"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

„Weltraumtechnologie hat das Leben von Millionen Nigerianern verbessert“

Das folgende Interview mit dem Leiter der Nigerianischen Weltraumbehörde, Dr. Seido Oneilo Mohammed, führten William Jones und Marsha Freeman vom Executive Intelligence Review am 5. Oktober 2011 am Rande des Internationalen Astronautischen Kongresses in Kapstadt/Südafrika.

Dr. Seido Oneilo Mohammed ist Leiter der Nigerianischen Behörde zur Erforschung und Entwicklung des Weltraums. Er stammt aus der alten Stadt Abejukolo im Bezirk Omala des Bundesstaats Kogi. Er ist Alumnus mehrerer wissenschaftlicher Einrichtungen wie der Universität von Jos/Nigeria, des International Institute for Geoinformation and Earth Observation (ITC) der Universität Twente/Niederlande, des Indian Institute for Remote Sensing in Dehradun im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh und der Universität Chicago/Illinois in den Vereinigten Staaten. Außerdem hat er einen Doktorgrad der Bayero-Universität in Kano/Nigeria für seine Arbeiten in der Fernerkundung zu Umweltschutzzwecken.

Dr. Mohammed war Generaldirektor des Direktorats des Bundesstaats Kogi für ländliche Entwicklung und Vorstandsvorsitzender des Nationalen Zentrums für Fernerkundung in Jos, derzeit ist er Vorstandsvorsitzender der Nigerianischen Behörde zur Erforschung und Entwicklung des Weltraums. 2009 wurde er zum Mitglied der Internationalen Astronautischen Akademie gewählt.

EIR: Nigeria nutzt die Satellitentechnik und interessiert sich schon lange für den Weltraum. Können Sie uns etwas darüber sagen, welchen Nutzen diese Weltraumkapazitäten der Wirtschaft und der Bevölkerung im Allgemeinen gebracht haben?

Mohammed: Das ist eine interessante Frage. Natürlich sind wir mit solchen Fragen fast täglich konfrontiert. Vor zehn Jahren, am Anfang [des Weltraumprogramms] wurden wir stark kritisiert, vor allem von den Eliten.

Weltraumtechnik nicht nur für reiche Länder

EIR: In Nigeria?

Mohammed: Ja, in Nigeria. „Was hat ein Entwicklungsland im Weltraum zu suchen?“ Aber wir sind froh, daß die Kritik der Bevölkerung jetzt, nach 10-11 Jahren, deutlich zurückgegangen ist. Das ist das erste. Zweitens sind uns unsere Kollegen überall in Afrika nachgefolgt, nachdem sie gesehen haben, was wir hier in Nigeria machen. Algerien hat sich als zweiter [im Weltraum] etabliert, Südafrika hat seine Weltraumbehörde gegründet - das ist Nummer drei. Kenia hat sich angeschlossen, das sind vier. Auch Ägypten hat das formalisiert, als Nummer fünf. Marokko macht gute Anstrengungen. Ghana schließt sich an. Es wird niemand schlecht darüber reden.

Und zuhause half es, unsere örtlichen Kompetenzen zu entwickeln. Als wir 2003 mit unseren Partnern von Surrey Satellites in Großbritannien unseren ersten Mikrosatelliten herstellten, wurden etwa 15 Ingenieure und Wissenschaftler durch dieses Projekt ausgebildet. 2007 hatten wir eine Zusammenarbeit mit den Chinesen zur Entwicklung eines Kommunikationssatelliten. 50 Ingenieure und Wissenschaftler wurden durch dieses Projekt ausgebildet. Und beim letzten, der am 17. August 2011 gestartet wurde, wurden 25 Ingenieure und Wissenschaftler trainiert. Gleichzeitig werden etwa 40 unserer Kollegen in 11 Einrichtungen in aller Welt fortgebildet, u.a. an der Universität von Alabama, der Universität Surrey und mehreren anderen. Und etwa 50 machen derzeit ein Master-Studium, um ausreichend Kapazitäten zur personellen Ausstattung und Weiterführung unserer Einrichtungen zu entwickeln.

