Die Wahl in Frankreich als kreative Herausforderung
für die Perspektive einer allgemeinen Renaissance der Entwicklungspolitik
Von Jacques Cheminade
Jacques Cheminade, Bewerber für die französischen
Präsidentschaftswahlen 2012, sprach auf der Konferenz des Schiller-Instituts
über die moralische und strategische Herausforderung für Europa, Afrika zu
entwickeln.
In der jetzigen Konferenzsitzung, „Die Industrialisierung Afrikas: Der
moralische Test für Europa“, wollen wir die Frage zu beantworten suchen, was
Europa dazu beitragen kann, die heutige weltweite Tragödie zu überwinden.
Inmitten der laufenden Zivilisationskrise macht ein normaler
Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich keinen Sinn. Im Rahmen des jetzigen
Systems wäre er unsinnig. Nur wenn er einen Beitrag zur Weltgeschichte leistet,
erhält er eine Bedeutung. Dann wird er zu einer Möglichkeit, die Bewegung zu
einem faschistischen Coup, der uns alle bedroht, zu stoppen. Die Existenzfrage
lautet: Wie können wir in Frankreich, einem Land, das von einer
staatlich-privaten oligarchischen Elite beherrscht wird, dazu beitragen, das
System der finanziellen Globalisierung zu überwinden?
Meine Antwort ist, daß wir dazu Glass-Steagall und Afrika ganz in den
Vordergrund stellen müssen - nicht als getrennte Themen, sondern als
doppelläufiges Gewehr, um die Spielregeln des Systems zu brechen.
Das Britische Empire will um jeden Preis verhindern, daß Glass-Steagall in
den Vereinigten Staaten durchgesetzt wird, denn das wäre das Ende der City of
London und der Wall Street. Gleichzeitig war es stets die britische Politik als
Empire die Vereinigten Staaten von Kontinentaleuropa zu trennen, um beide von
innen zerstören zu können. Da es britische Absicht ist, die Vereinigten Staaten
als Nationalstaat zu vernichten, müssen wir auf die dortigen
Glass-Steagall-Bestrebungen mit einer ähnlichen Kampagne hier in Europa
reagieren, um eine antibritische, transatlantische Brücke zu bauen. Das wäre
ganz im Geist der Liga der Bewaffneten Neutralität, mit der Rußland, Frankreich
und Spanien die junge amerikanische Republik unterstützten. Mit Hilfe eines
kreditgestützten Nationalbanksystems müssen die souveränen Staaten von den
illegitimen, spekulativen Schulden befreit werden, so daß der ganze finanzielle
Giftmüll wieder an die Megabanken und Versicherungskonzerne zurückgeht: Sollen
sich doch die Giftmischer mit ihrem eigenen Gift umbringen!
Historisch gesehen ist Afrika das am schlimmsten betroffene Opfer des
Britischen Empire, das dort zusammen mit anderen europäischen
Herrschaftshäusern - Spanien, Portugal, Frankreich, Holland - ein
Sklavenhaltersystem errichtete, das bis heute eine Schuldknechtschaft betreibt
und ungerechte Handelsbedingungen diktiert.
Mit Glass-Steagall können wir die Tür für eine weltweite Plattform
produktiver Entwicklung aufstoßen, und eine solche Plattform neuer
Technologien, die der eigentlichen Identität des Menschen entspräche, würde
notwendigerweise zu einem Aufstieg Afrikas führen - eine Waffe, die auf das
Herz der Oligarchie zielt. Eine Zweckgemeinschaft zwischen Europa und den
Vereinigten Staaten, die mit Hilfe von Glass-Steagall Afrika aus dem Griff des
Britischen Empire rettet, bedeutetete eine Wiederbelebung der
europäisch-amerikanischen Partnerschaft zum Wohle der anderen, denn Afrika
repräsentiert das Wohlergehen der gesamten Menschheit. Auf diese Weise ließe
sich etwas erreichen, was viele heute nicht mehr verstehen, was aber Franklin
Delano Roosevelt und Charles de Gaulle meiner Überzeugung nach hätten erreichen
können, wenn Roosevelt nicht frühzeitig gestorben und de Gaulle nicht von den
England- und Trumanfreundlichen Kräften in Frankreich von der Macht verdrängt
worden wäre.
Man muß sich unbeliebt machen!
Die meisten sehen in einer Präsidentschaftswahl eine Art
Schönheitswettbewerb, wo jemand versucht, irgendwann einmal ganz an die Spitze
zu gelangen, nachdem er sich in seiner politischen Karriere von ganz unten, von
Kompromiß zu Kompromiß, hochgedient hat. Zu normalen Zeiten sind solche Leute
ziemlich kontrollierbare Narren, denn wenn sie sich in dieses Umfeld fügen,
akzeptieren sie, so zu sein, wie die anderen es sich wünschen. Sie haben keine
Grundsätze. Im heutigen Frankreich und im Zusammenhang mit der
Zivilisationskrise, deren Drama Sie alle kennen, verdammen sie sich mit einem
solchen Verhalten selbst zu weitaus schlimmerem, als Narren es tun: Sie werden
zu Verrätern an ihrem Land und der Zivilisation, denn das mitzumachen bedeutet,
die Spielregeln anzuerkennen und zu Totengräbern der Zivilisation zu
werden.
