Die Zukunft gehört Afrika
Von John Dramani Mahama,
Präsident von Ghana
Ausführliche Auszüge aus der Rede des Präsidenten von Ghana,
John Dramani Mahama, am 25. September 2025 vor der Vollversammlung der
Vereinten Nationen; Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden
hinzugefügt.
(…) Anläßlich dieser 80. Jahrestagung der Vollversammlung der Vereinten
Nationen möchte ich über die Rolle Afrikas in der Zukunft der Organisation
sprechen. Dies ist jedoch nicht möglich, ohne zuvor die kollektive Rolle Afrikas
bei der Gründung der Organisation zu betrachten, die gering und relativ
unbedeutend war. Von den 51 Mitgliedstaaten, die 1945 an der Gründung der
Vereinten Nationen beteiligt waren, waren nur vier afrikanische Staaten:
Ägypten, Äthiopien, Liberia und Südafrika.
Es ist wichtig darauf hinzuweisen, daß die Vereinten Nationen nach dem
Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurden, weil ihr Vorläufer, der Völkerbund,
nicht in der Lage war, einen großen globalen Konflikt zu verhindern, was sein
Leitziel bei seiner Gründung 1920 nach dem Ersten Weltkrieg gewesen war. Von den
42 Gründungsmitgliedern des Völkerbundes waren nur drei afrikanische Staaten:
Liberia, die Union Südafrika und Äthiopien. Ägypten trat später, im Jahr 1937,
bei. Die kollektive Beteiligung Afrikas an der Gründung dieser Organisation war
ebenfalls gering und relativ unbedeutend. Das liegt daran, daß vor allen anderen
Gesprächen und Treffen Vertreter einer Gruppe von 14 Nationen in Berlin zu einer
Reihe von Gesprächen zusammenkamen, die 1884 begannen und zur Aufteilung und
formellen Kolonialisierung des Kontinents führten - auch bekannt als „Wettlauf
um Afrika“.
Bekanntlich „ist die Vergangenheit der Prolog“. Nun, in der Vergangenheit
wurde die Mehrheit der 54 Nationen, aus denen Afrika heute besteht, nie an den
Tisch eingeladen, an dem Pläne für eine neue Weltordnung entworfen wurden. Aber
wie es das Schicksal so wollte, hat sich das Blatt gewendet, und Afrika wird
eine große und folgenreiche Rolle bei der Gestaltung der Zukunft dieser Welt
spielen. Nach Prognosen der Vereinten Nationen werden bis zum Jahr 2050 mehr als
25% der Weltbevölkerung vom afrikanischen Kontinent stammen. Darüber hinaus wird
bis 2050 ein Drittel aller jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren auf dem
afrikanischen Kontinent leben. Sie sehen also, die Zukunft gehört Afrika.
Lassen Sie mich das noch einmal sagen, etwas lauter für die Leute hinten:
Die Zukunft gehört Afrika!
Schon heute ist Afrika ein Katalysator für menschliches Potential und
Entwicklung sowie für wirtschaftliche Reformen und ökologische Stabilität.
Afrika ist ein Katalysator für systemischen Wandel. Wenn diese Realität - die
auf Fakten basiert und eindeutig ist - provokativ oder beunruhigend erscheint,
liegt das vielleicht daran, daß man sie durch den Filter von Jahrhunderten des
Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus und der daraus resultierenden impliziten
Voreingenommenheit betrachtet.