Alle diese Einrichtungen sind Bodenstationen, in denen nigerianische Ingenieure und Wissenschaftler mit diesen Satelliten arbeiten. Wir haben auch Plattformen geschaffen, um die Daten dieser Erderkundungssatelliten zu verarbeiten, etwa für Umweltstudien, um Karten für die Landwirte zu erstellen usw. usf.

Wir haben kürzlich ein Projekt abgeschlossen, die Nationale Bodenbedeckungskarte des ganzen Landes im Maßstab 1:100 000. Es gab 1995-96 ein ähnliches Projekt. Damals wurden der nigerianischen Regierung 3 Mio.$ von der Weltbank bewilligt, um [Satelliten-]Bilder aus Frankreich zu kaufen - 14 Bilder. Aber diesmal wurden uns nicht wie damals - als Nation ohne Satelliten - Geld bewilligt. Damals kamen kanadische Berater, um das zu machen. Diesmal haben wir uns hier vor Ort an Leute von einer nigerianischen Universität gewandt, um diese Karten zu entwickeln. Durch dieses eine Projekt allein haben wir mehr als 10 Mio.$ gespart. Und das hat noch mehr Nigerianer ermutigt.

Wir haben auch einen Atlas mit Satellitenkarten erstellt, der von Menschen überall in Nigeria genutzt wird - von Leuten, die Unternehmensketten, Restaurants und ähnliches aufbauen wollen. Das sind hochaufgelöste Bilder, um die am besten bevölkerten Gebiete zu finden, die Bevölkerungsschichten, die etwas wohlhabender sind, um zu sehen, wo verschiedene Routen zusammenkommen, die eine Wirkung haben können.

Wir fangen also an zu sehen, daß die Nigerianer dafür mobilisiert werden, und mehr und mehr Menschen werden überzeugt, daß die Weltraumtechnik von Nutzen sein kann - und das nicht nur für die industrialisierten Volkswirtschaften. Denn unsere Technik ist nicht auf einer zweiten Ebene, sondern sie dient dazu, bestimmte Probleme zu lösen. Und damit gewinnen wir weitere Anhänger.

Aber das soll nicht heißen, daß es keine Leute mehr gäbe, die uns kritisieren. Ich sage den Leuten immer: So fortgeschritten die NASA auch ist, es glauben immer noch nicht alle Amerikaner an die Raumfahrt!

Die Landwirte folgen dem Wasser

EIR: Die Wasserfrage ist in vielen Teilen der Region entscheidend.

Es ist jetzt der Vorschlag auf dem Tisch, ein massives Bewässerungsprojekt zu verwirklichen, das Wasser aus dem Kongo heranführen würde, um den Tschadsee wieder aufzufüllen und daran zu gehen, den Prozeß der Verwüstung rückgängig zu machen. Wie sehen Sie ein solches Projekt?

Mohammed: Das betrifft das Leben von 20 Millionen Menschen, nicht nur in Nigeria, sondern auch in Kamerun, im Tschad, wahrscheinlich auch in Niger und Teilen des Sudan. Durch den Rückgang des Wassers ist die Lebensgrundlage der Menschen gestört. Die meisten Länder haben Dämme gebaut und Reservoirs, und das beeinträchtigt den Zufluß des Wassers. Und deshalb gibt es im Tschad nicht genug Grundwasser. Das ist ein großes Problem.

Manchmal gibt es Wasser und die Bauern folgen ihm, aber manchmal geht es über die Grenzen ihres Landes. Aber das wissen sie nicht und sie fangen dann an zu kämpfen - Sie wissen schon: „Ihr habt mein ganzes Land weggenommen.“ Aber aus ihrer Sicht ist es ihr Wasser, und sie sind bereit, ihm überallhin zu folgen. Sie [die Landwirte] haben mir gesagt, daß sie mehr Bilder vom Tschadsee gefunden haben als von irgendeinem anderen Ort. Ich sage, daß das stimmt, denn die Corona-Bilder, die wir verwenden, stammen aus den sechziger Jahren und kommen aus den USA.