Wenn ich also über Glass-Steagall und die Entwicklungen in Afrika spreche,
ist das bei denen, die in Frankreich die Macht haben und sich zu Dienern der
Zerstörung gemacht haben, nicht unbedingt willkommen. Auch die Mehrheit der
überwiegend pessimistischen Öffentlichkeit, die infolge der Medienkontrolle von
Angst und Vorurteilen beherrscht ist, wird zunächst ablehnend reagieren. So
heißt es: „Glass-Steagall mag eine gute Idee sein, aber das läßt sich mit
unserer Praxis der Universalbanken nicht vereinbaren“, oder „Nach 30 Jahren
Deregulierung kann man einen solchen Vorschlag einfach nicht auf den Tisch
legen. Das ist unmöglich“, oder „Die Afrikaner können mit moderner Technik
einfach nicht umgehen. Ist das nicht offensichtlich? Die letzten 30 Jahre haben
das bewiesen“, oder „Es ist zu gefährlich, die Megabanken herauszufordern. Sie
sind zu mächtig. Ihr seid Utopisten!“ oder, „Wir haben unsere Gewohnheiten, und
die Afrikaner haben die ihren.“
Wenn man gegen einen solchen Schwall impotenten Mülls angehen will, muß man
sich bei den Mächtigen, die so etwas erzeugen, und bei der öffentlichen
Meinung, die so etwas schluckt, unbeliebt machen. Unbeliebtheit ist somit eine
Voraussetzung für einen ehrlichen Präsidentschaftswahlkampf.
Ist es denn so unangenehm, unbeliebt zu sein? Natürlich würde man das
bejahen, wenn man seine Identität nach Freude und Schmerz ausrichtet.
Eigentlich nicht, wenn man seine Identität in den Dienst von Wahrheit und Ideen
stellt. Denn es ist ein gutes Gefühl, wenn man weiß, daß man zuerst immer seine
Mission im Auge hat und der Spaß an der Verführung - und dem Beliebtsein -
nichts zählt.
Angesichts der wachsenden Flut des Massenstreiks in Europa, der Entrüstung
der Indignados, die sich dem gärenden Massenstreik in den Vereinigten
Staaten anschließt, reagieren die Menschen gegen das, was sie bedrückt: Sie
begeistern sich für die Sache der Gerechtigkeit, wenn sie täglich extreme
Ungerechtigkeit erfahren. Meine Aufgabe als Präsidentschaftskandidat ist, sie
weder von unten zu vergöttern, noch ihnen von oben zu befehlen, sondern ihnen
Führung zu geben, d.h. zu versuchen, ihre Bestrebungen der Wahrheit anzunähern,
so daß sie selbst ihre Verantwortung für die anderen entdecken.
Des öfteren muß man sie auch einmal sachte in den Hintern treten bzw. sie
dazu bringen, sich selbst in den Hintern zu treten. „He! Schaut euch doch die
Welt an, in der ihr lebt! Mehr als eine Milliarde Menschen leiden Hunger und
stehen vor dem Tod. Jedes Jahr steigt ihre Zahl um 50 Millionen und mehr, doch
die Banken tun so, als wären Nahrungsmittel wie Geld zu behandeln. Dabei werden
die Produzenten systematisch verdrängt, wie man überall sieht. Willst du in
einer solchen Welt Karriere machen? Sollen deine Söhne in einer solchen Welt
aufwachsen? Sollen deine Töchter sich in einer solchen Welt verführen lassen,
um Karriere zu machen?“
Wer solche Fragen anspricht, macht sich nicht gerade beliebt, ist nicht der
nette Junge von nebenan. Doch je mehr die Gesellschaft auseinanderfällt,
gewinnt man an Vertrauen, weil man geholfen hat, die menschlichen Qualitäten
und die gegenseitigen Einsichten der Menschen zu verbessern - so wie sich auch
ein guter Arzt verhält. Diesen guten Arzt wird man nicht unbedingt mögen, denn
er wird einem die Wahrheit über sein Problem bzw. seine Krankheit sagen, aber
man vertraut ihm, weil er sich um Heilung bemüht. Er betrachtet den Menschen
nicht als Nummer oder als Kunden, dem man nur ein Rezept mitgibt, wie es leider
viele Ärzte heute tun. Nein, der gute Arzt betrachtet einen als Menschen, der
Hilfe braucht, um wieder gesund zu werden, sich entwickeln und eventuell
fortpflanzen zu können!
Am Besten anknüpfen
Darin sehe ich meine Aufgabe. Um sie zu erfüllen, muß man sich in die
Geschichte unseres Landes vertiefen. Man muß das Beste erfassen, das wir der
Welt gegeben haben - jenseits des schrecklichen Zustands, in dem sich
Frankreich heute befindet. Das bedeutet, sich nicht nur bei den heute Lebenden,
sondern auch bei den schon Gestorbenen unbeliebt zu machen.
Um gegen die herrschende Oligarchie die Grundsätze unserer Republik
wiederzubeleben, muß die zersetzende Legendenbildung um Ludwig XIV., Napoleon,
Rousseau, Laplace u.a. beendet werden, und Rabelais, Ludwig XI., Villon, Cusa
und all die anderen, die Frankreich von Platon bis Einstein inspirierten - bis
zu Einstein und seiner Freundschaft mit Langevin - müssen sozusagen wieder zum
Leben erweckt werden.
Das wiederum verlangt eine innere Auseinandersetzung bei uns allen, um in
einen Dialog mit diesen Schattengestalten treten zu können, die auf diese Weise
wieder lebendig werden. Sie werden dann zu unseren Zeitgenossen sprechen und
sie aufrütteln, damit sie die Zukunft verantwortungsbewußt gestalten.
