Die vermeidbare Hungerkrise am Horn von Afrika
Die Hungerkrise am Horn von Afrika hätte vermieden werden
können, wenn der Westen nicht wirkliche Entwicklungsprojekte sabotiert
hätte.
Die Welt wird mit Meldungen und Berichten über die Hungerkrise am Horn von
Afrika geradezu überflutet, dennoch sagen diese Berichte nicht die Wahrheit
über diese Krise. Natürlich ist es wahr, daß 12 Millionen Menschen in der
Region vom Hungertod bedroht sind und sehr schnell Hilfslieferungen dorthin
gelangen müssen. Aber es muß auch ganz deutlich gesagt werden, daß diese Krise
von Menschen verursacht wurde und daß man sie hätte verhindern können. Es ist
die bewußte Politik des Britischen Empire, die Weltbevölkerung, besonders in
armen Ländern, durch Kriege, Hunger und Seuchen zu dezimieren, und die
Vereinigten Staaten sind ihrer Verantwortung, eine echte Alternative dazu zu
bieten, nicht gerecht geworden.
Inzwischen weist einiges darauf hin, daß Präsident Obama die amerikanische
Finanzhilfe einschränken will, weil sie die Schulden der USA erhöht. Zwei
sinnlose Kriege und Billionen-Dollar-Hilfen für seine Freunde an der Wallstreet
sind Obama wichtiger als Menschenleben in Afrika.
Im Kongreß wurde vorgeschlagen, das Budget der Entwicklungshilfebehörde
USAID gegenüber dem Vorjahr um 488 Millionen Dollar kürzen, und so wird das
Risiko für die Menschen am Horn von Afrika größer denn je. Die düsteren
wirtschaftlichen Aussichten in Amerika und Europa, wo traditionell die meiste
Hilfe herkommt, wecken die Besorgnis, daß noch mehr Hilfsquellen versiegen
könnten. Bisher wurde jedenfalls weniger Hilfe bereitgestellt als in der Krise
in derselben Region 1992.
Doch selbst wenn genug Hilfe einträfe, könnte dies nicht verhindern, daß
sich solche Katastrophen künftig wiederholen. Ohne Infrastrukturentwicklung in
der Region sind neue Krisen unausweichlich.
Nach Angaben von Wirtschaftsexperten hätte es in Somalia, dem Land, wo die
Krise am schlimmsten wütet, schon längst die Möglichkeit gegeben, durch große
Wasserprojekte diese wiederkehrenden Krisen zu verhindern. Bereits im Jahr 1979
hatte die Weltbank umfangreiche Untersuchungen abgeschlossen und Vorschläge für
Bewässerungsprojekte im Becken der Flüsse Shebelle und Jubba erstellt. Beide
entspringen im äthiopischen Hochland und der Jubba führt das ganze Jahr Wasser,
während der Shebelle, nachdem er das ganze Land durchflossen hat, in der
Trockenzeit nahe Mogadischu austrocknet. Der Bau der Projekte im Becken
zwischen diesen beiden Flüssen hätte Dürren verhindert wie die, unter der die
Region derzeit leidet und zahllose Menschen veranlaßt, vor dem Hunger zu
fliehen. Schon vor dieser jüngsten Krise lebten mehr Somalis im Ausland als in
ihrem eigenen Land.
Spekulation und steigende Nahrungsmittelpreise
Der zweite Faktor, der so viele Menschen in die Flucht treibt, ist der
explosionsartige Anstieg der Lebensmittelpreise. Wegen der weltweiten
Nahrungsmittelknappheit und der Spekulation vieler Hedgefonds mit
Nahrungsmitteln haben sich die Preise verdreifacht. Hirten in Somalia konnten
sich wegen der hohen Preise keine Nahrungs- und Futtermittel für sich und ihre
Herden mehr leisten. Wenn dann die Herden umgekommen sind, bleibt ihnen nur
noch, sich in die Flüchtlingslager in Kenia oder Äthiopien zu flüchten - viele
zu Fuß. Augenzeugen berichten, daß manche Eltern auf dem Weg eines ihrer Kinder
zum Sterben zurücklassen müssen, weil die ganze Familie umkommen würde, wenn
sie versuchten, es mitzunehmen. Derzeit fliehen jeden Monat 15.000 Somalis in
die Lager in Kenia und Äthiopien, auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Das
Lager Dadaab in Kenia, das ursprünglich für 90.000 Menschen eingerichtet wurde,
ist jetzt mit mehr als 400.000 Menschen hoffnungslos überladen.
Und der dritte Faktor, der die Menschen zur Flucht zwingt, ist die radikale
Rebellengruppe Shabaab. Sie treten als radikale Islamisten auf, werden von
britischen Laufburschen in den Golfstaaten unterstützt und bilden Terroristen
für den Einsatz in anderen Teilen Afrikas aus. Shabaab hat die Verantwortung
für Bombenanschläge in Uganda übernommen, und Aufständische in Nigeria
erklären, sie seien von dieser Gruppe im Bombenlegen ausgebildet worden.
Die Weltbank, die zu dem von den Briten dominierten imperialen
monetaristischen System gehört, bewilligte keine Gelder für die
Bewässerungsprojekte und hat sie auf diese Weise verhindert. Zu der Zeit -
bevor China sein Engagement in Infrastrukturbauten in Afrika begann - kam kein
Land an Geld für solche Projekte, wenn die Weltbank den Kredit verweigerte.