Vielleicht ist man sich der Widerstandsfähigkeit der afrikanischen Nationen
oder ihrer bemerkenswerten Fähigkeit nicht bewußt, ein starkes Comeback zu
feiern, gerade wenn man sie schon abgeschrieben hat. Genau das geschieht derzeit
in Ghana…
Zu Ehren dieser bedeutenden Feierlichkeit sollten auch die Vereinten Nationen
einen Prozeß der ernsthaften Neukalibrierung einleiten und ihre eigene Agenda
für einen Neuanfang aufstellen. Seit der Gründung der Organisation hat sich die
Zahl der UN-Mitgliedstaaten fast vervierfacht. Und ganz offen gesagt ist die
Welt nicht mehr dieselbe wie damals…
1945 war die Sonne über dem größten Imperium der Geschichte noch nicht
untergegangen; die gängigste Art des internationalen Reisens war die Seefahrt;
der Computer war noch nicht erfunden, geschweige denn ein tragbarer; und das
Fernsehen, eine neue Errungenschaft, steckte noch in den Kinderschuhen, und das
in Schwarz-Weiß… 80 Jahre später, in der heutigen Welt, starten und landen
täglich 100.000 kommerzielle Flüge; Bibliotheken wurden digitalisiert, sodaß
ganze Literaturwerke auf einem Gerät gespeichert werden können, das klein genug
ist, um in Ihre Tasche zu passen…
UN-Charta ist veraltet
Die Gründungsurkunde der Vereinten Nationen ist in Bezug auf die
Repräsentation veraltet. Die mächtigsten Nationen der Nachkriegszeit werden
immer noch mit einer fast totalitären Vormundschaft über den Rest der Welt
belohnt. Und doch heißt es im ersten Satz von Kapitel 2, Artikel 1 der
UN-Charta: „Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit
aller ihrer Mitglieder.“
Wenn das tatsächlich der Fall wäre, hätte ein Kontinent, der so groß ist und
so viele UN-Mitgliedstaaten hat wie Afrika, mindestens einen ständigen Sitz im
Sicherheitsrat. Darüber hinaus sollte das Vetorecht nicht auf fünf Nationen
beschränkt sein und es sollte nicht absolut sein. Es muß eine Möglichkeit für
die Vollversammlung geben, einem Veto entgegenzuwirken. Keine einzelnes Land
sollte in der Lage sein, ein absolutes Veto einzulegen, um eigene Interessen in
einem Konflikt durchzusetzen.
1995, anläßlich des 50jährigen Bestehens der Vereinten Nationen, stand Nelson
Mandela genau an dieser Stelle. Er sagte: „Die Vereinten Nationen müssen ihre
Rolle neu bewerten, ihr Profil neu definieren und ihre Strukturen neu gestalten.
Sie sollten die Vielfalt unseres Universums wirklich widerspiegeln und die
Gleichberechtigung der Nationen bei der Ausübung von Macht innerhalb des Systems
der internationalen Beziehungen gewährleisten. Im allgemeinen und speziell im
Sicherheitsrat.“
30 Jahre später stellen wir afrikanischen Staats- und Regierungschefs immer
noch dieselbe Forderung: einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat mit Vetorecht.
Deshalb stehe ich heute, Frau Präsidentin, an ebendieser Stelle und frage: Wenn
nicht jetzt, wann sonst? Wir fordern nicht nur eine Reform des Sicherheitsrats,
sondern auch eine Neugestaltung der globalen Finanzarchitektur, die bisher gegen
Afrika gerichtet ist. Afrika muß mehr Mitspracherecht in den multilateralen
Finanzinstitutionen der Welt haben…
Zusammenbruch des Multilateralismus
Wir leben in gefährlichen Zeiten. Unsere Welt erlebt derzeit eine Zunahme von
Nationalismus und wirtschaftlicher Instabilität. Es gibt einen allgemeinen
Zusammenbruch des Multilateralismus; es wurden verschiedene Aggressionen gegen
die Souveränität anderer begangen, und Nationen versuchen, eben die
Schutzmaßnahmen zu umgehen, die eingerichtet wurden, um einen großangelegten
globalen Konflikt zu verhindern. Diese Bedingungen ähneln nur allzusehr denen,
die dazu führten, daß der Völkerbund sein Mandat nicht erfüllen konnte.
