"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Entwicklung des Kontinents mit Blick auf die Sterne

Von Marsha Freeman

Weltraumforschung. Südafrika, wo in diesem Jahr der Jahreskongreß der Internationalen Astronautischen Föderation stattfand, setzt bei der Entwicklung des Landes stark auf den Einsatz von Weltraum-Technologien.

Südafrika ist ein Land dramatischer Kontraste. Es beheimatet das modernste Radio-Teleskop der südlichen Hemisphäre, kämpft aber gleichzeitig damit, die Folgen der 400 Jahre langen Unterwerfung der großen Mehrheit seiner Bevölkerung durch zwei europäische Imperien und der fast 35 Jahre währenden - durch die Politik der Apartheid erzwungenen - Rassentrennung zu überwinden. Es ist das einzige Land Afrikas, das ein Kernkraftwerk betreibt, aber gleichzeitig haben 55% der ländlichen Bevölkerung - insgesamt mehr als 12,5 Mio. Menschen - keinen Anschluß an das Elektrizitätsnetz. Es ist die weltweit führende Nation bei der Produktion radioaktiver Isotope, die für moderne medizinische Diagnose- und Behandlungsverfahren benötigt werden, während Millionen farbiger Südafrikaner in „informellen Siedlungen“ in Blechhütten ohne Strom und fließendes Wasser hausen.

Rund ein Viertel der 50 Millionen Südafrikaner sind arbeitslos, bei den schwarzen Jugendlichen ist der Anteil doppelt so hoch. Auch nach dem Ende der Apartheidpolitik der weißen Regierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fließt fünfmal soviel Geld in die Bildung der Weißen als in die der Schwarzen, und obwohl die Regierung 18% der Mittel des Staatshaushalts in Bildung investiert, wird es wohl mindestens eine ganze Generation dauern, bis diese Benachteiligung ausgeglichen ist.

1994 stand die erste demokratisch gewählte Regierung vor fast unüberwindlichen Herausforderungen, während Tausende von gut ausgebildeten Weißen das Land verließen, die wertvolle Beiträge zum Aufbau des Landes hätten leisten können. Nelson Mandelas Politik, daß man Versöhnung üben müsse, und nicht Vergeltung, bewahrte das Land vermutlich vor einem Bürgerkrieg, als das Apartheid-Regime abtrat.

Südafrikas Regierung ist entschlossen, die 80% der Bevölkerung aus der faktischen Sklaverei, in der sie seit der Kolonialherrschaft lebten, herauszuheben. Sie hat versprochen, den Anteil der Lese- und Schreibfähigen von derzeit 82% weiter zu steigern, die „informellen Siedlungen“ durch anständige Wohnungen mit grundlegender Infrastruktur zu ersetzen und bis 2020 fünf Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Aber auch mit seinem großen Reichtum an Mineralien und Rohstoffen ist Südafrika nicht gegen den Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems gefeit, der den Welthandel - und damit Südafrikas Exporte - zum Stillstand zu bringen droht. Im vergangenen Jahr verlor das Land 53.000 Arbeitsplätze in der Industrie, und für dieses Jahr wird ein Rückgang des Wirtschaftswachstums um 3% erwartet. Aber um die benötigten Arbeitsplätze zu schaffen, sind mindestens 7% jährliches Wachstum notwendig.

Außerdem befindet sich Südafrika mit all diesen Herausforderungen in einer Umgebung, aus der viele Menschen, die unter Dürre, Hunger und Bürgerkrieg leiden, aufgrund der südafrikanischen „Politik der offenen Tür“ ins Land strömen. Diese Neuankömmlinge füllen die „informellen Siedlungen“ immer wieder auf, während die Regierung versucht, die Bevölkerung in bessere Unterkünfte umzusiedeln, sodaß es schwierig ist, die geplanten Fortschritte zu erreichen.

