"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Die vermeidbare Hungerkrise am Horn von Afrika

Die Hungerkrise am Horn von Afrika hätte vermieden werden können, wenn der Westen nicht wirkliche Entwicklungsprojekte sabotiert hätte.

Die Welt wird mit Meldungen und Berichten über die Hungerkrise am Horn von Afrika geradezu überflutet, dennoch sagen diese Berichte nicht die Wahrheit über diese Krise. Natürlich ist es wahr, daß 12 Millionen Menschen in der Region vom Hungertod bedroht sind und sehr schnell Hilfslieferungen dorthin gelangen müssen. Aber es muß auch ganz deutlich gesagt werden, daß diese Krise von Menschen verursacht wurde und daß man sie hätte verhindern können. Es ist die bewußte Politik des Britischen Empire, die Weltbevölkerung, besonders in armen Ländern, durch Kriege, Hunger und Seuchen zu dezimieren, und die Vereinigten Staaten sind ihrer Verantwortung, eine echte Alternative dazu zu bieten, nicht gerecht geworden.

Inzwischen weist einiges darauf hin, daß Präsident Obama die amerikanische Finanzhilfe einschränken will, weil sie die Schulden der USA erhöht. Zwei sinnlose Kriege und Billionen-Dollar-Hilfen für seine Freunde an der Wallstreet sind Obama wichtiger als Menschenleben in Afrika.

Im Kongreß wurde vorgeschlagen, das Budget der Entwicklungshilfebehörde USAID gegenüber dem Vorjahr um 488 Millionen Dollar kürzen, und so wird das Risiko für die Menschen am Horn von Afrika größer denn je. Die düsteren wirtschaftlichen Aussichten in Amerika und Europa, wo traditionell die meiste Hilfe herkommt, wecken die Besorgnis, daß noch mehr Hilfsquellen versiegen könnten. Bisher wurde jedenfalls weniger Hilfe bereitgestellt als in der Krise in derselben Region 1992.

Doch selbst wenn genug Hilfe einträfe, könnte dies nicht verhindern, daß sich solche Katastrophen künftig wiederholen. Ohne Infrastrukturentwicklung in der Region sind neue Krisen unausweichlich.

Nach Angaben von Wirtschaftsexperten hätte es in Somalia, dem Land, wo die Krise am schlimmsten wütet, schon längst die Möglichkeit gegeben, durch große Wasserprojekte diese wiederkehrenden Krisen zu verhindern. Bereits im Jahr 1979 hatte die Weltbank umfangreiche Untersuchungen abgeschlossen und Vorschläge für Bewässerungsprojekte im Becken der Flüsse Shebelle und Jubba erstellt. Beide entspringen im äthiopischen Hochland und der Jubba führt das ganze Jahr Wasser, während der Shebelle, nachdem er das ganze Land durchflossen hat, in der Trockenzeit nahe Mogadischu austrocknet. Der Bau der Projekte im Becken zwischen diesen beiden Flüssen hätte Dürren verhindert wie die, unter der die Region derzeit leidet und zahllose Menschen veranlaßt, vor dem Hunger zu fliehen. Schon vor dieser jüngsten Krise lebten mehr Somalis im Ausland als in ihrem eigenen Land.

Spekulation und steigende Nahrungsmittelpreise

Der zweite Faktor, der so viele Menschen in die Flucht treibt, ist der explosionsartige Anstieg der Lebensmittelpreise. Wegen der weltweiten Nahrungsmittelknappheit und der Spekulation vieler Hedgefonds mit Nahrungsmitteln haben sich die Preise verdreifacht. Hirten in Somalia konnten sich wegen der hohen Preise keine Nahrungs- und Futtermittel für sich und ihre Herden mehr leisten. Wenn dann die Herden umgekommen sind, bleibt ihnen nur noch, sich in die Flüchtlingslager in Kenia oder Äthiopien zu flüchten - viele zu Fuß. Augenzeugen berichten, daß manche Eltern auf dem Weg eines ihrer Kinder zum Sterben zurücklassen müssen, weil die ganze Familie umkommen würde, wenn sie versuchten, es mitzunehmen. Derzeit fliehen jeden Monat 15.000 Somalis in die Lager in Kenia und Äthiopien, auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Das Lager Dadaab in Kenia, das ursprünglich für 90.000 Menschen eingerichtet wurde, ist jetzt mit mehr als 400.000 Menschen hoffnungslos überladen.

Und der dritte Faktor, der die Menschen zur Flucht zwingt, ist die radikale Rebellengruppe Shabaab. Sie treten als radikale Islamisten auf, werden von britischen Laufburschen in den Golfstaaten unterstützt und bilden Terroristen für den Einsatz in anderen Teilen Afrikas aus. Shabaab hat die Verantwortung für Bombenanschläge in Uganda übernommen, und Aufständische in Nigeria erklären, sie seien von dieser Gruppe im Bombenlegen ausgebildet worden.

Die Weltbank, die zu dem von den Briten dominierten imperialen monetaristischen System gehört, bewilligte keine Gelder für die Bewässerungsprojekte und hat sie auf diese Weise verhindert. Zu der Zeit - bevor China sein Engagement in Infrastrukturbauten in Afrika begann - kam kein Land an Geld für solche Projekte, wenn die Weltbank den Kredit verweigerte.

