Die Ermordung Lumumbas
Ein Attentat an der Frontlinie des Kalten Krieges
Von Norbert Mbu-Mputu
Norbert Mbu-Mputu ist Journalist und Buchautor. In der
Konferenz „Setzt die wahre Mission von John F. Kennedy und Martin Luther King
fort: Stoppt den Weltkrieg der NATO und zerschlagt das Internationale
Mord-Büro“ am 14. Januar 2023 hielt er den folgenden Vortrag.
Vielen Dank für die Einladung, auf diesem Symposium des Schiller-Instituts
über dieses internationale Thema zu sprechen. Ich spreche zu Ihnen von Ihrem
Pariser Büro aus. Um ehrlich zu sein, als ich meinen Vorrednern zugehört habe,
habe ich mitgeschrieben, was sie gesagt haben. Ich habe von allen eine Menge
gelernt.
Alles, was gesagt wurde, zum Beispiel über die freigegebenen Informationen,
über die NATO, Atomwaffen, Präsident Kennedy – alles scheint mit dem Land
zusammenzuhängen, aus dem ich komme, der Demokratischen Republik Kongo,
bekannt durch das berühmte Buch von Joseph Conrad, Herz der
Finsternis.
Dieses Land, das als „Herz der Finsternis“ bekannt ist – dieses Wort
verwendete auch Henry Morton Stanley, einer der Abenteurer und Entdecker
Afrikas –, hat eine Geschichte, die umgedreht werden muß, und im Mittelpunkt
steht dabei die Ermordung einer großen Persönlichkeit, Patrice Émery
Lumumba.
In meinem Heimatland wird dieses Wochenende ein großes und langes
Wochenende sein. Am 16. Januar wird der Ermordung von Laurent-Désiré Kabila
vor 22 Jahren in seiner offiziellen Residenz, dem Palais de Marbre in
Kinshasa, gedacht, und am 17. Januar sind es 62 Jahre seit der Ermordung von
Patrice Lumumba, Maurice Mpolo und Joseph Okito. Meistens wird vergessen,
Mpolo und Okito zu erwähnen.
Ich möchte mit einigen Zitaten beginnen. Das erste stammt von meiner
Mutter, ein Sprichwort, es lautet wie folgt: „Wenn du Trommeln kaufst, mußt du
auch Trommler kaufen. Denn wenn du Trommeln hast, aber keine Trommler, dann
landen alle Trommeln auf dem Müll.“
Die Aufgabe des Schiller-Instituts ist es also, der Trommler zu sein. Wenn
es keinen Geschichtenerzähler gibt, der die Geschichten erzählen kann, die Sie
erzählen, dann werden diese Geschichten nicht bekannt. Wenn wir nicht genug
über unsere Vergangenheit erfahren, sind wir dazu verdammt, Fehler der
Vergangenheit zu wiederholen.
Hier ist ein Zitat von Lumumba selbst, aus seinem letzten Brief an seine
Frau Pauline. Er schrieb: „Afrika wird seine eigene Geschichte schreiben, und
nördlich wie südlich der Sahara wird es eine Geschichte voller Ruhm und Würde
sein.“1
Wir leben in einer Generation, in der nicht nur die kongolesische, sondern
auch die schwarze, afrikanische Geschichte neu geschrieben wird. Daher ist
sehr wichtig, was Sie tun, und ich danke Ihnen nochmals für die Einladung,
Ihnen einige Punkte aus dem Buch vorzutragen, das ich vor ein paar Jahren
geschrieben habe und zufällig in Ihr Büro in Paris mitbrachte.
Das letzte Zitat, das ich anführen möchte, stammt von Thomas Kanza, aus
seinem Buch The Rise and Fall of Patrice Lumumba: Conflict in the Congo
(„Aufstieg und Sturz Patrice Lumumbas: Konflikt im Kongo“). Er schrieb:
„Es ist nicht menschenmöglich, über den weltweiten Kampf Lumumbas und des
Kongo zu schreiben. Selbst in hundert Jahren wird es noch ungelöste Fragen
geben, weil die Toten nicht reden können und viele Geheimnisse für immer mit
ihnen begraben sind. Lumumba war ein Vorbild für andere. Lenin war der Vater
der Strategie der sowjetischen Revolution. Bei den Chinesen hat Mao Zedong die
gleiche Stellung. In der ägyptischen Revolution war Gamal Abdel Nasser das
Gehirn wie auch die treibende Kraft. Trotz der oft ungerechtfertigten Angriffe
auf ihn bleibt Kwame Nkrumah einer der Väter der Revolution in Afrika südlich
der Sahara. Was immer man auch sagen mag, die Unabhängigkeit Ghanas war mit
Sicherheit der Ausgangspunkt für alle schwarzafrikanischen
Unabhängigkeitsbewegungen. Fidel Castros Einfluß steht in keinem Verhältnis
zur Größe seines kleinen Landes. Trotz seiner recht kurzen politischen
Karriere und seines tragischen Todes ging Lumumba direkt in die Geschichte
ein. Er wurde zur Fahne und zum Symbol. Er lebte als freier Mann und
unabhängiger Denker.“
Das ist also der Lumumba, über den ich in meinem mehrere hundert Seiten
langen Buch L’Autre Lumumba („Der andere Lumumba“) zu schreiben
versuche. Warum? Weil ich in Afrika zu den sogenannten
„Unabhängigkeitskindern“ gehöre, also zu denen, die nach den 1960er Jahren
geboren wurden. Das Besondere an all diesen Kindern ist, daß wir während der
Diktatur der 70er bis 80er Jahre aufgewachsen sind, als diese Geschichten
unterdrückt wurden. Wir haben nie etwas über diese Geschichten erfahren.