Orientierung auf die Wissenschaft

Aber das demokratische Südafrika hat auch ein wissenschaftliches und technologisches Erbe, das dazu eingesetzt wird, die Nation und Afrika voranzubringen. Auch wenn die Regierung ihre Investitionen auf Wohnungsbau, Bildung, Verkehr, Energie, Gesundheitssystem und die übrige grundlegende Infrastruktur konzentriert, ist sie entschlossen, alle verfügbaren Mittel dafür einzusetzen, den Fortschritt zu beschleunigen. Dabei legt sie außergewöhnliches Gewicht auf den Einsatz der Ressourcen für Wissenschaft, Bildung und Entwicklung.

Vor 1994 betrieb das Militär Programme zur Entwicklung modernster Technologien in der Weltraum- und Raketentechnik sowie im Nuklearsektor. Die vom Afrikanischen Nationalkongreß geführte Regierung stellte diese Programme nach 1994 zunächst ein. Heute legt sie, nicht zuletzt auf Betreiben der wissenschaftlichen Kreise im Land, großes Gewicht darauf, die in diesem Bereich vorhandenen Fachkräfte durch nationale Wissenschafts- und Technologieprogramme zu nutzen, um damit den Sprung in die Zukunft zu ermöglichen und zu schaffen.

Die Fortschritte, die Südafrika in dieser Hinsicht gemacht hat, hatten zur Folge, daß es als Gastgeber des Jahreskongresses der hochangesehenen Internationalen Astronautischen Föderation ausgewählt wurde, der vom 3.-7. Oktober in Kapstadt stattfand und an dem die Verfasserin teilnahm.

1999 schickte Südafrika als erstes afrikanisches Land einen 64 kg schweren Mikrosatelliten in eine Erdumlaufbahn. SunSat wurde von den Mitarbeitern und Studenten der Abteilung für Elektroingenieurwesen an der Universität von Stellenbosch entwickelt, gebaut und gesteuert. Gestartet wurde der Satellit von den Vereinigten Staaten.

Südafrika hat auch, unter Nutzung der Daten ausländischer Satelliten, die Fähigkeit entwickelt, Erdbeobachtungsdaten zu interpretieren und zu nutzen. So begann beispielsweise das Erdobservatorium des Satelliten-Anwendungs-Zentrums (heute Südafrikas Nationale Weltraumbehörde SANSA), Satellitendaten zu nutzen, um die Entwicklung der „informellen Siedlungen“ zu dokumentieren. Durch den Vergleich der Fertigstellung neuer Wohnsiedlungen mit dem Wachstum der „informellen“ Siedlungen ist die Regierung in der Lage, den Bedarf genauer zu beobachten und einzuschätzen.

Aufbauend auf den Erfahrungen und Fähigkeiten des Landes und im Bewußtsein des Wertes der von den Afrikanern selbst entwickelten und betriebenen Erderkundungssatelliten beauftragte die Regierung die Firma SunSpace - ein Unternehmen, das von der Universität gegründet wurde - den Prototypen eines größeren Erderkundungssatelliten mit der Bezeichnung Sumbandila - „Wegweiser“ - zu entwickeln. Dieser 26 Mio. Rand (2,3 Mio. Euro) teure Satellit wurde 2009 gestartet und liefert seit zwei Jahren Satellitenbilder der Erde.

Als nächster Schritt soll, wie Dr. Sandile Malinga, der neue Chef der SANSA, berichtete, Sumbandila-2 sein, dessen Kosten auf 400 Mio. Rand (36 Mio. Euro) geschätzt werden. Dieser Satellit soll dann nicht für sich allein betrieben werden, sondern als Teil der Afrikanischen Ressourcen-Verwaltungs-Konstellation (African Resource Management Constellation, ARMC), durch die die Satelliten-Erfassung des gesamten afrikanischen Kontinents stark verbessert werden soll.

