Afrika fehlt die grundlegende Infrastruktur
Ein Interview mit Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche beantwortete am 6. Mai Fragen des New
Yorker Korrespondenten der kamerunischen Zeitschrift
„Intégration“,1 Celestin Ngoa Balla, der am 7. April an der New
Yorker Konferenz des Schiller-Instituts teilgenommen hatte.
Intégration: Sie haben gerade eine Konferenz in New York
veranstaltet. Worum ging es da, was wurde da gesagt? Und was sollten wir als
nächstes erwarten?
Helga Zepp-LaRouche: Im Mittelpunkt dieser Konferenz in New
York standen die Kriegsgefahr, die phantastischen Durchbrüche beim Aufbau der
Neuen Seidenstraße in verschiedenen Ländern, Wissenschaft für die Zukunft und
Dialog der Kulturen. Am besten gehen Sie auf unsere Internetseiten und schauen
sich es selbst an (www.schillerinstitute.org, newparadigm.schillerinstitute.com). Und wir werden noch
weitere solche Veranstaltungen durchführen.
Intégration: Sie halten Vorträge in aller Welt, aber nie in
Afrika und in Kamerun. Wann kommen Sie uns besuchen?
Zepp-LaRouche: Ich war bereits bei Konferenzen in Khartum
(Sudan) und Abuja (Nigeria), und ich arbeite seit Anfang der 1970er Jahre an
einem Entwicklungsprogramm für Afrika. Es liegt also nicht am Mangel an
Interesse, sondern an Gelegenheiten.
Zepp-LaRouche: Weil die gegenwärtige Weltordnung, die im
allgemeinen „Globalisierung“ genannt wird, vollkommen bankrott ist -
finanziell ebenso wie moralisch. Die Notwendigkeit einer neuen, gerechten
Weltwirtschaftsordnung ist heute noch viel dringender als vor 50 Jahren, als
die Blockfreien-Bewegung eine Neue Weltwirtschaftsordnung gefordert hat. Die
große humanitäre Krise, die darin zum Ausdruck kommt, daß heute viele
Millionen Menschen vor Krieg, Hunger und Armut aus Südwestasien und Afrika
fliehen und ihr Leben riskieren, um zu versuchen, nach Europa zu gelangen, das
seine Grenzen verschließt, ist ein niederschmetterndes Urteil über alle, die
versuchen, ein System zu erhalten, das nur wenigen Menschen dient und
Milliarden Menschen schadet. Die Menschheit ist an eine Wegscheide gekommen,
wo wir entweder ein neues Paradigma finden, das die Interessen aller Menschen
berücksichtigt, die auf diesem Planeten leben, oder wir werden noch tiefer in
ein Finsteres Zeitalter oder sogar in einen Dritten Weltkrieg stürzen.
Intégration: Bietet nicht die Internationale Konferenz über
Korruption einige Richtlinien für diese neue Weltwirtschaftsordnung?
Zepp-LaRouche: Ich sehe nicht, daß diese Konferenz in der
Praxis irgend etwas geleistet hätte, um an der Korruption des gegenwärtigen
Systems etwas zu ändern. Denken Sie nur an die ungeheure Menge der Verbrechen,
an denen das transatlantische Finanzsystem beteiligt ist, was die sog. „Panama
Papers“ enthüllen, wo die Banken systematisch Steuerhinterziehung und andere
illegale Aktivitäten organisierten, was nur die Spitze des Eisbergs ist, oder
die Manipulation des LIBOR-Zinssatzes, mit der die Menschen um dreistellige
Milliardensummen betrogen wurden, oder die Geldwäsche von Banken wie der HSBC.
Diese Richtlinien sind bisher nur leere Worte.
Intégration: Meinen Sie, daß wir Regimewechsel in vielen
Ländern erwarten sollten, insbesondere in Afrika, wo es dieses Phänomen der
„Präsidenten auf Lebenszeit“ gibt, die jeder Annäherung an Demokratie aus dem
Wege gehen können?
Zepp-LaRouche: Die Tragödie ist, daß in Afrika viele
Staatsmänner, die für das Gemeinwohl ihrer Völker gekämpft haben, ermordet
wurden und durch Laufburschen des kolonialen Systems ersetzt wurden, das immer
noch existiert, beispielsweise in Form der Kreditauflagen des
Weltwährungsfonds. In seinem Buch Bekenntnisse eines Economic Hitman
beschreibt John Perkins sehr gut, wie dieses System bis heute arbeitet. Und
man muß auch sehen, daß solche wohlklingenden Worte wie „Demokratie“ und
„Menschenrechte“ oft zum Synonym für ausländische Interventionen geworden
sind, um solche Leute an die Macht zu bringen, die dem Interesse des
transatlantischen Finanzsystems dienen.