Die britisch-imperiale Politik erzwungener Rückständigkeit ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und indem die Vereinigten Staaten und andere keine Alternative anbieten, machen sie sich zum Komplizen dieser Politik. Zwar waren Präsident Franklin D. Roosevelt und später Präsident John F. Kennedy für eine solche Entwicklungspolitik, aber seit Kennedys Ermordung vor einem halben Jahrhundert sind diese Bestrebungen eingeschlafen. Die US-Außenpolitik war im Gegenteil geprägt von der britischen Doktrin, die Henry Kissinger Anfang der siebziger Jahre mit dem berüchtigten Studienmemorandum zur Nationalen Sicherheit 200 (NSSM-200) in die amerikanische Politik eingeführt wurde: Es dekretierte, daß die Auslandshilfe kein Bevölkerungswachstum in den früheren Kolonialgebieten fördern soll, und das gilt bis heute.

Die von der gegenwärtigen Krise am stärksten bedrohten Länder sind Somalia, Kenia und Äthiopien. Auch der Südsudan und Dschibouti sind gefährdet. Die UNICEF-Sprecherin Marixie Mercado sagte am 12. August, allein in Somalia drohe einer halben Million Kindern der Tod, wenn sie in den kommenden Wochen keine Nahrungsmittelhilfe erreicht. Sie betonte, daß Kinder, deren Immunsystem durch Unterernährung geschwächt ist, anfälliger für Krankheiten sind. Berichten zufolge sterben jeden Tag 250 Kinder.

Diese jüngste vermeidbare, aber verheerende Hungerkrise am Horn von Afrika wird zahllose weitere unnötige Todesopfer fordern, wenn nicht sehr bald nach dem Vorbild der Operationen des Pionierkorps der US-Armee in weit größerem Stile Medikamente und Nahrungsmittelhilfe in die Region gebracht werden als bisher.

Cholera in den Lagern

Wenn dies nicht sehr bald geschieht, droht nicht nur Hunger, sondern auch Massensterben durch Cholera. In einem Krankenhaus in Mogadischu sind bereits 181 Menschen an dieser Krankheit gestorben, und auch aus anderen Landesteilen wurden Choleratote gemeldet. Flüchtlinge, die in den Lagern bei schlechten sanitären Bedingungen in großer Zahl auf engstem Raum zusammenleben, sind besonders anfällig für Krankheiten, und wenn demnächst die Regenzeit beginnt, könnten durch Trinkwasser übertragene Infektionskrankheiten wie Cholera in den Lagern verheerenden Schaden anrichten. Cholera ist leicht zu behandeln, aber es fehlt an den dazu notwendigen Mitteln - Rehydrationssalze und Antibiotika. Die Flüchtlingsströme tragen auch dazu bei, die Krankheiten weiter zu verbreiten.

In den letzten beiden Monaten trafen in Mogadischu mehr als Hunderttausend Flüchtlinge ein, die Nahrung suchen. Fast die Hälfte der Bevölkerung Somalias - 3,2 Millionen - braucht unmittelbare Hilfe, um zu überleben.

Viehhalter, die sowieso schon ein sehr ärmliches Leben führen, müssen weiterziehen, wenn auf den Weiden kein Gras mehr für ihre Herden ist. Gäbe es Bewässerung, wäre dies nicht notwendig, denn dann könnten sie Nahrung für sich selbst und Futter für ihr Vieh anbauen, sie hätten dann eine weit sicherere Existenz und könnten mehr Nahrungsmittel produzieren.

US-Außenministerin Clinton kündigte Mitte August eine Erhöhung der US-Hilfen für das Horn von Afrika um 17 Mio.$ auf 508 Mio.$ an; darin ist jedoch nichts für substantielle Entwicklung enthalten, abgesehen von Unterstützung für lokale Selbsthilfe, die keine langfristigen Probleme beheben kann. Die UNO hat 2,4 Mrd.$ an Hilfen für die 12 Millionen bedrohten Menschen am Horn von Afrika beantragt, aber auch das dient bloß dem unmittelbaren Überleben.

Die Shabaab-Rebellen haben sich Anfang August aus Mogadischu zurückgezogen, was den Weg für Hilfslieferungen nach Mogadischu freimachen könnte, auch wenn es dort noch Aufständische gibt und immer noch gekämpft wird. Die AMISOM-Friedenstruppen in Mogadischu brauchen dem Vernehmen nach eine Verstärkung um 8000 Soldaten, zusätzlich zu den schon jetzt eingesetzten 12.000 Mann, um die Gebiete abzusichern, die von der Shabaab einstweilen aufgegeben wurden. Nach dem Abzug der Shabaab besteht jedoch auch die Gefahr neuer Konflikte zwischen lokalen Milizen und den Truppen der schwachen Übergangsregierung.

Aber der Rückzug der Shabaab in die ländlichen Gebiete hat es dort noch schwieriger gemacht, der Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen. Weil die Shabaab den meisten Hilfsorganisationen den Zugang verwehrt, sind die von ihr besetzten Gebiete am stärksten von der Hungerkrise betroffen. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) berichtet, daß die Hilfsorganisationen derzeit zwei Millionen Menschen in den ländlichen Gebieten Somalias nicht erreichen können.

Vor 20 Jahren mußte Somalia eine Hungerkatastrophe erleiden, die noch schlimmer war als die jetzige. Heute hat Somalia eine andere Regierung und eine andere Opposition, aber der Hunger herrscht wieder genauso wie vor 20 Jahren. Was wurde getan, um sicherzustellen, daß solche Katastrophen sich nicht wiederholen? Leider muß man feststellen: Nichts. Darin liegt das eigentliche Verbrechen.

Douglas DeGroot