Die Verweigerung von Visa für Präsident Abbas und die palästinensische
Delegation schafft einen negativen Präzedenzfall und sollte allen
Mitgliedstaaten große Sorge bereiten. Ghana hat den Staat Palästina seit langem
anerkannt und unterstützt eine Zwei-Staaten-Lösung des Konflikts. Entgegen den
Behauptungen einiger wäre eine Zwei-Staaten-Lösung keine Belohnung für die
Hamas, sondern eine Gnadenfrist für Hunderttausende unschuldige Menschen, die
nur deshalb kollektiver Bestrafung und erzwungener Hungersnot ausgesetzt sind,
weil sie Palästinenser sind.
Seit fast zwei Jahren haben wir hier in dieser Vollversammlung aus Angst vor
Repressalien mit Worten Verstecken gespielt, um die richtigen Formulierungen zu
finden, mit denen wir das, was wir alle wissen, was dort geschieht, umgehen oder
entschuldigen können. Aber die Sache ist die: Egal wie man es nennt, wenn es
aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente,
dann...
Das Problem der Migration
Vergessen wir einmal Euphemismen und codierte Botschaften und sprechen offen.
Es ist kein Geheimnis, daß die Regierungen westlicher Länder, wenn sie sich über
ihre Migrationsprobleme beklagen, das oft auf Einwanderer aus dem Globalen Süden
beziehen…
Warsan Shire, eine somalisch-britische Dichterin, die als Tochter somalischer
Flüchtlinge in Kenia geboren wurde, war Londons erste Jugend-Poeta Laureata. In
ihrem Gedicht „Heimat” schreibt sie:
„Man muß verstehen:
Niemand setzt seine Kinder in ein Boot,
es sei denn, das Wasser ist sicherer als das Land.
Niemand verbrennt sich die Handflächen
unter Zügen
unter Waggons.
Niemand verbringt Tage und Nächte
im Laderaum eines Lastwagens
und ernährt sich von Zeitungen,
es sei denn, die zurückgelegten Kilometer
bedeuten mehr als nur eine Reise.“
Wir dürfen Grausamkeit nicht zur Normalität machen.
Wir dürfen Haß nicht zur Normalität machen.
Wir dürfen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nicht zur Normalität machen…
Frau Präsidentin, in einer zunehmend unsicheren Welt steigen die
Verteidigungsausgaben der bilateralen Partner, und die öffentliche
Entwicklungshilfe wird drastisch gekürzt. Seit Juli 2024 ist die humanitäre
Hilfe für Afrika um 40% zurückgegangen. In dieser Zeit globaler Unsicherheit muß
Afrika seine Souveränität über seine natürlichen Ressourcen ausüben, um die
notwendigen Mittel zur Sicherung des Wohlergehens seiner Bürger aufzubringen.
Die Zeiten, in denen riesige Konzessionsgebiete an ausländische Interessen zur
Ausbeutung vergeben wurden, müssen ein Ende haben. Wir werden ausländische
Investitionen weiter begrüßen, aber wir müssen besser verhandeln, um einen
größeren Anteil an den natürlichen Ressourcen zu erhalten, die uns gehören.
Wir sind es leid, immer wieder das Bild von armen, von Krankheiten geplagten
ländlichen Gemeinden zu sehen, die am Rande riesiger, von ausländischen
Unternehmen kontrollierter Konzessionsgebiete leben.
Wir sind es leid, daß Menschen uns so viel wie möglich ausbeuten und uns im
Gegenzug nur ein Minimum an Respekt, Rücksichtnahme und Würde
entgegenbringen.
Wir sind es leid, nicht so dargestellt zu werden, daß der Reichtum und die
Komplexität unserer Geschichte zum Ausdruck kommen und all das anerkannt wird,
was wir überwunden haben, um hierher zu gelangen, an diesen Schwellenort
unermeßlicher Möglichkeiten.
Ich möchte mich den Worten der indisch-amerikanischen Schriftstellerin
Arundhati Roy anschließen, die schrieb: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich,
sie ist bereits auf dem Weg. An einem ruhigen Tag kann ich sie atmen hören.“