Diese Auseinandersetzung sollte bei den Präsidentschaftswahlen geführt
werden. So läßt sich auch wieder das Prinzip von Gastfreundschaft statt
Chauvinismus etablieren: die Nation als eine Idee, die mit der Dynamik des
Universums übereinstimmt, nicht als eine gegebene Tradition. Die Nation muß
sich entwickeln und sich auf die Herausforderungen der Zeit einstellen.
Das war die Idee hinter der Gründung Amerikas, worin sich das Beste Europas
und die Absicht des Nikolaus von Kues ausdrückte, wie LaRouche immer wieder
betont. Das ist der vom oligarchischen Prinzip und einer erdrückenden Tradition
befreite republikanische Impuls. Wenn jemand sagt, man müsse „die Tradition“
achten, so soll man - im Geiste - die Faust ballen. Genau das erlebte auch de
Gaulle, als Frankreich im Mai-Juni 1940 besetzt wurde und sich in der
französischen Bevölkerung eine entsetzliche Angst und Feigheit breitmachte. Was
blieb? Das Prinzip einer Nation, ihre Legitimität als Idee, im Gegensatz zu dem
Geisteszustand der Bevölkerung und auch im Gegensatz zu dem - juristisch
unangreifbaren - Beschluß der französischen Nationalversammlung der Dritten
Republik, dem Franco-Faschisten Pétain uneingeschränkte Macht zu geben. Dazu
paßt die berühmte Äußerung de Gaulles: „Mein ganzes Leben lang hatte ich eine
bestimmte Vorstellung von Frankreich: Sowohl das Gefühl wie auch die Vernunft
haben mich inspiriert.“
Wo fand de Gaulle die Quelle einer solchen Legitimität? Im historischen
Genie der französischen Nation, jedoch nicht als einer feststehenden Ansammlung
von Dingen oder einer chaotischen Bevölkerung, wie sie damals existierte und
auch heute existiert. Die Nation ist im Gegenteil eine sich selbst
entwickelnde, von ausländischen Strömungen durchdrungene und verwandelte Idee -
eine Widerspiegelung des Universums. Die Nation ist kein Ding an sich; zwar
endlich zu einer bestimmten Zeit, aber unbegrenzt wie ein Universum. Unbegrenzt
durch den Geist anderer Kulturen, ist die Nation eine beabsichtigte und sich
ständig vervollkommnende menschliche Entdeckung. Sie ist kein Ding an
irgendeinem Ort.
Hören wir, was de Gaulle in einer Rede in Algier am 30. Oktober 1943 zu
sagen hatte, die er anläßlich des 60. Jahrestags der Alliance Française, dem
Inbegriff der sogenannten „französischen Kultur“, hielt:
„Wie hätte jedoch die helle Flamme des französischen Denkens aufgehen und
ihren Glanz behalten können, wenn es nicht umgekehrt so viele Elemente gegeben
hätte, die vom Denkern anderer Kulturen beigetragen wurden? Frankreich ist es
über die Jahrhunderte und bis zu der jetzigen Tragödie gelungen, einen
wachsenden Einfluß seiner Begabung zu bewahren. Das wäre unmöglich gewesen,
wenn Frankreich das Bestreben gefehlt oder es keine Anstrengungen unternommen
hätte, sich von ausländischen Strömungen durchdringen zu lassen. In diesem Fall
würde Autarkie schnell zu Verschlechterung führen. Auf künstlerischem,
wissenschaftlichem und philosophischem Gebiet sollte die Menschheit auf keinen
Fall der treibenden Kraft der Nachahmung des Internationalen beraubt werden,
und diese hohen Werte würden innerhalb der gequälten Psychologie des geistigen
Nationalismus keinen Bestand haben. Wir sind ein für allemal zu dem Schluß
gekommen, daß sich unser kultureller Einfluß nur durch freie geistige und
moralische Beziehungen zwischen uns und anderen zum Vorteil aller erweitern
kann und dann umgekehrt unser Wert steigt.“
De Gaulle hielt diese Rede in Afrika inmitten der Stürme des Zweiten
Weltkriegs. Inmitten dieser Stürme begann aber auch in Afrika - zunächst im
Afrika südlich der Sahara mit den Soldaten des Generals Leclerc (und unseres
guten Freundes Jean-Gabriel Revault d’Allonnes) und dann von Algerien und
Tunesien aus - die Rückgewinnung Frankreichs. Es sei daran erinnert, daß das
berühmte Treffen zwischen Churchill, Roosevelt und de Gaulle 1942 in Casablanca
(Marokko) stattfand, nachdem die amerikanischen Truppen in Marokko gelandet
waren. Es sei auch daran erinnert, daß die Befreiungsarmee, die am 15. August
1944 in Südfrankreich landete, hauptsächlich aus afrikanischen Soldaten
bestand, und nicht aus „français de souche“ (Französischstämmigen), wie man
heute sagt.