Das Ziel der Satelliten-Projekte Südafrikas und anderer afrikanischer Nationen ist es, ihre Abhängigkeit von den Satellitenbildern und -technologien anderer Nationen zu verringern und stattdessen eigene Kapazitäten zu entwickeln. Wie bei dem Kongreß gesagt wurde, kostet es Zehntausende von Dollars, bloß einige Bilder des eigenen Landes einzukaufen. Und diese Dollars summieren sich zu einem wachsenden Handelsdefizit im Hochtechnologiebereich zwischen Südafrika und den Weltraumnationen, die solche Bilder anbieten.

Die südafrikanische Regierung erwägt auch die Wiederinbetriebnahme der Raketentest- und -startanlage am Versuchsgelände Overberg, die in den achtziger Jahren geschaffen wurde, um Erderkundungs- und Überwachungssatelliten für das Militär zu starten. Durch dieses Programm entstanden auch Einrichtungen zur Montage und Erprobung von Satelliten, sowie einige industrielle Anlagen, die jetzt für das zivile Raumfahrtprogramm genutzt werden. Die Raketenstartanlage auf dem Overberg-Gelände wäre die erste auf dem afrikanischen Kontinent.

Blick zum Südhimmel

Ein alter Witz besagt, Gott habe alle Astronomen in die nördliche Hemisphäre gesetzt, und alle interessanten Himmelsobjekte in die südliche. Nun, nicht alle Astronomen!

Schon vor Hunderten von Jahren war es von großer praktischer Bedeutung, den Südhimmel zu kennen und zu beobachten, als die großen Entdecker um das Kap der guten Hoffnung segelten, um einen Seeweg nach Osten zu finden. Schon im 16. Jahrhundert wurden Messungen des Erdmagnetfelds vorgenommen, um die Schiffahrt zu unterstützen. Dabei war die Region Südafrikas besonders interessant aufgrund der südatlantischen Anomalie, einer Region, in der das Magnetfeld der Erde besonders schwach ist.

Die Beteiligung am Internationalen Polaren Jahr 1932-33 führte zur Gründung eines Magnet-Observatoriums an der Universität Kapstadt. Dieses Observatorium wurde später nach Hermanus verlegt, wo es noch heute arbeitet. Es gilt als Teil eines internationalen Netzwerks geomagnetischer Einrichtungen, das die Wechselwirkungen zwischen der Sonne und der Erde beobachtet. Kürzlich nahm auch die Operationszentrale für das Weltraumwetter ihre Arbeit auf, um Instrumente zur Warnung vor magnetischen Stürmen zu entwickeln.

Schon früh erkannte man, daß ein astronomisches Observatorium auf der Südhalbkugel der Erde Teile des Kosmos zeigen würde, die ein großer Teil der Astronomen der Welt noch nie gesehen hatte. In den 1920er Jahren schufen die Briten das Königliche Observatorium am Kap der guten Hoffnung, das immer wieder von weltweit bekannten Astronomen besucht wurde.

1972 wurden die Teleskope des Hauptobservatoriums in der trockenen Karoo-Region Südafrikas mit den Observatorien in Johannesburg und Pretoria zum Südafrikanischen Astronomischen Observatorium (SAAO) zusammengeschlossen. Das SAAO ist das nationale Zentrum Südafrikas für die optische und Infrarot-Astronomie.

Das größte optische Teleskop der Südhalbkugel ist das 2005 fertiggestellte Große Südafrikanische Teleskop (SALT). Südafrika ist der größte Anteilshalter des internationalen Konsortiums, das dieses Teleskop errichtet hat, und etwa 70% des SALT wurden in Südafrika gebaut.

2003 beschloß die Regierung, ermutigt durch den Erfolg mit dem Bau des SALT, einen gigantischen weiteren Schritt zu machen und meldete ihr Interesse an, das Quadratkilometer-Array (SKA) in Südafrika anzusiedeln, das nach seiner Fertigstellung 2024 das größte und genaueste Radioteleskop der Welt sein wird. Weitere Bewerber sind Australien und Neuseeland; über die Vergabe des Projektes wird im kommenden Frühjahr entschieden.