EIR: Das sind also historische Aufnahmen?

Mohammed: Ja.

EIR: Ich habe [dem NASA-Administrator] Charlie Bolden gesagt, daß es wahrscheinlich jedesmal, wenn man ein neues Bild aufnimmt, weniger Wasser im Tschadsee gibt. Und er mußte zustimmen, daß das so ist. Die Idee sollte also sein, mit dem Transaqua-Projekt wieder Wasser in den Tschadsee zu bringen und dazu beizutragen, daß die Verwüstung rückgängig gemacht wird.

Mohammed: Das wäre phantastisch.

EIR: Was sind die nächsten Schritte?

Mohammed: Wie ich schon während der Konferenz sagte: Wir haben jetzt optische Bilder. Das nächste, was wir starten, ist ein Kommunikationssatellit. Die Bevölkerung beträgt mehr als 150 Millionen Menschen. Wir haben mehr als 95 Millionen GSM-[Mobiltelefon]-Linien. Allein damit erreicht man mehr als 50% der Bevölkerung.

Die Kapitalflucht von mehr als 400 Mrd.$ soll auf weniger als 500 Mio.$ reduziert werden, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dieses Geld kann dazu genutzt werden, die Kredite abzubauen. Es kann genutzt werden, um medizinische Dienstleistungen anzubieten und die Schulen für unsere Jugend wiederherzustellen - das ist das zweite.

Als drittes brauchen wir Satellitenradar mit synthetischer Apertur [Abbildungsradar mit sehr hohem Auflösungsvermögen]. Denn mehr als 50% Nigerias sind von Wolken bedeckt, und Radar ist derzeit die einzige Technik, die die Wolken durchdringen kann. Das gibt uns die Möglichkeit, unsere Vorkommen an Öl und Gas einzuschätzen. Es wird eine Möglichkeit sein, Öllecks zu beobachten und auch die damit verbundenen Probleme im Gebiet des Niger-Deltas zu beobachten. Und es gibt uns die Gelegenheit, Offshore-Aktivitäten zu beobachten, insbesondere die illegalen Fischerboote, die in unseren Gewässern vorherrschen. All das ist wichtig.

Das also ist die Richtung. Wir müssen einen Radar-Satelliten bauen. Das ist ein Teil von dem, was wir insgesamt ins Auge gefaßt haben.

EIR: Dieser Radar-Satellit mit synthetischer Apertur - ist das etwas, was Sie selbst entwickeln?

Mohammed: Es gibt mehrere Modelle. Modell eins ist hinzugehen und es zu kaufen. Modell zwei ist, den ganzen Prozeß von Anfang bis Ende zu starten, wie es die Vereinigten Staaten getan haben. Aber dafür haben wir nicht das Geld. Denn wenn man einen Satelliten verliert, und vielleicht noch einen weiteren, dann wird man meinen Kopf fordern.

EIR: Der Chef der russischen Weltraumbehörde wurde aus diesem Grund gefeuert.

Mohammed: Ja. In diesem Fall werden wir also ein Modell entwickeln müssen, das dazwischen liegt, so daß wir das Rad nicht neu erfinden müssen. Und das ist genau das, was wir tun.

Ausblick: ein nigerianischer Astronaut

EIR: Sie haben erwähnt, daß Sie bis 2025 ein Entwicklungs- und Testzentrum haben werden...

Mohammed: Nein! Wir wollen das Entwicklungs- und Testzentrum schon jetzt, wir arbeiten daran, wir bemühen uns um Geld dafür. Wir haben gesagt, bis 2025 sollten unsere Industrien soweit gewachsen sein, daß sie die Produktion und Dienstleistungen für unsere Weltraumtechnik kommerzialisieren können - das war es, was wir gesagt haben.