Die Tragödie des 20. Jahrhunderts
Die Tragödie des 20. Jahrhunderts besteht darin, daß der britische
Imperialismus nach der Befreiung Europas vom Nazismus und nach dem Tod von
Franklin Delano Roosevelt mit Hilfe der Londoner City und der Wall Street
wiedererstarkte, was sich in Truman in den Vereinigten Staaten ausdrückte und
in der entsprechenden Zerrüttung der französischen Vierten Republik. In meinem
Land bedeutete dies das Wiederaufblühen der Wahnvorstellung des „französischen
Imperiums“. Der erste Indochinakrieg, der mit dem Verrat an dem Ho Tschi
Minh-Leclerc-Abkommen von 1946 für eine stufenweise Unabhängigkeit begann und
dann in einen grausamen und verbrecherischen Kolonialkrieg mündete, wurde erst
1954 durch Mendés-France beendet. Ähnlich beendete de Gaulle den Algerienkrieg
1962 mit dem Frieden von Evian mit der algerischen Befreiungsbewegung. Wenn man
heute Frankreich verstehen will, muß man sich vergegenwärtigen, daß zwischen
1945 und 1962 all diese Kolonialkriege stattfanden. Das war in meiner
Jugendzeit, und dagegen habe ich immer gekämpft.
Die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten - dieser „Wirbelsturm der
Hoffnung“, wie sich Kwame Nkrumah ausdrückte - entwickelte sich unter der
anschließenden neokolonialen und finanziellen Besatzung zu einem Fiasko; die
Führer der afrikanischen Nationen wurden korrumpiert, und es entstand eine neue
Form der indirekten Unterwerfung unter die imperiale Ordnung - eine noch
hinterhältigere, noch demoralisierendere und zerstörerische Unterdrückung, weil
sie auf systematischem Verrat von innen beruhte. Die Gleichung, die General
Janssens, der belgische Kommandeur der kongolesischen „Force Publique“ am 5.
Juli 1960 aufstellte - „Vor der Unabhängigkeit = nach der Unabhängigkeit. Das
war’s“ – wurde leider mit Blick auf die anhaltende Unterdrückung immer
zutreffender.
Die strategische Bedeutung des Trennbankensystems
In diesen heutigen Tagen von Tragödie und Hoffnung kämpfen wir für ein
Trennbankensystem, ein Prinzip von gleicher strategischer Bedeutung wie das,
was de Gaulle „le salut“ (das Heil) nannte: Die Wucherer aus dem Tempel zu
jagen, wie vor kurzem sogar in einem Aufsatz gefordert wurde. Zuerst ein
Glass-Steagall-Gesetz in den Vereinigten Staaten, und dann ein globales
Glass-Steagall, um produktive Kredite zu vergeben; keine Schwindelpapiere mehr,
die das berühmte Pfund Menschenfleisch fordern, auch „Monetarismus“
genannt.
Der Kampf, an dem wir uns alle beteiligen, ist eine Frage von Leben und Tod
für die Menschheit. Eric Verhaeghe wird Ihnen zwar gleich seine Sicht eines
französischen Glass-Steagall vortragen [siehe Neue Solidarität 29/2011],
ich möchte aber jetzt noch etwas Wichtiges anfügen, was direkt aus der bereits
angesprochenen Frage der Legitimität folgt.
Europa und insbesondere Frankreich haben aufgrund ihrer kolonialen
Vergangenheit die Pflicht, die bisherige Politik gegenüber Afrika und den
Afrikanern zu ändern, und diese Änderung muß mit dem Prinzip von Glass-Steagall
wesensgleich sein. Wie wir bereits seit langem sagen, ist Afrika der
Lackmustest dafür, ob Europa in der Lage ist, sich der Glass-Steagall-Dynamik
eines weltweiten Kreditsystems mit festen Wechselkursen anzuschließen.
Die Rettung Afrikas ist wesensgleich mit der Rettung Europas, und die
Reaktion Europas auf das Glass-Steagall-Prinzip in den Vereinigten Staaten ist
wiederum wesensgleich mit der Rettung der Welt, einer Welt, die sich
augenblicklich am Rande der Selbstzerstörung befindet. Afrika ist unsere
Mission, und unsere Investitionen dort sind eine Schuldenrückzahlung für
frühere Generationen, die wir unterdrückt haben. Wir begleichen sie heute im
Interesse der zukünftigen Generationen. Das ist der eigentliche Sinn einer
Schuld.
Wie sich mein Freund Marcello Vichi in Bezug auf das Tschadsee-Projekt von
Bonifica ausgedrückt hat, sind die Maßeinheiten für die Kosten nicht Millionen
oder Milliarden Dollar, sondern die Abwesenheit von Kriegen und Millionen
Menschen, die vor dem Hunger gerettet werden und jetzt die Möglichkeit haben,
ein Leben in Würde, sozialem Frieden und einem wiedergewonnenen internationalen
Gewissen zu führen.
Dennoch müssen wir noch weiter klären, was Afrika für uns Europäer bedeutet.
Wir müssen unseren Anteil an der Menschheit zurückgewinnen, indem wir uns für
den Vorteil der Nachfahren jener einsetzen, die wir in der Vergangenheit
ausgebeutet und mißhandelt haben. Indem wir Afrika und die Afrikaner vor einem
schrecklichen Tod bewahren und ihnen die Fähigkeit zur Weiterexistenz geben,
begeben wir uns auf den Weg, um unser eigenes Menschlichkeitsprinzip als
relativ unsterbliche Gattung zurückzugewinnen.
Der Präsident meines Landes, Nicolas Sarkozy, hat jüngst erklärt, der
Augenblick sei gekommen, Haß und Groll zu vergessen und daß der Afrikaner, der
aus der Universalgeschichte herausgefallen ist, seinen Neuanfang machen sollte.
