßen gebaut. Weitere chinesische Projekte betreffen den Bau von Wasserkraftwerken. Elektrizität ist wie die Verkehrsinfrastruktur eine unverzichtbare Voraussetzung für die Industrialisierung. Hua rief dazu auf, daß andere Länder Chinas Vorbild folgen und zusagen, zusammen mit China die Infrastruktur in Afrika auszubauen.

Die früheren europäischen Kolonialmächte und die Vereinigten Staaten haben seit einem halben Jahrhundert nichts in dieser Richtung getan.

Die Maritime Seidenstraße

Bezeichnend für die ehrgeizigen Entwicklungspläne Chinas und der BRICS-Staaten sind die Ausführungen in einem Artikel des Xinhua-Autoren Cheng Lu, der am 12. Februar in ShanghaiDaily erschien und worin betont wird, daß Chinas „Maritime Seidenstraße“ Afrika nicht außen vor läßt. Cheng erinnert daran, daß der chinesische Seefahrer Zheng He schon vor 600 Jahren Mombasa in Kenia besuchte. Heute baue China eine Eisenbahn in der Standardspurweite von Mombasa zur Hauptstadt Nairobi, das Projekt liege vor dem Zeitplan und werde 30.000 Menschen Arbeit verschaffen. Die Bahn wird in drei Jahren fertiggestellt sein, letztendlich wird sie Nairobi mit Uganda, Ruanda, Burundi und dem Südsudan verbinden, womit das „weite ostafrikanische Hinterland“ Zugang zum Indischen Ozean erhält. Auf diese Weise wird die 2013 wiederbelebte Maritime Seidenstraße im 21. Jahrhundert über Asien hinaus bis nach Afrika reichen.

Neben dem Ausbau des Hafens von Mombasa finanziert und baut China auch andere afrikanische Häfen in Kenia (Lamu), Dschibuti, Tansania und Nigeria.

Das afrikanisch-chinesische Handelsvolumen belief sich 2014 auf mehr als 220 Mrd.$, seit fünf Jahren ist China Afrikas größter Handelspartner. Cheng schreibt, der Schwerpunkt der Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts liege genauso wie bei der Neuen Seidenstraße zu Lande auf dem Ausbau der Infrastruktur. Dazu habe China die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und einen „Seidenstraßenfonds“ im Umfang von 40 Mrd.$ gegründet. Die verbesserte Infrastruktur erleichtere den Handel, wovon Afrika profitieren werde. Und ohne moderne Infrastruktur sei die Industrialisierung Afrikas unmöglich.

Der frühere ägyptische Botschafter in China, Mohamed Noman Galal, sagte gegenüber Xinhua, die beteiligten Länder hätten eine historische Chance, von der Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts zu profitieren. „Aber das ist nicht nur Chinas Aufgabe. Man braucht Kooperation“, sagte er. Damit alle profitieren - er nannte den englischen Ausdruck „Win-Win“, den die Chinesen gerne verwenden -, müßten auch alle etwas tun: „Do-Do“.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi erkennt die Chancen, die China und die BRICS-Staaten eröffnen, und besuchte im Dezember vier Tage lang China. Seine erklärte Absicht war, Ägypten „zu einer der Hauptstützen in der Initiative des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zur Erneuerung des Handelsweges der antiken Seidenstraße zu machen“. Die beiden Nationen unterzeichneten 25 Vereinbarungen, insbesondere im Bereich der Stromerzeugung und des Verkehrswesens.

Seit seiner Rückkehr hat Al-Sisi verschiedene Initiativen ergriffen, um Konflikte in der Region beizulegen und so Wirtschaftsentwicklung zu ermöglichen, und er hat mehrere Entwicklungsinitiativen in Ägyptens und in der Region gestartet.

Er konnte Differenzen mit Äthiopien über den Bau des Großen Äthiopischen Renaissance-Damms beilegen, und er traf sich mit dem somalischen Präsidenten Hassan Scheich Mohamoud, dem er Beteiligung am Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes zusagte. Schon vor seiner Reise nach China hatte er die Präsidenten des Sudan, Omar Baschir, und des Tschad, Idriss Déby, getroffen.

Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn bestätigte in einem Interview mit einem ägyptischen Fernsehsender, die Beziehungen zu Ägypten hätten sich verbessert, seit Al-Sisi Präsident wurde.

Ägypten und Südafrika setzen sich für die Schaffung eines Handelsblocks „von Kairo zum Kap“ mit 27 Nationen ein - ein Gebiet mit 626 Millionen Einwohnern, das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung Afrikas.

Ein besonderes Entwicklungsprojekt, das bereits im Gang ist, ist das Lapsset-Projekt zur Schaffung von Verkehrsverbindungen zwischen Kenia, dem Südsudan und Äthiopien. Manche nennen es „die Mutter aller Infrastrukturprojekte“. Die Idee stammt aus der Region selbst, China wurde eingeladen, sich daran zu beteiligen. Vorgesehen ist ein neuer Hafen in Lamu an der Nordküste Kenias, der größer sein wird als der Hafen von Mombasa, weiter Eisenbahnen, Straßen und Pipelines von Lamu durch Nordkenia mit Abzweigungen zur Hauptstadt des Südsudan, Juba, und seinen beiden Ölfeldern. Dazu kommt eine Erweiterung der Bahn- und Straßenverbindungen vom östlichen Zweig im Südsudan über die Westgrenze in das landeingeschlossene Äthiopien.

Später soll die Pipeline auch mit in jüngerer Zeit entdeckten Ölvorkommen in Kenia und Uganda verbunden werden. Uganda hat sich dem Projekt, das ursprünglich am 2. März 2012 von Kenia, dem Südsudan und Äthiopien vereinbart worden war, angeschlossen. Die Bahn von Lamu soll am Ende eine Landbrücke von Ostafrika durch die Zentralafrikanische Republik bis zum Hafen Douala in Kamerun schaffen.

Die kenianische Regierung finanziert 25% des ursprünglichen Projekts, auch China stellt günstigen Kredit zur Verfügung, weitere Mittel sollen unbestätigten Berichten zufolge von Südkorea, Katar, Brasilien und Südafrika kommen.

Beim Gipfeltreffen der AU, das auf die Unterzeichnung der Vereinbarung folgte, erhielt Dlamini-Zuma eine besondere Botschaft des Staatschefs eines weiteren BRICS-Landes: Rußlands Präsident Putin. Darin bekräftigte Putin Rußlands Interesse, die Verbindungen zu Afrika zu stärken. Die Botschaft wurde vom Sondergesandten des Präsidenten der Russischen Föderation für die Länder des Nahen Ostens und Afrikas, Vizeaußenminister Michail Bogdanow, übermittelt.