Bis 2030 wollen wir gemeinsam mit anderen Nationen eine Starteinrichtung schaffen, wie es sie in Kourou gibt. Wir suchen jetzt Partner dafür. Wir kommen nach Amerika, wir kommen nach Europa, um sie zu gewinnen, damit wir bis dahin gemeinsam eine Startanlage entwickeln können, weil unsere Nähe zum Äquator einzigartig ist. Und wir suchen die Unterstützung durch Zusammenarbeit.

EIR: Sie haben auch erwähnt, daß Sie bei einer Reihe von Projekten mit Südafrika zusammengearbeitet haben. Was für Programme waren das?

Mohammed: Derzeit haben wir innerhalb der afrikanischen Plattform die African Earth Resource Monitoring Constellation (Afrikanische Konstellation zur Beobachtung der Ressourcen der Erde). Wir sagen, daß diejenigen, die dazu Satelliten beitragen können, dies auch tun sollten, um Daten über Afrika zu erhalten. Der Satellit, den wir gestartet haben, unser jüngster, ist der erste dieser Konstellation, und das heißt, daß diese Zusammenarbeit begonnen hat. Wir werden auf verschiedenen Wegen Kapazitäten aufbauen und beginnen dann mit der Entwicklung des SKA [Square Kilometre Arrays, ein aus einer Vielzahl von Empfängern bestehendes Radioteleskop mit einer Gesamtsammelfläche von einem Quadratkilometer]. Wir sind nicht von Anfang an dabei, aber wir wollen uns als Teil der Bemühungen zur Entwicklung eines Astronomie-Programms in Afrika daran beteiligen, weil dies verschiedene Bereiche beeinflussen kann. All das geschieht also derzeit.

Wir erwarten auch, daß der private Sektor - dafür gibt es gute Anzeichen in Südafrika - auch in Nigeria seine Fußstapfen hinterlassen kann, so daß wir die beiden verbinden können, um eine rein afrikanische Angelegenheit daraus zu machen. Das ist unsere Absicht: Zusammenarbeiten. Das würde unsere Bemühungen verstärken und uns ein gutes Stück weiterbringen, mit einem angemessenen Anteil am afrikanischen Markt dazuzugehören.

EIR: In einem Vortrag über das nigerianische Programm wurde gestern erwähnt, daß es bis 2015 einen nigerianischen Astronauten geben soll.

Mohammed: Ja, nach unseren Plänen wollen wir 2015 einen jungen Nigerianer in der Internationalen Raumstation haben. Das ist das, was wir wollen. Aber Sie kennen ja die globale Politik - wie Bolden sagte. Wir schauen uns das an und sehen, wie das auf unsere Pläne wirkt. Bolden sagte, daß sie jetzt eine weitere Zusammenarbeit im Weltraum wollen. Wir betrachten also genau, wie das unser Programm beeinflussen wird. Aber wir alle sind daran interessiert, wie das uns betrifft. Wir müssen einige unserer in Nigeria heimischen Nahrungsmittel in die Schwerelosigkeit bringen, um zu sehen, wie wir die Vielfalt verbessern können.

EIR: Die Chinesen machen viele Experimente mit chinesischem Saatgut und verschiedenen Reissorten und anderem, um zu sehen, wie es durch die Mikrogravitation verbessert werden kann.

Mohammed: Richtig.

EIR: Die Möglichkeit eines nigerianischen Astronauten wäre sehr wichtig. Denn die Leute hier bei der Konferenz haben viel darüber gesprochen, wie man die jungen Menschen für die Raumfahrt engagieren kann. Und natürlich ist die bemannte Raumfahrt der Teil der Raumfahrt, der am meisten begeistert. Und der Mann, der auf dem Mond geht, ist das, was die Leute am meisten sehen. Wenn Sie also einen Nigerianer im Weltraum hätten -

Mohammed: Das wäre phantastisch! Schon alleine dieses Bild! Ich könnte auf die Straßen von Nigeria gehen und damit Berge versetzen. Wenn wir das tun, das wäre schon Kampagne genug für die Weltraumfahrt. Ich bräuchte nichts anderes tun.