Das ist der reinste Blödsinn, denn damit würden nur die Verbrechen von
Imperialismus und Kolonialismus vertuscht und so getan, als hätten wir „einen
Raum kolonisiert, der von ungebildeten Menschen bewohnt war, die außerhalb der
Zivilisation geblieben sind.“ Das wäre gleichbedeutend damit, das Böse hinter
der Sklaverei zu vergessen.
Dem Zorn einen höheren politischen Gehalt geben
Meine Antwort lautet: Dies ist nicht der Moment des Vergessens, sondern
dafür, dem berechtigten Zorn einen höheren politischen Gehalt zu geben, was
etwas ganz anderes ist. Die Beteiligung an Großprojekten, die den gemeinsamen
Zweck der Menschheit umfassen, ist unsere Antwort auf das, was Sarkozy als
Stimme der Oligarchie repräsentiert.
Marcello Vichi wird nach mir seinen historischen Kampf für die Rettung des
Tschadsees durch einen Wassertransfer aus dem Kongo schildern, was unmittelbar
für 200 Millionen Menschen und letztlich für den ganzen Kontinent entscheidend
ist. Gestern sagte er mir, er sei ein wenig entmutigt...
Zwischenruf Marcello Vichis: Ich bin ein wenig entmutigt...
Cheminade: ... weil er seit dreißig Jahren immer das gleiche
wiederholt. Ich kenne jedoch Menschen, die Dinge noch viel länger wiederholt
haben, in ihrem Kampf aber immer optimistischer geworden sind!
Ich bin deshalb überzeugt, Marcello, daß die Stunde der Wahrheit kommt und
sich neue Möglichkeiten für Kämpfer wie Sie eröffnen. Als ich im letzten
Dezember dieses Projekt in Niamey, der Hauptstadt von Niger, vorstellte, bekam
ich einen Eindruck hiervon. Es wird nicht einfach sein. Es ist eine Straße mit
Schlaglöchern („Straußenlöchern“, wie man in Afrika sagt), aber es gibt eine
Straße.
Das Tschadsee-Projekt ist keine Sache für sich. Es ist Teil eines
Gesamtkonzepts von Großprojekten in Afrika und weltweit, für die Lyndon
LaRouche seit vielen, vielen Jahren kämpft - schon bevor ich ihn vor 37 Jahren
kennenlernte. Wenn Sie Zweifel daran haben, sollten Sie noch einmal seine
Kritik am Lagos-Aktionsplan lesen: Alle Hauptpunkte waren darin bereits
enthalten.1
In Afrika schlagen wir auch das Projekt eines Binnensees in Tunesien vor -
die Antwort für ein Land und ein Volk, das von den europäischen Staaten
aufgegeben wurde, die lieber Libyen bombardieren, als den Maghreb zu
entwickeln. Mit einer solchen „blauen Revolution“ könnte man Wasser in die
Senken („Schotts“) im südlichen Tunesien und Algerien einleiten, wodurch ein
Brotkorb für ganz Afrika entstehen könnte.
Ein entsprechendes Projekt stammt von dem französischen Offizier und
Topographen François-Elie Roudaire bereits aus dem Jahr 1874 - also, Marcello,
bereits hundert Jahre vor Bonificas Projekt für den Tschadsee! Ich meine,
Geduld bei solchen Fragen ist für eine gewisse Zeit wohl angebracht, aber wenn
es eineinhalb Jahrhunderte dauert, wird sie zum Mordkomplizen. Man sagt, Geduld
sei manchmal die Senilität von Nationen und Kontinenten.
Es gibt auch ein Projekt für eine grüne Mauer von Wäldern, um das Vordringen
der Wüsten zu stoppen. Südlich der Sahara würden Millionen von Bäumen quer
durch ganz Zentralafrika gepflanzt - eine Art Grüngürtel von etwa 7600 km
Länge.
Außerdem müßte der Jonglei-Kanal im Sudan zuende gebaut werden, um dort ein
agro-industrielles Zentrum für Ostafrika und Südwestasien zu errichten. Die
Idee dabei ist, die Hungernden zu ernähren, und nicht, Biotreibstoffe zu
exportieren, die das Land ruinieren! Die Entscheidung für dieses Projekt traf
die ägyptische Regierung bereits 1959. Es begann 1978 mit einem riesigen Bagger
aus Deutschland namens Lucy, der in zehn Tagen drei Kilometer ausheben konnte,
und der französischen Baufirma Grands Travaux de Marseille - ein schönes
Beispiel deutsch-französischer Zusammenarbeit, ganz anders als das, was
zwischen Sarkozy und Merkel abläuft.
Die Arbeiten wurden jedoch 1984 abgebrochen, als die Rebellen der
„Sudanesischen Volksbefreiungsarmee“ im Auftrag ihrer britischen Hinterleute
auf Lucy und die Bauarbeiter zu schießen begannen. Alles, was heute davon noch
übrig ist, ist ein Dorf im Sudan namens „Kanal“.
Am Endteil des nicht fertiggestellten Kanals türmt sich der Müll, Schweine
wälzen sich im Schmutz und Kinder baden in Drecktümpeln. Teile von
stehengelassenen Bulldozern und anderen Erdbewegungsmaschinen rotten vor sich
hin. Auf einem großen Kran mitten auf dem Marktplatz haben sich einige Soldaten
eingenistet, die dort mit ihren Handys ins internationale Netz zu kommen
versuchen, wahrscheinlich, um Aufträge entgegenzunehmen.