Jetzt, wo wir in unseren 50ern sind, ist eine Art Vakuum entstanden, das wir
füllen, überbrücken und nähren müssen.
Da wir jetzt die Möglichkeit haben, Zugang zu freigegebenen Informationen
zu erhalten, ist es für uns wichtig geworden, diese Vergangenheit und diese
Geschichten wieder aufzugreifen. Das ist der Grund, warum ich dieses große
Buch über Lumumba geschrieben habe. In diesem großen Buch werden Sie einige
Geschichten finden, die die meisten Ihrer Generation kennen, es werden aber
auch einige Fehler korrigiert.
In den meisten Geschichtsbüchern steht zum Beispiel, daß Lumumba in Lodi
verhaftet wurde. Ich versuche, das zu korrigieren. Er wurde nicht in Lodi
verhaftet, denn sie hatten den Fluß Sankuru bereits überquert. Er wurde auf
der anderen Seite von Lodi in einem kleinen Dorf verhaftet, also nicht in
Lodi.
Ich versuche auch, die via crucis oder die via dolorosa
Lumumbas darzustellen, von seiner Abreise aus Kinshasa bis er zurückgebracht
wurde und bis zu seiner Ermordung in der Nähe von Élisabethville [Lumumbashi]
am 17. Januar 1961, zusammen mit Maurice Mpolo und Joseph Okoito.
Es ist wichtig, daß der Untertitel meines Buches – Peuple du Congo:
Histoire, résistances, assassinats et victoire sur le front de la Guerre
froide („Das Volk des Kongo: Geschichte, Widerstand, Morde und Siege an
der Front des Kalten Krieges“) – von einem Attentat an der Frontlinie des
Kalten Krieges spricht. Denn die meisten unserer Generation wissen wirklich
nicht viel über den Kalten Krieg, dem Zusammenhang mit dem CIA-Stationschef in
Kinshasa, Lawrence Devlin, der sagte, daß Kongo-Kinshasa zur Frontlinie des
Kalten Krieges wurde. So wird unsere Generation mit Lumumba bekannt.
Wer war Lumumba?
Wer also war Lumumba? Lumumba war ein Selfmade-Politiker, der 1958 zusammen
mit den meisten seiner Freunde beschloß, die erste wirklich nationale
politische Partei zu gründen. Damals waren die meisten politischen Parteien im
Kongo Stammesparteien. Aber Lumumba und seine Freunde beschlossen, das
Mouvement National Congolais zu gründen, die Partei, von der sie träumten, um
alle Kongolesen zu vereinen, insbesondere um für die Unabhängigkeit zu
kämpfen.
Lumumba war ein Selfmademan. Er besuchte eine protestantisch-methodistische
Schule und auch eine katholische Schule, hat diese Schulen aber nie
abgeschlossen, das meiste hat er sich selbst beigebracht. Er ist also ein
aufgeschlossener Mensch, der voller Begeisterung gelernt hat. Er informierte
sich gerne über die Menschenrechtsbewegungen und die freien Denker der Welt
und versuchte zu prüfen, was er tun mußte, um all dies für seinen Kongo
nutzbar zu machen. Der Kongo war zu dieser Zeit von Belgien kolonisiert.
Entscheidend für sein politisches Leben war es, als er 1958 an der ersten
Panafrikanischen Konferenz teilnahm, die Präsident Kwame Nkrumah in Accra in
Ghana organisierte. Als er zurückkam, kämpfte Lumumba wirklich für die
Unabhängigkeit, er sagte: „Es ist unser Recht als Kongolesen, unabhängig zu
sein, und um unabhängig zu sein, müssen wir die Geschicke unseres Landes
selbst in die Hand nehmen. Und wenn das nicht einfach ist, dann bin ich wohl
für die Belgier.“
Belgien hatte 1955 einen Professor auf seiner Seite, der sagte, der Kongo
müsse 30 Jahre warten, bevor er unabhängig wird. Also sollte er nicht vor 1985
unabhängig werden.
Aber 1959 kam es zu Unruhen in Kinshasa, und es sah aus, als hätten die
Belgier geschlafen und wären plötzlich aus ihrem tiefen Schlaf geweckt worden.
Es gab eine Konferenz in Brüssel, und innerhalb einer Woche wurde die
Entscheidung getroffen, dem kongolesischen Volk die Unabhängigkeit zu
geben.