Intégration: Kameruns Staatschef Paul Biya hat oft einen
Marshallplan für Afrika gefordert. Denken Sie, daß das notwendig und möglich
ist?
Zepp-LaRouche: Absolut! Es ist mehr als notwendig, angesichts
der extremen Armut in vielen Regionen und Ländern Afrikas. Und es ist eine
realistische Möglichkeit für die nahe Zukunft. China hat angefangen, die Neue
Seidenstraße und die Maritime Seidenstraße aufzubauen, woran bereits mehr als
60 Länder mitarbeiten. Meine Organisation, das Schiller-Institut, hat eine 370
Seiten lange Studie darüber erstellt, wie aus der Neuen Seidenstraße die
Weltlandbrücke wird, und sie enthält einen großen Abschnitt über entscheidende
Entwicklungsprojekte für Afrika, die die Lage vollkommen verwandeln würden.
Das sind vor allem große Infrastrukturprojekte als unverzichtbare
Voraussetzung für die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie, aber auch
Wasserprojekte, Energieproduktion und -verteilung und neue Städte.
Allerdings würde ich das nicht „Marshallplan“ nennen, denn die Verlängerung
der Neuen Seidenstraße nach Afrika sollte nicht den Beigeschmack des Kalten
Krieges haben, sondern eine Win-Win-Perspektive für alle Beteiligten sein.
Intégration: Die internationale Presse hat ihnen den Beinamen
„Seidenstraßen-Lady“ gegeben. Worauf gründen Sie diesen Namen, und was genau
ist diese Seidenstraßen-Initiative?
Zepp-LaRouche: Ich denke, ich habe diesen Spitznamen
bekommen, weil ich mich seit 25 Jahren für die Neue Seidenstraße einsetze,
denn das war es, was mein Ehemann und ich vorgeschlagen haben, als 1991 die
Sowjetunion auseinanderbrach. Damals bezeichneten wir es als die Eurasische
Landbrücke oder die Neue Seidenstraße, und das war der Vorschlag, die
Bevölkerungs- und Industriezentren Europas und Asiens durch
Entwicklungskorridore miteinander zu verbinden und so die landeingeschlossenen
Gebiete des eurasischen Kontinents zu erschließen. Wir haben seither
buchstäblich Hunderte von Konferenzen und Seminaren in aller Welt über dieses
Thema veranstaltet.
Die gute Nachricht ist, daß Chinas Präsident Xi Jinping 2013 die Neue
Seidenstraße zur offiziellen Politik Chinas erklärt hat, um in der Tradition
der antiken Seidenstraße die Völker durch den Austausch von Waren,
Technologien, Kulturen und Ideen miteinander zu verbinden. In den zweieinhalb
Jahren seitdem hat das Projekt ein enormes Tempo erreicht, und es ist derzeit
die einzige positive Perspektive auf dem Planeten.
Intégration: Wir müssen Sie fragen: Was bedeutet die
Initiative der Neuen Seidenstraße für Afrika, oder welchen Beitrag kann Afrika
zur Seidenstraßen-Initiative leisten?
Zepp-LaRouche: Wenn man sich eine Landkarte von Afrika
anschaut, dann sieht man, daß die grundlegende Infrastruktur fehlt. Die
wenigen Eisenbahnlinien und Straßen sind nicht viel besser als in der
Kolonialzeit, wo sie nur zu dem Zweck gebaut wurden, Rohstoffe
auszubeuten.
Im wesentlichen bedeutet es also den Bau integrierter
Hochgeschwindigkeitsbahnen, Schnellstraßen, Wasserstraßen, aber auch
Investitionen in fortgeschrittene Technologien und Bildung. Das würde nicht
nur in sehr kurzer Zeit Armut, Hunger und Krankheiten überwinden, sondern auch
bedeuten, so schnell wie möglich den Sprung zu modernsten Technologien zu
machen und vom Vorbild des chinesischen Wirtschaftsmodells zu lernen, das in
den letzten 25 Jahren dieses spektakuläre Wirtschaftswunder hervorgebracht
hat.
Dieses Modell beruht genau auf der gleichen Wirtschaftstheorie, die auch
die Grundlage für das deutsche Wirtschaftsmodell der Nachkriegszeit bildete.
Im Prinzip kann dieses Modell überall nachvollzogen werden, wenn man sich auf
die bestmögliche Ausbildung der Bevölkerung konzentriert und die Kreativität
fördert.