Projekte für die Zukunft
Ich frage meine französischen Mitbürger: Wie kann man zulassen, daß eine
solche Schande auch nur eine Minute weiter anhält? Stellen wir uns statt dessen
dort ein Projekt vor, für das Pioniere und Arbeiter Polder wie in den
Niederlanden graben. Am Jonglei-Kanal, aber auch am Tschadsee und in der
Qatara-Senke gibt es riesige Landflächen mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten
für den Bau von Kanälen, der Pflanzung von Bäumen, Einrichtung von
Kommunikationslinien. Der berühmte Transrapid für Afrika - unmöglich? Genau das
gleiche sagte man vor dreißig Jahren auch über China, und heute gibt es in
China das größte Hochgeschwindigkeitsbahnnetz auf der Welt!
Stellen Sie sich vor, Kinder könnten eine zweisprachige Schule besuchen, wo
sie neben ihrer Muttersprache auch Englisch, Französisch oder andere Sprachen
lernen, wo die Schulbücher die Geschichte und Kulturgeschichte ihrer jeweiligen
Länder wiedergeben und nicht aus Europa oder den Vereinigten Staaten importiert
werden, in denen (bestenfalls) halbverrückte oder ganz verrückte
pseudoreligiöse Ansichten evangelikaler, wahhabitischer oder anderer Kulte
verbreitet werden.
Man stelle sich die Freude der Kinder vor, die endlich ein eigenes
Nationalmuseum besuchen können, das ihnen eine lebendige Vorstellung ihrer
nationalen Identität, der Geschichte und des Fortschritts ihres Landes
vermittelt, was sich aber nicht auf die Grenzen ihres Landes beschränkte,
sondern eine panafrikanische Perspektive wäre. Darin würde auch die Vorzeit
dargestellt, als Afrika die Wiege der Zivilisation war - entgegen allem, was
Sarkozy darüber sagt -, bis zum heutigen Geschichtsabschnitt mit all den
Entwicklungen, für die wir kämpfen. Das wären keine Museen für Touristen oder
neugierige Besucher, sondern Museen, die eine kulturelle Plattform für die
nationale und panafrikanische Entwicklung schaffen.
Stellen wir uns die Frauen dort vor - Männer sind in Afrika mitunter einfach
zu faul; nein, es ist so, die afrikanischen Kinder und Frauen arbeiten am
meisten. Es hat in einigen Dörfern des Senegals bereits begonnen, dort, wo die
Mauer aus Wald bereits entsteht, daß Frauen Land bekommen und in eigenen Gärten
Obst und Gemüse für ihre Familien anbauen. Nicht mehr lediglich eine Schale
Reis, sondern Tomaten, Mohrüben, Melonen, Kohl - eine angemessene Ernährung für
alle. Stellen wir uns vor, daß es dort genügend Trinkwasser gibt, Teams von
Ärzten und Medizinstudenten Wege finden, um die Malaria und Augenkrankheiten
wie die Flußblindheit sowie die gefürchtete Amöbenruhr auszurotten, die heute
dort eine der Haupttodesursachen ist. Stellen wir uns vor, wie Forstfachleute
der Bevölkerung beibringen, Bäume anzupflanzen und zu pflegen, wie in dem
Entwicklungsprozeß moderne Hochtemperaturreaktoren, Kernkraftwerke der vierten
Generation, gebaut werden.
Doch was geschieht statt dessen? Es werden verrückte Projekte wie Desertec
geplant, die entgegen allen Gesetzen der Energieflußdichte die Sonne Afrikas
ausbeuten sollen. Mit Sonnenkollektoren auf einer Fläche von 30.000
km2 und geplanten Investitionen von 400 Mrd. Euro will Europa 50%
seines Strombedarfs decken. Die gleichen Leute, die behaupten, das
Tschadseeprojekt, die blaue Revolution in Ägypten, die Waldmauer in Tunesien
u.a. seien zu teuer und zu kompliziert, setzen sich für Desertec oder den Bau
von Eisenbahnen ein, die nur Uran, Kupfer oder Öl ausbeuten sollen, ohne das
Hinterland zu entwickeln. Was Afrika eigentlich braucht, ist ein
transkontinentales Eisenbahnnetz von Nord nach Süd und von Ost nach West, wie
es die Vereinigten Staaten einmal gebaut haben.
Wenn wir das der europäischen Bevölkerung in einem Moment des gärenden
Massenstreiks bewußt machen, kann das viele Augen öffnen. Es ist diese
unmittelbare Notwendigkeit für Großprojekte zum Wohle Afrikas, was wir als
unser Geschenk an das Ferment des Massenstreiks übermitteln
müssen, und genau das habe ich in den Mittelpunkt meines
Präsidentschaftswahlkampfes gestellt.
Wahlkampf mit Ideen führen
Dafür bekommen wir Unterstützung von Bürgermeistern aus den französischen
Überseegebieten, zum Beispiel aus Neukaledonien. Mein Plan ist es, eine Gärung
unter den Bürgermeistern zu entfachen, die unseren Politikern Feuer unter dem
Hintern machen wird. Der Wahlkampf soll also mit Ideen geführt werden, und
nicht nur mit Ideen, sondern mit allerlei Feuerwerk - einem Feuerring vom
Pazifik zum Atlantik unter dem moralischen Hintern jener, die meinen, die
Situation ignorieren zu können. Einer unser Bürgermeister-Freunde ist hier und
wird auch im Namen dieser anderen Bürgermeister sprechen [siehe Neue
Solidarität 31/2011].
Es gibt aber auch noch die Frage der Einwanderer. Sicher, wir müssen Afrika
entwickeln, wir haben aber auch eine Verpflichtung gegenüber den Einwanderern.