Aber können Sie sich vorstellen, was für eine Art von Unabhängigkeit das
war? Die Menschen brauchen Unabhängigkeit, und sie bekommen sie in vier
Monaten, aber im ganzen Land hatten nur zehn Menschen einen
Universitätsabschluß! Sie hatten ihr Land nie verwaltet, keine Währung, keine
Polizei und keine Armee. So wurde die Unabhängigkeit, wie einer der berühmten
Leute damals sagte, zu einem „Independence Cha-Cha“. Es war eine
„Unabhängigkeit“ wie fast alle in Afrika: Die Belgier wollten ihnen die
Unabhängigkeit geben, aber die Kongolesen dabei mehr oder weniger rückständig
halten. Und genau das ist passiert.
Und Lumumba fragte, ob das jemand nicht gefalle. Deshalb beschloß er am 30.
Juni 1960, am Unabhängigkeitstag, dem kongolesischen Volk eine Stimme zu
geben. Er beschloß, für es zu sprechen. Er sagte: „Wir können niemals
vergessen, was geschehen ist. Wir vergessen nichts, was Belgien und die
Kolonialisten in unserem Land getan haben. Jetzt sind wir
gleichberechtigt.“
Er träumte davon, daß wir durch unsere Unabhängigkeit wirklich
gleichberechtigt gegenüber den Belgiern und anderen westlichen Ländern würden,
aber das war eine Illusion. An dem Tag wurde auf internationaler Ebene,
insbesondere von den Belgiern, der amerikanischen CIA und sogar von den
Briten, beschlossen, ihn zu ermorden, was sechs Monate später geschah.
Er hat sogar davon geträumt, daß die Kongolesen die Führung aller unserer
Länder übernehmen sollten, aber das ist nicht geschehen.
Das ist also der wahre Lumumba, den ich in diesem langen Buch zu
porträtieren versuchte. Das Buch ist auf Französisch: Ich habe es auf
Französisch geschrieben, weil ich wollte, daß es für meine kongolesischen
Mitbürger von Nutzen ist, und ich möchte jetzt herausfinden, wie man es ins
Englische übersetzen kann. Es soll die meisten Fragen unserer Generation
beantworten, die wir uns immer noch fragen, was passiert ist und wie es
passiert ist.
Es ist passiert, weil die CIA Lumumba während des Kalten Krieges als
Kommunisten hinstellte. Und jetzt, 60 Jahre nach seinem Tod, zeigen alle
Archive, daß er kein Kommunist war. Deshalb lautet der Titel meines Buches
L'Autre Lumumba, der anderer Lumumba, den es zu entdecken gilt. Es ist
ein Lumumba, der eine Vision für einen besseren Kongo, für ein besseres Afrika
hatte. Wie Sie wissen, unterzeichnete er sogar ein Abkommen mit Präsident
Nkrumah, um die Vereinigten Staaten von Afrika zu gründen, weil er glaubte,
daß Afrika geeint werden muß, damit wir wirklich eine Kraft des Wandels
werden.
Leider gefiel das der internationalen Gemeinschaft nicht, und so gab es
mehrere Attentatspläne, nicht nur von der CIA, mit ihrem bösen Plan, bei dem
die CIA vor Ort in Kinshasa Gift bekam, sie nannten das einen „bösen Plan“.
Und sie fragten ihre Leute, wer das mit dem Gift entschieden habe, und der
Mann antwortete, Präsident Eisenhower persönlich. Er meinte, nein, so werde er
das nicht machen. Aber das bedeutet, daß er seine eigenen Pläne gemacht hat,
und auch die Briten hatten ihren Plan, und die Belgier hatten ihre Pläne. Und
all diese Pläne liefen zusammen wie eine Art Puzzle, und als sich dann die
Gelegenheit bot, behaupteten sie alle: „Oh, es waren die Kongolesen, die ihre
eigene Führung umgebracht haben.“
Nein, und das war wirklich der Anfang des Elends im Kongo bis heute, denn
er war der erste gewählte Ministerpräsident. Sie wollten eine Demokratie für
das ganze Land schaffen, weil es unmöglich war, unsere vielen Probleme zu
lösen, ohne eine Demokratie zu schaffen. Und der erste gewählte
Ministerpräsident, der ermordet wurde, war Patrice Lumumba. Und die
internationale Gemeinschaft ging nach dem gleichen Modus Operandi vor, um alle
anderen Führer nach ihm zu ermorden: nicht nur er selbst, auch die Kameruner,
sogar Kwame Nkrumah selbst wurde Opfer verschiedener Attentate.
Das sind also Lektionen, die wir lernen müssen, und vor allem die Vision,
die Lumumba für den Kongo hatte, und die Vision, die Lumumba und die meisten
seiner Mitstreiter über Afrika hatten. Und für diese Vision müssen wir jetzt
kämpfen und arbeiten.
Vielen Dank für diese Gedanken, die ich mit Ihnen teilen durfte. Das Buch
ist online, wie gesagt, es ist auf Französisch, und man kann es online
erwerben.2
Anmerkungen
1. https://www.marxists.org/subject/africa/lumumba/1961/xx/letter.htm
2. https://www.fnac.com/livre-numerique/a16030564/Norbert-MBU-MPUTU-L-AUTRE-LUMUMBA