Die britisch-imperiale Politik erzwungener Rückständigkeit ist ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und indem die Vereinigten Staaten und
andere keine Alternative anbieten, machen sie sich zum Komplizen dieser
Politik. Zwar waren Präsident Franklin D. Roosevelt und später Präsident John
F. Kennedy für eine solche Entwicklungspolitik, aber seit Kennedys Ermordung
vor einem halben Jahrhundert sind diese Bestrebungen eingeschlafen. Die
US-Außenpolitik war im Gegenteil geprägt von der britischen Doktrin, die Henry
Kissinger Anfang der siebziger Jahre mit dem berüchtigten Studienmemorandum zur
Nationalen Sicherheit 200 (NSSM-200) in die amerikanische Politik eingeführt
wurde: Es dekretierte, daß die Auslandshilfe kein Bevölkerungswachstum in den
früheren Kolonialgebieten fördern soll, und das gilt bis heute.
Die von der gegenwärtigen Krise am stärksten bedrohten Länder sind Somalia,
Kenia und Äthiopien. Auch der Südsudan und Dschibouti sind gefährdet. Die
UNICEF-Sprecherin Marixie Mercado sagte am 12. August, allein in Somalia drohe
einer halben Million Kindern der Tod, wenn sie in den kommenden Wochen keine
Nahrungsmittelhilfe erreicht. Sie betonte, daß Kinder, deren Immunsystem durch
Unterernährung geschwächt ist, anfälliger für Krankheiten sind. Berichten
zufolge sterben jeden Tag 250 Kinder.
Diese jüngste vermeidbare, aber verheerende Hungerkrise am Horn von Afrika
wird zahllose weitere unnötige Todesopfer fordern, wenn nicht sehr bald nach
dem Vorbild der Operationen des Pionierkorps der US-Armee in weit größerem
Stile Medikamente und Nahrungsmittelhilfe in die Region gebracht werden als
bisher.
Cholera in den Lagern
Wenn dies nicht sehr bald geschieht, droht nicht nur Hunger, sondern auch
Massensterben durch Cholera. In einem Krankenhaus in Mogadischu sind bereits
181 Menschen an dieser Krankheit gestorben, und auch aus anderen Landesteilen
wurden Choleratote gemeldet. Flüchtlinge, die in den Lagern bei schlechten
sanitären Bedingungen in großer Zahl auf engstem Raum zusammenleben, sind
besonders anfällig für Krankheiten, und wenn demnächst die Regenzeit beginnt,
könnten durch Trinkwasser übertragene Infektionskrankheiten wie Cholera in den
Lagern verheerenden Schaden anrichten. Cholera ist leicht zu behandeln, aber es
fehlt an den dazu notwendigen Mitteln - Rehydrationssalze und Antibiotika. Die
Flüchtlingsströme tragen auch dazu bei, die Krankheiten weiter zu
verbreiten.
In den letzten beiden Monaten trafen in Mogadischu mehr als Hunderttausend
Flüchtlinge ein, die Nahrung suchen. Fast die Hälfte der Bevölkerung Somalias -
3,2 Millionen - braucht unmittelbare Hilfe, um zu überleben.
Viehhalter, die sowieso schon ein sehr ärmliches Leben führen, müssen
weiterziehen, wenn auf den Weiden kein Gras mehr für ihre Herden ist. Gäbe es
Bewässerung, wäre dies nicht notwendig, denn dann könnten sie Nahrung für sich
selbst und Futter für ihr Vieh anbauen, sie hätten dann eine weit sicherere
Existenz und könnten mehr Nahrungsmittel produzieren.
US-Außenministerin Clinton kündigte Mitte August eine Erhöhung der US-Hilfen
für das Horn von Afrika um 17 Mio.$ auf 508 Mio.$ an; darin ist jedoch nichts
für substantielle Entwicklung enthalten, abgesehen von Unterstützung für lokale
Selbsthilfe, die keine langfristigen Probleme beheben kann. Die UNO hat 2,4
Mrd.$ an Hilfen für die 12 Millionen bedrohten Menschen am Horn von Afrika
beantragt, aber auch das dient bloß dem unmittelbaren Überleben.
Die Shabaab-Rebellen haben sich Anfang August aus Mogadischu zurückgezogen,
was den Weg für Hilfslieferungen nach Mogadischu freimachen könnte, auch wenn
es dort noch Aufständische gibt und immer noch gekämpft wird. Die
AMISOM-Friedenstruppen in Mogadischu brauchen dem Vernehmen nach eine
Verstärkung um 8000 Soldaten, zusätzlich zu den schon jetzt eingesetzten 12.000
Mann, um die Gebiete abzusichern, die von der Shabaab einstweilen aufgegeben
wurden. Nach dem Abzug der Shabaab besteht jedoch auch die Gefahr neuer
Konflikte zwischen lokalen Milizen und den Truppen der schwachen
Übergangsregierung.
Aber der Rückzug der Shabaab in die ländlichen Gebiete hat es dort noch
schwieriger gemacht, der Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen. Weil die Shabaab
den meisten Hilfsorganisationen den Zugang verwehrt, sind die von ihr besetzten
Gebiete am stärksten von der Hungerkrise betroffen. Das
UN-Welternährungsprogramm (WFP) berichtet, daß die Hilfsorganisationen derzeit
zwei Millionen Menschen in den ländlichen Gebieten Somalias nicht erreichen
können.
Vor 20 Jahren mußte Somalia eine Hungerkatastrophe erleiden, die noch
schlimmer war als die jetzige. Heute hat Somalia eine andere Regierung und eine
andere Opposition, aber der Hunger herrscht wieder genauso wie vor 20 Jahren.
Was wurde getan, um sicherzustellen, daß solche Katastrophen sich nicht
wiederholen? Leider muß man feststellen: Nichts. Darin liegt das eigentliche
Verbrechen.
Douglas DeGroot