Wenn der Grundsatz von Gastfreundschaft und gemeinsamer Entwicklung nicht zu
Hause gilt, wie sollen wir dann Afrika entwickeln können? Einige Leute in
Deutschland, aber auch in Frankreich wie Marine Le Pen behaupten, „gegen
Einwanderung, aber nicht gegen die Einwanderer“ zu sein, und man müsse Afrika
entwickeln, um zu verhindern, daß die Menschen nach Europa kommen. Mit solcher
Sophisterei muß Schluß sein!
Es ist längst eine Tatsache, daß das, was in Westeuropa von der
Arbeiterklasse übrig ist, mehrheitlich afrikanischen Ursprungs ist und
mittlerweile Teil von uns geworden ist. Nach jüngsten Forschungsergebnissen
gibt es dennoch einen Unterschied, nämlich daß die Afrikaner nichts vom
Neandertaler in ihren Genen haben, während wir Europäer etwa 4% des
Neandertalers in unseren Genen haben! Über solchen Schwachsinn lassen sich
Leute aus, das ist nur noch zum Lachen!
Wir müssen Afrika entwickeln, aber auch unsere Einwanderer müssen wir als
Aufgabe sehen. In Deutschland sind viele türkischer Herkunft - die
„Sarrazinen“, aha! -, in Frankreich kommen viele aus dem Maghreb, aber sie sind
ein Teil von uns. Wir müssen ihnen die Tür zur Mitgestaltung der Politik dort
öffnen, wo sie arbeiten. Bereits die Schriftsteller der Renaissance äußerten
sich eindeutig zu dieser Frage: Die Teilhabe an der Arbeit definiert die
Nationalität. Der große Fehler aller „Progressiven“ Europas in den sechziger
Jahren bestand darin, daß sie ihre sozialen Kämpfe nicht mit dem Aufbruch der
afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen verbanden und damit keinen geistigen
Abbau des Kolonialismus in Gang setzten.
Der britische Imperialismus spielt nicht nur einzelne Völker gegeneinander
aus, sondern erzeugt auch innerhalb unserer eigenen Länder einen Zustand
ständiger interner Kriege, was nur von oben durch die Einleitung von
Großprojekten gestoppt werden kann. Insofern entspricht die gemeinsame
Entwicklung der Eurasischen Landbrücke vom Atlantik bis zum Chinesischen Meer
den Großprojekten in Afrika: Es ist eine Einheit.
Um uns selbst in Afrika zu retten, müssen wir offensichtlich jetzt
das Euro-System aufgeben und es ersetzen - aber nicht durch einen Rückzug auf
„unseren eigenen Kram“, einen nationalen Monetarismus, sondern durch das Gefühl
einer höheren Zweckgemeinschaft von den Vereinigten Staaten über Europa bis
Afrika, wie ich schon sagte, und das sollte die Grundlage für eine
französisch-deutsche Entschlossenheit sein - eine antichauvinistische,
französisch-deutsche Entschlossenheit, eine Entschlossenheit mit einer
gemeinsamen klassischen Kultur, wie sie uns gestern abend gezeigt wurde. Wir
brauchen einen neuen Westfälischen Frieden, um die Europäische Union abzulösen,
und Afrika ist der Test für unsere Unsterblichkeit.
Die Verrohung überwinden
Betrachten wir dies von der erforderlichen Ebene aus: Viele Franzosen,
darunter auch einige wohlmeinende, die ich in letzter Zeit traf, sagen, daß es
fast unmöglich sei, Afrikaner in moderner Technik, in Mechanik auszubilden, und
ich weiß auch, daß einige Chinesen - ich versuche, höflich zu sein, wenn ich
sage, „einige“ - genauso denken. Wenn Sie das akzeptieren, dann verraten Sie
die Menschheit - in den anderen und in sich selbst. Was ist das Problem? Es ist
die Verrohung der Afrikaner, aber es ist auch die selbstverschuldete Verrohung
unserer eigenen kreativen Kräfte. Natürlich, wenn man versucht, Afrikaner
mechanistisch zu drillen, daß sie Formeln anwenden und Befehle befolgen, dann
werden sie das zurückweisen, weil sie es zurecht so verstehen, daß man sie nur
als Maschinenersatz betrachtet.
Um sie auszubilden, muß man ebenso, wie wenn man heute unsere eigene
Bevölkerung ausbilden will, unsere Jugend, die sich im Griff von Lust und
Schmerz verliert, wie gestern wiederholt gesagt wurde, in sich selbst zunächst
den Funken geistigen Lebens entdecken, um ihn an andere weitergeben zu können.
Es gibt keine Spontanzeugung geistigen Lebens durch Gewohnheit oder Know-how,
die nicht mit dem Leben übereinstimmt. Leben, geistiges Leben, entsteht stets
und ausschließlich aus einem aktiven geistigen Leben. Und wie könnten wir das
einander geben, wenn wir es nicht in uns selbst erlebt haben? Und die meisten
Einrichtungen, die heute irgendetwas unterrichten, lehren uns nicht, wie man
kreativ ist, sondern nur, wie man Formeln anwendet.
Der Vorteil des anderen, also das Prinzip des Westfälischen Friedens, beruht
auf einem gemeinsamen Prinzip kreativer Entdeckung. Eine Plattform der
Entwicklung bedeutet für Afrika - und für uns - eine Änderung der Vorstellungen
von Raum und Zeit, ein Verständnis unserer Menschheit als etwas Werdendes.