Wissenschaftler und Ingenieure, die in Südafrika arbeiten, suchen seit Beginn des Weltraum-Zeitalters nach Radiosignalen aus dem Weltraum. 1961 baute die NASA eine Antenne für Radiowellen in Hartebeesthoek, etwa 50 km westlich von Johannesburg, um Signale der frühesten Mond- und Planetensonden zu empfangen. Nachdem die NASA diese Station 1974 schloß, wurde aus der Einrichtung das Nationale Radioastronomische Observatorium Hartebeesthoek (HartRAO). Neben Untersuchungen des Weltraums werden von dort auch Satelliten gesteuert, die mit Hilfe präziser Laservermessungen die Drift der Kontinente beobachten.

Um jene hochmodernen Technologien zu entwickeln, die notwendig sind, um die 3000 Antennen des Quadratkilometer-Arrays mit einer Gesamtsammelfläche von 1 km2 zu bauen, zu betreiben und zu koordinieren, die über Entfernungen bis zu 1000 km verteilt sein werden, hat die Regierung ein Vorläufer-Programm gestartet, das jetzt Früchte trägt.

Das Karoo Array-Teleskop (MeerKAT) wird aus 64 Radio-Empfangsantennen bestehen, wenn es in den kommenden Jahren fertiggestellt sein wird. Es wird erst ab 2016 der Forschung dienen können, aber schon jetzt sind mehr als 500 Stunden seiner künftigen Einsatzzeit für führende Wissenschaftler in Südafrika und der übrigen Welt reserviert. Der erste Prototyp einer solchen Antenne wurde 2007 am HartRAO gebaut und getestet, die ersten sieben Antennen (KAT-7) für den eigentlichen Einsatz werden derzeit geprüft und sollen bis Ende des Jahres in Karoo in Betrieb genommen werden. Unabhängig davon, ob Südafrika und seine acht Partnerländer in Afrika den Zuschlag für das SKA erhalten werden, wird MeerKAT der Radioastronomie in den kommenden Jahrzehnten hervorragende Dienste leisten können.

Überwindung des Afro-Pessimismus

Einen der wichtigsten Gründe, warum Südafrikas Regierung der Förderung des Fortschritts und der Leistungen des Landes in den Weltraumwissenschaften eine so prominente Rolle einräumt, erklärte Dr. Mandega bei der Weltraum-Konferenz in Kapstadt. Die praktischen Anwendungen der Weltraumtechnologien für Landwirtschaft, Kommunikation, Fernunterricht, Wettervorhersage, Gesundheitswesen, den Umgang mit Naturkatastrophen, Infrastrukturplanung etc. werde es Südafrika erlauben, den Zeitrahmen für seine wirtschaftliche Entwicklung stark zu komprimieren. Vor allem aber rechtfertige die Wissenschaft, die Dr. Malinga als „Vorstellungskraft und Wunder“ bezeichnete, die Ausgaben der Regierung für solche Projekte wie das SKA.

In einem Interview mit EIR erklärte Südafrikas Ministerin für Wissenschaft und Technologie, Niladi Pandor, es sei notwendig, voranzuschreiten und den „Afro-Pessimismus“ zu überwinden. Das ist die Absicht der südafrikanischen Regierung, aber die voranschreitende globale Finanzkrise und der Kollaps der europäischen und amerikanischen Volkswirtschaften werde dies verhindern. Aber wenn Amerika „wieder das Land wird, das uns inspiriert“, so Pandor, dann wird Südafrika in der Lage sein, etwas zu einer neuen Allianz von Nationen auf der Grundlage großer weltweiter Wirtschaftsprojekte beizutragen und davon zu profitieren. Südafrika wird dann eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des übrigen Afrika spielen können.