Afrika kann sein enormes menschliches Kapital zur Entwicklung der gesamten
Menschheit einbringen. Je mehr Menschen die Projekte und das Denken hinter der
Neuen Seidenstraße studieren, desto schneller kann sie auf die Tagesordnung
gesetzt werden. In einigen Ländern gibt es bereits Studiengruppen, die ein-
oder zweimal pro Woche zusammenkommen und die Theorie der physischen Ökonomie
studieren, die auf Gottfried Wilhelm Leibniz zurückgeht und von meinem Ehemann
Lyndon LaRouche weiterentwickelt wurde.
Intégration: Warum warnen Sie immer davor, das ein Dritter
Weltkrieg bevorsteht? Wer würde von einer solchen Katastrophe profitieren?
Zepp-LaRouche: Wie jeder leicht erkennen kann, betreiben die
Vereinigten Staaten und die NATO derzeit eine Einkreisungsstrategie gegen
Rußland und China, die einen sehr gefährlichen Punkt erreicht hat. Der Grund
dafür ist, daß das transatlantische Finanzsystem vollkommen bankrott ist und
einige oligarchische Kreise ihre Macht durch Chinas Aufstieg bedroht
sehen.
Profitieren würde davon niemand, ein Dritter Weltkrieg mit thermonuklearen
Waffen würde zur Auslöschung der menschlichen Gattung führen.
Intégration: Und als Mittel dagegen schlagen Sie das vor, was
Sie eine „kulturelle und wissenschaftliche Renaissance“ nennen?
Zepp-LaRouche: Nun, man braucht auch ein neues Finanzsystem,
um das gegenwärtige, bankrotte System durch ein Kreditsystem zu ersetzen, mit
einer Glass-Steagall-Bankentrennung, wie Franklin Roosevelt sie einführte.
Aber die neue Wirtschaftsordnung wird nur dann funktionieren, wenn es uns
gelingt, die gegenwärtige bösartige und häßliche Kultur, die das Denken der
Menschen auf eine sehr destruktive Weise prägt, zu verändern.
Wir müssen die besten Traditionen jeder Kultur wiederbeleben und dann einen
Dialog zwischen den besten Errungenschaften jeder Zivilisation und Kultur
führen. Auf diese Weise fangen die Menschen an voneinander zu lernen,
Chauvinismus und Fremdenhaß verschwinden, und durch diese Wiederbelebung wird
dann der Boden bereitet für die Schaffung einer neuen Renaissance.
Intégration: Wie manifestiert sich diese wissenschaftliche
und kulturelle Renaissance? Welche Rolle spielt Afrika dabei?
Zepp-LaRouche: Es gibt klar ersichtliche Pionierbereiche der
Wissenschaft, die zu einer völlig neuen Plattform der wirtschaftlichen
Aktivität führen werden. Ein solches Gebiet ist die Erforschung der
Kernfusion. Durchbrüche sind schon bald zu erwarten, sowohl beim
Stellarator-Modell in Greifswald in Deutschland - wo es im Februar
Wissenschaftlern gelang, ein mehrere Millionen Grad heißes Plasma für eine
Zehntelsekunde aufrechtzuerhalten, und das Ziel ist, bis 2020 ein stabiles
Plasma für 30 Minuten zu erreichen, das viel heißer ist als unsere Sonne - als
auch in Bezug auf einen neuen Durchbruch bei einem anderen Reaktortyp in
China, dem Experimentellen Fortgeschrittenen Supraleitenden Tokamak
(Experimental Advanced Superconducting Tokamak, EAST) im Institut für
physikalische Wissenschaften in Hefei. Eine Wirtschaft auf der Grundlage von
Kernfusion bedeutet Energie- und Rohstoffsicherheit für die gesamte
Menschheit. Ein weiterer Bereich ist die Weltraumforschung und
Weltraumfahrt.
Eine kulturelle Renaissance bedeutet, daß die Gesellschaft endlich wieder
menschlich wird, was in der Vergangenheit immer nur für kurze Perioden der
Fall war: die Gupta-Periode in Indien, bestimmte Dynastien in China wie die
Song-Dynastie, die Periode der Abbasiden in der arabischen Welt, die
italienische Renaissance, das goldene Zeitalter von Timbuktu oder die Periode
der deutschen Klassik. Eine neue Renaissance würde bedeuten, daß diese Art des
Denkens der Maßstab und die Grundlage für neue Durchbrüche der Kreativität in
allen Bereichen der Wissenschaft und der Kultur wird.
Anmerkung
1. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und erschien am 16.
Mai in französischer Übersetzung in Integration, siehe http://www.journalintegration.com/index.php/dossier/item/477-helga-zepp-larouche-en-regardant-la-carte-de-l-afrique-on-observe-un-manque-flagrant-d-infrastructures-essentielles