Öffentliche Arbeiten, Großprojekte gegen den Absolutismus von Raum und Zeit,
und nicht nur gegen den Absolutismus der Monarchen der Wirtschaft, wie
Roosevelt sagte.
Cheikh Anta Diop, der große afrikanische Denker, dem in den sechziger Jahren
aufgrund des Versagens der progressiven Kräfte eine führende Position
verweigert wurde, hatte ein Gespür für dieses Konzept der Kontinuität durch
Wandel und das Recht Afrikas, von allen Entdeckungen der Menschheit zu
profitieren, und nicht in die Falle des „Afrikanismus“ zu geraten, jene
Chauvinistische Krankheit, die das Spiegelbild des Imperialismus ist - oder
besser gesagt, die Waffe des Imperialismus, mit der Afrika im Zustand
freiwilliger Unterwerfung gehalten wird.
Hören wir was Cheikh Anta Diop, in Zivilisation oder Barbarei sagt:
„Man kann dann sehen, wie grundsätzlich unangemessen sie ist, diese
abgegriffene Idee, daß ausländische Ideologien nach Afrika importiert würden:
Das beruht auf einer völligen Unkenntnis der Vergangenheit Afrikas. So, wie die
modernen Technologien und die Wissenschaft aus Europa kamen“ - und aus den
Vereinigten Staaten - „so floß das universelle Wissen aus dem Tal des Nils in
die übrigen Welt, insbesondere nach Griechenland, das dann als Vermittler
wirkte. Daher ist kein Gedanke, keine Ideologie ihrem Wesen nach etwas Fremdes
für Afrika, das ihr Geburtsort war. Die Afrikaner können also mit aller
Freiheit auf dieses gemeinsame geistige Erbe der Menschheit zugreifen und sich
dabei nur von dessen Nützlichkeit und Wirksamkeit leiten lassen.“
An diesem Punkt sind wir angekommen.
Die Frage der Musik
Ich muß noch einen letzten Punkt ansprechen, der Europäer und Afrikaner nach
meiner Erfahrung noch mehr schmerzt als alles andere, aber entscheidend ist im
Kampf gegen das oligarchische Prinzip in uns selbst: Die Frage der Musik. Ich
bin versucht zu sagen, „Es ist die Musik, Dummkopf!“ [Lachen.] Denn ohne ein
Verständnis des Prinzips - und Lyn wird darüber ja heute nachmittag noch
sprechen - ohne ein Verständnis des Prinzips der klassischen Komposition in der
Musik, der Mehrdeutigkeit des Konfliktes zwischen zwei oder mehr Stimmen, die
nur im menschlichen Geist gelöst werden kann: ohne dies kann es keine kreative
Beteiligung an großen Projekten als ein Abenteuer geben, das uns allen die Tore
zum Wissen öffnet. Wie kann man die Bedeutung der Strahlung verstehen und
diejenige heraussortieren, die eine Gefahr darstellen könnte, wenn der Geist
nicht darauf eingestimmt ist? Glass-Steagall ist der Weg für die menschliche
Entwicklung. Und die Macht der menschlichen Entwicklung beruht auf dem, was die
klassische Kunst bringt - nicht auf der Zungenspitze, sondern an der Spitze des
Geistes.
Und da liegt eine wesentliche Herausforderung. Weil die Bushs - und, das muß
ich hinzufügen, auch die Kerrys und andere im Skull-and-Bones-Klub - den
Schädel des Geronimo geholt haben, um auf magische Weise die Kraft der Wildnis
für die Oligarchie einzufangen - der Inbegriff davon war Theodore Roosevelt -,
haben wir als soziale Unterhaltung einen Krach angenommen, der uns zerstört,
einen Krach, von dem einige behaupten, er sei afrikanische Musik, aber er ist
eigentlich bloß eine Flucht aus der Verzweiflung oder vielmehr eine Anbiederung
an die Verzweiflung. Und indem wir uns vor der Oligarchie verbeugen, haben wir
sie lasterhaft als eine soziale Lebensform übernommen - die oligarchische
Ausnutzung der Verzweifelung der Geplünderten als unsere Unterhaltung.
Wir müssen dem ein Ende setzen. Und deshalb werde ich mir die Kultur auf die
Fahne meines Präsidentschaftswahlkampfes schreiben, in Übereinstimmung mit dem,
was gestern gesagt wurde, was heute gesagt werden wird, und was wir morgen
wiederholen werden - und so weiter an jedem Tag, bis wir gewinnen - und auch
noch lange, nachdem wir gewonnen haben.
Ohne diese Entschlossenheit wäre ich ein korrupter Schwindler, wie alle
anderen. Unsere Strategie ist es, den menschlichen Geist zu erhalten, denn wir
wissen, daß es jetzt eine „Änderung zum Guten gibt - oder zur Hölle“. Wir
kämpfen zwar, aber wir wollen darüber nicht auf die Prinzipien unseres Denkens,
unserer Aufgabe im Universum verzichten. Wir mögen sterben, aber wir wollen
nicht so sterben wie die Dinosaurier.
Anmerkung
1. Stop the Club of Rome Genocide in Africa: A Critique of the Lagos
Plan, von Lyndon H. LaRouche, Jr., 1980 MS, EIR - eine Kritik am
„Lagos-Aktionsplan: 'Terra-Forming' the Sahara and Nile” (April
28-29, 1980) der Organization Afrikanischer Einheit.